Année politique Suisse 1984 : Economie / Agriculture
 
Agrarpolitik
Der 6. Bericht des Bundesrates über die Lage der schweizerischen Landwirtschaft und die Agrarpolitik des Bundes, der den eidgenössischen Räten und einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ist das wichtigste landwirtschaftspolitische Dokument von 1984. Er stellt — wie schon die fünf seit 1956 erschienenen Berichte — die Lage und Entwicklung der Landwirtschaft umfassend dar, analysiert die agrarpolitischen Massnahmen des Bundes seit der letzten Berichterstattung und diskutiert in einem 3. Teil Richtlinien für eine künftige Landwirtschaftspolitik. Die Bilanz der schweizerischen Agrarpolitik in der Berichtsperiode 1976-1984 fällt für den Bundesrat insgesamt positiv aus: Der Trend zu grösseren, leistungsfähigeren Betrieben hält an, und die Quote des «Kleinbauernsterbens» scheint sich auf unter 2% pro Jahr einzupendeln. In der Folge von Strukturverschiebung und Technisierung der Landwirtschaft erhöhte sich die Arbeitsproduktivität um jährlich 1,5-2%; der Brutto-Selbstversorgungsgrad der Schweiz liegt nun bei 63-65%. Bezüglich der Entwicklung des bäuerlichen Einkommens stellt der Bericht fest, dass diese im Durchschnitt mit der Lohnentwicklung in der übrigen Wirtschaft Schritt gehalten habe, wobei allerdings erhebliche Unterschiede zwischen Berg- und Talbetrieben sowie Klein- und Grossbetrieben festzustellen seien. Der 2. Teil des Berichtes behandelt die agrarpolitischen Massnahmen des Bundes und ihre Anwendung vor allem in der Berichtsperiode. Dabei werden die drei wesentlichen Neuerungen seit 1976 besonders ausführlich dargestellt: die einzelbetriebliche Milchkontingentierung, Massnahmen zur verstärkten Lenkung der Fleisch- und Eierproduktion (Höchsttierbestände, Bewilligungspflicht für Stallbauten, Stillegung von Betrieben) und die Bewirtschaftungsbeiträge zur Verringerung der Einkommensdifferenz zwischen Berg- und Talbauern. Der Bundesrat vertritt die Ansicht, dass sich die Mittel zur Produktionslenkung bewährt hätten und nur punktuell revidiert werden müssten. Im Zentrum des Interesses stand der 3. Teil des Berichtes über die Ausrichtung der künftigen Agrarpolitik. Neu gegenüber dem 5. Landwirtschaftsbericht werden als Oberziele das verstärkte Bestreben, die bäuerlich strukturierte Landwirtschaft und die dezentrale Besiedelung zu erhalten, sowie Schutz und Pflege von Landschaft und Umwelt genannt. Der Bundesrat sieht jedoch keinen grundsätzlichen Wechsel in seiner agrarpolitischen Konzeption vor. Bei der Diskussion alternativer Modelle zur Einkommenspolitik lehnte er ein weiteres Mal die Einführung von differenzierten Preisen ab; andere Massnahmen wie Preisstaffelung (Verlustbeteiligung) wurden aber als prüfenswert erachtet. Für Unruhe bei den bäuerlichen Interessenvertretern sorgte eine gewisse Relativierung des Paritätsvergleichs: Künftig sollen bei der Beurteilung der Einkommenslage vermehrt das Gesamteinkommen der bäuerlichen Familie sowie Gesichtspunkte der Lebensqualität mitberücksichtigt werden [1].
