Année politique Suisse 2013 : Grundlagen der Staatsordnung / Politische Grundfragen und Nationalbewusstsein
 
Grundsatzfragen
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Nationale Identität
Obwohl der im August 2012 von der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) angekündigte Wettbewerb für eine neue Nationalhymne noch nicht offiziell ausgeschrieben war, erhielt die SGG bereits zahlreiche Vorschläge. Der neue Geschäftsführer der SGG, Lukas Niederberger, gab am ersten August des Berichtjahres die Bedingungen für den Anfang Dezember offiziell unter dem Namen CHymne ausgerufenen Wettbewerb bekannt: In der ersten Hälfte des Jahres 2014 dürfen Vorschläge eingereicht werden, die sich textlich an der Präambel der Bundesverfassung orientieren und in deren neuen Melodie die heutige Hymne noch erkennbar ist. Eine 30köpfige Jury aus Kunst- und Medienschaffenden sowie Funktionären aus Sport- und Kulturverbänden aus allen vier Sprachregionen soll dann in der zweiten Jahreshälfte 2014 den Siegerbeitrag küren und diesen dem Bundesrat übergeben mit der Bitte, diesen als neue Nationalhymne zu bestimmen. Die Ankündigung wurde im eher linksstehenden britischen Guardian von zahlreichen Online-Kommentaren begleitet. Einzelne Kommentare lieferten gleich Vorschläge, etwa „Money, money, money“ von Abba oder „Offshore Banking Business“ von der britischen Punk-Band „The Members“. Im Inland rief der Vorschlag der SGG wenige, dafür gespaltene Reaktionen hervor. Während auf der einen Seite eine mögliche Reform des antiquierten Textes begrüsst wurde, wurde von rechtskonservativer Seite Kritik am Vorhaben laut. Eine Ende Berichtjahr eingereichte Interpellation Keller (svp, NW) will vom Bundesrat wissen, wie dieser zu den Plänen der SGG stehe, den Schweizerpsalm abzuschaffen. Die Weltwoche warf der SGG vor, sich mit dem Wettbewerb gegen die patriotische Funktion der Hymne und gegen ein Bekenntnis zu einer eigenständigen Schweiz zu richten. Auch auf kantonaler Ebene war die Nationalhymne Diskussionsgegenstand. So hiess im Kanton Tessin das Parlament einen Minderheitenantrag der parlamentarischen Schulkommission gut, der die Nationalhymne zum Pflichtstoff für die Primarschule bestimmte. Die geschlossenen Lega und SVP, fast alle CVP-Räte und die Hälfte der FDP-Kantonsparlamentarier sorgten dafür, dass die „Bionda Aurora“ künftig zum obligatorischen Schulstoff gehört. Dies war vorher lediglich im Kanton Aargau der Fall, wo auf Anregung der SVP im Jahr 2008 die Nationalhymne zum Pflichtstoff erklärt worden war [1].
Während die Motion Quadri (lega, TI), welche das Hissen einer ausländischen Flagge nur dann gestatten wollte, wenn gleichzeitig eine gleich grosse Schweizer Fahne aufgezogen wird, abgeschrieben wurde, lag die Motion Amaudruz (svp, GE) noch auf der langen Bank. Letztere verlangt die strafrechtliche Verfolgung bei Herabwürdigung der eidgenössischen Flagge und ist bürgerlich breit abgestützt, wird aber – wie bereits die Motion Quadri – vom Bundesrat zur Ablehnung empfohlen [2].
