Année politique Suisse 1989 : Enseignement, culture et médias / Culture, langues, églises
Kultur
Stehen wir an der Schwelle zur Kulturgesellschaft? Prägen Kunst und Kultur tatsächlich alle unsere Lebensbereiche? Und was ist das Wesen dieses zusehends hektischer werdenden Kulturbetriebs? Über diese Fragen wurde zum Teil recht heftig debattiert. Für die einen übernimmt die Kultur in unserer hochtechnisierten Gesellschaft immer mehr die Funktion eines notwendigen Kompensats zu den fortschreitenden Nivellierungsprozessen und zur zunehmenden Religionslosigkeit der Menschen. Die Kultur ist, so die Vertreter dieser Richtung, "postmodern", entideologisiert, pflegeleicht und erschwinglich geworden, der Begriff der Avantgarde hat sich selber überlebt. Die anderen warnen vor den neokonservativen Implikationen einer derartigen Betrachtungsweise, rufen zum Widerstand gegen die allgemeine Tendenz zur Unverbindlichkeit auf und hinterfragen den Stellenwert einer omnipräsenten, oftmals zweckentfremdeten und nicht selten ganz dem Kommerz unterstellten Kultur. Sie weisen darauf hin, dass nur wenige vom aktuellen Kunstboom profitieren, nämlich diejenigen, die sich besonders gekonnt und spektakulär in Szene zu setzen wissen, während die nichtereignishafte Kunst mehr und mehr marginalisiert wird
[1].
Der Begriff, der quasi stellvertretend für die Monopolisierungs- und Materialisierungstendenzen im Kulturbereich steht, ist jener des
Kultursponsorings, welches sich vom klassischen Mäzenatentum dadurch unterscheidet, dass die aktive Pflege des unternehmerischen Images hauptsächlichstes Handlungsziel ist und sich Leistung und Gegenleistung wechselseitig bedingen. Entsprechend werden in erster Linie kulturelle Grossanlässe gesponsert, manchmal in dezenter Form, oftmals aber in aggressiver, letztlich kulturverachtender Manier
[2]. Die Schriftstellervereinigung "Gruppe Olten" sprach sich an ihrer Jahresversammlung deutlich gegen Sponsoring aus, da es Bund, Kantone und Gemeinden längerfristig dazu verleiten könnte, sich aus der Kulturförderung zurückzuziehen. Die Bevorzugung der öffentlichen Finanzierung vor der privaten hinderte die Schriftsteller allerdings nicht daran, wachsende Staatsverdrossenheit zu zeigen. Die vom Bieler Alex Gfeller aufgeworfene Frage, ob sich die Mitglieder der Gruppe überhaupt an den Feierlichkeiten "700 Jahre Eidgenossenschaft" beteiligen sollten, wurde ausführlich diskutiert. Die Meinungen gingen dabei weit auseinander, aber schliesslich setzte sich die Einsicht durch, dass es dem einzelnen zu überlassen sei, ob und wo er an den geplanten Festlichkeiten und Publikationen mitwirken wolle
[3].
Wie eine Univox-Umfrage über die kulturelle Zugehörigkeit ergab, fühlen sich immer mehr Schweizer primär als Weltbürger. Dieser Trend ist besonders deutlich bei Romands, SP-Sympathisanten und Frauen. Städter zeigten sich dabei erwartungsgemäss weltoffener als Landbewohner. Der europäische Kulturraum sprach ebenfalls Frauen, Welschschweizer und linke Kreise mehr an als den Rest der Bevölkerung, doch war hier auch die Generation der unter 40-jährigen überproportional vertreten
[4].
