Année politique Suisse 1983 : Infrastructure, aménagement, environnement / Transports et communications
 
Eisenbahnen
Im Hinblick auf die Diskussionen um eine sinnvolle Aufteilung des Verkehrs auf öffentliche und private Transportmittel verdient die Entwicklung der Eisenbahnen besondere Beachtung. Für die Schweizerischen Bundesbahnen stand 1983 im Zeichen des sogenannten Leistungsauftrages, den die eidgenössischen Räte im Vorjahr erteilt hatten. Gemäss diesem Auftrag müssen die SBB nach unternehmerischen Grundsätzen den vollen Rechnungsausgleich anstreben; gemeinwirtschaftliche Leistungen haben sie nur zu erbringen, soweit sie dafür entschädigt werden [20]. Damit liegt der Auftrag auf der Linie der bundesrätlichen GVK. Im Berichtsjahr rückte man dem Ziel der Eigenwirtschaftlichkeit allerdings nur wenig näher. Der Fehlbetrag der SBB-Rechnung war mit 431,7 Mio Fr. um rund 67 Mio niedriger als 1982. Er übertraf das budgetierte Defizit um etwa 40 Mio Fr. Während der Gesamtaufwand sich im Rahmen des Voranschlags hielt, blieb der Ertrag weit hinter den Erwartungen zurück. Die SBB beförderten ungefähr gleich viele Reisende wie im Vorjahr; in Leistungseinheiten ausgedrückt ergab sich im Personenverkehr zwar eine leichte Steigerung, die aber mit rund 1% nur geringfügig ausfiel. Die in den Taktfahrplan gesetzten Hoffnungen erfüllten sich somit nur teilweise. Es lässt sich allerdings nicht ausschliessen, dass ohne diese Massnahme ein Rückgang des Reiseverkehrs hätte in Kauf genommen werden müssen. Mehrere Umstände wirkten nämlich in Richtung einer Senkung der Nachfrage nach Bahnleistungen. Es sind dies die nicht sehr gute Wirtschaftslage, die bereits angesprochene attraktivere Gestaltung des Strassennetzes sowie nicht zuletzt die Preispolitik der SBB selbst, die 1983 ihre Tarife erneut anhoben. Insgesamt nahm der Ertrag aus dem Reiseverkehr um 7,5% zu. Auch die Einnahmen aus dem Güterverkehr wiesen einen Zuwachs auf; mit 2,7% war dieser aber bedeutend niedriger als im Budget vorgesehen. Mengenmässig setzte sich die Schrumpfung des Bahn-Gütertransportes fort (– 0,9%). Für den Bund stellen die SBB einen wichtigen Ausgabenfaktor dar. Rechnet man die Vergütung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen ein, so kostete ihn sein Regiebetrieb 1983 über 1 Mia Fr. [21]. Für 1984 erwartet man ein Defizit der Bundesbahnen von 437,2 Mio Fr. [22].
Die im Leistungsauftrag enthaltene Forderung der Eigenwirtschaftlichkeit wurde teilweise vehement kritisiert. Sozialdemokraten und Gewerkschafter betrachten den Auftrag in seiner jetzigen Form als Ausdruck einer verfehlten bürgerlichen Verkehrspolitik. Sie wiesen darauf hin, dass die Bundesbahnen nicht nur betriebswirtschaftlichen Kriterien zu genügen haben, sondern aufgrund des SBB-Gesetzes aus dem Jahre 1944 vor allem auch volkswirtschaftliche Verpflichtungen erfüllen müssen. Dieser zweite Gesichtspunkt wird nach Ansicht der genannten Kreise vom Leistungsauftrag zugunsten des ersten preisgegeben. Damit zwinge man die SBB zur Aufgabe unrentabler Bahnlinien und Dienstleistungen ebenso wie zu ständigen Tariferhöhungen. Folge hiervon sei eine weitere Zunahme des motorisierten Strassenverkehrs. Dies vertrage sich schlecht mit der angestrebten Förderung der öffentlichen Transportmittel. Für Sozialdemokraten und Gewerkschafter stellen die Bundesbahnen — ähnlich wie etwa Schulen oder Militär — eine Gemeinschaftsaufgabe dar, die nicht zu rentieren braucht. Einer ähnlichen Argumentation bedienten sich Interessenvertreter des öffentlichen Verkehrs. Mit einer im Nationalrat eingereichten Motion fordert die sozialdemokratische Fraktion eine Abänderung des Leistungsauftrags, die den volkswirtschaftlichen Aufgaben der SBB Rechnung trägt [23].
