Année politique Suisse 1987 : Economie / Agriculture
Agrarpolitik
Das Unbehagen über eine Landwirtschaft, welche Böden, Gewässer und die Bundeskasse belastet, wächst seit Jahren kontinuierlich und war 1986 mit der Verwerfung des revidierten Zuckerbeschlusses manifest geworden. Dieses Nein des Souveräns wie auch – auf der anderen Seite – die sich mehrende Unzufriedenheit der Bauern wegen ihres Einkommensrückstands führte bei Agrarpolitikern wie bei den bäuerlichen und Umweltschutzorganisationen zu intensiven Überlegungen, wie bei gleichzeitiger Sicherung des bäuerlichen Einkommens der umweltbelastenden Überschussproduktion in der Landwirtschaft wirksam zu begegnen sei. Dabei konnte eine deutliche Klimaveränderung in den agrarpolitischen Diskussionen festgestellt werden.
In seinen agrarpolitischen Leitlinien und anderen
programmatischen Entwürfen nennt der
Schweizerische Bauernverband (SBV) als vordringliche Aufgabe die Sanierung des namentlich in den Bereichen Milch, Fleisch und Getreide übersättigten Marktes mittels Selbsthilfemassnahmen. Flankierend dazu erwartet er von Seiten des Bundes eine Allgemeinverbindlichkeits-Erklärung der entsprechenden Verbandsbeschlüsse. Weiter signalisiert der SBV eine Öffnung gegenüber Direktzahlungen, auch wenn er primär an der Einkommenssicherung über den Preis festhalten will. Bezüglich der Direktzahlungen schränkt er allerdings ein, dass diese nicht generell sein dürfen, da ihnen sonst ein Geruch von Almosen anhafte; sie müssten vielmehr gezielt und mit ökologischen Auflagen erfolgen. Mit diesen beiden Massnahmen hofft der SBV, den landwirtschaftlichen Markt sanieren zu können, vorausgesetzt, diese Bestrebungen werden nicht durch Billigimporte unterlaufen. Er verlangt daher vom Bund entsprechende handelspolitische Eingriffe. Diese Trendwende beim SBV schlug sich bei der jährlichen Eingabe zur Einkommenssicherung an den Bundesrat nieder: Der SBV verzichtete aufgrössere Preisforderungen und begehrte statt dessen Unterstützung bei den Selbsthilfemassnahmen und Direktzahlungen nach Art. 19 des Landwirtschaftsgesetzes (LWG) an kleinere und mittlere Bauernbetriebe. Die Landesregierung trat nur auf die Forderungen nach Direktzahlungen ein und lehnte die anderen Begehren aus rechtlichen und politischen Gründen – wie der Uruguay-Runde des GATT, befürchteten Gegenmassnahmen von aussenpolitischen Handelspartnern sowie der Opposition der Importeure und Konsumenten – ab. Dies führte beimSBV zu einer Ernüchterung, welche sich Ende Jahr in erneuten, diesmal wieder traditionellen Preisforderungen niederschlug
[1].
Für eine
Ausweitung der Direktzahlungen sprach sich auch die FDP-Fraktion der Bundesversammlung in ihren Agrar-Thesen aus: Diese sollen als Gegenleistung für ein umweltgerechtes Produktionsverhalten im Rahmen der Oberziele der Agrarpolitik (Vorsorge für Zeiten gestörter Zufuhr, Schutz und Pflege der Kulturlandschaft, Erhaltung der dezentralen Besiedlungsstruktur) verstanden werden. Ein weiteres Instrument gegen die Überproduktion und zur Förderung der Extensivierung der Landwirtschaft sehen die Freisinnigen in der Einführung von Vorzugspreisen für Qualitätserzeugnisse aus umweltgerechter Produktion. Beide Konzepte bedürfen ihrer Meinung nach einer aussenhandelspolitischen Absicherung
[2].
Ebenfalls und schon Jahre vor der FDP sieht der LdU in Direktzahlungen ein Instrument zur Drosselung der Überproduktion. Nach seinen Vorstellungen soll eine Reform der Landwirtschaftspolitik dahingehend durchgeführt werden, dass das bäuerliche Einkommen nicht mehr zur Hauptsache über den Preis garantiert, sondern durch produktionsunabhängige Direktzahlungen ergänzt wird. Diese sollen an ökologische und strukturpolitische — im Sinne der Erhaltung einer dezentralen Besiedlung des Landes — Auflagen gebunden sein. Finanziert werden könnten diese Beiträge mit Abgaben auf Düngemitteln und Agrochemikalien sowie mit einer Umlagerung der bisherigen Landwirtschaftssubventionen. Zur Realisierung dieser Reform bedarf es nach dem LdU Grenzschutzmassnahmen gegen Dumpingpreise. Diese Forderungen werden in ähnlicher Form ebenfalls vom Konsumentinnenforum der deutschen Schweiz erhoben
[3].