Der Frage der kulturellen Integration der Schweiz in Europa wurde denn auch allgemein grosse Bedeutung beigemessen. Im Rahmen des Europaratprojekts "Kultur und Region" luden der Europarat, die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren und das BAK im Oktober in Interlaken zu einem Seminar mit dem Thema "Kulturelle Identität und regionale Entwicklung" ein, zu welchem sich rund 80 Teilnehmer aus zahlreichen Ländern Europas einfanden. In verschiedenen Voten war dabei zu hören, dass die Schweiz mit ihrer Erfahrung in der Pflege der sprachlichen und kulturellen Vielfalt als Modell für ein föderatives Europa herangezogen werden könnte. Die Haltung des Bundesrates wurde vom Direktor des BAK folgendermassen umrissen: Ziel der europäischen Integration dürfe nicht sein, auf eine "verwaschene" europäische Alltagskultur hinzuarbeiten, sondern das vorhandene breite Spektrum der Kulturformen zu erhalten; mit Blick auf den politischen und wirtschaftlichen Grossraum Europa seien die Regionen mehr denn je aufgerufen, ihre kulturelle Rolle neu zu definieren, eigenständige und, falls nötig, gar unbequeme Gegenpositionen zu beziehen und sich als bewusste Kontrapunkte zu einer zunehmenden kulturellen Nivellierung zu verstehen
[5].
Vierzig Jahre nach der von Denis de Rougemont organisierten ersten Europäischen Kulturkonferenz lud das Genfer Centre européen de la culture im Dezember rund 200 Teilnehmer aus 22 Ländern zur zweiten Auflage dieser Konferenz ein, mit dem Anspruch, eine kulturell-politische Bilanz Europas zu ziehen. Die Tagung unter der Leitung des Generaldirektors der Unesco befasste sich mit Themen wie dem Föderalismus, dem Bild Europas in der Welt, der Erziehung zum Europabürger, dem Europa der Medien und dem Ost-West sowie dem transatlantischen Dialog
[6].
Auf den 1. Juli wurden das Bundesamt für Kulturpflege, die Landesbibliothek und das Landesmuseum zu einem
Bundesamt für Kultur (BAK) mit rund 300 Mitarbeitern zusammengefasst. Mit dieser Restrukturierung, die dem Bestreben Bundesrats Cottis entspricht, die Organisationsstruktur des EDI zu straffen, sollen die rechtlich beschränkten Möglichkeiten des Bundes in der Kulturförderung besser gebündelt, politisch optimal ausgeschöpft und effizienter ausgespielt werden
[7].
Eine der Hauptaufgaben des neuen BAK ist die
Modernisierung der Landesbibliothek (SLB), welche — in den letzten Jahrzehnten eher als Stiefkind der Kultur behandelt — gegenüber allen namhaften anderen Bibliotheken der Schweiz, geschweige denn des Auslands, ins Hintertreffen geraten ist. In den nächsten Jahren soll die Landesbibliothek zu einem wissenschaftlichen Dokumentations- und Informationszentrum ausgebaut und nach dem Vorbild ausländischer Nationalbibliotheken zu einem wichtigen Instrument der Kulturförderung (mit Ausstellungen, Symposien, internationalen Projekten) aufgewertet werden. Als Ausdruck der neuen Politik konnte der Umstand gewertet werden, dass nicht — wie ursprünglich erwartet — ein Geisteswissenschafter, sondern ein Informatiker und Manager, der Neuenburger J.-F. Jauslin, das Rennen um die Nachfolge von F. G. Maier als Direktor der SLB machte
[8].
Im Sommer unterschrieben Friedrich Dürrenmatt und Bundesrat Cotti einen Erbvertrag, welcher der Eidgenossenschaft den literarischen Nachlass des Schriftstellers sichert, unter der Bedingung allerdings, dass zu diesem Zweck ein
Schweizerisches Literaturarchiv (SLA) geschaffen werde. Aufgabe dieses Archivs wird die wissenschaftliche Archivierung und Aufarbeitung von literarischen Vor- und Nachlässen sowie eine breite Öffentlichkeitsarbeit sein. Der Bundesrat beschloss, das SLA der Landesbibliothek anzugliedern, wo bereits die Nachlässe von S. Corinna Bille, Blaise Cendrars, Maurice Chappaz, Hermann Hesse, Carl Spitteler, Rainer Maria Rilke und anderer eingelagert sind. Als Standort des SLA wählte der Bundesrat Bern und enttäuschte so die Erwartungen dezentraler Standorte, allen voran die Stadt Solothurn, welche aufgrund ihrer Verdienste um die alljährlich dort stattfindenden Literaturtage gehofft hatte, das prestigeträchtige Archiv beherbergen zu dürfen
[9]. Ein weiteres nationales Kulturarchiv wird möglicherweise aufgrund einer vom Nationalrat überwiesenen Motion entstehen: Angesichts der nationalen Aufgabe, schweizerisches Kulturgut sicherzustellen, wurde der Bundesrat beauftragt, nach Lösungen für die Schaffung einer zentralen Phono- und Videothek zu suchen
[10].
