Année politique Suisse 1989 : Politique sociale / Population et travail
 
Löhne
Trotz starkem Arbeitskräftemangel wuchsen seit 1986 die Reallöhne mit 5,8% langsamer als die Produktivität, die im gleichen Zeitraum jährlich um 2% zulegte. Dieser Trend hielt weiterhin an: Gemäss einer Statistik des Biga, die auf den Unfallmeldungen der verunfallten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer basiert, erhöhten sich 1989 die Nominallöhne um durchschnittlich 4%, womit das Lohnwachstum nur leicht über der allgemeinen Teuerung lag. Dieser Umstand, der angesichts der weltweit höchsten Löhne und des teuren Schweizer Frankens der Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft nur zustatten kommen kann, trug denn auch den Sozialpartnern mehrfach grosses Lob seitens des Biga ein [14].
Beobachter waren aber der Ansicht, dass in Anbetracht der Teuerung und der Hochkonjunktur die Gewerkschaften ihre Zurückhaltung bald aufgeben würden [15]. Und tatsächlich scherten im Herbst die beiden Gewerkschaften der Metall- und Maschinenindustrie aus und forderten Lohnerhöhungen – inklusive Teuerungsausgleich – bis zu 10%. Dieses Vorprellen der Gewerkschaften, die – entgegen den Gepflogenheiten – ihre Forderungen noch vor Aufnahme der Verhandlungen in der Presse publik machten, wurde von den Arbeitnehmern der Maschinenindustrie (AMS) als unnötige Verhärtung der Fronten und als Verletzung des "Friedensabkommens" bedauert [16].
Der Herbst wurde dennoch nicht so 'heiss' wie erwartet, da sich die übrigen Gewerkschaften bedeutend reservierter verhielten. Sie erklärten ihre erneute Zurückhaltung damit, dass die Statistiken über die durchschnittliche Lohnentwicklung nicht sehr aussagekräftig seien, da sie individuelle und leistungsbedingte Lohnerhöhungen nicht einbezögen und Mischrechnungen aus Teuerung, Reallohnerhöhungen, Bildungsurlaub und Arbeitszeitverkürzung nicht berücksichtigten. Überdies sei ihnen weniger an einer generellen Lohnerhöhung gelegen als vielmehr an einer Angleichung der Frauen- an die Männerlöhne, die zwar Fortschritte mache, aber immer noch viel zu wünschen übrig lasse [17].
Mehr als die Hälfte der schweizerischen Wohnbevölkerung findet die Einkommensverteilung ungerecht. Dies ging aus einer Untersuchung hervor, die das Soziologische Institut der Universität Zürich mit Unterstützung des Nationalfonds durchführte. Drei Viertel der Befragten waren der Ansicht, dass Landarbeiter, Verkäuferinnen und Krankenschwestern mehr verdienen sollten. Mehr als die Hälfte sprach sich dafür aus, die Gehälter von Bundesräten, Ärzten und Verwaltungsrat-Delegierten zu kürzen. Praktisch ein Drittel würde der Einführung eines garantierten Mindesteinkommen zustimmen, aber die überwiegende Mehrheit wäre nicht bereit, ihren Lohn ausserhalb des familiären Umfeldes offenzulegen. Die Studie ergab, dass Befragte mit gutem Einkommen und hohem Bildungsniveau die sozialen Ungerechtigkeiten weniger wahrnehmen. Unter den Sympathisanten der FDP hatten nur 40% Zweifel an der gerechten Entlöhnung in unserem Land, während 90% der der SP nahestehenden Befragten die herrschenden Einkommensverhältnisse in Frage stellten [18].
1988 hatte der Nationalrat beschlossen, einer 1986 eingereichten parlamentarischen Initiative Eggli (sp, ZH) grundsätzlich stattzugeben, die in Art. 325 OR ein generelles Verbot von Abtretungen und Verpfändungen künftiger Lohnforderungen verankern wollte. Die Initiative hatte vor allem Lohnzessionen bei Abzahlungs- und Kleinkreditgeschäften im Visier. Bei der konkreten Ausgestaltung schwächte die Petitions- und Gewährleistungskommission das Ansinnen des inzwischen aus dem Parlament ausgeschiedenen Initianten etwas ab und schlug vor, die Abtretung oder Verpfändung bei allen obligationenrechtlichen Rechtsgeschäften auszuschliessen, sie zur Sicherung familienrechtlicher Unterhalts- oder Unterstützungspflichten aber weiterhin zuzulassen. Der Bundesrat sprach sich ebenfalls für die modifizierte Version aus [19].