Das Rütli war in den letzten Jahren wiederholt in die Schlagzeilen geraten, weil die rechtsextreme Szene sich die Wiese über dem Vierwaldstättersee als Treffpunkt für ihre 1.-August-Feiern ausgesucht hatte. Nach den Ausschreitungen von 2005, als rund 700 Neo-Nazis die Rede von Bundespräsident Samuel Schmid niederschrien, wurde die offizielle 1.-August-Feier an der Wiege der Nation nur noch unter grossen Sicherheitsvorkehrungen, massivem Polizeiaufgebot und mit Hilfe eines Ticketsystems durchgeführt. Im Berichtjahr verzichtete die rechtsextreme Szene zum ersten Mal seit 17 Jahren auf eine 1.-August-Feier auf dem Rütli. Aber nicht nur rechtsextreme Gruppierungen, sondern auch etablierte Parteien wollen das Rütli für eigene Anlässe nutzen und drängen auf eine Öffnung der Wiese. Als Antwort auf ein 2013 überwiesenes Postulat Glanzmann-Hunkeler (cvp, LU) – die schärfer formulierte Motion der SVP, die 2011 auf dem Rütli unerlaubterweise ein Parteitreffen abgehalten hatte, wurde im Berichtjahr abgeschrieben – hatte sich der Bundesrat für politische Veranstaltungen auf dem Rütli ausgesprochen. Damit stiess die Regierung bei der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG), der Verwalterin der Rütli-Wiese, vorerst allerdings auf taube Ohren. Die SGG untersagt in ihrer Benutzerordnung weiterhin die Nutzung der Wiege der Eidgenossenschaft für politische Anlässe gänzlich und verweist dabei auf die vor allem bei extremistischen Veranstaltungen gefährdete öffentliche Sicherheit. Darüber hinaus müsse eine ideologische, partikulär-politische oder wirtschaftliche Vereinnahmung des Rütlis verhindert werden. Die Wiese solle vor allem ein nicht-politischer Begegnungsort sein – eine Forderung, die die SGG mit der Einladung des Schweizerischen Fussballverbandes als Gast am 1. August 2013 noch zusätzlich unterstrich. Seit mehreren Jahren veranstaltet die SGG den Nationalfeiertag zusammen mit bedeutenden Schweizer Organisationen. Nach Gesprächen zwischen der Bundeskanzlei, dem Bundesrat und der SGG versprach letztere allerdings, das Verbot zu lockern und das Rütli künftig den Parteien zugänglich zu machen. Mit einem neuen Pächter solle das Rütli zudem auch für private Anlässe attraktiver werden. Weiter plant die SGG neben der Wiese einen Ausstellungsraum sowie einen Erlebnis- und Lernpfad zur Schweizer Geschichte. Nach wie vor braucht es aber für Anlässe mit mehr als 50 Personen eine Bewilligung von der SGG [3].
Das 500-Jahr-Jubiläum der Schlacht bei Marignano (1515) warf im Berichtjahr erste Schatten voraus. Im Herbst 1515 erlitten die das Herzogtum Mailand verteidigenden Eidgenossen eine Niederlage gegen Frankreich. In der Folge gaben die eidgenössischen Orte einerseits ihre Expansionspolitik auf und schlossen zum anderen den Ewigen Frieden mit Frankreich. Im 20. Jh. wurde das Ereignis dann zum Heldenmythos stilisiert. Auf der einen Seite plante die seit 1965 bestehende Stiftung Pro-Marignano verschiedene Aktivitäten für das Jubiläum auch im Rahmen der Weltausstellung 2015 in Mailand (vgl. unten). Auch das Landesmuseum bereitete eine Sonderausstellung vor. Auf der anderen Seite meldeten sich Parlamentarier vor allem aus dem Tessin zu Wort. Romano (cvp, TI) wollte etwa in einer von zahlreichen vor allem Südschweizer Parlamentariern unterzeichneten Interpellation vom Bundesrat wissen, ob und wie der Bund das Gedenken an die Schlacht unterstütze. Die Parlamentarier aus dem Tessin erhofften sich dank der Feierlichkeiten auch verbesserte Kontakte zu Italien. Der Bundesrat antwortete allerdings, dass die Erinnerung an Marignano keine gesamtschweizerische Aufgabe sei, und dass die geplanten Anlässe ohne Bundeshilfe auskommen müssten. Der Bund unterstütze Anlässe zur Erinnerung an historische Ereignisse nur sehr zurückhaltend. Die Debatte um Marignano zeigte im Ansatz die bereits bei der 700-Jahr-Feier 1991 geführte Debatte zwischen rechtskonservativen und linksliberalen Geschichtsvorstellungen. Auf der einen Seite wird die Schweiz als kriegerische gegen das Ausland sich wehrende Bauern- und Berglergesellschaft beschrieben, die seit 1291 Bestand hat. Auf der anderen Seite werden die Wurzeln der heutigen demokratischen und rechtsstaatlichen Schweiz mit ihren nationalen Institutionen, Menschen- und Bürgerrechten im Jahr 1848 verortet. Beide Daten sind sozusagen als Kompromiss an der Fassade des Bundeshauses genannt. Während die politische Rechte 2015 neben Marignano gleichzeitig auch der Schlacht beim Morgarten 1315 und der Anerkennung der Neutralität der Schweiz auf dem Wiener Kongress 1815 gedenken will, setzte die Linke bereits im Vorjahr auf Initiative Hans-Jürg Fehr (sp, SH) durch, dass künftig jeden 12. September im Parlament an die Gründung von 1848 erinnert werden soll. Die Ratspräsidenten beider Kammern hielten entsprechende Gedenkreden [4].
