Année politique Suisse 1978 : Chronique générale / Défense nationale
Landesverteidigung und Gesellschaft
Die Landesverteidigung unterscheidet sich von den meisten übrigen Staatstätigkeiten dadurch, dass ihre Wirkungen in Friedenszeiten nicht unmittelbar wahrzunehmen sind, ihre Kosten aber recht deutlich spürbar werden. Das macht ihre Einordnung in den politischen Gesamtzusammenhang besonders schwierig. Es geht hier nicht in erster Linie um einen Verteilungskonflikt zwischen verschiedenen Interessen, sondern um Vorbeugungs- und Vorsorgemassnahmen, die nach Lage der Dinge nie eine absolute Sicherheit gewähren können, so dass ihre quantitative und qualitative Bestimmung weit mehr als bei anderen öffentlichen Aufgaben eine Frage des Ermessens ist.
Seit 1964, dem Jahr der Mirage-Affäre, wirkt in der schweizerischen Verteidigungspolitik die Tendenz, vermehrt übergreifenden gesamtpolitischen Erfordernissen Rechnung zu tragen. Man verstärkte den Einfluss der «Zivilisten» in den verantwortlichen Organen, man erweiterte ein hauptsächlich militärisch orientiertes Verteidigungskonzept zu einer Sicherheitspolitik, in der auch aussenpolitische und aussenwirtschaftliche Aufgaben Gewicht haben, man näherte die innere Ordnung der Armee zivilen Lebensformen an, und im Zeichen der Finanzknappheit bezog man schliesslich die Militärausgaben in die Bemühungen um einen sparsamen Bundeshaushalt ein
[1]. Diese Entwicklung im Verhältnis zwischen Landesverteidigung und Gesamtpolitik ist nun im Jahre 1978 stärker als bisher von einer Gegentendenz in Frage gestellt worden.
Anlass dazu bot einerseits die Einschätzung der internationalen Rüstungslage. Die Betonung einer wachsenden militärischen Überlegenheit des Warschauer Pakts durch Repräsentanten der NATO fand in schweizerischen Armeekreisen ihr Echo
[2]. Anderseits stellte man einen Rückstand bei der Verwirklichung der im Armeeleitbild 80 vorgesehenen Rüstungen fest
[3]. Der Bundesrat erklärte im März, dass die im Budget des EMD für die Jahre 1979-1981 beabsichtigten Kürzungen die Bewaffnungsvorhaben des Leitbildes voraussichtlich verzögern würden
[4]. Dies löste aufbürgerlicher Seite, wo man sich im Vorjahr von sozialdemokratischen Sparforderungen im Verteidigungsbereich bedrängt gesehen hatte, einen Gegenstoss aus. Bei der Behandlung des von der SP-Fraktion verlangten Berichts über die Militärausgaben im Nationalrat unterstützten die bürgerlichen Fraktionen ein vom Zürcher Freisinnigen Friedrich ausgearbeitetes Kommissionspostulat, das die Durchführung der Rüstungsprojekte des Leitbildes bis Ende 1984 verlangt, notfalls durch Erhöhung des Militärbudgets. Die freisinnige Fraktion doppelte nach, indem sie den Bundesrat in einem weiteren Postulat dazu aufforderte, seinen Sicherheitsbericht von 1973 — vor allem im Blick auf die Bedrohungslage — zu ergänzen und eine periodische Erstattung solcher Berichte ins Auge zu fassen. Die Landesregierung nahm beide Vorstösse entgeben, den ersten allerdings mit dem Vorbehalt, dass bei der Verteilung der verfügbaren Mittel kein einzelnes Departement privilegiert werden dürfe
[5]. Im Voranschlag für 1979 wurden die Verteidigungsausgaben gegenüber 1978 wieder etwas grösser bemessen, ohne jedoch die in früheren Finanzplänen vorgesehenen Beträge zu erreichen
[6]. Gegen eine weitere Erhöhung der Militärausgaben opponierten namentlich pazifistische Kreise, wobei sie aufden Einfluss der interessierten Industrie hinwiesen
[7].