Als weiteres Sorgenkind neben der SLB übernahm das BAK auch die Zweigstelle des
Schweizerischen Landesmuseums im Schloss Prangins bei Nyon, deren Finanzdebakel im Vorjahr Parlament und Öffentlichkeit aufgeschreckt hatte. Ein Bericht der Geschäftsprüfungskommission beider Räte wies die Hauptverantwortung für die massive Kostenüberschreitung dem ehemaligen Direktor des Amtes für Bundesbauten und dem Architekten zu. Kritische Stimmen meinten allerdings, mit dieser klaren Schuldzuweisung habe sich das Parlament etwas vorschnell aus der Verantwortung gestohlen, denn immerhin obliege ihm ja in letzter Instanz die Kontrolle über die grossen Bauvorhaben des Bundes, und schliesslich hätten ja auch die warnenden Stimmen – so etwa diejenige von Nationalrat A. Müller (ldu, AG) – nicht gefehlt. Bei der Diskussion des Geschäftes in der Grossen Kammer überwogen dann wieder die versöhnlichen Töne. Die Parlamentarier hielten weiterhin dafür, mit der Instandstellung von Prangins ein Zeichen der Verbundenheit mit der welschen Minderheit zu setzen, und gewährten ohne lange Diskussion den Zusatzkredit von rund 53,5 Mio Fr. Der Bundesrat hatte bereits Ende August beschlossen, die am 1. Juli 1987 verfügte Einstellung der Bauarbeiten in Prangins aufzuheben. Das Museum soll nun 1998 – zum 150. Jahrestag der Verfassung von 1848 – endlich seine Tore dem Publikum öffnen
[11].
Zur 700-Jahrfeier will der Bund dem Schweizer Volk als weitere Aussenstelle des Landesmuseums ein "
Panorama der Schweizer Geschichte" schenken. Im alten Zeughaus in
Schwyz soll so ein thematisch und konzeptionell neuartiges nationales Museum entstehen, welches in moderner musealer Gestaltung die Gründungsgeschichte der Eidgenossenschaft und die kultur- und sozialgeschichtlichen Bedingungen eines alpinen Staatswesens zur Darstellung bringt. Beide Räte stimmten einer entsprechenden Botschaft des Bundesrates zu und bewilligten einen Objektkredit von 13 Mio Fr.
[12].
Nach dem klaren Ja des Ständerates und der vorberatenden Nationalratskommission lenkte der Bundesrat ein und erklärte sich bereit, die beiden gleichlautenden Motionen Zumbühl (StR, cvp, NW) und Steinegger (NR, fdp, UR) zur Gewährung eines ausserordentlichen Bundesbeitrages von 7 Mio Fr. an die Kosten für die betriebliche und touristische Infrastruktur des
Freilichtmuseums Ballenberg (BE) entgegenzunehmen. Die Grosse Kammer überwies darauf den Vorstoss diskussionslos
[13]. Geringere Finanzprobleme kennt das Verkehrshaus in Luzern, das sein 30-jähriges Bestehen feiern konnte. Mit über 14 Mio Eintritten in diesem Zeitraum darf es sich als das meistbesuchte Museum der Schweiz und als eines der bedeutendsten und vielseitigsten seiner Art in Europa rühmen
[14].