Das Geschichtsbild der Schweiz war im Berichtjahr auch Gegenstand einiger medialer Debatten. Anfang Juni veröffentlichte die Sonntagspresse eine harsche Kritik von Historikern, die eine vom EDA verantwortete Darstellung der Schweizer Geschichte unter dem Landeskunde-Portal Swissworld.org als skandalös und kreuzfalsch bezeichneten. Es werde ein überholtes, mythologisches Geschichtsbild der Schweiz gezeigt, dass nicht dem aktuellen Forschungsstand entspreche. Die pro Monat von rund 250 000 Nutzern besuchte Seite wurde in der Folge revidiert. Anlass zu grösseren nationalen Diskussionen lieferte ein im November vom Schweizer Fernsehen SRG in vier abendfüllenden Filmen ausgestrahlter Themenschwerpunkt mit dem Titel „Wir Schweizer“. Die an „Wir Deutschen“ angelehnte Sendung sollte die historischen Wurzeln der Schweiz beleuchten. Noch vor der Ausstrahlung wurde eine grosse Kontroverse geführt. Kritisiert wurde vor allem die Auswahl der historischen Figuren, da es sich samt und sonders um Männer handelte: Werner Stauffacher, Niklaus von der Flüe, Hans Waldmann, Guillaume-Henri Dufour, Alfred Escher und Stefano Franscini. Neben Frauenfeindlichkeit wurde der SRG auch ein überholtes, weil mit Mythen belastetes Geschichtsbild mit elitezentrierten Heldengeschichten vorgeworfen. Die Auswahl wurde allerdings auch verteidigt, da sie sprachregional ausgewogen sei und sich die Personifizierung für die Illustration historischer Fakten für ein breites Fernsehpublikum eigne. Zudem seien für die Produktion der Filme Historiker beigezogen worden. Die kritischen Stimmen wurden bei der Ausstrahlung der vierteiligen Doku-Fiktion, die mit Radiosendungen, Dokumentarsendungen, Expertengesprächen und interaktiven Umfragen umrahmt wurde, etwas leiser. Die Einschaltquoten für die vier Hauptsendungen lagen bei rund 30%, was als solid bis gut bezeichnet wurde; in der Romandie lagen sie gar noch ein wenig höher. Kontrovers diskutiert wurde zudem im Berichtjahr die Zahl im Zweiten Weltkrieg an der Schweizer Grenze abgewiesenen Juden. Der Bergier-Schlussbericht von 2002 geht von rund 20 000 abgewiesenen jüdischen Flüchtlingen aus; laut Anfang Jahr publizieren Recherchen von Serge Klarsfeld müsse diese Zahl nach unten korrigiert werden. Prompt reichte Perrin (svp, NE) eine Motion ein, die vom Bundesrat eine neue Kommission zwecks Neuaufarbeitung der Daten verlangte. Die Regierung lehnte die Motion ab mit der Begründung, dass dies Aufgabe der Wissenschaft sei. Aufgrund des Ausscheidens von Perrin aus dem Rat wurde die Motion in der Folge abgeschrieben [5].
