Année politique Suisse 1983 : Economie / Agriculture
 
Tierische Produktion
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Milch
Das anhaltende Unbehagen gegenüber der Milchkontingentierung sowie die zunehmende Überproduktion von Fleisch standen im Zentrum der Auseinandersetzungen über die tierische Produktion. Bei einem vorläufigen Halbzeitfazit des auf 10 Jahre befristeten Milchwirtschaftsbeschlusses wurde erneut die Basis der Milchkontingente, die Einlieferungsmenge des Stichjahres 1974/75, kritisiert; sie bevorzuge jene Betriebe, welche damals schon über ihre Verhältnisse produziert hätten. Weiter wurde bemängelt, dass im Hinblick auf eine bevorstehende Neuverteilung der Kontingente mit verschiedenen Formen der Aufstockung (Kontingentsabtausch, «Kuhtourismus») versucht werde, die zugeteilten Kontingentsmengen ohne eigentlichen Bedarf voll auszunützen. Die militante Union des producteurs suisses (UPS) protestierte gegen die Milchkontingentierung mit «Schwarzkäseaktionen» (Verkauf von Käse aus über das Kontingent hinaus produzierter Milch), welche ein gerichtliches Verfahren gegen deren Präsidenten, M. Chatagny„ nach sich zogen. Der Bundesrat zeigte sich bereit, die Verordnung über die Milchkontingentierung noch einmal etwas flexibler zu gestalten, und erhöhte die. Kontingentsmenge der Milchverbände in einigen Zonen. Alternativvorschläge zur Milchkontingentierung wie Flächenbeiträge oder Preisdifferenzierung wurden von den massgebenden Instanzen nicht berücksichtigt [10].
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Fleisch
Grosse Hoffnungen setzten die kleinen Bauern daher in die Futtermittelinitiative, welche durch den sog. Schweinefleischberg zusätzliche Bedeutung erhalten hatte: Der nationale Selbstversorgungsgrad bei Schweinefleisch überstieg 1983 die vorgegebenen 95% deutlich, und der Preis fiel unter den festgesetzten mittleren Richtpreis von 4.70 Fr. pro kg bis auf einen Tiefstand von 3.50 Fr. Zur Entlastung des Marktes lagerte die Genossenschaft für Schlachtvieh und Fleischversorgung 5515 t Schweinefleisch ein. Um zu einer Reduktion der Schweinebestände zu animieren, versicherte der Bundesrat., dass er keine Schweinekontingentierung einführen werde. Der Schweizerische Viehproduzentenverband rief darauf seine Mitglieder auf, ihre Tierbestände um 10% abzubauen [11].
Im Vernehmlassungsverfahren, das im Vorjahr zur parlamentarischen Initiative der nationalrätlichen Kommission und zum Vorschlag des EVD betreffend die Änderung von Art.19 ff. des Landwirtschaftsgesetzes (LWG) eröffnet worden war, bevorzugten die meisten Eingaben den Vorschlag der Verwaltung. Dieser verzichtet auf eine einzelbetriebliche Zuteilung der Futtermittel und versucht stattdessen, mit einer weiteren Herabsetzung der Tierhöchstbestände und mit griffigeren Stallbauvorschriften die Fleisch- und Eierproduktion zu lenken. In seiner Botschaft verwies der Bundesrat auf den bereits erfolgten Abbau der Tierfabriken und bekräftigte seine Politik der Umlenkung von industriellen in bäuerliche Betriebe. Er lehnte die einzelbetriebliche Futtermittelkontingentierung ab und verzichtete, obschon dies in der Vernehmlassung mehrheitlich gewünscht worden war, auf eine weitere Herabsetzung der Tierhöchstbestände. Wichtigster Punkt des bundesrätlichen Vorschlags war die jährliche Zuwendung von 20 Mio Fr. an bäuerliche Geflügel- und Schweinebetriebe [12].
Der Zentralverband schweizerischer Milchproduzenten beschloss aufgrund dieses bundesrätlichen Zugeständnisses an seiner Delegiertenversammlung — gegen die Stimmen der Berner und Waadtländer Delegierten und gegen die heftigen Proteste der UPS und der VKMB — den Rückzug der Futtermittelinitiative. Die Befürworter des Rückzuges betrachteten die jährlichen Beiträge an die kleinen und mittleren Bauernbetriebe als «Spatzen in der Hand», gegen den sie die Futtermittelinitiative gerne eintauschten; die Rückzugsgegner dagegen hätten die Initiative bis zum Abschluss der Revision des LWG als Druckmittel gebrauchen wollen und warfen ihren Kontrahenten vor, dem Druck der Futtermittelimporteure nachgegeben zu haben [13].