Im Sinne des Leistungsauftrags suchte die SBB-Generaldirektion im Berichtsjahr intensiv nach Spar- und Rationalisierungsmöglichkeiten. Sie stützte sich dabei teilweise auf von externen Beratern angefertigte betriebswirtschaftliche Gutachten. Viel Staub wirbelte eine Expertise des Unternehmensberaters Hayek auf, die der Generaldirektion schon seit 1982 bekannt war, deren Inhalt jedoch erst 1983 veröffentlicht wurde. Vor der Publikation verbreiteten gewisse Massenmedien Fehlspekulationen über angeblich bevorstehende Massenentlassungen bei den SBB. An die SBB-Führung wurde in diesem Zusammenhang der Vorwurf übertriebener Geheimhaltung gerichtet [24].
Das bisher wohl spektakulärste Resultat des Leistungsauftrags stellt das im Dezember vom SBB-Verwaltungsrat beschlossene neue Stückgut-Konzept dar. Eine Reorganisation des stark defizitären Detailwarentransportes hatte sich aufgedrängt, weil der Bund aufgrund des Leistungsauftrags seine Finanzhilfe in diesem Bereich nach und nach abbaut. Das neue Konzept sieht eine Konzentration des Stückgut-Verkehrs vor. Die Bundesbahnen werden Einzelfrachten künftig nur noch zwischen rund 140 grösseren Bahnhöfen befördern; die Feinverteilung der Fracht übernehmen private Strassentransporteure. Das bedeutet, dass über 400 SBB-Stationen die Stückgut-Abfertigung einstellen werden. Damit verbunden ist ein Verlust von mehr als 800 Arbeitsplätzen. Von dieser Straffung des Gütertransportes erhoffen sich die SBB eine Verminderung ihres Defizits um 55 Mio Fr. Keinen Beifall fand das Konzept beim Eisenbahnerverband (SEV) und beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB). Hier hält man die Verdrängung des Güterverkehrs von der Schiene auf die Strasse für verfehlt. Eher kritisch äusserten sich auch einige Pressestimmen. Sie gaben zudem zu bedenken, dass die Konzentration des Stückgut-Verkehrs den weiteren Leistungsabbau auf den SBB-Nebenlinien begünstige. Wenn auf einer Strecke keine Einzelfracht mehr befördert werde, falle später der Entscheid leichter, die Linie stillzulegen. Damit stellte man das Stückgut-Konzept in den Zusammenhang der Diskussion um die Wünschbarkeit der Aufhebung unrentabler Bahnverbindungen. Die Diskussion war insbesondere als Folge einer im November ausgestrahlten Sendung des Schweizer Fernsehens in Gang gekommen [25].
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Neue Linien
Andererseits beschäftigte man sich auch mit der Frage der Erweiterung der Bahn-Infrastruktur auf stark frequentierten Strecken. Im Vordergrund stand dabei das Projekt einer Neuen Haupttransversalen (NHT) zwischen Lausanne und St. Gallen sowie zwischen Basel und Olten. Wegen des Alpentransits geniesst der Abschnitt Basel–Olten--Bern Priorität. Im Mai unterbreitete das EVED den Expertenbericht über die Zweckmässigkeitsprüfung der NHT Kantonen, Parteien und Verbänden zur Stellungnahme. Am Jahresende lag allerdings noch kein abschliessendes Ergebnis vor. Immerhin lässt sich bereits feststellen, dass sich ein ansehnlicher Teil der zahlreichen gegen das Projekt vorgebrachten Einwendungen und Vorbehalte gegen eine weitere Bevorzugung des Dreiecks Zürich–Basel–Bern richtet. Ein anderes Hauptargument gegen die NHT beziehungsweise die vorgeschlagene Linienführung stellt der Verlust an Kulturland dar, den der Bau der Strecke mit sich brächte [26].
Für weniger dringlich als die NHT hält der Bundesrat den Bau einer neuen Bahn-Alpentransversale. Dementsprechend verschob er den Entscheid über die Linienwahl (Splügen- oder Gotthard-Tunnel) [27]. In diesem Zusammenhang ist auf die grundsätzlichen Probleme der schweizerischen Transitpolitik hinzuweisen. Seit der Eröffnung des Gotthard-Strassentunnels hat der Schwerverkehr auf dieser Strecke massiv zugenommen. Folge hiervon ist einerseits eine starke Umweltbelastung in den betroffenen Regionen und andererseits ein Rückgang des Anteils der SBB am transalpinen Güterverkehr. Diese Entwicklung ist im Berichtsjahr noch gefördert worden durch den Beschluss des Bundesrates, die bisherigen Sperrzeiten für den Schwerverkehr am Gotthard und am San Bernardino versuchsweise aufzuheben. Empört über diese Massnahme zeigte sich insbesondere die SPS [28].