Während sich die bürgerlichen Parlamentarier für eine finanzielle Verstärkung der Verteidigungspolitik verwandten, diskutierte man in Offizierskreisen auch institutionelle Änderungen. Die Idee einer verselbständigten, nach Möglichkeit persönlichen Armeespitze im Sinne der Empfehlungen General Guisans von 1946 fand neue Aufmerksamkeit und wurde — wohl früher als ihre Verfechter beabsichtigten — zum Politikum. Man plädierte für eine Umgestaltung der Landesverteidigungskommission zu einem Berufsmilitärgremium, dem weder der Chef des EMD, der heute den Vorsitz führt, noch der Rüstungschef angehören sollten; auf diese Weise gedachte man der Armee eine von den politischen Instanzen unbeeinflusste Meinungsbildung zu ermöglichen und die Verantwortlichkeiten von Armee und Politik zu trennen. Die Einsetzung eines «Friedensgenerals» sollte zugleich die Ernennung eines Oberbefehlshabers bei Kriegsausbruch erleichtern
[8]. Aus der Zürcher Offiziersgesellschaft verlautete zudem Kritik an der Doppelstellung des Rüstungschefs als des Verantwortlichen für die Waffenbeschaffung einerseits und des Vorgesetzten der staatlichen Rüstungsbetriebe anderseits. In der Presse wurde diese Kritik mit Interessen der privaten Rüstungsindustrie in Zusammenhang gebracht. Der Bundesrat anerkannte das Recht der Offiziere auf freie Diskussion, wies aber die Kritik an den bestehenden Einrichtungen als unberechtigt zurück. Auch Generalstabschef H. Senn lehnte eine Ausschaltung der Zivilisten aus der Landesverteidigungskommission ab; er bezeichnete jedoch seinerseits den Planungs- und Entscheidungsmechanismus in Rüstungsfragen als zu schwerfällig und empfahl, Parlament und Regierung sollten sich mehr auf Zielsetzung und Erfolgskontrolle beschränken und die Einzelentscheide dem EMD überlassen
[9].
Von Offiziersseite wurde ferner ganz allgemein eine Verstärkung des Berufselementes in der Armee befürwortet. Dieses Postulat fand überraschenderweise Unterstützung bei Ökonomen, die das Milizsystem im Sinne einer Kosten-Nutzen-Analyse als unwirtschaftlich bezeichneten, da es den Produktionsfaktor Arbeit unzweckmässig einsetze
[10].
Die öffentlichen Auseinandersetzungen um die Affäre Jeanmaire fanden im Frühjahr mit weiteren Parlamentsdebatten ihren Abschluss. Beide Räte stimmten dem Bericht der 1976 gebildeten Arbeitsgruppe zu und ebenso den Beschlüssen der Geschäftsprüfungs- und Militärkommissionen, sie würden die wesentlichen Punkte weiter verfolgen, insbesondere Organisation von Nachrichtendienst und Spionageabwehr, Kontakte von Geheimnisträgern mit Ausländern, Qualifikations- und Beförderungswesen in der Armee sowie erforderliche militärische Massnahmen. Der Nationalrat verlangte überdies in einer Motion, dass man die Spionagebekämpfung auf die Höhe der Zeit bringe. Bundesrat Furgler sicherte dies zu, versäumte dabei aber nicht, auf eine Lockerung des Personalstopps zu dringen. Ein Rückweisungsantrag J. Schwarzenbachs (rep., ZH), der präzisere Auskünfte forderte, erntete wenig Echo. In bezug auf die Beförderungspraxis herrschte im Parlament die Meinung vor, die nötigen Verbesserungen seien zur Hauptsache schon getroffen. Das Gerichtsurteil gegen Jeanmaire wurde mit der Abweisung der Kassationsbeschwerde rechtskräftig
[11].
