Année politique Suisse 1970 : Economie / Politique économique générale
Strukturpolitik
Der Wandel der
Strukturen und insbesondere die wirtschaftliche Konzentration machten vor allem in der Uhrenindustrie
[9], aber auch bei anderen Produktionszweigen
[10] und im Handel
[11] rasche Fortschritte. Die weitere Machtballung erfuhr indessen Kritik von seiten der Aktionäre: bei den bedeutendsten Firmenzusammenschlüssen — etwa von Ciba und Geigy, Ursina und Interfranck, Suchard und Tobler — und bei der Ausweitung der Zementinteressen der Holderbank bildeten sich Gruppen von kleineren Aktionären, die allerdings erfolglos gegen die Absichten der Verwaltungsräte opponierten
[12]. Die noch sehr bescheidenen Ansätze zu Kritik aus den Kreisen der Aktionäre hatten im übrigen die spektakulärste Wirkung im Falle des Rücktritts von alt Bundesrat Schaffner vom BBC-Präsidium nach einer Intervention eines Arbeitnehmervertreters
[13]. Gerade aus Arbeitnehmerkreisen wurde erneut in parlamentarischen Vorstössen die Befürchtung geäussert, die wirtschaftliche Konzentration könnte Härten für die betroffenen Belegschaften, ja gar technologische Arbeitslosigkeit mit sich bringen; der Konzentrationsprozess spiele sich zudem fern von der öffentlichen Diskussion ab und sei der demokratischen Kontrolle entzogen
[14]. Der Bundesrat anerkannte zwar soziale und politische Nachteile der Konzentration, entgegnete indessen, die Schweiz könne es sich angesichts ihrer unterkonzentrierten Wirtschaft nicht leisten, überall an den herkömmlichen Strukturen festzuhalten, während in wichtigen europäischen Konkurrenzländern der Konzentrationsprozess von Staates wegen gefördert werde. Er wies auch einen Vorschlag zurück, der von der Kartellkommission forderte, sie solle die Frage prüfen, ob die Zusammenlegung der Hispano-Suiza mit Bührle-Oerlikon nicht zu einem Rüstungsmonopol führen könnte
[15].
Strukturprobleme warfen nicht nur die Konzentrationen der Unternehmungen, sondern auch das ungleiche Wachstum der verschiedenen Regionen auf. In einem Entwicklungskonzept für das Berggebiet, das von H. Flückiger im Auftrag des Bundesrates ausgearbeitet worden war, wurden als fördernde Massnahmen eine Aufgliederung in Regionen und gleichzeitig die Schaffung einer « schweizerischen Investitionsbank für regionale Entwicklung » vorgeschlagen
[16]. Eine in die gleiche Richtung zielende Motion von Ständerat Vincenz (k.-chr., GR) wurde in beiden Räten angenommen, und auch die Anregungen, man müsse mit Hilfe der Finanzpolitik die wirtschaftlich schwachen Kantone stärken, wurden überwiesen
[17]. Die Kantone selbst setzten ihre Bemühungen um die Förderung der Wirtschaft, insbesondere der benachteiligten Regionen, fort
[18].
Angesichts des raschen Wachstums und der strukturellen Probleme wuchs das Bedürfnis nach Voraussicht, nach Prospektive. Eine Perspektivstudie, die von einer Expertengruppe unter Prof. F. Kneschaurek erarbeitet wurde, sagte einen chronischen Mangel an Arbeitskräften, eine Verstärkung der Inflation, eine Verknappung auf dem Kapitalmarkt, eine weitere Verlagerung auf den tertiären Sektor und ein reales Wachstum von nur noch 2,7 % jährlich voraus
[19]. Auch andere Studien und Vorträge, in denen Entwicklungsperspektiven bis zum Jahr 2000 zur Sprache kamen, offenbarten ein nicht allzu optimistisches Bild von der wirtschaftlichen Zukunft
[20].
[9] GdL, 22, 28.1.70; 75, 2.4.70; 248, 24./25. 10.70; NZ, 288, 28.6.70; JdG, 117, 23./24.5.70; 276, 26.11.70; TLM, 31, 31.1.70; NZZ, 510, 2.11.70; 520, 8.11.70; NZZ (sda), 574, 9.12.70.
[10] Konzentration in der Bekleidungsindustrie (JdG, 9, 13.1.70; NZZ, 114, 10.3.70; 168, 13.4.70), in der Nahrungsmittelindustrie vor allem beim Tiefkühlgeschäft und bei den Bierproduzenten (Bund. 13, 18.1.70; 297, 29.11.70; NZZ (sda), 41, 26.1.70; 357, 4.8.70; NZZ, 58, 5.2.70; 61, 6.2.70; 322, 15.7.70; 337, 23.7.70; 358, 5.8.70; Tat, 90, 18.4.70; NZN, 124, 1.6.70), bei der Chemie (NZ, 59, 5.2.70; NZZ, sda, 74, 14.2.70; NZZ, 96, 27.2.70; BN, 442, 21.10.70) und der Maschinenindustrie (NZZ, 18, 13.1.70; 130, 19.3.70; 473, 12.10.70; NZZ, sda, 397, 27.8.70; 484, 18.10.70; GdL, 16, 21.1.70; 34, 11.2.70; TA W, 20, 19.5.70).
