Année politique Suisse 1992 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport
 
Fürsorge
Bei der Beratung der Legislaturplanung 1991-1995 überwies der Nationalrat eine Kommissionsmotion, welche den Bundesrat beauftragen wollte, einen umfassenden Bericht zur Sicherung des finanziellen Existenzminimums zu erstellen und allenfalls Massnahmen vorzuschlagen, auf Antrag des Bundesrates lediglich als Postulat [52].
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Neue Armut
Eine gesamtschweizerische Untersuchung der Armutsproblematik (NFP 29) lässt weiterhin auf sich warten, weshalb den kantonalen Studien besondere Bedeutung zukommt. Neu erschienen Untersuchungen für die Kantone Bern, Jura, St.Gallen und Zürich. Je nach Berechnungsart wiesen die Untersuchungen einen Armutsanteil von drei bis fünf Prozent (St. Gallen), knapp zehn Prozent (Zürich) oder 15-17 Prozent (Bern und Jura) aus. Einig waren sich aber alle Autoren, dass bestehende oder drohende Armut in einzelnen Bevölkerungsteilen besonders stark vertreten ist, nämlich bei den Alleinstehenden, den Alleinerziehenden, den Familien und den Rentnern. Zudem wiesen alle darauf hin, dass ihre Studien – basierend auf Zahlen der späteren 80er Jahre – notwendigerweise zu niedrig greifen, da sie der zunehmenden Langzeitarbeitslosigkeit noch nicht Rechnung tragen konnten [53].
In seinem Bericht über die Richtlinien der Regierungspolitik versprach der Bundesrat, dem Parlament in der laufenden Legislatur einen Bericht zur neuen Armut zu unterbreiten und darin darzulegen, welche praktischen und dringenden Massnahmen seitens des Bundes in Ergänzung der kantonalen und kommunalen Anstrengungen bei der Bekämpfung der Armut zu unternehmen sind. Als ersten konkreten Schritt regte Bundesrat Cotti an der Jahreskonferenz der kantonalen Fürsorgedirektoren die Schaffung einer Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der neuen Armut in der Schweiz an. Die Arbeitsgruppe soll sich aus Vertretern der Kantone und des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) zusammensetzen [54].
Der Nationalrat überwies diskussionslos ein Postulat Comby (fdp, VS) welches den Bundesrat ersucht, zwei konkrete Massnahmen im Kampf gegen die neue Armut zu prüfen. Einerseits sollen die Bundesbeiträge zur Finanzierung und Verbilligung der Krankenkassenprämien für Menschen, die in Armut leben, substantiell erhöht werden, anderseits den Kantonen, die zugunsten von Personen und Familien in äusserst schwierigen Verhältnissen Zuschüsse zu den Ergänzungsleistungen zur AHV/IV gewähren, Subventionen ausgerichtet werden [55].
In Basel gründete die Caritas den ersten "Carisatt-Laden", in welchem Bedürftige verbilligte oder gratis abgegebene Waren beziehen können. Bewährt sich das Pilotprojekt, so soll eine Ladenkette in der ganzen Schweiz aufgezogen werden [56].
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Opfer von Gewaltverbrechen
Opfer von Gewaltverbrechen haben ab dem 1. Januar 1993 Anrecht auf Betreuung, Beratung und Entschädigung. Der Bundesrat setzte das Opferhilfegesetz auf diesen Zeitpunkt in Kraft und beschränkte in einer Verordnung die maximale Entschädigung, welche zu Lasten der Kantone geht, auf 100 000 Fr. Der Bund will jährlich 7,5 Mio Fr. für die Beratungsstellen und drei bis vier Mio Fr. für Zusatzhilfe zur Verfügung stellen. Allerdings zeigte sich auch, dass die notwendige Infrastruktur in den Kantonen noch kaum bereit ist [57].
Als direkte Folge des Opferhilfegesetzes, welches bestimmt, dass Opfer von Sexualdelikten Anrecht auf Einvernahme und Urteil durch eine Person des gleichen Geschlechts haben, wurde auf den 1.1.1993 erstmals eine Frau in die Militärjustiz gewählt [58].
Im September ratifizierte die Schweiz die europäische Konvention über die Entschädigung der Opfer von Gewaltverbrechen. Die Konvention verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, Mindeststandards für die Entschädigung der Opfer zu erlassen. Die Konvention, welche bereits in Dänemark, Grossbritannien Finnland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Norwegen und Schweden gilt, wurde vom Bundesrat auf den 1.1.1993 in Kraft gesetzt [59].
 
[52] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 1 103 ff.
[53] NFP 29 Bulletin, Nr. 3; Presse vom 18.2. und 23.6.92: DP, 9.4.92; NQ, 9.8.92. BE: Lit. Ulrich; P. Ammann / J. Binder / W. Ulrich, "Armut, Arbeitsmarkt und Bildung im Kanton Bern", in Die Volkswirtschaft, 66/1993, Nr. 1, S. 52 ff.; Presse vom 19.6.92. Eine Untersuchung in der Stadt Bern ergab noch einmal leicht höhere Zahlen (Bund, 14.1 1.92). JU: JdG. 23.4.92. SG: Lit. Füglistaler; SGT, 30.1., 4.2., 7.2., 15.2., 18.3., 26.5. und 30.11.92. LU: LNN, 4.9.92. ZH: Presse vom 16.12.92. Siehe dazu auch SPJ 1990, S. 213 f. und 1991, S. 220 f.
[54] BBl, 1992, III, S. 108; LNN, 19.9.92.
[55] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 1212 f.
[56] SoZ, 7.6.92; BaZ, 30.6. und 31.7.92; WoZ, 18.9.92.
[57] Presse vom 19.11.92. Als erster Kanton arbeitete Zürich ein Einführungsgesetz aus (LNN, 21.8.92). Siehe dazu auch SPJ 1991, S. 221 und NZZ, 6.5.92.
[58] Presse vorn 30.12.92.
[59] NZZ, 8.9.92.