Année politique Suisse 1975 : Chronique générale / Finances publiques
Steuern
Angesichts der zur Tatsache gewordenen Milliardendefizite stellte sich die Frage nach neuen, Mehreinnahmen gewährleistenden Regelungen im Bereich des Steuerwesens mit höchster Dringlichkeit. Aus der von weiten Kreisen geteilten Einsicht heraus, dass die Finanzquellen des Bundes keine Reserven mehr enthielten und die umfangreichen, integrationsbedingten Einnahmeausfälle im Bereich der Zölle
[36] nach einer Kompensation verlangten, wurden die Vorarbeiten für die Einführung der Mehrwertsteuer ungewöhnlich rasch vorangetrieben. Der 1974 vorgelegte Bericht der Fachkommission Mehrwertsteuer durchlief das Vernehmlassungsverfahren. Die neue Steuer sollte auf allen Warenumsätzen und Dienstleistungen sowie allen Stufen der Produktion und Verteilung erhoben werden. Das vorgeschlagene System hebt die bisherigen, den Wettbewerb verzerrenden Belastungsungleichheiten auf und schliesst eine mehrmalige Besteuerung (Steuerkumulation) aus. Die exportierten Güter unterliegen keiner steuerlichen Belastung mehr, während die Importe den Inlandprodukten entsprechend besteuert werden (Bestimmungslandprinzip). Eine Sonderregelung wurde für die Landwirtschaft vorgesehen. Im Interesse der Erhebungswirtschaftlichkeit sollten Kleinbetriebe von der Steuerpflicht befreit werden. Aus denselben Gründen schlug die Kommission auch weitere Sonderlösungen vor, so vor allem für zahlreiche Dienstleistungen (z.B. im Bank- und Versicherungswesen) und für sozial wichtige Güter (Zwangsbedarf), für welche eine ermässigte Besteuerung vorgesehen wurde
[37]. Die Vorschläge enthielten auch einen Abänderungsantrag zu Artikel 41t0TBV, der dem Bund die Kompetenz zur Erhebung einer befristeten Warenumsatzsteuer gibt. Da die Einführung einer Mehrwertsteuer über das ordentliche Rechtsetzungsverfahren frühestens auf den 1. Januar 1979 erwartet werden konnte, wurde ausserdem die Möglichkeit zur Diskussion gestellt, mittels Übergangsbestimmungen das Mehrwertsystem schon früher in Kraft zu setzen.
Im EFZD gingen rund 150 Stellungnahmen ein, die fast ausnahmslos die Ersetzung der nicht mehr weiter ausbaufähigen Wust durch die modernere Mehrwertsteuer bejahten. Zahlreiche Eingaben wollten jedoch einem Systemwechsel nur zustimmen, wenn dieser im Rahmen von umfassenden Reformen der Bundesfinanzen erfolgen würde
[38]. Während die Vertreter der Arbeitnehmerschaft Steuerharmonisierung und schärfere Progression bei der direkten Bundessteuer forderten, sprachen sich Arbeitgeberkreise im Gegenteil für einen Abbau der direkten Steuer aus. Diese Auffassung teilten auch verschiedene Kantone, die sich von einer Entlastung des Einkommenssteuersubstrates Vorteile versprachen
[39]. Um der Ausgabenentwicklung Grenzen zu setzen, postulierte vor allem die SVP eine Verankerung von Höchstansätzen in der Bundesverfassung. Das vorgeschlagene beschleunigte Rechtssetzungsverfahren stiess verschiedentlich und vorwiegend aus staatsrechtlichen und staatspolitischen Gründen auf Widerstand. Von Arbeitgeberseite aus erhob man die Forderung, dass die Einführung der Mehrwertsteuer keine Auswirkungen auf den Landesindex der Konsumentenpreise haben dürfe
[40]. Gastgewerbe und Tourismus lehnten die neue Steuerart entschieden ab
[41]. Auch der Gewerbeverband stellte sich offiziell dagegen
[42]. Von den Parteien opponierten die Nationale Aktion und die Republikaner, welche nur in der Kündigung der Freihandelsverträge ein Heilmittel sehen wollten, sowie die PdA und die POCH, die jegliche Verbrauchssteuer als unsozial verwarf
[43].
Weniger Konsens als das Modell für eine Mehrwertsteuer, zu welchem im Frühjahr 1976 eine definitive Vorlage erscheinen konnte, fanden Vorschläge für weitere steuerliche Massnahmen. Die Behandlung einer Vorlage zur wirksameren Bekämpfung der Steuerhinterziehung verzögerte sich. Das Traktandum wurde in der Januarsession einer Spezialkommission zugewiesen, die im Herbst — nach Anhörung von Experten — von der Verwaltung weitere Berichte und Anträge verlangte
[44]. In der Frage der Steuerharmonisierung fielen einige Vorentscheide, die einer relativ föderalistischen Lösung zustrebten. So empfahlen der Bundesrat und nach ihm auch beide Kammern das vom Landesring 1974 eingereichte « Volksbegehren für eine gerechtere Besteuerung und die Abschaffung von Steuerprivilegien », das unter anderem eine enge Bindung der kantonalen Einkommens- und Vermögenssteuern an einen Bundestarif verlangte, zur Ablehnung
[45]. Im Kanton Bern drang freilich eine entsprechende Initiative des Landesrings, welche die Besteuerungsfreiheit der Gemeinden in ähnlicher Weise zu beschränken strebte, wie es das eidgenössische Begehren den Kantonen gegenüber tat, in der Volksabstimmung durch. Dieser sensationelle Ausgang schien auf eine verbreitete Unzufriedenheit mit dem geltenden Steuerrecht hinzuweisen und nach Konsequenzen auf gesamtschweizerischer Ebene zu rufen
[46].