Auf eine Aufwertung des im 19. Jahrhundert zum staatlichen Feiertag bestimmten Buss- und Bettag, der jeweils am dritten Sonntag im September stattfindet, zielte ein Aufruf der parlamentarischen Gruppe „Christ+Politik“, der von 136 National- und Ständeräten aus dem linken bis rechten Lager unterzeichnet wurde. Der überkonfessionelle Tag solle als Marschhalt dienen und die Bürgerinnen und Bürger wurden aufgerufen, sich für die „Freiheit in der wir leben“ zu bedanken [6].
In der Presse wurde über das ganze Berichtjahr hinweg anhand verschiedener Ereignisse ein möglicher Verlust des politischen und gesellschaftlichen nationalen Zusammenhalts debattiert. Der Stadt-Land-Graben bei der Abstimmung zur Familienpolitik Anfang März war Anlass einer grösseren Studie im Auftrag der Sonntagszeitung, die eine Akzentuierung des Gegensatzes zwischen einer eher linksliberalen städtischen und einer bürgerlich-konservativen Stimmbürgerschaft in den Agglomerationen und in ländlichen Gebieten analysierte. Gemessen anhand nationaler Abstimmungsresultate habe sich die politische Haltung der Städte seit den 1990er Jahren stark in eine links-progressiv-liberale Richtung verschoben, während die eher rechts-bürgerlich geprägten ländlichen Gemeinden eher konservativer (gegen Öffnung und Modernisierung) geworden seien. In der Sommersession wurden gleich vier grosse Geschäfte aufgrund mangelnder Mehrheiten beerdigt. Abnehmende Kompromissbereitschaft von links und rechts wurde für das Scheitern nicht nur der IV-Revision, sondern auch der Lex USA, der Mehrwertsteuerreform und des Sparprogramms verantwortlich gemacht. Auch die direkte Demokratie wurde als Ursache zunehmender Polarisierung kritisiert. Statt nach tragfähigen Lösungen zu suchen, würden im permanenten Wettbewerb um politische Aufmerksamkeit immer mehr Initiativen von links und rechts lanciert [7].
Über die Swissness-Vorlage berichten wir unten (Teil I, 4a, Strukturpolitik).
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Image der Schweiz im Ausland
Die Korruption macht auch vor der Schweiz nicht halt, wie der von Transparency International (TI) erhobene Corruption Perception Index (CPI) verdeutlichte. Die im Rang 7 von total 177 beurteilten Ländern mit 85 von 100 möglichen Punkten klassierte Schweiz wurde aber insgesamt als integer beurteilt. Die bestklassierten Länder Dänemark und Neuseeland erreichten 91 von 100 Punkten. Die Schweiz verlor im Vergleich zur letzten Erhebung einen Rang, was TI auf den Umstand zurückführte, dass hinsichtlich des Schutzes von Whistleblowern und der Transparenz bei der Finanzierung der Politik keine Fortschritte erzielt worden seien. Das Korruptionsbarometer, eine von TI durchgeführte Umfrage bei rund 1000 Einwohnern in mehr als 100 verschiedenen Ländern brachte zu Tage, dass Parteien weltweit als die korruptesten Akteure betrachtet werden. Auch in der Schweiz waren rund 43% der Befragten der Meinung, dass die Parteien bestechlich seien, was von TI ebenfalls mit der fehlenden Parteienfinanzierungsgesetzgebung erklärt wurde. Die Medien landeten in der Schweiz an zweiter und der Privatsektor an dritter Stelle, gefolgt vom Parlament [8].