Einen runden Geburtstag konnte auch die
Stiftung Pro Helvetia begehen. 1939 zur "Abwehr gegen unschweizerisches Gedankengut" gegründet, wurde die ursprüngliche Arbeitsgemeinschaft 1949 in eine ausschliesslich vom Bund finanzierte öffentlichrechtliche Stiftung umgewandelt und deren Aufgaben 1965 gesetzlich verankert. In den letzten Jahren fand die Pro Helvetia wieder vermehrt zu ihrer vorübergehend etwas in den Hintergrund gerückten Prioritätensetzung — der Propagierung schweizerischer Kultur im Ausland — zurück: von den 1989 zur Verfügung stehenden 21 Mio Fr. gab die Stiftung im Inland nur noch rund 9 Mio Fr. aus. Diese Ausrichtung — Osteuropa soll dabei in den nächsten Jahren einen Schwerpunkt bilden — wird sowohl vom EDI wie vom EDA unterstützt und gefördert
[15]. Um die Gelder der Stiftung Pro Helvetia im Ausland noch effizienter einsetzen zu können, verlangte deren Präsident, der Zürcher Nationalrat S. Widmer (Idu) in einer als Postulat überwiesenen Motion, der Bund solle das Schweizer Verlagswesen bei Buchausstellungen im Ausland mit einem jährlich wiederkehrenden Beitrag durch das BAK unterstützen. In seiner Antwort zeigte sich der Bundesrat dem Anliegen gegenüber durchaus aufgeschlossen und versprach, eingehende Abklärungen zu treffen
[16].
Im Anschluss an das Nationale Forschungsprogramm
(NFP) 16 ("
Methoden zur Erhaltung von Kulturgütern"), welches 1988 abgeschlossen werden konnte, wurde auf den 1. Januar 1989 die Nationale Informationsstelle für Kulturgütererhaltung (NIKE) als selbständige, von einem privaten Trägerverein betriebene Institution ins Leben gerufen. NIKE, zu deren wichtigsten Aufgaben die Information, Aufklärung, Koordination und Sensibilisierung im Bereich der Pflege und Erhaltung von Kulturgütern zählen, wird von einer Mehrheit der Kantone, von Gemeinden und Vereinen getragen und vom Bund subsidiär unterstützt
[17]. Die vom ehemaligen BA für Forstwesen und Landschaftsschutz betreute Dienststelle Heimatschutz wurde in die Sektion Kunst- und Denkmalpflege des BAK integriert. Das EDI eröffnete im weitern eine Vernehmlassung zur allfälligen Schaffung einer neuen Rechtsgrundlage für die Denkmalpflege
[18].
Die
Filmförderung machte durch den Abschluss mehrerer Verträge einen grossen Schritt nach vorn. Wie früher schon mit Frankreich, Kanada und der BRD wurde neu mit Belgien eine Vereinbarung über Koproduktionen auf dem Gebiet des Films abgeschlossen. Der Bundesrat genehmigte zudem ein weiteres derartiges Abkommen mit Italien. Zukunftsweisender noch dürften die Bestrebungen um eine gesamteuropäische Zusammenarbeit sein. Im Rahmen der 24. Solothurner Filmtage bekräftigte der Direktor des BAK mit seiner Unterschrift die Beteiligung der Schweiz — als einzigem Nicht-EG-Land — an einem Pilotprojekt des Europäischen Filmbüros EFDO, welches ein Jahr lang den Verleih von Low-Budget-Filmen aus europäischer Produktion fördern soll. Gleichentags trat die Schweiz in Strassburg dem Europarats-Fonds "Eurimages" zur Förderung der Produktion und des Verleihs europäischer Filme bei. Zur Mitfinanzierung der Anfangsphase der beiden Projekte gewährte der Bundesrat einen Beitrag von 850 000 Fr.
[19].
Unter den Kulturschaffenden, besonders jenen aus der Filmbranche, gab die Revision von Art. 135 StGB – besser bekannt als "
Brutaloverbot" – viel zu reden. Bereits im Vorfeld der Beratungen im Nationalrat, der das Geschäft in der Sommersession als Zweitrat behandelte, mobilisierten sich die interessierten Kreise. Die Eidg. Filmkommission bezeichnete in einem Brief an alle Ratsmitglieder den Gesetzesartikel als wirkungslos und kontraproduktiv, da er die entsprechenden Erzeugnisse nur in den Untergrund dränge, wo ihre Verbreitung nicht mehr kontrollierbar sei, und wies darauf hin, eine strafrechtliche Regelung berge die Gefahr der Meinungszensur gegen politisch oder anderwie missliebige Filme in sich. Führende Schweizer Kulturschaffende – unter ihnen die Schriftsteller Dürrenmatt, Frisch, Muschg und Walter und die Filmemacher Imhoof, Koerfer und Murer – wandten sich in einem offenen Brief an den Nationalrat und baten ihn eindringlich, den Artikel in der vorliegenden Form zurückzuweisen; ein liberaler Staat habe weder das Recht noch die Aufgabe, über die Schutzwürdigkeit künstlerischer Darstellungen zu befinden; dass er seine Richter als Kunstzensoren einsetzen wolle, sei absurd
[20].
