Année politique Suisse 1985 : Economie / Politique économique générale
Wettbewerbspolitik
Auf dem Gebiet der Wettbewerbspolitik hatte das Parlament ein reichbefrachtetes Programm zu bewältigen. Sowohl das revidierte Kartellrecht als auch das neue Bundesgesetz über die Preisüberwachung konnten im Berichtsjahr zu Ende beraten werden. Zudem befasste sich die Volkskammer mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen Neufassung des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb.
Nachdem der Ständerat 1982 den Entwurf des Bundesrates für ein revidiertes Bundesgesetz über Kartell
e und ähnliche Organisationen (KG) entschärft hatte,
gelang es dem Nationalrat, in einigen wesentlichen Punkten wieder eine strengere Fassung durchzusetzen. Die Fronten verliefen allerdings ähnlich wie in der kleinen Kammer: Für die Regierungsvorlage setzten sich die Linke, der Landesring und ein Teil der Christlichdemokraten ein, während sich die Vertreter der FDP, der SVP und der Liberalen gegen die vorgesehenen griffigeren Bestimmungen zur Bekämpfung von Wettbewerbsbehinderungen wehrten. In den Geltungsbereich des KG fallen nun nicht nur, wie vom Ständerat ursprünglich beschlossen, vertragliche Abmachungen und Abreden, sondern auch Empfehlungen, wenn diese offenkundig dieselbe Wirkung zeigen. Auch beim Beurteilungsmassstab, an den sich die Kartellkommission bei der Prüfung der volkswirtschaftliéhen oder sozialen Schädlichkeit der Auswirkung von Kartellen zu halten hat, setzte der Nationalrat eine wettbewerbsfreundlichere Fassung durch. Wirksame Wettbewerbsverhinderung gilt demnach als schädlich, wenn sie nicht aus überwiegenden Gründen des Gesamtinteresses zu rechtfertigen ist. Auf Antrag der vorberatenden Kommission wurden die Komponenten der Saldomethode, welche bei der Ermittlung des Gesamtinteresses zur Anwendung gelangt, präzis definiert. In der Frage, wann Massnahmen gegen Aussenseiter zulässig seien, lehnte der Nationalrat hingegen mit knappem Mehr eine gegenüber dem Entwurf höhere Rechtfertigungsschwelle ab. Im weitern folgte der Nationalrat der kleinen Kammer bei der Streichung der Klagelegitimation für Konsumentenorganisationen, der Meldepflicht für Unternehmenszusammenschlüsse sowie — allerdings erst im
Differenzbereinigungsverfahren — der Ausstattung der Kartellkommission mit einer Entflechtungskompentenz. Trotz zweimaliger Streichung durch den Ständerat setzte die Volkskammer hingegen die Beibehaltung spezieller Strafbestimmungen als Sanktionsinstrumente durch
[18]. In einem abschliessenden Kommentar beurteilte der Vorsteher des Sekretariats der Kartellkommission die diversen Neuerungen positiv. Die Verfechter einer ordnungspolitisch konsequenten Wirtschaftspolitik begrüssten zwar die vom Nationalrat durchgesetzten Verschärfungen, sie hätten jedoch eine deutlichere Betonung des Wettbewerbsgedankens vorgezogen
[19].
Spürbar geringer fiel demgegenüber der allgemeine Zufriedenheitsgrad nach der parlamentarischen Behandlung des
Preisüberwachungsgesetzes für Waren und Leistungen marktmächtiger Unternehmen und Organisationen, namentlich von Kartellen, aus. Hauptstreitpunkt bei diesem Gesetz, das den 1982 vom Volk angenommenen Verfassungsartikel über die Preiskontrolle realisieren will, bildete die Frage, ob es auf den erwähnten Märkten sämtliche Preise für Güter und Dienstleistungen erfassen soll. Die Konfliktlinie im Parlament verlief ähnlich wie beim Kartellgesetz. Die Fraktionen der FDP, der SVP und der Liberalen sowie ein Teil der CVP plädierten für eine Nichtunterstellung der Zinsen auch in den Fällen, wo diese, wie etwa die Hypothekarzinsen, von regionalen Zinskonvenien festgelegt werden. Das ungehinderte Funktionieren dieser Abmachungen ist ihrer Meinung nach für die Existenz der kleinen Banken lebenswichtig. Zudem hielten sie dafür, dass die Entgelte für das Bereitstellen von Kapital (Zinsen) analog zu den Entschädigungen für den Einsatz von Arbeitskraft (Löhne) behandelt werden müssten. Der Bundesrat sprach sich im Sinne eines einheitlichen Wettbewerbsrechts gegen die Ausklammerung bestimmter Branchen aus; eine Gefährdung der Durchführung geldpolitisch begründeter Massnahmen der Nationalbank durch die Preisüberwachung