[12] Bund, 125, 2.6.70; 147, 28.6.70 (Tobler-Suchard); NZZ, 489, 21.10.70; BN, 442, 21.10.70; NZ, 484, 21.10.70 (Ciba-Geigy); Bund, 13, 18.1.70 (Ursina-Franck); NZZ, 294, 29.6.70 (Holderbank); Sonntags-Journal, 27, 4./5.7.70.
[13] Vgl. oben, S. 20. Die kritischen Fragen der Aktionäre an die Verwaltungsräte waren im übrigen noch selten, dauerte doch die Generalversammlung der Nestlé nur ganze 35 Minuten (NZZ. 255, 5.6.70).
[14] Vgl. SFJ, 1969, S. 60; im NR: Interpellationen Wüthrich (soz, BE) und Trottmann (k.-chr., AG) und in Postulat umgewandelte Motion Schütz (soz., ZH) in NZZ, 253, 4.6.70; vgl. auch PS, 10, 15.1.70; 30, 12.6.70; 181, 11.8.70; VO, 18, 24.1.70; Tw, 231, 3./4.10.70; 241, 15.10.70; gk, 22, 11.6.70.
[15] Antworten auf eine Interpellation von NR Gasser (k.-chr., 0W) und eine Kleine Anfrage von NR Ziegler (soz., GE); NZ, 462, 8.10.70; NZZ, 467, 8.10.70; 384, 20.8.70; vgl. auch Prof. P. Stocker in Bund, 147, 28.6.70.
[16] NZZ, 312, 9.7.70. Vgl. unten, S. 92 f.
[17] Vgl. Motion Vincenz (k.-chr., GR), die teilweise nur als Postulat überwiesen wurde, sowie Postulat Bodenmann (k.-chr., VS): NZZ, 452, 29.9.70; 589, 18.12.70.
[18] Wirtschaftsförderungsgesetz im Kanton Bern (AZ. 71, 28.3.70; Tw, 135, 13./14.6.70; 272, 20.11.70; Bund, 263, 10.11.70; 264, 11.11.70; 265, 12.11.70; 267, 15.11.70; NBZ, 265, 13.11.70; vgl. auch unten, S. 92 f.); Ansätze zu aktiver Entwicklungspolitik in den Kantonen SO (NZZ, sda, 581, 14.12.70); TG (NZZ, 100, 2.3.70; 162, 9.4.70); VS (GdL. 250, 27.10.70); NZZ (sda), 279, 19.6.70.
[19] Arbeitsgruppe Perspektivstudien (F. Kneschaurek), Entwicklungsperspektiven der Schweizerischen Volkswirtschaft bis zum Jahre 2000, Teil 1, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, St. Gallen 1969, Teil II, Gesamtwirtschaftliche Entwicklungsperspektiven, St. Gallen 1970: für Pressekonferenz vgl. NZ, 137, 24.3.70; NZZ, 139, 24.3.70; JdG, 69, 24.3.70. Kritische Würdigungen in Tw, 75, 2.4.70; 209, 8.9.70; 212, 11.9.70; NZ, 384, 23.8.70; Lb, 210, 10.9.70.
[20] Volkswirtschaftliche Leitbildstudie des Instituts für Orts-, Regional- und Landesplanung der ETH Zürich in Tat. 195, 20.8.70; vgl. auch oben, S. 12, Anm. 16; Vorträge von Minister G. Bauer in TdG, 132, 9.6.70; NZ, 554, 1.12.70; Gründung einer Schweizerischen Vereinigung für Zukunftsforschung: NZZ (sda), 141, 25.3.70; Weltwoche, 23, 5.6.70; Studien der betriebswirtschaftlichen Gemeinschaft Corede: NZZ, 522, 9.11.70; für Prospektivkommission der Neuen Helvetischen Gesellschaft vgl. NZ, 457, 5.10.70; Lb. 232, 6.10.70, und oben, S. 11; GERHARD KOCHER und BRUNO FRITSCH, Zukunftsforschung in der Schweiz, Bern 1970; siehe auch TdG, 6, 8.1.70; Ostschw., 74, 1.4.70; BN, 137, 4./5.4.70; Mitteilungsblatt des Delegierten für Konjunkturfragen, 26/1970, S. 37 ff.; verschiedene Aufsätze in Civltas, 26/1970-71 Nr. 5/6
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