Noch höhere Wogen aber schlug die Botschaft des Bundesrates für ein totalrevidiertes Bundesgesetz über das
Urheberrecht. Obgleich der eher autorenfreundliche Entwurf der Expertenkommission in der Vernehmlassung grundsätzlich nicht schlecht aufgenommen worden war – einzig die FDP verhielt sich deutlich ablehnend –, hatte der Bundesrat die Verwaltung angewiesen, noch einmal über die Bücher zu gehen. Der neue Gesetzesvorschlag, der erwarteterweise auch Computerprogramme dem Urheberrecht unterstellt, während für die Halbleiter-Topographien ("Chips") ein separater Gesetzesentwurf ausgearbeitet wurde, entschied nun in den beiden neuralgischsten Punkten – Massennutzung und rechtliche Stellung des Arbeitnehmers – deutlich zugunsten der Werknutzer und der Produzenten und gegen die Urheber
[21].
Es war deshalb nicht verwunderlich, dass die FDP sogleich nach Veröffentlichung der Botschaft ihre Genugtuung über den neuen Gesetzesentwurf kundtat. Die Arbeitsgemeinschaft der Urheber (AGU) zeigte sich hingegen empört über den Entwurf des Bundesrates. Der Entscheid, die Massennutzung zum privaten Gebrauch weiterhin gebührenfrei zu halten – also keine Abgaben für Kopiergeräte oder Leerkassetten einzuführen, wie dies die meisten europäischen Länder bereits getan haben –, und die arbeitgeberfreundliche Korrektur bei der Rechtszuordnung an Werken, die im Arbeitsvertrag oder unter der Verantwortung eines Produzenten geschaffen werden, wurde von der AGU als Affront empfunden. In den folgenden Wochen und Monaten gelangten Kulturschaffende aller Sparten immer wieder an die Öffentlichkeit. Im November stiegen sie dann gemeinsam auf die Barrikaden: in einer vielbeachteten Pressekonferenz griffen die Vertreter der 18 in der AGU zusammengeschlossenen Organisationen die Haltung des Bundesrates mit harten Worten an – von "reinem Zynismus" und von einer "kalten Enteignung der Urheber" war da die Rede – und sie drohten mit dem Referendum, falls das Parlament das Gesetz in der vorliegenden Form verabschieden sollte
[22].
Eine Untersuchung, welche die Stadt Lausanne 1988 in Auftrag, gegeben hatte, bot einen interessanten Überblick über die Kulturausgaben der grossen Schweizer Städte. In Prozenten der allgemeinen Gemeindeausgaben gemessen lag so 1987 Genf mit 17,4% deutlich an der Spitze, gefolgt von Luzern (6%), Basel (5,8%), St. Gallen (4,9%), Zürich (3,3%) und – ex aequo – Bern und Lausanne (3,2%). Umgerechnet auf aufgewendete Franken pro Kopf der Bevölkerung zeigten sich Basel und Genf besonders kulturfreundlich (740,1 bzw. 550,6 Fr.), während Luzern (257,4), Zürich (231,2), Lausanne (196,5), St. Gallen (184,4) und Bern (177,6) deutlich zurücklagen
[23].
In
Luzern stellten sich die Stimmbürger hinter den Grossen Stadtrat und genehmigten mit deutlichem Mehr den Projektierungskredit für ein neues
Konzert- und Kongresszentrum, gegen den die Unabhängige Frauenliste (UFL) das Referendum ergriffen hatte. In Anlehnung an das Versprechen der Stadtregierung, in allen Projektierungsphasen die Meinung der Luzerner Stimmbürger und Stimmbürgerinnen einzuholen, erklärte die UFL bereits am Abstimmungsabend, sie würde sich 1990 bei der Verabschiedung des weiterführenden Projektkredits wieder kritisch zu Wort melden. Gross war dann wenige Monate später die Empörung, als bekannt wurde, dass eine private "Stiftung Konzerthaus Luzern" sich bereit erklärt hatte, die dafür benötigten rund 3 Mio Fr. aus eigenen Mitteln aufzubringen – wodurch das fakultative Referendum und eine eventuelle weitere Abstimmung entfallen würden
[24].