Mit der Annahme der Abzockerinitiative (vgl. Kapitel 4a) geriet die direkte Demokratie einmal mehr ins Blickfeld des Auslandes. Im Gegensatz zur Annahme der Minarettinitiative im Jahr 2009 und der Ausschaffungsinitiative 2010, bei denen die Schweiz als überaus ausländerfeindlich wahrgenommen und folglich die direkte Demokratie vor allem von rechtspopulistischen Parteien gefeiert und auch für das jeweils eigene Land gefordert wurde, diente die Annahme der Abzockerinitiative den linken Parteien als leuchtendes Beispiel. Viel ausländische Medienaufmerksamkeit erhielt Thomas Minder, der Initiant des erfolgreichen Begehrens. Obwohl die Nachfrage nach direkter Demokratie im Ausland zunahm, blieb die politische Elite in den verschiedenen europäischen Ländern einer Einführung unmittelbarerer Demokratie gegenüber skeptisch [9].
Die Schweiz erhielt Mitte August aufgrund zweier medial stark beachteter Ereignisse eine sehr schlechte ausländische Presse. Die Schweizer wurden etwa als „nette Fremdenhasser“ bezeichnet. Anstösse für den Shitstorm, der während mehreren Tagen über die Schweiz einbrach, waren einerseits ein Entscheid der Gemeinde Bremgarten (AG), Asylbewerbern den Zugang zu öffentlichen Plätzen zu erschweren und andererseits die angebliche Weigerung einer Verkäuferin einer Zürcher Boutique, der schwarzen US-Talkmasterin Oprah Winfrey eine 35 000 CHF teure Tasche zu verkaufen. Das Bild einer opportunistischen, kaltherzigen und rassistischen Schweiz, das in ausländischen (Boulevard-)Medien gerne gezeichnet wird, schien dem Image der Schweiz allerdings nicht zu schaden. Eine in 14 Ländern durchgeführte Studie der Universität St. Gallen zeigte, dass Swissness mit Zuverlässigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Qualität, Präzision und Exklusivität gleichgesetzt wird [10].
Ende Februar verabschiedete der Bundesrat seine gemeinsam mit den Kantonen verfasste Stellungnahme zu den offenen Empfehlungen des UNO Menschenrechtsrates, die dieser auf der Basis der Universal Periodic Review im Vorjahr abgegeben hatte. 50 der damaligen, von zahlreichen Ländern abgegebenen Empfehlungen zur Verbesserung der Menschenrechtssituation in der Schweiz wurden sofort angenommen und 4 abgelehnt. Die verbleibenden 86 wurden in Zusammenarbeit mit allen Bundesämtern und Kantonen überprüft. Dabei zeigte sich, dass 49 Massnahmen innerhalb einer Vierjahresperiode umsetzbar waren oder aber bereits umgesetzt waren. 37 wurden hingegen abgelehnt. Die Stellungnahme wurde im Rahmen der 22. Session des Menschenrechtsrates Mitte März in Genf präsentiert [11].
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Stimmung in der Bevölkerung
Nach wie vor grösste Sorge der Schweizer Bevölkerung war im Berichtjahr die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Seit elf Jahren findet sich die Sorge um Arbeitslosigkeit im Sorgenbarometer, einer im Auftrag der Crédit Suisse bei jeweils rund 1000 Personen von gfs.bern durchgeführten Langzeitbefragung, auf Platz eins; allerdings war der Anteil der Befragten im Vergleich zum Vorjahr relativ deutlich von 49% auf 44% gesunken, was seit 2000 den geringsten Anteil darstellte. In der Westschweiz (52%) war die Sorge um einen Jobverlust dabei nach wie vor grösser als in der Deutschschweiz (40%), der Sprachgraben hatte sich aber im Vergleich zum Vorjahr verkleinert. Unverändert an zweiter Stelle lag die Sorge um die Zuwanderung und die damit verbundenen Integrationsfragen (37%; 2012: 37%), gefolgt von Ängsten um die Altersvorsorge (29%; 2012: 32%), von den Sorgen um das Asylwesen (28%; 2012: 32%) und von den Sorgen um die persönliche Sicherheit (24%; 2012: 21%), die vor allem von Frauen und Männern im Pensionsalter geäussert wurden. Weiterhin rückläufig waren auch die Ängste um das Gesundheitswesen, die während Jahren einen der drei Spitzenplätze eingenommen hatten; 2013 gaben aber lediglich noch 21% der Befragten an, sich um das Gesundheitswesen zu sorgen (2012: 30%) [12].