Eine um so grössere Bedeutung im Kampf um die Erhaltung der bodenabhängigen, bäuerlichen Betriebe kam somit der Volksinitiative «für ein volksnahes Bauern — gegen Tierfabriken (Kleinbauern-Initiative)» zu, welche die VKMB im Bündnis mit der Discountkette Denner AG lanciert hatte. Diese Initiative beschränkt den Schutz des LWG auf selbständige bäuerliche Familienbetriebe, d.h. auf Betriebe, die vor allem von familieneigenen Arbeitskräften bewirtschaftet werden und die den Futterbedarf zu mindestens zwei Dritteln (im Berggebiet zur Hälfte) aus eigener Produktion decken. Der zweite Teil der Initiative fordert ein Leistungssystem bei Agrarimporten (Verpflichtung der Importeure zur gleichzeitigen Abnahme von Inlandprodukten) und versucht mit weiteren handelspolitischen Auflagen, die inländische Produktion vor der Importkonkurrenz zu schützen. Unterstützung fand die Initiative bei der Nationalen Aktion, der Evangelischen Volkspartei, dem Schweizer Tierschutz, dem Pächterverband und der Stiftung für eine menschen- und tiergerechte Landwirtschaft (MUT). Die politische Linke und die Umweltschutzorganisationen WWF (World Wildlife Fund) und SGU (Schweizerische Gesellschaft für Umweltschutz) distanzierten sich von der Initiative wegen ihrer konservativen Stossrichtung und der fehlenden ökologischen Forderungen ; ebenfalls ihre Unterstützung verweigerten die UPS und die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Bergbevölkerung (SAB). Der SBV schliesslich rief an seiner Delegiertenversammlung mit 300: 16 Stimmen seine Mitglieder auf, die Initiative nicht zu unterschreiben, da sie letztlich gegen die Kleinbauern gerichtet sei und nicht in das schweizerische Wirtschaftssystem passe [14].
Der Nationalrat genehmigte oppositionslos die Neuregelung des Bundesbeschlusses von 1952 über die Schweizerische Genossenschaft für Getreide und Futtermittel (GGF). Diese Neuregelung hält am System der Gesamtkontingentierung von Futtermittelimporten fest; sie gestaltet jedoch, ähnlich wie bei der Genossenschaft für Schlachtvieh und Fleischversorgung, die weitere Verteilung flexibler, indem sie alle drei Jahre einen Teil der Einzelkontingente zur Versteigerung freigibt [15].
Nach der «Hormondebatte» der vergangenen Jahre war es 1983 die Feststellung eines zu hohen Nitratgehalts im Kopfsalat, welche die Notwendigkeit einer Revision des Lebensmittelgesetzes unterstrich. Im Vernehmlassungsverfahren kritisierte die grosse Mehrheit der 180 Eingaben die vorgeschlagene Organisationsform, da sie mit der beibehaltenen Trennung von Lebensmitteln und Fleisch wie auch mit der alten Auffächerung der Kompetenzen über verschiedene Bundesämter Doppelspurigkeiten und Lücken weiterhin nicht verhindern könne. Am stärksten bemängelt wurde jedoch, dass die bewährte Einrichtung des Kantonschemikers entwertet werden solle. Den inhaltlichen Anderungen des Lebensmittelgesetzes wurde grösstenteils zugestimmt, auch wenn von verschiedenen Seiten Befremden geäussert wurde, dass man aus der «Hormonaffäre» nicht die erforderlichen Konsequenzen gezogen habe [16].
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Tierversuche
Obwohl der Initiative «gegen die Vivisektion» von vielen Seiten Zwängerei vorgeworfen wurde und sich im Vernehmlassungsverfahren nur eine Minderheit für das Begehren ausgesprochen hatte, konnten die Vivisektionsgegner bereits im Vorfeld der Abstimmung beträchtliche Erfolge verbuchen: die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften und die Schweizerische Naturforschende Gesellschaft formulierten «Ethische Grundsätze und Richtlinien für wissenschaftliche Tierversuche», wonach solche Versuche nur noch dort zugelassen werden sollten, wo Erkenntnisse auf andere Art nicht möglich sind. Die grossen Basler Chemieunternehmungen stellten Tierschutzbeauftragte ein, und die Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel in Bern lockerte in ihren Vorschriften die Auflagen für gewisse toxikologische Tests und verzichtete auf den umstrittenen Giftigkeitstest LD50i bei dem ein Mittel so lange getestet werden musste, bis die Hälfte der Versuchstiere an Vergiftung gestorben war. Der Bundesrat schliesslich, der die Initiative ablehnte, bewilligte dem Schweizerischen Nationalfonds Kredite von 2 Mio Fr. für ein dreijähriges Forschungsprogramm über Alternativen zum Tierversuch. Der Dachverband «Schweizer Tierschutz» hatte sich zwar gegen die Vivisektionsverbot-Initiative ausgesprochen, er nutzte jedoch den Windschatten des Volksbegehrens, um für eine Verschärfung des Tierschutzes zu plädieren [17]. Nach über zehnjähriger Bearbeitung konnte der Bundesrat dem Parlament das revidierte Bundesgesetz über die Jagd und den Schutz der wildlebenden Säugetiere und Vögel vorlegen. Der 1980 gescheiterten Vernehmlassung Rechnung tragend, schafft das Gesetz einen Kompetenzausgleich zwischen Bund und Kantonen, was allgemein als guter Kompromiss gewürdigt wurde: die Aufsicht über die Tierhaltung wird zur nationalen Aufgabe erklärt, während die Jagd als ehemals landeshoheitliches Recht den Kantonen zukommt [18].