Eine Vereinbarung zwischen dem Kanton
Tessin, dem EDI und der ETH, wonach die ETH auf dem
Monte Verità oberhalb Ascona ein "Centro Stefano Franscini" zur Durchführung von Sommerseminarien errichten wird, erweckte im Tessin recht zwiespältige Gefühle. Einerseits wusste man die Ehre zu schätzen, endlich doch noch Sitz eines Universitätsinstituts zu werden, andererseits wurde sogleich die Befürchtung geäussert, dies könne das Ende der künstlerischen Aktivitäten auf der "Collina delle utopie" bedeuten, seien doch auch diese in erster Linie vorn Sommerbetrieb abhängig. 30 Persönlichkeiten aus dem Tessiner Kulturleben – unter ihnen Mario Botta und Giorgio Orelli – traten mit einer gemeinsamen Stellungnahme an die Öffentlichkeit und forderten sorgfältige Abklärungen der unterschiedlichen Bedürfnisse von Kunst und Wissenschaft. Sukkurs erhielten die Tessiner Kulturschaffenden von der Gesellschaft schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten (GSMBA), die im Frühjahr auf dem Monte Verità ein viertägiges Symposium zum Thema "Kunst und Künstler in der heutigen Gesellschaft" durchführte. Im Anschluss an die Tagung unterzeichneten rund 100 Teilnehmer eine Eingabe an die Tessiner Kantonsregierung: sie riefen den Geist der Schenkung von Baron von der Heydt – er hatte nach seinem Tod den Monte Verità dem Kanton vermacht mit der Auflage einer kulturellen und vor allem künstlerischen Nutzung – und die kulturgeschichtlich einmalige Vergangenheit des Berges in Erinnerung und verlangten – wenn schon das Hotel künftig der ETH vorbehalten sein solle –, dass wenigstens im Park ein neuer Pavillon errichtet werde und der Kanton sich verpflichte, den dortigen Kunst- und Kulturbetrieb mit den nötigen finanziellen Zuwendungen zu unterstützen
[25].
[1] TA, 1.2., 20.2. und 9.3.89; Vat., 30.12.89.
[2] NZZ, 5.8. und 10.11.89; TA, 16.9., 19.9., 5.10 und 14.10.89; JdG, 28.10.89 (colloque "Pacte du futur"); BZ, 24.8.89 (Berner Schuldirektorin Joy Matter zu öffentlicher Kulturförderung und Kultursponsoring). Siehe dazu auch SPJ 1987, S. 228.
[3] Bund, 13.6.89; WoZ, 16.6.89.
[5] Vat., 17.10.89; NZZ, 14.10. und 26.10.89.
[6] NZZ, 8.12. und 13.12.89; JdG, 13.12.89.
[7] AS, 1989, S. 2116 f., 2118 und 2119 ff.; Bund, 6.4.89 und NZZ, 5.7.89.
[8] Bei der Restrukturierung der SLB kann sich das BAK auf den Bericht der von BR Cotti eingesetzten Arbeitsgruppe unter Vorsitz von NR Mühlemann (fdp,.TG) abstützen, welche bereits im Februar ihre Überlegungen zur Neudefinition der Aufgaben der SLB und zur Rationalisierung der Organisationsformen vorgelegt hatte (Presse vom 13.4.89). Neuer Direktor SLB: Bund und JdG, 2.12.89.
[9] NZZ, 7.1., 20.6. und 28.6.; BZ, 28.1. und 20.6.89; TA, 22.2. und 7.10.89; SZ, 8.5. und 23.5.89; WoZ, 12.5.89; Ww, 8.6.89; BaZ, 21.6.89; Bund, 1.7.89. Als ersten bedeutenden Neuzugang konnte das Archiv den Nachlass des Schriftstellers Hermann Burger aufnehmen (Gesch.ber., 1989, S. 84).