Da sich die erste Halbzeit für die Verwirklichung des Armeeleitbildes 80 dem Ende zuneigt, beginnt man sich in der Verteidigungspolitik bereits mit der Planung über 1985 hinaus zu beschäftigen. An einem Informationstag der Militär- und Sicherheitsausschüsse der Bundesratsparteien kündigte Generalstabschef H. Senn einen neuen Leitbild-Bericht auf 1983 an. Als Schwerpunkte des weiteren Ausbaus der Armee nannte er vor allem die Ausrüstung der Kampfregimenter mit gefechtsfeldbeweglichen (gepanzerten) Panzerabwehrwaffen, die Bildung einer luftmobilen und einer mechanisierten Armeereserve sowie die Erhöhung der Gegenschlagkapazität in den Feldarmeekorps. Damit bekundete er das Bestreben, in der militärischeh Verteidigungskonzeption die Komponente der Beweglichkeit stärker zu betonen. Er äusserte sich aber weit zurückhaltender als der Publizist G. Däniker, der die erhöhte Beweglichkeit durch Aufstellung einer ständigen Bereitschaftstruppe aus mechanisierten oder luftmobilen Verbänden erreichen will und dabei die Voraussetzungen der Konzeption 66 in Frage stellt
[12]. Eher in die Richtung einer Raumverteidigung zielte der Kommandant des Gebirgsarmeekorps, G. Reichlin, indem er sich gegen die vom Armeeleitbild 80 vorgesehene Gewichtsverlagerung auf die Feldarmeekorps wandte, weil ein langdauernder Widerstand nur im Alpenraum denkbar sei. Dass Korpskommandant Reichlin in der Landesverteidigungskommission nicht gegen das Armeeleitbild Stellung genommen hatte, sondern seine Kritik am geplanten Abzug von Truppenkörpern aus der Gebirgsarmee erst hinterher und öffentlich, akzentuiert durch einen vorzeitigen Rücktritt, äusserte, wirkte schockierend. Der Fall ist damit im Zusammenhang zusehen, dass die Knappheit an Finanzen und Mannschaft zur Setzung von Prioritäten zwingt und dadurch Konzepte, die auf die Verbindung verschiedenartiger Grundhaltungen angelegt sind, auf eine Belastungsprobe stellt
[13].
[1] Vgl. SPJ, 1965, S. 150 f .; 1967, S. 45 f.; 1970, S. 54; 1973, S. 43 f.; 1977, S. 47 f.
[2] Vgl. E. Rüesch in Wende in unserer Sicherheitspolitik? Lugano 1978, S. 11 ff.; Ldb, 29, 4.2.78; BüZ, 52, 3.3.78.
[3] Vgl. H. Senn in Wende in unserer Sicherheitspolitik? Lugano 1978, S. 94 ff.; R. Friedrich in NZZ, 133, 12.6.78.
[4] Vgl. BBI, 1978,I, S. 948 f. («Bericht zum Finanzplan des Bundes für die Jahre 1979 bis 1981 »); ferner BR Gnägi in Amtl. Bull. StR, 1978, S. 141.
[5] Postulat der NR-Kommission: Amtl. Bull. NR, 1978, S. 1541 ff. Nach NR Friedrich (NZZ, 254, 1.11.78) stimmten die nichtsozialistischen Fraktionen und einzelne Sozialdemokraten für das Postulat; es wurde mit 102 : 23 Stimmen überwiesen. Zum Bericht über die Militärausgaben vgl. SPJ, 1977, S. 48. Postulat der FDP-Fraktion: Amtl. Bull. NR, 1978, S. 1084 f. NR Graf (svp, ZH) griff in einem dritten Postulat die Forderung nach einer Wehranleihe wieder auf (Amtl. Bull. NR 1978, S. 1912 ff.; vgl. SPJ, 1976, S. 49).
[6] Voranschlag für Landesverteidigung (funktionell, nicht nur EMD) 1979 : 3319,6 Mio Fr. (1978: 3146,4 Mio Fr.; 1977: 3161,7 Mio Fr.; 1976: 3294,5 Mio Fr.). Im Finanzplan 1979-1981 für 1979 vorgesehen: 3339 Mio Fr. (im Finanzplan 1978-1980: 3457 Mio Fr.; im Finanzplan 1977-1979: 3645 Mio Fr.). Tatsächliche Ausgaben 1978: 3151,3 Mio Fr. (1977: 3109,9 Mio Fr.; 1976: 3241,7 Mio Fr.). Vgl. Botschaft des Bundesrates... zum Voranschlag... für das Jahr 1979, S.92.; für das Jahr 1978, S.126; für das Jahr 1977, S. 98; BBI, 1978, I, S. 970 f.; Finanzplan des Bundes f ü r die Jahre 1978 bis 1980..., Anhang, Tab. 4 ; für die Jahre 1977 bis 1979, Anhang, Tab. 3; Botschaft des Bundesrates... zur Staatsrechnung... für das Jahr 1978, S. 108; ferner SPJ, 1977, S. 47 f.