hatte er in seinem Entwurf von vornherein ausgeschlossen. Unter Namensaufruf strichen der Nationalrat (90 : 79 Stimmen) und der Ständerat (25 : 7) die Kredite aus dem Kompentenzbereich des Preisüberwachers. Ebenfalls nicht zur Zufriedenheit der Initianten fielen die Entscheide in bezug auf die Überwachung von Preisen aus, die entweder von den Behörden festgelegt resp. genehmigt oder aber durch eine Verwaltungsinstanz kontrolliert werden. Gemäss Ratsbeschluss kommt dem Preisüberwacher im ersten Fall lediglich ein Empfehlungsrecht zu, im zweiten muss er nicht einmal — wie dies die Exekutive immerhin vorgeschlagen hatte — konsultiert werden. In persönlichen Erklärungen im Rat bezeichneten enttäuschte Vertreterinnen der Konsumenten, aber auch ein Sprecher der SP das Gesetz als nicht dem Verfassungsauftrag entsprechend. Erstere lehnten die Vorlage bei der Schlussabstimmung im Parlament ab, die SP und die äussere Linke enthielten sich der Stimme
[20]. Da im neuen Gesetz u.a. die Versicherungsprämien, die Spitaltaxen, die Verkehrstarife, die Hypothekarzinsen und die Preise für Landwirtschaftsprodukte der Verfügungsgewalt des Preisüberwachers entzogen sind, kann nach Ansicht der Kritiker davon kein namhafter Beitrag zur Tiefhaltung der Lebenskosten erwartet werden. Immerhin verzichteten die Opponenten in der Folge darauf, das Referendum zu ergreifen; die Fédération romande des consommatrices kündigte jedoch eine neue Volksinitiative an, in welcher unter anderem die Zinsen explizite Erwähnung finden sollen
[21].
Die Volkskammer befasste sich als Erstrat mit dem
Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb (UWG). Es geht dabei grundsätzlich um die Überarbeitung der in manchen Teilen veralteten Vorschriften aus dem Jahre 1943. Gleichzeitig wird aber von den kleinen Detailhändlern an diese Revision die Erwartung geknüpft, dass in die Vorlage wirksame Bestimmungen zu ihrem Schutz gegen die Konkurrenz der grossen Ladenketten eingebaut werden. Hauptstreitpunkt während der Beratungen war denn auch die Frage, in welchem Mass aus strukturpolitischen Motiven die Handels- und Gewerbefreiheit eingeschränkt werden darf. Insbesondere bürgerliche Politiker sahen sich dem Dilemma ausgesetzt, für einmal zugunsten der Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit durch den Staat plädieren zu müssen. Ein Nichteintretensantrag von W. Biel (l du, ZH) wurde indessen deutlich (121 : 11) abgelehnt. Ein vom gewerblichen Detailhandel sehr hoch eingeschätztes Element zur Verbesserung seiner Position bilden die Bestimmungen über die Lockvogelpreise. Mit knappem Mehr beschloss der Rat auf Antrag der Minderheit der vorberatenden Kommission, dass der unerlaubte Tatbestand bereits dann erfüllt sei, wenn Waren in der Werbung systematisch unter dem Einstandspreis angeboten werden; eine Täuschung des Konsumenten über die Leistungsfähigkeit des Anbieters brauche damit nicht verbunden zu sein. Entgegen dem Antrag des Bundesrats lehnte die Volkskammer im weitem die teilweise Liberalisierung der Ausverkaufsordnung ab. Obwohl in der heutigen Praxis der Vollzug dieser Vorschriften sehr erschwert ist und sich der gewerbliche Detailhandel selbst oft nicht daran hält, soll die kantonale Bewilligungspflicht auch für befristete Verkaufsaktionen (sogenannte Sonderverkäufe) beibehalten werden
[22]. Die Vertreter der kleinen Detailhändler zeigten sich vom Ausgang der Verhandlungen sehr befriedigt. Anders lautete der Kommentar ihrer Konkurrenten. Migros und Coop kritisierten das UWG in der vom Nationalrat verabschiedeten Form als unerträgliche Einschränkung des freien Wettbewerbs und bezeichneten die Bestimmungen über die Lockvogelpreise als polizeiliche Mindestpreisvorschrift; der drittgrösste Lebensmitteldetailist, Denner, drohte gar mit dem Referendum
[23].
Der Bundesrat beabsichtigt, den seit 1981 in der Verfassung stehenden Artikel über den Konsumentenschutz mit
neuen Gesetzesbestimmungen über die Konsumenteninformation und über das Vertragsrecht zu konkretisieren. Nachdem entsprechende Vorentwürfe in der Vernehmlassung vorwiegend positiv beurteilt worden waren, beauftragte die Landesregierung das EVD mit der Ausarbeitung einer Botschaft
[24].