 
[10] Milchrechnung und Milchkontingentierung: wf, Dok., 2, 10.1.83; 20/21, 16.5.83; IBZ, 19, 13.5.83 ; R. Albonico/M. Eichenberger, «Futter statt Butter», in TAM, 24, 18.6.83. Schwarzkäseaktion: Bund, 31.1.83; 12.3.83 ; Union, 7, 9.3.83; 8, 23.3.83; 9, 6.4.83; 11, 4.5.83; 25, 5.10.83; Lib., 18.3.83; 31.5.83; Presse vom 19.3.83; BaZ, 21.3.83. Verordnung über die Milchkontingentierung: Presse vom 14.4.83; Jahresbericht des Schweizerischen Bauernverbandes, 86/1983, S. 38 f.; AS, 1983, S. 393 ff., 710 ff., 1420 ff.; vgl. dazu auch das vom BR entgegengenommene Postulat Nebiker (svp, BL): Amtl. Bull. NR, 1983, S. 520; Vat., 3.2.83; BaZ, 4.2.83; NZZ, 5.2.83; ebenso die Motionen Bäumlin (sp, BE) und Piller (sp, FR) betreffend Massnahmen zur Verbesserung der Milchrechnung: Verhandl. B.vers., 1983, III, S. 38, 95. Vgl. ferner die allgemeine Darstellung der Probleme der Milchwirtschaft in COOP-Zeitung, 31/32, 11.8.83 : 36, 8.9.83 ; 40, 6.10.83 ; 44, 3.11.83 (Serie «Agrarmarkt Schweiz» von P. Rieder und U. Egger) sowie SPJ, 1977, S. 88 f.; 1978, S. 84 ff.; 1982, S. 83.
[11] Preissturz des Schweinefleisches: Union, 1, 12.1.83 ; 4, 9.2.83; 7, 9.3.83;13,25.4.83; 15,15.6.83; 20, 3.8.83; NZZ, 15.1.83; 19.5.83; 4.6.83; 11.7.83; 8.9.83; Bund, 20.1.83; Vat., 24.1.83; 26.1.83; 2.2.83; 21.3.83; welsche Presse vom 25.1.83 ; Suisse, 2.2.83 ; LNN, 18.3.83; 21.3.83 ; TA, 10.5.83 ; BaZ, 26.5.83 ; !BZ, 21, 27.5.83. Aktionen der UPS: Suisse, 4.3.83; 17.3.83; Union, 7, 9.3.83. Kritik der Konsumentenschutzorganisationen an der Einlagerungsaktion: BaZ, 20.1.83. Zur Schlachtviehproduktion allgemein vgl. COOP-Zeitung, 48, 4.12.83 («Agrarmarkt Schweiz»).
[12] Parlamentarische Initiative: BBl, 1983, I, S. 181 ff. Vernehmlassungsverfahren: TA, 7.1.83; 2.7.83; Presse vom 19.1.83; SP-Information, 136, 28.3.83; BaZ, 23.4.83; 30.6.83; NZZ, 7.5.83; 30.6.83; Gewerkschaftliche Rundschau, 75/1983, S. 81 ff. Grundsätzlich gegen eine Revision von Art. 19 ff. des LWG sprachen sich die FDP, der SGV sowie die betroffenen Verbände der Futtermittelindustrie aus. Botschaft des BR : BBl, 1983, IV, S. 50 ff.; Presse vom 15.9.83; vgl. ferner IBZ, 5, 4.2.83; 12, 25.3.83; 14, 5.4.83; 27/28, 8.7.83; NZZ, 4.11.83; Vat., 4.11.83; Jahresbericht des Schweizerischen Bauernverbandes, 86/1983, S. 19 ff., 34 f.; vgl. auch SPJ, 1978, S. 86 f.; 1979, S. 95 f.; 1980, S. 86; 1981, S. 89; 1982, S. 83.