Vor dem Hintergrund der ausstehenden Entscheide über eine neue Alpentransversale und die NHT hatte das eidgenössische Parlament über eine Standesinitiative des Kantons Luzern zu befinden, wonach der Kopfbahnhof Luzern in einen Durchgangsbahnhof umzuwandeln sei. Aus einer solchen Umwandlung ergäbe sich eine Stärkung der Nord-Süd-Achse im schweizerischen Schienennetz. Beide Räte leisteten dem luzernischen Begehren keine Folge [29].
Als Zweitrat genehmigte die grosse Kammer einen Beitrag und ein Darlehen zugunsten der italienischen Staatsbahnen für den Bau eines Monte-Olimpino-Tunnels zwischen Chiasso und Como. Langfristig verspricht man sich von diesem Projekt eine Kapazitätssteigerung des Schienenverkehrs zwischen Mailand und dem Tessin [30]. Besondere Beachtung fand der in Frankreich mit Erfolg eingesetzte Superschnellzug «TGV». Es konnte eine Regelung gefunden werden, wonach der TGV ab Januar 1984 auch Lausanne anfährt. Für die Frage des Anschlusses von Bern und Neuenburg an das französische TGV-Netz vermochte man sich ebenfalls auf eine vorteilhafte Lösung zu einigen. Die Fahrzeiten zwischen diesen Städten und Paris werden dadurch erheblich kürzer. Dies stärkt die Konkurrenzfähigkeit der Eisenbahn nicht nur gegenüber der Strasse, sondern auch gegenüber dem Flugzeug [31].
Um die Alternative Strasse oder Schiene geht es bei der Schaffung einer wintersicheren Verbindung zwischen dem Unterengadin und dem Prättigau. In Frage kommen zwei Varianten, nämlich ein Vereina-Tunnel der Rhätischen Bahnen einerseits und der Ausbau der Flüela-Alpenstrasse andererseits [32].
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Privatbahnen
Der Bundesrat möchte, dass die bestehende Benachteiligung der Privatbahnen gegenüber den SBB hinsichtlich der Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen durch den Staat beseitigt werden sollte. In diesem Sinne lautete seine Antwort auf eine Eingabe des Verbandes schweizerischer Transportunternehmungen des öffentlichen Verkehrs (VST). Die Landesregierung gab jedoch zu bedenken, dass sich die Kantone an den erhöhten Entschädigungen beteiligen müssten; eine Mehrbelastung des Bundes komme nicht in Frage. Mit einer Neuordnung ist zudem frühestens 1986 zu rechnen [33]. Der GVK-Grundsatz, wonach gemeinwirtschaftliche Leistungen abzugelten sind, bildet auch Bestandteil des vom Bundesrat zuhanden des Parlaments verabschiedeten Entwurfes eines Gesetzes über Transporte des öffentlichen Verkehrs. Die Vorlage vereinheitlicht die bestehenden Bestimmungen über die Beförderung mit öffentlichen Transportunternehmungen, passt sie an die heutigen Verhältnisse an und fasst sie zusammen. Sie soll das Gesetz über den Transport auf Eisenbahnen und Schiffen ablösen und einzelne damit zusammenhängende Beschlüsse ersetzen. Kernpunkt des Entwurfs ist die Lockerung der Vorschriften über das Tarifwesen [34].
 
[20] Zu Entstehung und Inhalt des Leistungsauftrages vgl. SPJ, 1981, S. 106 f.; 1982, S. 100.
[21] Rechnung 1982: BBl, 1983, II, S. 321 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1983, S. 901 ff.; Amtl. Bull. StR, 1983, S. 364 ff.; BBl, 1983, II, S. 728. Rechnung 1983: BBl, 1984, II, S. 291 ff.; ferner BaZ, 11.2.84; NZZ, 11.2.84. Zur Finanzlage der SBB im allgemeinen siehe NZZ, 5.3.83 und wf, Dok, 51/52, 19.12.83. Siehe auch die Berechnungen des Bundesamtes für Statistik zum Eigenwirtschaftlichkeitsgrad der Bahnen (Eisenbahnrechnung) in Die Volkswirtschaft, 56/1983, S. 108 ff.
[22] Das Budget weist ein Defizit von 462,6 Mio Fr. auf, wenn man die Teuerung beim Einkauf in die Pensionskasse anrechnet. Das Budget für 1984 erschien erstmals in einer wesentlich geänderten Form der Unternehmensrechnung (BBl, 1983, IV, S. 175 ff.; Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1658 ff. und 1669 ; Amtl. Bull. StR, 1983, S. 643; BBl, 1983, IV, S. 603; BaZ, 6.12.83).