Das Angstbarometer, eine jährlich bei rund 1000 Personen von gfs.zürich durchgeführte Befragung, zeigte eine deutliche Abnahme der gefühlten Bedrohung. Sowohl ein aggregierter Index als auch die verschiedenen abgefragten konkreten Bedrohungen verzeichneten einen Rückgang. Dieser wurde von den Verfassern der Analyse mit einer im Vergleich zu den bewegenden Vorjahren mit der Umweltkatastrophe in Fukushima, der Wirtschaftskrise 2011 sowie der intensiven Diskussion um die Zuwanderung aus der EU im Jahr 2012 relativen Ereignisarmut im Jahr 2013 erklärt. Ein deutliche Abnahme zeigte sich insbesondere bei der sozio-ökonomischen Bedrohung: Die noch 2011 das Angstempfinden prägende Schuldenkrise stellte in den Augen der Befragten im Berichtjahr kaum mehr eine Bedrohung dar. Auch die Angst vor Umweltverschmutzung nahm ab, wurde aber nach wie vor als stärkste Bedrohung wahrgenommen – insbesondere in Form von Luftverschmutzung und Klimaveränderung [13].
Im Rahmen der von der ETH durchgeführten Studie „Sicherheit“ (vgl. Kapitel 3) wird jeweils auch das Vertrauen der Schweizer Bevölkerung in ausgewählte politische Institutionen abgefragt. Nach wie vor zeigte sich 2013 ein insgesamt hohes Institutionenvertrauen; der aggregierte Index lag unverändert zu 2012 bei 6.5 Punkten (auf einer Skala von 1 [kein Vertrauen] bis 10 [volles Vertrauen]). Weiterhin am meisten Vertrauen geniesst die Polizei (7.6; 2012: 7.6) gefolgt von den Gerichten (7.1; 2012: 7.0). Unverändert hoch war auch das Vertrauen in den Bundesrat (6.7; 2012: 6.8) und ins eidgenössische Parlament (6.3; 2012: 6.2). Leicht zugenommen hatte zudem die Zuversicht in die Parteien (5.3; 2012: 5.1) und in die Medien (5.3; 2012: 5.1). Beim Vertrauen in die Gewalten konnte die Studie einen Zusammenhang mit der Bildung, dem Einkommen und der politischen Ausrichtung feststellen: Höhere Bildung scheint mit mehr Vertrauen in die Exekutive und die Judikative einherzugehen, während ein höheres Einkommen einen positiven Einfluss auf das Vertrauen in alle drei Gewalten nach sich zieht. Je weiter rechts sich eine Person in einem Links-Rechts-Kontinuum einschätzt, desto geringer ist ihr Vertrauen in den Bundesrat und das Parlament [14].
Anfang Jahr präsentierte das Konsumentenforum seinen Pulsmesser, mit dem bei rund 1000 Befragten die Sorgen im Konsumalltag gemessen wurden. Die Gesundheitskosten und die steigenden Krankenkassenprämien bereiteten den interviewten Konsumentinnen und Konsumenten die grössten Sorgen, obwohl die Prämienrunde 2011 relativ moderat ausgefallen war. Der Alkoholmissbrauch, die zunehmende Gewaltbereitschaft von Jugendlichen, die steigenden Energiepreise sowie aggressive und belästigende Werbung wurden ebenfalls häufig genannt [15].
