Année politique Suisse 1988 : Infrastructure, aménagement, environnement / Transports et communications
 
Generelle Verkehrspolitik
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KVP
Am 12. Juni lehnten Volk und Stände die beiden Verfassungsartikel für eine Koordinierte Verkehrspolitik (KVP) in der Volksabstimmung mit 797 955 Ja zu 955 300 Nein und neunzehn gegen vier Standesstimmen ab. Damit scheiterte das in rund zwanzigjähriger Arbeit in Expertenkommissionen, Verwaltung, Regierung und Parlament entwickelte Projekt für eine klarere verfassungsrechtliche Ordnung der Zuständigkeiten in der Verkehrspolitik. Zustimmung fand die Vorlage lediglich in den beiden Basel, in Graubünden sowie in den "Gotthardkantonen" Uri und Tessin [1].
Bereits bei der 1986 erfolgten parlamentarischen Differenzbereinigung hatte sich gezeigt, dass in den bürgerlichen Parteien die Opposition gegen die KVP gewachsen war. Diese Tendenz konkretisierte sich beim Entscheid der FDP und der SVP über die Abstimmungsparole. Obwohl deren Fraktionen die Vorlage im Parlament unterstützt hatten, empfahlen die nationalen Parteien ein Nein. Während dieser Entscheid bei den Delegierten des Freisinns mit deutlichem Mehr (142:20 Stimmen) ausfiel, war er bei der SVP recht umstritten. Die Delegiertenversammlung sprach sich zwar mit 97:74 Stimmen für die Verwerfung der aus dem Departement ihrer Bundesräte Schlumpf und Ogi stammenden KVP aus, die Hälfte der Kantonalsektionen, darunter diejenigen Berns und Graubündens, setzten sich jedoch für die KVP ein. Die beiden andern Regierungsparteien, CVP und SP, die Grünen, der LDU, die EVP, die äussere Linke und die NA sowie die Umweltschutzverbände, der Bauernverband und die Gewerkschaften gehörten zu den Befürwortern. Ihnen gegenüber standen neben der FDP und der SVP auch die Liberalen und die Auto-Partei sowie der Vorort, der die KVP ursprünglich recht positiv beurteilt hatte, sich aber nach einer Konsultation seiner Mitgliederverbände zu einem Nein entschloss. Am tatkräftigsten für die Verwerfung der KVP setzten sich der Schweizerische Gewerbeverband und der Schweizerische Strassenverkehrsverband (FRS) ein, welchem neben dem ACS und dem TCS die Verbände des Autogewerbes und der privaten Transportunternehmen angehören [2].
In der Kampagne vor dem Urnengang wurde die KVP von Befürworterseite als vernünftige und umweltgerechte Konzeption vorgestellt, welche es namentlich erlauben werde, Massnahmen gegen den Transit-Schwerverkehr zu ergreifen und den Ausbau des regionalen öffentlichen Verkehrs zu unterstützen. Die Gegner, die wesentlich mehr finanzielle Mittel für ihre Propaganda einsetzen konnten, kritisierten die Verfassungsartikel über die KVP als unklare " Gummiartikel", die dem Bundesrat zu viele Kompetenzen einräumen würden. Ihr Hauptargument bezog sich freilich auf die in der KVP vorgesehene Möglichkeit, unter bestimmten Umständen Abgaben der motorisierten Strassenbenützer für die Belange des öffentlichen Verkehrs einsetzen zu können. Sie behaupteten in ihren Inseraten, dass damit Tür und Tor für einen Raubzug auf den Geldbeutel der Automobilisten und für eine masslose Subventionierung der öffentlichen Verkehrsmittel geöffnet würden [3].
Im Abstimmungsergebnis zeigte sich eine Konstellation, wie sie bei Vorlagen, welche die Interessen der Automobilisten tangieren, in den letzten Jahren wiederholt vorgekommen war: Die KVP kam in der Deutschschweiz bedeutend besser an als in der Westschweiz und fand in den Städten mehr Befürworter als auf dem Land. Eine Analyse auf Gemeindeebene ergab zudem, dass die KVP auch in Gemeinden, welche einen hohen Anteil an Berufstätigen aufweisen, die ausserhalb ihres Wohnorts arbeiten (sogenannte Wegpendler), im allgemeinen schlechte Resultate erzielte. Eine unmittelbar nach dem Urnengang durchgeführte Umfrage bestätigte die Vermutung, dass die Automobilisten die Vorlage mehrheitlich ablehnten. In bezug auf die Entscheidmotive ergab sich in der Umfrage eine Übereinstimmung der wichtigsten Ablehnungsgründe mit den in der Gegenpropaganda vorgebrachten Argumenten: Die Ansicht, dass es sich bei der KVP primär um die Einführung von zusätzlichen finanziellen Belastungen für die Automobilisten gehandelt hätte, wurde neben dem Vorwurf, dass die Vorlage zu wenig klar gewesen sei, am häufigsten genannt [4].
