Année politique Suisse 1988 : Partis, associations et groupes d'interêt / Associations et autres groupes d'interêt
Arbeitnehmer
Neben den Verhandlungen über neue Gesamtarbeitsverträge, über die wir an anderer Stelle berichten, stand 1988 die Volksabstimmung über die
Arbeitszeitverkürzungsinitiative des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) im Zentrum der Aktivitäten. Obwohl der SGB auf die Unterstützung sowohl des Christlichnationalen Gewerkschaftsbundes (CNG) und des Landesverbands freier Schweizer Arbeitnehmer (LFSA) als auch der linken und grünen Parteien zählen konnte, wurde die Initiative am 4. Dezember mit einem JaStimmenanteil von lediglich 34,3% klar abgelehnt
[21].
Die Sicherung der Altersvorsorge bildete weiterhin ein wichtiges Betätigungsfeld für die Arbeitnehmerorganisationen. Die Delegierten des VPOD beauftragten am Jahreskongress ihren Vorstand – gegen dessen Willen – mit der Vorbereitung einer Volksinitiative für die Schaffung einer Volkspension. Der Schweizerische Kaufmännische Verband (SKV) lancierte eine Volksinitiative für die volle Freizügigkeit bei der 2. Säule, welche auch vom SGB aktiv unterstützt wurde
[22].
Die Parolen der Gewerkschaften zu den eidgenössischen Abstimmungen stimmten auch 1988 weitgehend unter sich, aber auch mit denjenigen der SP überein. Sowohl der SGB als auch der CNG empfahlen die Koordinierte Verkehrspolitik, die POCH-Initiative für eine Senkung des AHV-Alters und die 40-Stundenwoche-Initiative des SGB zur Annahme und die Überfremdungsinitiative der Nationalen Aktion zur Ablehnung. Der CNG unterstützte zudem – wie die SP – auch die Stadt-Land-Initiative, während hier beim SGB das zur Ja-Parole notwendige qualifizierte Mehr knapp verfehlt wurde. Dass sich der im allgemeinen eher dem Freisinn nahestehende LFSA ebenfalls hinter die POCH-Initiative und die Arbeitszeitinitiative des SGB stellte, entsprach nicht unbedingt den Erwartungen. Die Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände (VSA) lehnte hingegen die POCH-Initiative ab und gab zu derjenigen des SGB die Stimme frei
[23].
Der Schweizerische Metall- und Uhrenarbeitnehmerverband (
SMUV) führte vom 3.–5. November in Bern nicht nur seinen Jahreskongress durch, sondern feierte zugleich auch sein 100jähriges Bestehen. Die Delegierten bestätigten den bisherigen verbandspolitischen Kurs und lehnten – einmal mehr – eine Relativierung der absoluten Friedenspflicht deutlich ab. Anstelle des zurücktretenden Fritz Reimann wählten sie den 59jährigen Schaffhauser
Agostino Tarabusi zum neuen Präsidenten. Auch mit dieser Wahl wurde ein klares Zeichen zugunsten der Fortführung der bisherigen Verhandlungspolitik gesetzt
[24].
Die Zahl der Mitglieder des
Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) sank im Berichtsjahr um 617 (-0,1%) auf 442 020. Dieser leichte Rückgang war ausschliesslich auf die Entwicklung bei den männlichen Organisierten zurückzuführen; die Zahl der weiblichen Mitglieder erhöhte sich im Vergleich zum Vorjahr um 1 441 (+2,6%) auf 56 090, was einem Anteil von 12,7% entspricht. Besonders attraktiv schien für die Frauen der SMUV zu sein, stieg hier doch die Zahl der Gewerkschafterinnen um 1 043 (+8,0%) an. Dieser Zuwachs reichte allerdings nicht aus, um den nach wie vor starken Rückgang bei den männlichen SMUV-Mitgliedern (-2 301 resp. -2,2%) zu kompensieren. Die PTT-Union, welche mit Demonstrationen und anderen Aktionen für Lohnzulagen und bessere Arbeitsbedingungen gekämpft hatte, verzeichnete unter den dem SGB angeschlossenen Verbänden den absolut stärksten Zuwachs. Die grösste Einzelgewerkschaft blieb mit 118 981 Mitgliedern (+0,3%) die Gewerkschaft Bau und Holz. Die 338 Mitglieder zählende Vereinigung des schweizerischen Flugsicherungspersonals (VSFP) stiess als sechzehnter Verband zum SGB. Diese neue Gewerkschaft war im Zusammenhang mit der Entflechtung der Radio Schweiz AG entstanden, deren Personal bisher im ebenfalls dem SGB angeschlossenen Verband Schweizerischer Telefon- und Telegrafenbeamter organisiert gewesen war
[25].