Reaktionen auf den 6. Landwirtschaftsbericht kamen vor allem aus bäuerlichen und umweltschützerischen Kreisen. Grundsätzlich zufrieden zeigte sich der Schweizerische Bauernverband (SBV); der beabsichtigten Relativierung des Paritätsvergleichs jedoch kündigte er seinen entschlossenen Widerstand an. Die Vereinigung zum Schutz der kleinen und mittleren Bauern (VKMB) taxierte den Bericht als «Rechtfertigung einer falschen Agrarpolitik» und schenkte der Absichtserklärung, die bäuerlichen Familienbetriebe zu erhalten, kein Vertrauen. Nach ihrer Einschätzung zielt die angekündigte Landwirtschaftspolitik des Bundesrates auf eine weitere Liquidierung der kleinen und mittleren Betriebe ab; diese Entwicklung könne nur durch die Einführung der Preisdifferenzierung und mit produktionsunabhängigen Direktzahlungen aufgehalten werden. Misstrauisch zeigten sich auch die SPS und die Umweltschutzorganisationen, welche konkrete Angaben zum Bekenntnis für den Umweltschutz vermissten. Für sie müsste ein wirklicher Umweltschutz mit einer Schwerpunktverlagerung auf die kleinen und mittleren Betriebe verbunden werden, da es vor allem die intensiv produzierenden Grossbetriebe seien, welche die Umwelt belasteten. Sie verlangten daher ebenfalls die Einführung der Preisdifferenzierung zur Förderung der umweltfreundlicheren kleinen und mittleren Betriebe [2].
Die Sparbestrebungen des Bundes betrafen auch die Landwirtschaft: Die eidgenössischen Räte verabschiedeten die «Sparmassnahmen 1984», welche die Subventionen an die Landwirtschaft um 50 Mio Fr. kürzten; vor allem betroffen waren dabei der Zucker- und Tabakanbau (je 20 Mio Fr. jährlich), die land- und forstwirtschaftliche Berufsbildung (4 Mio Fr.) und der sogenannte Mahllohn (2,4 Mio Fr.). Im weiteren wurde das 2. Paket von Vorschlägen für die Neuverteilung der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen in die Vernehmlassung geschickt, das im Bereich der Agrarpolitik eine Netto-Mehrbelastung der Kantone von 18 Mio Fr. vorsieht: Meliorations- und Investitionskredite (11 Mio Fr.) und die Familienzulagen (23 Mio Fr.) sollen an die Kantone, die Subventionen für Tierzucht und Viehabsatz (20 Mio Fr.) hingegen an den Bund übergehen [3].
Auseinandersetzungen über den wirtschaftspolitischen Kurs und finanzielle Schwierigkeiten stellten die dissidente Union des producteurs suisses (UPS) in ihrer Weiterexistenz ernsthaft in Frage. Wir werden darauf in anderem Zusammenhang eingehen [4].
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Einkommenssicherung
Mit einer Eingabe an den Bundesrat zur Einkommenssicherung der Landwirtschaft zielte der SBV auf eine Anhebung des bäuerlichen Einkommens um 200 Mio Fr. ab. Namentlich sollte diese durch eine Erhöhung der Kosten- und Bewirtschaftungsbeiträge an die Bergbauern und durch eine Steigerung der Preise für Schlachtfleisch und Milch erreicht werden. Im weiteren regte der SBV eine flexiblere Gestaltung des Aussenhandelsinstrumentariums zum Schutz der inländischen landwirtschaftlichen Produkte an. Arbeitnehmer- und Konsumentenorganisationen kritisierten die bäuerlichen Begehren als übertrieben; insbesondere lehnten sie die Preiserhöhungen für Milch und Fleisch ab, da diese nur zu Produktionssteigerungen anregten, was angesichts des seit Jahren die Bundeskasse belastenden Milch- und Fleischüberschusses nicht angebracht sei. Nach ihrer Meinung müsste vielmehr der Ackerbau gefördert werden. Die VKMB ihrerseits vermisste in der Eingabe des SBV eine gezielte Förderung der kleinen und mittleren Betriebe [5]. In seinem Entscheid bezüglich der landwirtschaftlichen Preise zeigte sich der Bundesrat zurückhaltender als in den vergangenen Jahren, was beim SBV und den bäuerlichen Komitees Enttäuschung hervorrief, von Arbeitnehmer- und Konsumentenkreisen aber mit Genugtuung aufgenommen wurde. Erhöht wurden die Preise für Schlachtvieh, der Grundpreis für Milch, die Beiträge an Kuhhalter ohne Milchproduktion sowie die Preise für Kartoffeln. Von einer Verteuerung der landwirtschaftlichen Importprodukte sah der Bundesrat erneut ab. Die bundesrätlichen Preisbeschlüsse verbessern den bäuerlichen Arbeitsverdienst im Talgebiet um 5-6%, wodurch die Bundeskasse mit netto 17-20 Mio Fr. und der Landesindex der Konsumentenpreise um 0,2-0,3% belastet wird [6].