[23] SGB, 7, 24.2.83; 23, 11.8.83; SP-Information, 144, 15.8.83. Vgl. LITRA, Jahresbericht, 1982/83, S.6. Motion der SP-Fraktion: Verhandl. B.vers., 1983, V, S. 29.
[24] JdG, 3.3.83; Bund, 12.3.83; 22.3.83; NZZ, 12.3.83; 23.3.83;15.4.83. Vgl. BaZ, 6.7.83 sowie E. Rühli, «Das Problem der Entflechtung der politischen und unternehmerischen Verantwortung bei der Oberleitung der SBB », in Jahrbuch der Schweiz. Verkehrswirtschaft, 1983, S. 141 ff.
[25] Bund, 11.10.83; 1.12.83; BaZ, 2.12.83; TW, 2.12.83. SEV : NZZ, 9.12.83. SGB: Communiqué des SGB vom 28.11.83; SGB, 36, 1.12.83.
[26] NZZ, 3.5.83; 5.5.83; TLM, 28.12.83; Vat., 28.12.83. Vgl. SAZ, 49, 8.12.83. Der Kanton LU arbeitete eine eigene NHT-Variante aus, die durch eine veränderte Linienführung eine bessere Verkehrserschliessung der Zentral- und Südschweiz anstrebt (Vat., 23.6.83). Der NR überwies ein Postulat Kohler (fdp, BE), das um eine Prüfung der Möglichkeiten der Verbesserung bestehender Bahnlinien als einer Alternative zur NHT ersucht (Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1850 f.). Vgl. auch SPJ, 1981, S. 107.
[27] BBl, 1983, III, S. 1165 ff. (Bericht des BR); Presse vom 22.3.83; CdT, 26.3.83; 28.3.83; SGT, 8.9.83; TLM, 8.9.83; LITRA, Jahresbericht, 1982/83, S. 9.
[28] SGT, 1.3.83; LNN, 30.3.83; Vat., 13.10.83; Vr, 13.10.83; CdT, 1.12.83; LITRA, Jahresbericht, 1982/83, S. 19 ff. Aufhebung der Sperrzeiten : BBl, 1983, III, S. 1242 f. ; Communiqué der SPS vom 12.10.83. Vgl. die im StR eingereichte Motion Muheim (cvp, UR), die verlangt, dass der Transitschwerverkehr über die N4 und N2 in UR von der Strasse weggewiesen wird: Verhandl. B. vers., 1983, V, S. 26.
[29] Amtl. Bull. StR, 1983, S. 625 ff.; Amtl. Bull. NR, 1983, S. 1368 ff.; Vat., 1.12.83.
[30] Amtl. Bull. NR, 1983, S. 263 ff.; TA, 9.3.83 ; 24 Heures, 9.3.83 ; vgl. SPJ, 1982, S. 101. Zur zwischenstaatlichen Zusammenarbeit im Bahnverkehr vgl. auch die Genehmigung eines intemationalen Abkommens zum Eisenbahn-Transportrecht durch die eidgenössischen Räte: Amtl. Bull. NR, 1983, S. 896 und 1055; Amtl. Bull. StR, 1983, S. 65 f. und 384; BBl, 1983, II, S. 715 ff. (Referendumsvorlage).
[31] Bund, 14.7.83 ;NZZ, 14.7.83 ; 24 Heures, 23.11.83. Auch in der Schweiz beschäftigt man sich mit der Frage der Anschaffung von modernerem Wagenmaterial; vgl. in diesem Zusammenhang die von beiden Räten bei der Behandlung des Beschäftigungsprogramms (vgl. oben, Teil I, 4a, Strukturpolitik) gutgeheissene Motion, die auf eine zusätzliche Beschaffung von SBB-Waggons im Jahre 1984 abzielt: Amtl. Bull. StR, 1983, S. 156 ff.; Amtl. Bull. NR, 1983, S. 488 ff.; BaZ, 18.3.83; TLM, 18.3.83.
[32] LITRA, Jahresbericht, 1982/83, S. 25 ff.; VCS-Zeitung, 1983, Nr. 1, S. 10 f.
[33] Bund, 3.8.83; NZZ, 3.8.83; vgl. SPJ, 1982, S. 101.
[34] Das Gesetz soll alle Verkehrsträger betreffen, mit Ausnahme der Luftfahrt und der Rohrleitungen (BBl, 1983, II, S. 167 ff.; TA, 24.2.83; 24 Heures, 24.2.83; wf, Dok., 38, 19.9.83).