Koordinierte Verkehrspolitik (KVP). Abstimmung vom 12. Juni 1988
Beteiligung: 41,9%
Ja: 797 955 (45,5%) / 4 Stände
Nein: 955 300 (54,5%) / 19 Stände

Parolen:
- Ja: CVP*, SP, GPS, LDU*, EVP, GBS, POCH, PdA, PSA, NA, CSP, Junge SVP; SBV, SGB, CNG, VSA, LFSA; VCS, SBN, SGU, WWF, SAB.
- Nein: FDP*, SVP*, LP, AP; SGV, Vorort; FRS, ASTAG, ACS, TCS.
* abweichende Kantonalsektionen
Bei aller Enttäuschung über den negativen Ausgang der Abstimmung deutete der Bundesrat das Verdikt nicht als Signal für eine Kehrtwendung in der Verkehrspolitik. Da die Ziele eines möglichst umweltverträglichen Strassenverkehrs und einer gezielten Förderung des öffentlichen Verkehrs auch von den Gegnern der KVP nicht in Frage gestellt worden waren, sollen sie gemäss Bundesrat, Ogi weiterhin oberste Leitlinie der eidgenössischen Verkehrspolitik bleiben. Die Behörden standen auch nicht vor einem Scherbenhaufen, denn verkehrspolitische Massnahmen wie der Ausbau des öffentlichen Verkehrs im Rahmen des Projekts Bahn 2000, der Leistungsauftrag an die SBB, die neue Regelung über die Verwendung der Treibstoffzölle, die Schwerverkehrsabgabe und die Autobahnvignette hatten auch ohne die KVP-Artikel beschlossen werden können [5].
Der Hauptgegner der KVP, der Schweizerische Strassenverkehrsverband (FRS), gab sich nach seinem Sieg recht gemässigt und betonte, dass er sich mit einer gezielten Förderung des öffentlichen Verkehrs – insbesondere in den Agglomerationen – durchaus einverstanden erklären könne. Er koppelte dieses Angebot allerdings an die Bedingung, dass auf Benzingelder zur Finanzierung des öffentlichen sowie auf dirigistische Massnahmen zur Reduktion des privaten Verkehrs verzichtet werde [6].
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Güterverkehr
Noch vor der Abstimmung über die KVPVorlage hatte das Parlament diskussionslos zwei gleichlautenden freisinnigen Postulaten zugestimmt, welche den Bundesrat aufforderten, ein Gesamtkonzept für den Güterverkehr vorzulegen. Dieses soll insbesondere auch Vorschläge für eine optimale Zusammenarbeit zwischen privatem Transportgewerbe und öffentlichem Verkehr enthalten [7]. Anlässlich der Behandlung der Regierungsrichtlinien überwies der Nationalrat eine Motion der SP in Postulatform, welche rasche Massnahmen zur Förderung einer Umlagerung der Strassenferntransporte auf die Schiene verlangte [8].
Durch den vermehrten Direktanschluss von Firmen an das Bahnnetz könnte die Stellung der Bahnen im Konkurrenzkampf um die Gütertransporte gestärkt werden. Seit 1986 kann der Bau dieser Anschlüsse mit Treibstoffzollgeldern vom Bund gefördert werden. Ihre Realisierung scheitert aber nicht selten am Widerstand von Grundeigentümern, welche sich weigern, ein Durchfahrtsrecht zu gewähren oder das benötigte Land zu verkaufen. Nachdem der Vorentwurf für die Revision des aus dem Jahre 1874 stammenden Anschlussgleisgesetzes in der Vernehmlassung positiv aufgenommen worden war, legte der Bundesrat dem Parlament eine entsprechende Botschaft vor. Als wichtigste neue Bestimmung ist im Gesetzesentwurf ein Enteignungsrecht für die Erstellung von Anschlussgeleisen vorgesehen. Voraussetzung dazu bilden allerdings der Nachweis, dass die Anlage namentlich aus Gründen der Verkehrs- oder der Umweltschutzpolitik einem öffentlichen Interesse entspricht, und eine Abwägung gegenläufiger Ansprüche Dritter [9].
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Transitprobleme
Die Stellung der Schweiz in der politischen Auseinandersetzung über die Bewältigung des europäischen Transitverkehrs ist im Berichtsjahr nicht besser geworden. Die zuständigen Instanzen der Europäischen Gemeinschaft verabschiedeten im Verlauf des Jahres Resolutionen und Mandate. zur Verhandlungsführung mit den nicht der EG angehörenden Alpentransitländern Schweiz, Österreich und Jugoslawien, die eine klare Verhärtung der Positionen bedeuten. Generell wurde die freie Wahl der Verkehrsmittel und die Aufhebung von Restriktionen gegen den Strassenschwerverkehr verlangt. Von der Schweiz im besonderen wurde gefordert, dass sie entweder die Gewichtslimite für Lastwagen von gegenwärtig 28 t auf die in der EG üblichen 40 t anhebe oder zumindest einen Strassenkorridor für diese Fahrzeuge schaffe [10].