[7] Vgl. P. Rüegg, Noch mehr Militärausgaben? Zürich 1978 und ders., Die Rüstungslobby, Aspekte des militärisch-industriellen Komplexes in der Schweiz, Zürich 1978, beide hrsg. vom Schweiz. Friedensrat. über Wechselbeziehungen zwischen Armee und Wirtschaft vgl. auch SAMS-Informationen, 2/1978, Nr. 2.
[8] Vgl. H. Wanner, « Soll unsere Armee verwaltet oder geführt werden?» in ASMZ, 144/1978, S. 569 ff., dazu V. Hofer, Die Bedeutung des Berichtes General Guisans über den Aktivdienst 1939.1945 für die Gestaltung des schweizerischen Wehrwesens, Basel-Stuttgart 1970, S. 79 ff.; ferner P. Henchoz in 24 Heures, 237, 12.10.78 u. 280, 1.12.78 sowie G. Reichlin in Vat., 262, 11.11.78.
[9] Zürcher Offiziersgesellschaft : TW, 213, 12.9.78 ; NZZ, 212, 13.9.78. Pressekritik: BZ 214, 13.9.78 ; ferner BN, 215, 14.9.78; SZ, 214, 15.9.78. Bundesrat: Amtl. Bull. NR, 1978, S. 1944 (Einfache Anfrage Braunschweig, sp, ZH) und Interview BR Gnägis in Bund, 221, 21.9.78. H. Senn in LNN, 262, 11.11.78 sowie in SAMS-Informationen, 2/1978, Nr. 2, S. 84 ff. Vgl. ferner Ww, 38, 20.9.78.
[10] Vgl. NZZ, 12, 16.1.78 (Divisionär F. Seethaler). Ökonomen: BaZ, 140, 27.5.78 (S. Borner); 223. 26.8.78 (W. Witttnann); vgl. auch S. Borner in SAMS-Informationen, 2/1978, Nr. 2, S. 97 ff.
[11] Amtl. Bull. NR, 1978,S. 189 ff.; Amtl. Bull. StR, 1978, S. 66 ff. Vgl. dazu BaZ, 59,1.3.78 ; Bund, 50, 1.3.78 ; LNN, 53, 4.3.78. Kassationsbeschwerde: NZZ (sda), 29, 4.2.78 ; 31, 7.2.78. Vgl. auch SPJ, 1977, S. 49 f. Die 1977 eingeleitete interne Untersuchung ergab keine Verratshandlungen im Nachrichtendienst (TA, 219, 21.9.78).
[12] H. Senn : NZZ (sda), 271, 21.11.78; NZZ, 11, 15.1.78. Vgl. dazu G. Däniker, «Die Schweizer Armee der 90er Jahre», Beilage zu ASMZ, 144/1978, Nr. 11. Vgl. SPJ, 1978, S. 47.
[13] Kritik : Vat., 262, 11.11.78. Rücktritt: LNN. 254, 2.11.78; TA, 256, 3.11.78. Vgl. dazu TA. 257, 4.11.78 (H. Senn) ; Vat., 274, 25.11.78.Nachfolger als Chef des Gebirgsarmeekorps wurde E. Franchini, womit erstmals ein Tessiner das Kommando eines Armeekorps erhielt und zugleich die romanische Schweiz wieder einen zweiten Vertreter in der neunköpfigen Landesverteidigungskommission (BaZ, 293, 16.11.78 ; CdT, 264. 16.1 1.78 ; NZZ. 267, 16.11.78 sowie SPJ, 1977, S. 51 f.).
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