Radikaler als die oben genannten agrarpolitischen Reformvorstellungen sind jene der Gruppe Neue Agrar Politik (NAP), welche sich aus Personen der Grünen, des LdU und der SPS sowie von Umweltschutzorganisationen (SBN, SGU, WWF) und Biolandbau-, Drittwelt- und Konsumentenorganisationen zusammensetzt. Deren Sympathien für differenzierte Preise — anstelle von Direktzahlungen — sind offensichtlich. Mit der Lancierung einer eigenen Volksinitiative will sie noch zu warten bis zur Volksabstimmung über die Kleinbauern-Initiative
[4].
Die Vereinigung zum Schutze der kleinen und mittleren Bauern (
VKMB) sah sich mit ihrem
Konzept der Preisdifferenzierung durch die sich anbahnende Konsensfindung der meisten Agrarpolitiker in Richtung von vermehrten Direktzahlungen stark in die Defensive gedrängt. Als ungerecht empfand sie ferner die von den verschiedenen landwirtschaftlichen Verbänden beschlossenen Selbsthilfemassnahmen und rief daher ihre Mitglieder auf, diese zu boykottieren; es sei nicht Sache der kleinen und mittleren Bauern, die Fehler der Grossbauern auszubaden. Ungehalten zeigte sich die VKMB auch über eine Äusserung des Vizedirektors des SBV, Hans Dickenmann, wonach der schweizerischen Landwirtschaft besser mit weniger, aber existenzfähigen Bauernbetrieben gedient sei. In einer Protestresolution verlangten die Kleinbauern die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission, welche abkläre,.wo in der Agrarpolitik dem LWG – speziell dem Grundsatz der Erhaltung eines gesunden Bauernstandes – zuwidergehandelt wurde, wer dies zu verantworten habe und wie die Fehlentwicklung rückgängig gemacht werden könne
[5].
Mit einer Petition "zur Förderung einer chemiefreien Landwirtschaft" an den Bundesrat und die Kantonsregierungen trat die neu gegründete "Bio-Stiftung Schweiz" an die Öffentlichkeit; ihr gehören Vertreterinnen und Vertreter von Umweltschutz- und Konsumentenorganisationen sowie eidgenössische Parlamentarier aus der SPS, dem LdU und der GPS an. Die Kantone werden in der Petition ersucht, den biologischen Landbau offiziell zu anerkennen und zu fördern; für Landwirte, welche auf den biologischen Landbau umsteigen, sollen ferner für die ersten Jahre Überbrückungskredite gewährt werden. Auf Bundesebene verlangt die Petition die Anerkennung der Anbau- und Kontroll-Richtlinien, die sich die Bio-Produzenten auf privatrechtlicher Basis bereits selber auferlegt haben. Weiter soll sich der Bundesrat für gerechte Preise für umweltschonende Produkte einsetzen.
Die in der Petition geforderte
Bundesregelung des Bio-Landbaus ist seit 1974, als die Arbeitsgruppe "Biologischer Landbau" der Eidgenössischen Ernährungskommission den ersten "Bio-Bericht" vorlegte, in Diskussion. Aufgrund der kontroversen Reaktionen von 1985 auf einen Entwurf der Bio-Verordnung erlahmten die Bemühungen um eine staatliche Regelung: Nach Meinung des Bundesamtes für Gesundheitswesen (BAG) bietet das Lebensmittelgesetz keine genügende Grundlage für eine Bio-Verordnung. Es beantragte daher dem Bundesrat, das Dossier an das Bundesamt für Landwirtschaft zu übergeben; dieses winkte jedoch ab. Überraschend beschloss der Ständerat in der Herbstsession, die Regelung des biologischen Landbaus in das neue Konsumenteninformationsgesetz zu integrieren. Dieses sieht Warendeklarationen vor, die von den Vertretern der Konsumenten und der Wirtschaft – in diesem Fall der Bio-Bauern – auszuhandeln sind. Die Regelung wird also voraussichtlich, wie bis anhin, privatrechtlicher Natur bleiben
[6].