Von der Verlagerung der Arbeitsplätze vom 2. zum 3. Sektor und innerhalb des 2. Sektors von den Fabrikhallen und Werkstätten in die Büros ist der
Schweizerische Metall- und Uhrenarbeitnehmerverband (SMUV) in besonderem Ausmass betroffen. Er erwartet jedoch von der im Berichtsjahr abgeschlossenen neuen Vereinbarung in der Maschinenindustrie (Friedensvertrag) positive Auswirkungen auf seine Mitgliederwerbung. Dieser Gesamtarbeitsvertrag ist zum erstenmal als Einheitsvertrag konzipiert, was bedeutet, dass sich sein Geltungsbereich auf die Beschäftigten sowohl des Werkstatt- als auch des Bürobereichs erstreckt. Obwohl an diesem Vertrag auch die Angestelltenverbände als Vertreter des Büropersonals beteiligt sind, erhofft sich der SMUV von der Neuerung eine Ausdehnung des Rekrutierungsfeldes. Zudem erlaubt sie ihm, auch für diejenigen Mitglieder zuständig zu bleiben, die in den Betrieben vom Produktions- in den Planungs- und Entwicklungsbereich gewechselt haben
[26].
Der
Christlichnationale Gewerkschaftsbund (CNG) konnte wie bereits im Vorjahr einen Mitgliederzuwachs verzeichnen; er betrug 1345 Personen (+1,3%) und führte zu einem Bestand von 108 798. Diese Entwicklung hatte ihre Ursache in der äusserst erfolgreichen Mitgliederwerbung des Christlichen Holz- und Bauarbeiterverbandes, der seinen Bestand innert Jahresfrist um 5130 Personen (+13,1°/o) erhöhen konnte. Dieser Zuwachs reichte aus, um den Aderlass, der durch den Austritt der Westschweizer Sektionen der Verbände des Christlichen Staats- und Gemeindepersonals resp. der Christlichen Angestellten entstanden war, auszugleichen. Diese Sektionen hatten sich der autonomen gewerkschaftlichen Vereinigung
Confédération romande du travail (CRT) angeschlossen. Diese in der Deutschschweiz praktisch unbekannte Organisation gibt es seit 1972; sie ist vor allem im Tertiärsektor tätig (wo sie auch einige Gesamtarbeitsverträge mitunterzeichnet hat) und zählt rund 5000 Mitglieder
[27].
Die in der
Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände (VSA) zusammengeschlossenen Organisationen bekundeten Mühe, ihre Mitgliederbestände zu halten. Der Bestand des Schweizerischen Kaufmännischen Verbands stagnierte bei 77 172, und gesamthaft reduzierte sich die Mitgliederzahl um 790 auf 146 450 (-0,5%), wovon 38 826 oder 26,5% Frauen sind. Auch dem
Bankpersonalverband, dem stärksten unter den nicht dem VSA angehörenden Angestelltenverbände, gelang es nicht, aus den Veränderungen der Erwerbsstruktur Profit zu schlagen. Seine Mitgliederzahl bildete sich im Berichtsjahr um 400 auf 26 555 zurück und lag damit — trotz einer Zunahme der in diesem Bereich Beschäftigten um eut 15% — nur um 1,5% höher als 1985
[28].
Am 16. April beschlossen in Bern rund 60 Frauen, welche zu einem Teil bisher innerhalb des SGB aktiv gewesen waren, die Gründung einer
Frauengewerkschaft Schweiz (FGS). Als wichtiges Motiv für die Gründung wurde die Frustration über die mangelhafte Berücksichtigung von Frauenanliegen durch die bestehenden Gewerkschaften genannt. An der Versammlung anwesende prominente Gewerkschafterinnen bekundeten zwar ihr Verständnis für diese Unzufriedenheit, sie warnten aber davor, dass die Neugründung zu einer Spaltung und damit zu einer Schwächung der gewerkschaftlich und feministisch engagierten Frauen führen könnte
[29]. Gemäss ihrer Programmplattform wollen die Initiantinnen den Arbeitsbegriff erheblich weiter fassen als die Gewerkschaften und auch die Interessen der nichterwerbstätigen Frauen vertreten. Die in der Plattform angeführten Forderungen erstrecken sich weit über das traditionelle gewerkschaftliche Kampfgebiet des Arbeitsmarktes hinaus und umfassen auch Bereiche wie Landesverteidigung, Frieden, Entwicklungspolitik, Bildung, Energie, Forschung und Sexualstrafrecht. Welche Strategie die neue Gewerkschaft, die weder an den SGB noch an einen andern Dachverband angeschlossen ist, anwenden und an wen sie ihre Forderungen richten wird, blieb noch unklar. Nicht bloss von Gewerkschaftsseite wurde eingewendet, dass angesichts der Breite des Forderungsspektrums der FGS eher die Gründung einer Frauenpartei angebracht gewesen wäre. Auf diesen Vorwurf entgegneten die Gründerinnen, dass sie Parteistrukturen und Parlamentarismus nicht für geeignete Mittel zur Herbeiführunp von wirklichen Veränderungen halten
[30]. Bis zum Jahresende konnte die neue Organisation ihren Mitgliederstand auf 300 erhöhen, wobei sich darunter nach eigenen Angaben viele Frauen befinden, die bisher weder politisch noch gewerkschaftlich aktiv gewesen sind. Die Tätigkeitsschwerpunkte lagen einstweilen im Aufbau einer internen Struktur und in der Erarbeitung von Positionen zu verschiedenen Themen
[31].