Das sich seit Jahren im Stadium der parlamentarischen Verhandlungen befindende neue
Gesetz über das Konsum- und Kleinkreditwesen soll gemäss der Kommission des Nationalrats weiter entschärft werden. Die maximal zulässige Laufzeit will sie gegenüber dem Ständeratsbeschluss um ein weiteres Jahr auf 48 Monate (in wirtschaftlichen Notlagen gar 60 Monate) ausdehnen. Der ursprüngliche Vorschlag des Bundesrats hatte auf 18 Monate gelautet, der Nationalrat hatte sich 1982 für zwei Jahre entschieden. Als zusätzlicher Streitpunkt kristallisierte sich die Frage der Unterstellung der Kreditkarten heraus. Nach Ansicht der Konsumentenorganisationen müssten zumindest jene Karten einbezogen werden, bei denen die Rechnungen nicht innert Monatsfrist vollständig zu begleichen sind. Bei einem Verzicht darauf würde die Gefahr bestehen, dass die für Abzahlungsgeschäfte vorgesehenen Bestimmungen (z.B. Minimalanzahlung, Rücktrittsmöglichkeit) mit diesen neuen Zahlungsmitteln umgangen würden
[25].
[18] Amtl. Bull. NR, 1985, S. 1 ff., 1904 ff., 2130 und 2275; Amtl. Bull. StR, 1985, S. 568 ff., 691 ff. und 770; BBl, 1986, I, S. 47 ff. Vgl. auch SPJ, 1981, S. 60 f., 1982, S. 56 und 1984, S. 69. Der BR sprach sich im weitern für die Ablehnung ohne Gegenvorschlag der 1984 von der Detailhandelskette Denner eingereichten Volksinitiative für ein Kartellverbot im Konsumgüterhandel aus und beauftragte das EVD mit der Ausarbeitung einer entsprechenden Botschaft (Bund, 15.8.85).
[19] BaZ, 21.12.85; NZZ, 21.12.85. Zur Debatte um die ordnungspolitischen Aspekte vgl. auch die Stellungnahmen von R. Reich und W. Linder in Schweizer Monatshefe, 65/1985, S. 179 f. und 360. Allgemein zu den Kartellen in der Schweiz siehe Bilanz, 1985, Nr. 2, S. 58 ff.
[20] Amtl. Bull. NR, 1985, S. 60 ff., 211 ff., 1922 ff. und 2275 ff.; Amtl. Bull. StR, 1985, S. 551 ff. und 675 f.; BBl, 1986, I, S. 69 ff. Stimmenzahlen bei der Schlussabstimmung: 96: 23 (NR) und 15: 13 (StR). Zu den Zinskonvenien siehe auch C. Mati, «Der Einfluss der Zinskonvenien auf den Wettbewerb im Bankensektor», in Die Volkswirtschaft, 58/1985, S. 1 f.; TA, 1.3.85 sowie unten, Teil I, 4b (Banken). Zur Botschaft vgl. SPJ, 1984, S. 68 f. Zur Forderung nach Gleichbehandlung von Kapital- und Arbeitskosten siehe H. Allenspach, «Preisüberwachung als ordnungspolitische Gratwanderung», in SKA, Bulletin, 1985, Nr. 1/2, S. 2 ff.
[21] TW, 3.10.85; 24 Heures, 21.12.85. Die Initiative wurde anfangs 1986 lanciert (BBl, 1986, I, S. 902 ff).
[22] Amtl. Bull. NR, 1985, S. 813 W. Zum erwähnten Dilemma bürgerlicher Politiker vgl. beispielsweise NR Eisenring (cvp, ZH) in Amtl. Bull. NR, 1985, S. 858 und wf, Dok., 23, 10.10.85.
[23] Schweiz. Detailisten-Zeitung, 5, 28.5.85 ; 6/7, 25.6.85 ; SGB, 18, 13.6.85 ; E. Nobel-Rüefli, «Die Erosion des Wettbewerbs», in Die Volkswirtschaft, 58/1985, S. 481 f. Vgl. auch SPJ, 1983, S. 72 und 1984, S. 69.
[24] NZZ, 4.7.85; Gesch.ber., 1985, S. 269; vgl. auch SPJ, 1984, S. 69 f. Siehe ferner H.-J. Mosimann, Befangenheit im Konsumentenschutz? Bundesbehörden im Widerstreit der Interessen, Diessenhofen 1985.
[25] TA, 16.1.85; Schweiz. Detailisten-Zeitung, 2, 21.2.85.
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