[13] BBl, 1983, IV, S. 197; Presse vom 28.10.83; IBZ, 44, 1.11.83; 48, 2.12.83; Union, 27, 9.11.83.
[14] Diskussionen vor der Lancierung der Initiative: LNN, 19.1.83; 20.1.83; 26.1.83; 25.7.83 (Interview mit VKMB-Präsident R. Hochuli); NZZ, 19.1.83; 21.1.83; 24.1.83; BaZ, 24.1.83; 31.5.83; Ww, 4, 26.1.83; IBZ, 4, 28.1.83 ; 5, 4.2.83 ; 21, 27.5.83 ; 24,17.6.83 ; Sonntags-Blick, 5, 30.1.83 (Interview mit dem Chef der Denner AG, K. Schweri); BZ, 23.4.83. Lancierung: BBl, 1983, III, S. 418 ff.; NZZ, 30.8.83; 7.9.83; TA, 31.8.83; BaZ, 3.9.83; 7.9.83 ; SGT, 3.9.83 ; AT, 7.9.83 ; Bund, 7.9.83. Stellungnahmen des SBV : IBZ, 36, 9.9.83 ; 37, 16.9.83 ; 39, :7.9.83 ; 45, 11.11.83; 46/47, 25.11.83; NZZ, 21.9.83; 18.10.83; 3.11.83 ; Presse vom 16.11.83; der UPS: Bund, 20.10.83 ; der SAB: NZZ, 25.11.83; vgl. femer Vat., 5.12.83; SP-Information, 153, 8.12.83; Bund, 12.12.83; SGT, 30.12.83. Orientierungsveranstaltungen der VKMB: Presse vom 22. und 23.11.83. Vgl. auch SPJ, 1982, S. 83 sowie unten, Teil III b (Landwirtschaft).
[15] Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1124 ff.; IBZ, 17, 29.4.83; 18, 6.5.83; Presse vom 21.9.83; vgl. auch V. Büchler-Tschudin, «Rechtsprobleme bei der Beschränkung der Einfuhr von Futtermitteln und Fleisch», in Staatsorganisation und Staatsfunktion im Wandel. Festschrift für Kurt Eichenberger zum 60. Geburtstag, hg. von G. Müller u.a., Basel 1982, S. 211 ff. Vgl. auch SPJ, 1980, S. 86; 1981, S. 89.
[16] Nitratgehalt: BaZ, 14.1.83; JdG, 22.3.83; IBZ, 12, 25.3.83; Suisse, 5.4.83; NZZ, 7.4.83; TLM, 7.4.83; 24 Heures, 19.4.83. Vernehmlassungsverfahren: Presse vom 19.-21.1.83; IBZ, 8, 25.2.83; 17, 29.4.83; 18, 6.5.83; BaZ, 15.3.83; 26.4.83; 21.5.83; NZZ, 29.3.83; 26.4.83; 24.5.83; TA, 21.5.83; SGT, 2.7.83. Vgl. auch SPJ, 1975, S. 97; 1976, S. 90; 1980, S. 86 f.; 1981, S. 89 f.; 1982, S. 83.
[17] Vernehmlassungsverfahren zur Initiative: Presse vom 15.3.83; Suisse, 18.3.83; BaZ, 6.5.83; 30.6.83; NZZ, 26.5.83; 9.7.83; 15.8.83; 15.9.83; SP-Information, 143, 14.7.83; Vr, 19.7.83; Vat., 28.7.83; TA, 22.9.83. Zur Kontroverse der schweizerischen Tierversuchsgegner mit dem Dachverband «Schweizer Tierschutz», der die Initiative nicht unterstützte, vgl. TW, 30.3.83; Vr, 30.3.83; TA, 13.10.83; Suisse, 30.10.83. Richtlinien für Tierversuche : Presse vom 1.6.83. Ablehnung der Initiative durch den BR: Presse vom 20.12.83. Nationalfondsprojekt: Vat., 21.6.83 ; NZZ, 28.6.83. Schweizerischer Tierschutz : BaZ, 13.10.83 ;14.10.83 ; TA, 13.10.83 ; Suisse, 15.10.83. Vgl. auch Ww, 23, 8.6.83; Chr. Neidhart, «Tierversuche», in TAM, 37, 17.9.83; ferner SPJ, 1980, S. 87 f.; 1981, S. 90; 1982, S. 84.
[18] BBl, 1983, II, S. 1197 ff.; Presse vom 28.4.83 und 12.7.83; vgl. SPJ, 1979, S. 80; 1981, S. 92.