Als Beitrag zur Annäherung des bergbäuerlichen Arbeitsverdienstes an den Paritätslohn wie auch an das landwirtschaftliche Einkommen im Talgebiet wurden von den eidgenössischen Räten zwei Vorlagen verabschiedet. Der Bundesbeschluss über Kostenbeiträge an Viehhalter im Berggebiet und in der voralpinen Hügelzone sieht für die Jahre 1985 und 1986 denselben Zahlungsrahmen (insgesamt 350 Mio Fr.) vor wie in den vergangenen zwei Jahren und war im Parlament unbestritten. Um 40 Mio Fr. (auf 580 Mio Fr.) erhöht wurden demgegenüber die vom Bundesrat vorgeschlagenen Bewirtschaftungsbeiträge an die Landwirtschaft mit erschwerten Produktionsbedingungen für die Jahre 1985-1989 [7].
 
[1] BBl, 1984, III, S. 469 ff. Presse vom 10.11.84; BaZ, 12.11.84; SGT, 12.11.84; 17.11.84; wf, Kurzkommentare, 46,12.11.84; NZZ, 14.11.84; TA, 14.1 1.84; IBZ, 46, 16.11.84; Vat., 27.12.84 (Interview mit H.W. Popp) ; vgl. auch Presse vom 20.1.84 (K. Furgler zum landwirtschaftlichen Jahr 1984) sowie K. Furgler in Documenta, 1984, Nr. 4, S. 14 ff.; H.W. Popp, «Die Landwirtschaftspolitik des Bundesrates», in Die Volkswirtschaft, 57/1984, S. 789 f.; wf, Dok., 12, 25.3.85; 16, 22.4.85; 17, 29.4.85. Siehe auch Landwirtschaftsbericht 1984, Bericht des Regierungsrates über die Lage der Landwirtschaft im Kanton St. Gallen, insbesondere über den Schutz und die Förderung von Klein- und Mittelbetrieben, St. Gallen 1984. Siehe ferner H. Brugger, Die schweizerische Landwirtschaft 1914-1980. Agrarverfassung, Pflanzenbau, Tierhaltung, Aussenhandel, Frauenfeld (1985) ; P. Rieder / U. Egger, Agrarmarkt Schweiz. Eine problemorientierte Darstellung der landwirtschaftlichen Marktordnungen, Basel 1984; H.W. Popp, Agroökonomie. Grundlagen der Agrarpolitik, Zürich 1983; Agrarpolitik Umweltschutz und Staatsinterventionismus. Zusammenfassung der Referate des Kongresses der Liberalen Partei der Schweiz in Grangeneuve/FR am 20. Oktober 1984; Der Staatsbürger, 1984, Nr. 7. Zur Preisstaffelung siehe unten, Tierische Produktion. Landwirtschaftliches Jahr 1984: LNN, 21.12.84; NZZ, 27.12.84; IBZ, 1, 4.1.85; Jahresbericht des Schweizerischen Bauernverbandes, 87/1984. Vgl. ferner SPJ, 1966, S. 64 f.; 1969, S. 84 f.; 1977, S. 87 f.
[2] Presse vom 14.11.84. SBV: IBZ, 46, 16.11.84; 48, 30.11.84. VKMB: Gnueg Heu dune! 1984, Nr. 7, S. 2 f., 5 ff. SPS und Umweltschutzorganisationen: TA, 29.11.84. SGB: SGB, 8.11.84, S. 361 ff. Vgl. auch die Vorstösse des SBV zur Rettung des Kulturlandes : TA, 10.2.84; IBZ, 29/30, 20.7.84; NZZ, 7.8.84; 10.8.84; siehe auch unten, Teil I, 6c (Raumplanung). Vgl. ferner unten, Teil III b (Bauern).