Die schweizerischen Behörden bekräftigten ihren Willen, aus Gründen des Umweltschutzes, der Verkehrssicherheit und der Verkehrspolitik an der 28 t-Limite festzuhalten und sich gegen eine Überflutung der Schweiz durch den stark wachsenden Strassentransitverkehr aus dem EG-Raum zur Wehr zu setzen. Als Alternative soll langfristig der Bau einer neuen Eisenbahnlinie durch die Alpen (NEAT) und kurzfristig die Einrichtung eines Huckepack-Korridors für den Transport von Lastwagen mit 4 m Eckhöhe auf der Schiene angeboten werden; für beide Projekte sind die Vorabklärungen weitergeführt worden [11]. Diese Vorschläge, die der Vorsteher des EVED bei verschiedenen Gelegenheiten seinen ausländischen Amtskollegen und -kolleginnen vorstellte, wurden zwar mit Interesse aufgenommen. Ob sie jedoch als ausreichend akzeptiert werden, liess sich noch nicht ausmachen. Gespräche zwischen Bundesrat Ogi und den Verkehrsministern Italiens, Osterreichs und der BRD im Oktober brachten keine konkreten Ergebnisse [12].
Umweltschutzgruppen aus den Alpenkantonen Graubünden, Tessin, Uri und Wallis bereiteten eine Volksinitiative für die Eindämmung des Strassentransitverkehrs vor. Mit dem Begehren soll erreicht werden, dass einerseits der Gütertransitverkehr obligatorisch über die Schiene abgewickelt werden muss und andererseits die bestehenden Strassentransitachsen auf dem heutigen Ausbaustandard zu belassen sind. Da der VCS beschloss, erst 1989 über die Unterstützung des Begehrens zu entscheiden, warteten die Initianten mit der offiziellen Lancierung noch ab [13].
 
[1] BBl, 1988, III, S. 463 f.; Presse vom 13.6.88. Zum Inhalt und zur Vorgeschichte der KVP siehe insbes. SPJ 1983, S. 108 ff., 1984, S. 105 f., 1985, S. 105, 1986, S. 118 sowie Lit. Hirter.
[2] Zu den Parolen vgl. TA, 11.6.88. FDP und SVP: Presse vom 25.4.88; vgl. auch unten, Teil IIIa. Vorort: wf, Dok., 18, 2.5. und 23, 6.6.88.
[3] Presse vom 25.4.-11.6.88. Für eine Analyse der Kampagne siehe Lit. Linder.
[4] Presse vom 13.6.88; BaZ, 19.9.88; Lit. Linder, S. 14 ff.; Vox, Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 12. Juni 1988, Zürich 1989. Siehe auch Lit. Klöti.
[5] Documenta, 1988, Nr. 2, S. 36; Presse vom 13.6.88; vgl. auch Amtl. Bull. SIR, S. 927 ff. Zu den genannten Massnahmen siehe SPJ 1985, S. 106 ff. und 1986, S. 125 ff.
[6] BaZ, 16.6.88; Schweizerischer Strassenverkehrsverband, FRS 1988, Bern 1989, S. 22. Siehe auch unten, Agglomerationsverkehr.
[7] Amtl. Bull. StR, 1988, S. 27 f. (Flückiger, fdp, JU); Amtl. Bull. NR, 1988, S. 444 f. (FDP-Fraktion).
[8] Amtl. Bull. NR, 1988, S. 540 ff. und 559.
[9] Vernehmlassung: NZZ, 1.9.88. Botschaft: BBl, 1988, III, S. 1438 ff.; Bund, 15.11.88. Siehe auch SPJ 1985, S. 116 und 1987, S. 141.
[10] EG-Parlament: NZZ, 14.7. und 16.11.88; Presse vom 17.11.88. EG-Ministerrat: NZZ, 29.9.88; Presse vom 9.12.88. Allgemein dazu vgl. JdG, 5.4. und 15.7.88; NZZ, 1.7.88; Bund, 8.12.88. Siehe auch Lit. sowie oben, Teil I, 2 (Europe) und SPJ 1987, S. 141 f.
[11] Bund, 25.5.88; BZ, 17.11.88; vgl. auch Amtl. Bull. NR, 1988, S. 117; Amtl. Bull. StR, 1988, S. 529 ff. Zum Huckepack-Korridor siehe auch Amtl. Bull. NR, S. 1913 ff.; Gesch.ber. 1988, S. 380; TA, 17.8. und 15.11.88; BaZ, 17.11.88. Zur NEAT siehe unten, Eisenbahnverkehr.
[12] NZZ, 4.8., 5.8., 9.9., 14.10., 17.10, 15.11. und 30.11.88; TA, 7.9.88; Presse vom 5.10.88 (Gespräche). Siehe auch oben, Teil I, 2 (Relations bilatérales).
[13] BZ, 19.10.88; VCS-Zeitung, 1988, Nr. 7, S. 4 f.