Zwei Jahre nach der Atomkatastrophe in Fukushima Daiichi zeigte der Univox Umweltmonitor – eine Ende 2012 bei 1000 Personen durchgeführte Befragung der gfs.zürich – dass die Skepsis gegenüber der Atomenergie nach wie vor hoch, gleichzeitig aber auch die Technikgläubigkeit gestiegen war. 65% der Befragten bezeichneten die Risiken der Kernenergie als nicht tragbar (2011 lag dieser Anteil bei 69%) und 31% glaubten, dass sich Umweltprobleme durch neue Techniken lösen lassen (2011: 26%). Die Befragung zeigte zudem, dass die Schweiz im internationalen Vergleich weiterhin eine hohe Recyclingrate aufweist: Der Anteil der Befragten, die Glas, Kompost, Karton, Batterien und Pet an eine Sammelstelle zurückbrachten, nahm gegenüber dem Vorjahr allerdings leicht ab [16].
Im so genannten Brand Asset Valuator, einer Umfrage einer Kommunikationsagentur bei 1500 Konsumentinnen und Konsumenten zu deren Vorlieben zu über 1000 Marken, zeigte sich eine deutliche Heimmarktorientierung. Die Befragten gaben an, Produkten von inländischen Herstellern mehr zu vertrauen als im Ausland produzierten Waren. Unter die fünf beliebtesten Marken schaffte es lediglich Google als nicht-schweizerisches Produkt auf Platz drei, hinter Migros, Toblerone, aber vor Rega und Rivella [17].
Eine Umfrage von Gallup International in 60 verschiedenen Ländern brachte zutage, dass der Anteil an glücklichen Menschen in der Schweiz 2013 überdurchschnittlich hoch war. Lag der Anteil im Schnitt der 60 Länder bei 60%, so gaben in der Schweiz 68% der Befragten an, mit ihrem Leben glücklich zu sein. Nur auf den Fidschi-Inseln (88%), in Saudi-Arabien (80%), in Finnland (78%) und in Brasilien (71%) lag dieser Anteil noch höher. Weniger glücklich schienen die Bewohner der Nachbarländer der Schweiz zu sein. In Österreich sagten 54% der Befragten, sie seien glücklich, in Deutschland lag dieser Anteil bei 52%, in Italien bei 32% und in Frankreich gab nur gerade ein Viertel der Befragten an, mit dem eigenen Leben glücklich zu sein [18].
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Landesausstellungen
Im Berichtjahr wurden die Grundlagen für die Ausschreibung zu einem Konzeptwettbewerb für eine „Expo Bodensee-Ostschweiz 2027“ geschaffen. Das federführende, 2012 bestimmte Trio bestehend aus dem künstlerischen Direktor der Expo 02, Martin Heller, dem Kommunikationsexperten und Projektleiter der Ostschweizer Plattform der Expo 02, Reinhard Frei, und dem Anwalt Simon Ulrich, entwickelte Leitlinien und einen Masterplan, der Mitte Oktober in Horn (TG) vorgestellt wurde. Die beteiligten Kantone (AR, SG, TG) stellten für den Wettbewerb rund eine halbe Mio. Franken zur Verfügung. Erste Eingaben wurden für Ende 2014 erwartet. Der Terminplan sah die Ausarbeitung eines Bundesbeschlusses und die Parlamentsberatungen für das Jahr 2018 vor. Erste Schätzungen gingen von einer Bundesbeteiligung von mindestens einer halben Mrd. und Gesamtkosten von 1.5 Mrd. Franken für eine nächste Landesausstellung aus. Das Projekt war bisher nicht auf grossen Widerhall gestossen. Laut dem Thurgauer Regierungsrat Jakob Stark (svp) habe Bundesrat Schneider-Ammann das Projekt wohlwollend aufgenommen, ein Grundsatzentscheid des Gesamtbunderates sei aber erst im Verlauf von 2014 zu erwarten. Stark selber schätzte die Realisierungschancen für eine Expo 2027 auf 50:50 ein [19].