Die mit der Frage der
Steuerharmonisierung betraute Nationalratskommission legte dagegen einen formulierten Entwurf zu einem Artikel 42quinquies BV vor, der den Kantonen die materielle Tariffreiheit beliess, und beantragte gleichzeitig, die beiden zentralistischeren Initiativen Stich (sp, SO) und Butty (cvp, FR) abzulehnen
[47].
Sondersteuern
Im Bereich der Sondersteuern erhöhte der Bundesrat die Fiskalbelastung auf in- und ausländischem Branntwein
[48]. Eine Beschränkung der abgabefreien Alkoholeinfuhr im Reiseverkehr auf einen halben Liter Spirituosen pro Person liess sich aus technischen Gründen nur schwer realisieren und wurde bald wieder rückgängig gemacht
[49]. Unter den zahlreichen Vorschlägen für eine zusätzliche Mittelbeschaffung wurde die Frage der Erhebung von Strassengebühren besonders intensiv diskutiert
[50]. Eine Wiedereinführung der Couponsteuer, wie sie Motionen von Bussey (sp, VD) und Aubert (sp, NE) verlangten, wurde von beiden Räten abgelehnt
[51].
[36] Die Mindereinnahmen wurden für 1975 auf 1,5 Mia Fr. beziffert (wf, Artikeldienst, 5, 3.2.75). Vgl. weiter Kleine Anfrage Ziegler (cvp, SO) in Amtl. Bull. NR, 1975, S. 575 f., und oben, Teil I, 2 (Multilaterale Wirtschaftsbeziehungen).
[37] Vgl. SPJ, 1974, S. 77 ; 1972, S. 75 f. ; 1971, S. 87 f. ; Presse vom 12.2.75 ; Ww, 7, 19.2.75. Vgl. weiter LNN, 38, 15.2.75 ; NZZ, 64, 18.3.75 ; 73, 29.3.75 ; 187, 15.8.75 ; 190, 19.8.75 ; 232, 7.10.75.
[38] So die Eingaben des LdU (vgl. NZZ, sda, 135, 14.6.75) und der Nordwestschweizer Kantone (vgl. NZZ, sda, 192, 21.8.75).
[39] SGB : NZZ (sda), 143, 24.6.75 ; 202, 2.9.75 (W. Jucker) ; gk, 35, 30.10.75. SPS : Tw, 186, 12.8.75. Vorort : NZZ, 159, 12.7.75 ; 197, 27.8.75 (F. Ebner) ; Arbeitgeberverband : NZZ (sda), 183, 11.8.75. Vgl. ferner wf, Dok., 40, 6.10.75.
[40] wf, Artikeldienst, 32, 11.8.75.
[41] NZZ (sda), 154, 7.7.75 (gemeinsame Stellungnahme mehrerer Verbände).
[42] Gewerbekammer : NZZ (sda), 156, 9.7.75. Vgl. weiter B. Horber in NZZ, 195, 25.8.75.
[43] Republikaner : NZZ (sda), 112, 17.5.75. NA : BN (sda), 192, 20.8.75. PdA : VO, 208, 9.9.75. POCH : POCH-Zeitung, 16, 9.10.75. Weitere Stellungnahmen : FDP : NZZ (sda), 151, 3.7.75. SVP : NZZ (sda), 153, 5.7.75. CVP : Ostschw., 159, 11.7.75. Bankiervereinigung : NZZ, 159, 12.7.75. Bauernverband : NZZ, 162, 16.7.75. Konsumentenbund : NZZ (sda), 213, 15.9.75. Zusammenfassungen : NZ, 218, 15.7.75 ; 253, 16.8.75 ; TG, 205, 3.9.75 ; SZ, 215, 17.9.75 ; BN, 237, 11.10.75.
[44] Amtl. Bull. NR, 1975, S. 146 f. ; Amtl. Bull. StR, 1975, S. 94 f. ; NZZ (sda), 233, 8.10.75. Vgl. oben, Massnahmen zur Verbesserung des Bundeshaushaltes.
[45] BBl, 1975, I, Nr. 4, S 273 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1975, S. 183 ff., 1034 ; Amtl. Bull. StR, 1975, S. 460 ff., 473 ; Tat, 31, 6.2.75. Vgl. auch SPJ, 1973, S. 71 f. ; 1974, S. 78.
[46] Vgl. unten, Teil II, 2b ; NZ, 178, 10.6.75 ; TA, 134, 13.6.75. Ober weitere steuerpolitische Auseinandersetzungen auf kantonaler Ebene orientiert Teil II, 2b.
[47] Vgl. SPJ, 1974, S. 78 ; Presse vom 5.11.75 ; Tat, 262, 7.11.75 ; NZZ, 265, 14.11.75 ; BBI, 1975, II, Nr. 45, S. 1748 ff.
[49] NZZ (sda), 60, 13.3.75 ; TA, 151, 3.7.75.
[50] Vgl. unten, Teil I, 6b (Nationalstrassenbau).
[51] Amtl. Bull. NR, 1975, S. 135 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1975, S. 91 ff.
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