Der Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) stellte die Gleichberechtigung der Geschlechter am Arbeitsplatz ins Zentrum seines Jahreskongresses vom 23.–25. Juni in Zürich. Er verabschiedete einen umfangreichen Katalog von Frauenförderungsmassnahmen und kündigte an, dass er sein Engagement in Bereichen mit besonders tiefen Löhnen und hohem Frauenanteil, wie etwa dem Gesundheitswesen, verstärken will. Aber auch organisationsintern sollen die Frauen vermehrt zum Zuge kommen. Als erste Gewerkschaft der Schweiz beschloss der
VPOD eine
Quotenregelung bei der Besetzung der Leitungsgremien: Die Frauen sollen in Zukunft in der Geschäftsleitung und im Vorstand mindestens entsprechend ihrem Mitgliederanteil (zur Zeit 22%) vertreten sein. Ein weiter gehender Antrag, der diese Quote auf mindestens 40% festlegen wollte, wurde hingegen deutlich abgelehnt
[32].
[21] Siehe dazu oben, Teil I, 7a (Temps de travail und Conventions collectives de travail).
[22] VPOD: Presse vom 27.6.88. SKV: BBl, 1988,111, S. 712 ff.; NZZ, 4.7. und 8.9.88 (SGB). Siehe oben, Teil I, 7c (AVS und Prévoyance professionnelle).
[23] TA, 11.6.88; NZZ, 30.11.88. Zu den Parolen des LFSA siehe auch NZZ, 10.5. und 10.10.88 sowie LFSA, Jahresbericht 1987/1988, S. 96 f.
[24] NZZ, 4.11., 5.11. und 7.11.88; SMUV-Zeitung, 2.11. und 9.11.88. Vgl. auch BZ, 7.11.88 (Interview mit Tarabusi) und WoZ, 11.11.88.
[25] H. Anderegg, "Mitgliederentwicklung der schweizerischen Gewerkschaften im Jahr 1988", in Gewerkschaftliche Rundschau, 81/1989, S. 83 ff. Vgl. auch H. Schäppi, "Mobilisierung hat Vorrang", in Diskussion, 1988, Nr. 6, S. 4 ff. sowie SPJ 1987, S. 313.
[26] NZZ, 4.7.88; SMUV-Zeitung, 6.7. und 3.8.88. Vgl. auch Bilanz, 1988, Nr. 5, S. 67 ff.; B. Bollinger, "Hat die Zukunft des SMUV Geschichte?", in Diskussion, 1988, Nr. 6, S. 26 f. sowie oben, Teil I, 7a (Conventions collectives de travail).
[27] H. Anderegg, a.a.O., S. 83 ff. Zur CRT siehe Diskussion, 1988, Nr. 6, S. 29 f.
[28] H. Anderegg, a.a.O., S. 83 ff.
[29] TW, 12.4., 18.4., 20.4. und 23.4.88 (R. Dreyfuss); Presse vom 18.4.88. Vgl. auch oben, Teil I, 7d (Condition de la femme).
[30] FGS–Frauengewerkschaft Schweiz, Plattform, Bern 1988 sowie Lit. Engeloch. Vgl. auch S. Brander in WoZ, 22.4.88.
[31] TA, 19.11.88; NZZ, 28.12.88. Siehe auch WoZ, 9.9.88.
[32] Presse vom 24.6., 25.6. und 27.6.88; VPOD – Les services publics, 19.5., 23.5., 30.6. und 7.7.88. Siehe auch WoZ, 24.6.88.
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