[3] Sparmassnahmen 1984: BBl, 1984, I, S. 1253 ff.; III, S. 1473 ff.; Amtl. Bull. NR, 1984, S. 846 ff., 1957 f.; Amtl. Bull. StR, 1984, S. 558 ff., 669 f., 740; IBZ, 18, 4.5.84; 22, 1.6.84. Aufgabenneuverteilung: !BZ, 48, 30.11.84. Siehe auch oben, Teil I, 1d (Confédération et cantons) und unten, Teil I, 5 (Sparmassnahmen).
[4] LM, 21.8.84; vgl. unten, Teil III b (Landwirtschaft).
[5] Paritätslohn: TA, 14.3.84; vgl. auch das überwiesene Postulat Rutishauser (svp, TG) betreffend die Berechnung des Paritätslohnes in der Landwirtschaft (Amtl. Bull. NR, 1984, S. 417 ff.). Preisbegehren : Gnueg Heu dune!, 1984, Nr. 3, S. 2 f. ; Presse vom 12.4.84; BaZ, 13.4.84; 1.6.84; TW, 13.4.84; 28.4.84; IBZ,16, 19.4.84; 17, 27.4.84; LNN, 2.6.84; Ww, 46, 15.11.84. Siehe auch SPJ, 1983, S. 95. Vgl. ferner: Ph. Halbherr / A. Müdespacher, Organisierte Interessen und Verteilungseffekte in der schweizerischen Agrarpolitik Eine politökonomische Analyse, Bern 1984.
[6] SGB, 20, 12.6.84; Presse vom 19.6.84; NZZ, 20.6.84; SHZ, 25, 21.6.84; IBZ, 25, 22.6.84; BaZ, 4.7.84; Gnueg Heu dune! 1984. Nr. 6, S. 18; vgl. auch die Einfache Anfrage Mauch (sp, AG) betreffend eine Einkommensverbesserung der kleinen und mittleren Betriebe des Talgebietes (Amtl. Bull. NR, 1984, S. 1485 f.) ; ferner wf, Kurzinformationen, 51, 17.12.84. Preisdifferenzierung: TA, 10.4.84. Der Bundesrat genehmigte ferner die Milchrechnung 1982/83: Der Gesamtaufwand betrug 688,5 Mio Fr., wovon 367,5 Mio Fr. mit Bundesmitteln gedeckt wurden (Presse vom 12.4.84; wf, Dok., 30-31, 23.7.84). Der Nationalrat verwarf einen Antrag Biel (Idu, ZH) auf Plafonierung der Milchrechnung bei 800 Mio Fr. (Amtl. Bull. NR, 1984, S. 1564 ff. ; Presse vom 30.11.84). Vgl. auch SPJ, 1983, S. 95 f.
[7] BBl, 1984, I, S. 777 ff., 1224 ff. ; III, S. 116 f. ; Amtl. Bull. NR, 1984, S. 1267 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1984, S. 263 ff., 553 f.; NZZ, 1.3.84; 30.3.84; 13.4.84; 13.6.84; 26.6.84; 4.9.84; 28.9.84; 4.10.84; TA, 17.5.84; 11.7.84; AT, 13.6.84; 28.9.84; BaZ, 13.6.84; 28.9.84; IBZ, 38, 18.9.84; 40, 5.10.84. Allgemein zu den Problemen der Berglandwirtschaft: NZZ, 20.2.84; TA, 18.4.84; Vr, 7.9.84. Vgl. auch SPJ, 1983, S. 96. Die Landwirtschaft in der Berg- und Hügelzone erhielt 1984 Beiträge von insgesamt mehr als 500 Mio Fr. (1974: 241 Mio Fr.): wf, Kurzinformationen, 45, 5.11.84.