Dass die Landwirtschaft trotz heftiger Auseinandersetzungen über den zukünftigen Kurs auf viel Sympathie in der Bevölkerung zählen kann, belegt eine vom Landwirtschaftlichen Informationsdienst (LID) in Auftrag gegebene repräsentative Umfrage. Die Untersuchung stellt weiter fest, dass 70% der Bevölkerung eine umweltfreundlichere Produktion bejahen, auch wenn dadurch die Produkte teurer werden; eine grosse Mehrheit lehnt ferner zusätzliche billige Nahrungsmittelimporte ab, wenn deswegen in der Schweiz weniger produziert werden könnte oder gar Betriebe aufgegeben werden müssten. Dass der Staat der Landwirtschaft mit Subventionen unter die Arme greifen muss, wird von 90% der Befragten für nötig erachtet, doch ist knapp die Hälfte davon mit der heutigen Ausgestaltung der Subventionen unzufrieden. Als besonders unterstützungswürdig werden die Bergbauern (94%), die kleineren und mittelgrossen Betriebe (92%) und die ökologisch geführten Betriebe (70%) eingestuft. Demgegenüber ist nur jeder zehnte der Meinung, dass der Bund grundsätzlich alle Landwirtschaftsbetriebe, also auch die Grossbetriebe, unterstützen soll. In dieser Frage sind die Romands weit weniger restriktiv als die Deutschschweizer, was wohl mit dem in der Westschweiz weiter fortgeschrittenen Strukturwandel in der Landwirtschaft zusammenhängt
[7].
[1] BZ, 3.1.87; LID-Pressedienst, 1482, 20.2.87; 1521, 20.11.87; BaZ, 7.3., 24.3. und 9.5.87; LID, Dok., 279, 17.11.87; Presse vom 18.11.87; Der Monat in Wirtschaft und Politik, 1987, Nr. 10. Siehe auch SGT, 8.4.87; wf, AD, 15, 11.4.87 und 28, 13.7.87; Ww, 28.5.87; wf, KK, 30, 27.7.87; TAM, 14.11.87. Direktzahlungen: SHZ, 17.9.87; NZZ, 10.11.87. Der Ständerat überwies eine Motion Debétaz (fdp, VD), welche die von den Produzenten eingeleiteten Selbsthilfemassnahmen als allgemeinverbindlich erklären wollte, nur als Postulat (Amtl. Bull. StR, 1987, S. 156 ff.; Presse vom 20.3.87. Siehe auch unten (tierische Produktion) und Teil IIIb (Einleitung). Vgl. ferner SPJ, 1986, S. 96 f.
[2] Agrar-Thesen der FDP-Fraktion der Bundesversammlung", in Politische Rundschau, 66/1987, Nr. 2; Presse vom 27.5.87.
[3] LdU: BaZ, 29.1.87; LNN, 31.1.87; Freitung, 3.4.87; SZ, 2.9.87; Ww, 12.12.87; Der Monat in Wirtschaft und Politik, 1987, Nr. 10. Siehe ferner die als Postulat überwiesene Motion Jäger (Idu, SG) für eine Lenkungsabgabe auf landwirtschaftlichen Hilfsstoffen (Amtl. Bull. NR, 1987, S. 988 f.) sowie jene der LdU/EVP-Fraktion für eine Landwirtschaft ohne Gift (Amtl. Bull. NR, 1987, S. 987). Konsumentinnenforum: BaZ, 30.6.87. Siehe auch die Stellungnahmen der übrigen Parteien zur Landwirtschaftspolitik: Bund, 29.4.87; wf, Dok., 35, 31.8.87 (Beilage); NZZ, 31.8.87; TA, 9.9.87; LID-Pressedienst, 1511, 11.9.87. Vgl. ferner SPJ, 1986, S. 96.
[4] SZ, 21.1.87; TA, 22.1.87; WoZ, 20.2. und 18.12.87; Ww, 29.10.87.
[5] Presse vom 26.1.87; Gnueg Heu dune!, 1987, Nr. 2 und 3; Vat., 30.12.87. Siehe auch das Votum des Freiburger Sozialdemokraten Piller zu den Selbsthilfemassnahmen (Amtl. Bull. StR, 1987, S. 158) und die Interpellationen Zwygart (evp, BE) und Piller (sp, FR) betreffend die Verfassungsmässigkeit der Landwirtschaftspolitik (Amtl. Bull. NR, 1987, S. 1515 ff. und Amtl. Bull. StR, 1987, S. 327 f.) sowie SPJ, 1986, S. 96.
[6] Amtl. Bull. StR, 1987, S. 538 ff. und 544 ff.; BZ, 10.2.87; NZZ, 11.2.87; BaZ, 27.8.87; TA, 27.8. und 23.12.87; Presse vom 28.8.87. Siehe auch die als Postulat überwiesene Motion Weder (Idu, BS) zur Förderung des biologischen Landbaus (Amtl. Bull. NR, 1987, S. 1858) sowie die verschiedenen Vorstösse zur Förderung einer ökologischen Landwirtschaft (Amtl. Bull. NR, 1987, S. 520, 525 f., 987 f. und 996 f.). Vgl. ferner AT, 23.1.87; SHZ, 30.4.87 sowie SPJ, 1985, S. 92.
[7] LID-Pressedienst, 1510, 4.9.87; Presse vom 4.9.87.
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