Année politique Suisse 1993 : Eléments du système politique / Problèmes politiques fondamentaux et conscience nationale
 
Kantonale Verfassungsrevisionen
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Bern
Die Stimmberechtigten des Kantons Bern haben die im Vorjahr vom Parlament beschlossene Totalrevision der Staatsverfassung mit einem Ja-Anteil von 77,8% gutgeheissen. Als einziger Amtsbezirk lehnte das Oberhasli die Vorlage ab. Die 100jährige Verfassung wird damit auf Anfang 1995 durch ein Regelwerk ersetzt, das wichtige Neuerungen bei den Grundrechten, den politischen Rechten sowie den Finanzkompetenzen der Behörden bringt [22]. Unmittelbar nach der Volksabstimmung wurde ein der EVP nahestehendes Komitee gegründet, das eine Volksinitiative für die explizite Erwähnung von Gott in der Verfassung lancierte [23].
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Übrige Kantone
Im Kanton Luzern verabschiedete der Grosse Rat eine Vorlage über ein neues Verfahren zur Totalrevision der knapp 120 Jahre alten Staatsverfassung. In der Volksabstimmung nahmen die Luzerner Stimmberechtigten zwar die Einsetzung eines 100köpfigen Verfassungsrates an, verwarfen jedoch dessen paritätische Besetzung mit je 50 Frauen und Männern mit 64,7% Nein-Stimmen [24].
Die Verfassungskommission des Kantons Appenzell Ausserrhoden legte den Entwurf für eine neue Staatsverfassung vor. Wesentliche Neuerungen betreffen unter anderem die Erweiterung der Volksrechte; künftig soll jede Bürgerin und jeder Bürger mittels der sogenannten Volksdiskussion zu einer Landsgemeindevorlage persönlich im Kantonsparlament Stellung nehmen können. Besonders kontrovers war der Vorschlag, Ausländern, die über zehn Jahre in der Schweiz und mindestens fünf Jahre im Kanton ihren Wohnsitz haben, das Stimmrecht auf Gemeindeebene zu erteilen. In bezug auf die Behördenwahlen sieht der Entwurf einerseits die Verlängerung der Amtsdauer der Regierungsräte von einem auf drei Jahre vor, andererseits soll aber auch die Volkswahl des Ständerats an der Landsgemeinde eingeführt werden. Die Förderung der Gleichstellung von Mann und Frau wurde explizit festgeschrieben, ohne jedoch Quotenregelungen einzuführen. Wie im Kanton Bern machten sich gewisse religiöse Kreise für die Erwähnung von Gott in der Präambel stark. Im Berichtsjahr konnte die Vernehmlassung zum Entwurf noch nicht abgeschlossen werden [25].
Die Regierung des Kantons St. Gallen sprach sich in ihrem Bericht über eine Totalrevision der aus dem Jahr 1890 stammenden Verfassung zugunsten von gestaffelten Teilrevisionen aus, die gemäss ihrer Dringlichkeit nacheinander durchgeführt werden sollen. Damit stellte sie sich gegen die vorberatende Parlamentskommission, welche für eine Totalrevision eintrat. Als vorrangig bezeichnete der regierungsrätliche Bericht den Umbau der regionalen und organisatorischen Gliederung des Kantons sowie die Neuorganisation des Verhältnisses zwischen Gemeinden und Kanton einschliesslich der finanziellen Verflechtungen. Erst in zweiter Priorität sollen Fragen der Staatsfinanzen, der Gewaltentrennung und Behördenorganisation sowie der politischen Rechte behandelt werden [26].
 
[22] Presse vom 7.6.93. Zu den Neuerungen siehe SPJ 1992, S. 19 ff. und 303 f.; Bund, 24.4.93; BZ, 2.6.93; TA, 4.6.93. Zum gleichzeitig gutgeheissenen neuen Recht des Volksvorschlags siehe unten, Teil I, 1c. (Volksrechte). Vgl. auch unten, Teil II, 1a sowie die Abstimmungsanalyse in Lit. Hardmeier sowie TW und BZ, 14.7.93.
[23] Bund, 8.6. und 1.9.93.
[24] LNN, 12.1., 25.10., 17.11. und 29.11.93; TA, 19.11.93; LZ, 29.11.93. Siehe auch SPJ 1992, S. 21 und unten, Teil II, 1a.
[25] SGT, 21.4., 12.5., 15.5. und 19.5.93; BaZ, NZZ und TA, 16.6.93. Vgl. auch SPJ 1992, S. 21 und unten, Teil II, 1a.
[26] SGT, 6.9. und 23.9.93; NZZ, 24.9.93. Siehe auch SPJ 1992, S. 21 und unten, Teil II, 1a.