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Löhne der Bundesbeamten
Der sich in der Bundesverwaltung und den Regiebetrieben verschärfende Personalmangel veranlasste den Bundesrat, die für 1990 und 1991 noch verbleibenden Phasen der Revision der Ämterklassifikation zusammenzulegen und auf 1990 vorzuziehen, was zu Mehraufwendungen von 63 Mio Fr. führen dürfte. Auf anfangs 1989 war bereits der grössere Teil des Bundespersonals neu eine Besoldungsklasse höher eingereiht worden [20].
Da die Löhne der Bundesbeamten aber weiterhin hinter denen der Privatwirtschaft nachhinken – und vor allem bei SBB und PTT zu einer bedeutenden Abwanderung von Mitarbeitern führen – forderten die Personalverbände Lohnerhöhungen von 5% sowohl beim Grundlohn als auch bei den Zuschlägen für Nacht- und Sonntagsarbeit sowie eine Nachteuerungszulage für das Jahr 1989. Ende Jahr beschloss die Regierung, ab 1.6.1990 verbesserte Zeitzuschläge für Nachtarbeit einzuführen. Eine ergänzende Teuerungszulage lehnte sie allerdings ab. Ebenfalls in der Absicht, den Bund als Arbeitgeber attraktiver zu machen, gewährte die Verwaltung ihren Beamten der Städte Bern, Basel, Lausanne und Winterthur einen jährlichen ausserordentlichen Ortszuschlag von 1000 Fr., womit diese ihren Kollegen in Genf und Zürich, die seit 1987 bzw. 1989 eine Zulage von 2000 Fr. erhalten, zumindest teilweise gleichgestellt werden [21]. Angesichts der prekären Personalsituation ermächtigte die Exekutive zudem den Vorsteher des EFD, mit den Personalverbänden Verhandlungen aufzunehmen, und kündigte an, dem Parlament in absehbarer Zeit eine weitere Besoldungsvorlage zu unterbreiten [22].
Eine parlamentarische Initiative Haller (sp, BE), welche im Beamtengesetz eine zivilstandsunabhängige Ausgestaltung der Anspruchsberechtigung für Lohnbestandteile und Sozialabgaben schaffen wollte, scheiterte schon in der vorberatenden Nationalratskommission, welche der Ansicht war, diese Frage solle nicht durch eine Gesetzesänderung, sondern durch Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern gelöst werden [23].
 
[14] Lit. Clottu und Lit. Müller; LNN, 16.1.89; Ww, 24.8.89; BaZ, 23.12.89; SGT, 16.6.90. OECD-Zahlen zu den Schweizer Löhnen im internationalen Vergleich: Suisse, 16.7.89.
[15] LNN und LM, 20.7.89; TA, 20.7. und 26.8.89; Ww, 24.8.89; Suisse, 22.11.89.
[16] Presse vom 16.9. (SMUV) und 25.9.89 (CMV). Arbeitgeber: TA, 25.10.89; NZZ, 1.11.89; Ww, 2.11.89. Weil der SMUV seine Forderungen in der Uhrenindustrie, wo es v.a. auch um die Anpassung der Frauenlöhne ging, auf dem Verhandlungsweg nicht durchsetzen konnte, rief er das Schiedsgericht der Uhrenindustrie an; bis zum Ende des Berichtsjahres konnte keine Einigung erzielt werden (BaZ, 23.10. und 23.12.89). Siehe auch unten, Gesamtarbeitsverträge.
[17] Ww, 28.9.89; SGT, 6.12.89. Für die Entwicklung der Frauenlöhne seit 1986 siehe Lit. Clottu. Auf die Stellung der Frau in der Arbeitswelt und die Vernehmlassung zum Bericht der Arbeitsgruppe "Lohngleichheit" wird an anderer Stelle eingegangen: siehe unten, Teil I, 7d (Stellung der Frau).
[18] Lit. Hischier/Zwicky; TA und Suisse, 7.4.89.
[19] BBl, 1989, III, 1233 ff. (Gesetzesentwurf) und 1990, I, S. 120 ff. (Stellungnahme des Bundesrates); NZZ, 28.10.89 und 9.1.90. Siehe SPJ 1988, S. 95.
[20] NZZ, 24.4.89. Siehe auch SPJ 1988, S. 32.
[21] NZZ, 12.2.89 und 21.12.89; Bund, 15.4.89 und 15.12.89; BaZ, 23.12.89. Der Ortszuschlag von 1000 Fr. gilt auch für Beamte, die ihren Wohnsitz in der Agglomeration der Städte Bern, Basel, Lausanne, Genf und Zürich haben.
[22] Bund, 16.6. und 18.8.89; NZZ, 11.10., 27.10., 31.10. und 2.11.89.
[23] Verhandl. B.vers., 1989, V, S. 26; NZZ, 19.5.89.