[10] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1638 f. (Motion der vorberatenden Kommission zum Radio- und Fernsehgesetz).
[11] GPK: Presse vom 27.5.89; SCT, 3.6.89. Diskussion des GPK-Berichts: Amtl. Bull. NR, 1989, S. 866 ff.; JdG und Suisse, 15.6.89. Zustimmung des NR: Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1378 ff.; Presse vom 22.9.89. Wiederaufnahme der Bauarbeiten: NZZ, 30.8.89. Zur Vorgeschichte siehe SPJ 1988, S. 237.
[12] BBl, 1989, III, S. 857 ff. Amtl. Bull. StR, 1989, S. 786 ff.; Amtl. Bull. NR, 1989, S. 2107 ff. Nur als Postulat überwies der Nationalrat eine Motion Hänggi (cvp, SO), wonach der Bund das Musikautomatenmuseum in Seewen (SO) als Stiftung übernehmen soll (Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1702 f.).
[13] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1070 ff. Vgl. auch BZ, 13.6.89 ; Bund, 23.10.89; SPJ 1988, S. 237.
[14] Vat., 1.7.89; NZZ, 3.7.89.
[15] Bund, 7.2.89; TA, 19.4.89 (Interview mit BR Felber); BaZ, 20.5. und 22.5.89; NZZ, 24.5.89; SGT, 30.5.89 (Interview mit dem Stiftungspräsidenten); Presse vom 14.-16.11.89.
[16] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 588 ff. Mit gleichem Wortlaut wurde im Ständerat eine Motion Lauber (cvp, VS) eingereicht und ebenfalls als Postulat überwiesen (Amtl. Bull. StR, 1989, S. 174 f.).
[17] Bund, 21.1.89; JdG, 27.1.89. Bilanz des NFP 16: NZZ, 25.4.89; Bund, 26.4.89. Zum Projekt einer Datenbank für Kulturgüter siehe NZZ, 25.9.89. Siehe auch SPJ 1988, S. 238.
[18] Gesch.ber. 1989, S. 82.
[19] NZZ, 13.1. (Belgien), 21.1. (EFDO und "Eurimages"), 14.4. (Italien) und 28.4.89 (im Rahmen von EFDO geförderte Schweizer Filme). EFDO ist Teil des im September 1988 gestarteten "Media"-Programms: dazu und zu "Eurimages" siehe SPJ 1988, S. 239.
[20] NZZ, 1.6. (Eidg. Filmkommission) und 2.6.89 (Kulturschaffende); Ww, 1.6.89 (Schweizer Filmverleiherverband und Suissimage). Über die parlamentarischen Debatten und den — gescheiterten — Versuch welscher Kulturschaffender, gegen das Gesetz das Referendum zu ergreifen, wird an anderer Stelle berichtet: siehe oben, Teil I, lb (Rechtsordnung) und unten, Teil I, 8c (Medienpolitische Grundfragen).
[21] BBl, 1989, III, S. 477 ff. Vgl auch SHZ, 19.10.89 (ausführliche Zusammenfassung des Entwurfs); Suisse, 4.11.89 (Beurteilung im internationalen Vergleich) und SPJ 1988, S. 239 f.
[22] Presse vom 24.6.89 (Botschaft, FDP, AGU); NZZ, 27.6. (Suisa, Dachverband der Urheberrechtsnutzer DUN) und 6.7.89 (Tonträgerhersteller und Interpreten); Bund, 3.10.89 (Tonkünstlerverein); Presse vom 21.11.89 (Medienkonferenz der AGU).
[23] Siehe Lit. Cunha; 24 Heures, 5.9.89; Bund, 6.11.89.
[24] Zur Vorgeschichte siehe SPJ 1988, S. 241. Abstimmung: Vat., 24.1. und 26.1., 14.-18.2., 25.2., 28.2., 1.3., 2.3. und 6.3.89; LNN, 27.1., 11.2., 17.2., 21.2. und 27.2., 1.3. und 6.3.89. Private Stiftung: Vat., 22.8., 23.8., 31.8. und 2.9.89; LNN, 22.8.89.
[25] CdT, 25.1., 5.5., 8.5. und 10.5.89; NZZ, 18.5.89.
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