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Weltausstellung 2015
Die vom 1. Mai bis 31 Oktober 2015 unter dem Motto „Den Planeten ernähren, Energie für das Leben“ in Mailand stattfindende Weltausstellung soll nicht nur eine Chance zur Imagepflege für die Schweiz sein, sondern auch die Türen für Schweizer Firmen in Italien, dem zweitwichtigsten Handelspartner der Schweiz, weiter öffnen. Im Mai wurden Schweizer Unternehmen aufgerufen, die Räumlichkeiten des Schweizer Pavillons als Bühne zu nutzen. Bereits im Vorjahr wurde im Parlament ein Verpflichtungskredit über 23,1 Mio. CHF bewilligt [20].
 
[1] Ip. 13.4244 (Keller); LM, 9.5. und 10.5.13; NZZ, 22.7.13; LZ, 2.8.13; Blick, 8.11.13; Presse vom 4.12.13; WW, 19 und 26.12.13; LZ, 27.12.13; zu den Kommentaren im Guardian: NZZ, 16.8.13; TI: NZZ, 8.5.13; CdT, 7.5. und 15.5.13.
[2] Mo. 12.3695 (Amaudruz); Mo. 11.3521 (Quadri); SPJ 2012, S. 18.
[3] SO, 21.7.13; NZZ, 22.7.13; AZ, 24.7.13; NZZ, 28.7.13; NLZ und NZZ, 2.8.13; NZZ, 11.11.13; So-Bli, 15.12.13; URZ, 17.12.13; Po. 11.3495 und Mo. 11.3542; vgl. SPJ 2012, S. 18.
[4] SO, 9.6.13; NZZ, 12.8.13; SO, 13.10.13; Reden der Präsidentin NR (Graf, gp, BL) und SR (Lombardi, cvp, TI) vom 12.9.13 zum Gedenken an 1848: http://www.parlament.ch/d/dokumentation/reden/; zur zurückhaltenden Unterstützung des Bundes vgl. auch Mo. 13.3890 (Markwalder: 40 Jahre Ratifikation EMRK) und Ip. 13.3099 (Stöckli: Wiener Kongress und Bundesvertrag 1815).
[5] Mo. 13.3304; SO, 10.2. und 28.4.13; NZZ, 14.5.13; SO, 9.6.13; TA, 17.10.13; WW, 17.10.13; SO, 17.10.13; NZZ, 29.10.13; AZ, 7.11. und 9.11.13; WW, 14.11.13; NZZ, 29.11.13; BZ, CdT und NZZ, 30.11.13; zum Bergier-Bericht vgl. SPJ 2002, S. 15.
[6] SO, 8.9.13.
[7] SZ, 2.6.13; AZ, 21.6.13; TG, 29.6.13; NZZ, 11.10. und 30.11.13; SO, 8.12.13; zur wachsenden Zahl von Initiativen vgl. auch Kapitel 1c.
[8] NZZ, 10.7. und 3.12.13; http://cpi.transparency.org/cpi2013/results/.
[9] SO, 10.03.13; zur Minarettinitiative und der damaligen Wahrnehmung im Ausland vgl. SPJ 2009, S. 263 ff.; zur Ausschaffungsinitiative vgl. SPJ 2010, S. 257 ff.
[10] LT, 10.8.13; SO, 11.8.13; AZ, 30.9.13; Blick, 10.10.13; Lit. Feige et al.
[11] Medienmitteilung EDA vom 27.2.13; vgl. SPJ 2012, S. 19 f.
[12] NZZ, 10.12.13; Lit. Longchamp et al.
[13] Blick, 28.11.13; Lit. Schaub.
[14] Lit. Szvircsev Tresch et al.
[15] NZZ, 11.01.13.
[16] SO, 24.2.13; Lit. Schaub / Blumenfeld.
[17] AZ, 23.5.13.
[18] So-Bli, 29.12.13.
[19] SGT, 18.6.13; Presse vom 10.10.13; NZZ, 11.10.13; TG, 19.10.13; Stark: SGT, 15.11.13; www.expo2027.ch; vgl. SPJ 2012, S. 20.
[20] NZZ, 24.5.13; BBl, 2013, S. 229 f.; vgl. SPJ 2012, S. 20.