Année politique Suisse 1993 : Enseignement, culture et médias / Culture, langues, églises
Kirchen
In der Schweiz ist der Anteil der Protestanten in den letzen Jahren merklich zurückgegangen. Wie die definitiven Resultate der Volkszählung von 1990 ergaben, stellen sie heute nur noch 40,0% der Wohnbevölkerung (1980: 44,3%). Der Anteil der Katholiken blieb mit 46,3% (47,9%) hingegen praktisch stabil. 1980 wiesen noch neun Kantone eine absolute protestantische Mehrheit auf, nämlich Appenzell Ausserrhoden, Basel-Land, Bern, Glarus, Neuenburg, Schaffhausen, Thurgau, Waadt und Zürich. Zehn Jahre später waren es nur noch vier, da in den Kantonen Glarus, Neuenburg, Thurgau, Waadt und Zürich der Anteil der Protestanten in dieser Periode unter 50% sank. Bern bleibt bei weitem die stärkste reformierte Bastion (72,2%), gefolgt von Appenzell Ausserrhoden (57,4%) und Schaffhausen (56,3%). 13 Kantone – die Innerschweiz sowie die Kantone Appenzell Innerrhoden, Freiburg, Jura, Luzern, St. Gallen, Solothurn, Tessin und Wallis – sind mehrheitlich, meist mit gegen 80% katholisch. An der Spitze steht Uri (89,1%), gefolgt von Wallis (88,5%), Obwalden (87,8%) und Appenzell Innerrhoden (85,6%).
Die Zahl jener, die sich als
konfessionslos bezeichnen, hat sich innert zehn Jahren von 3,8 auf 7,4% fast verdoppelt. In Basel-Stadt erklärte sich mehr als ein Drittel der Bevölkerung (34,5%) als konfessionslos; im Kanton Genf rangierten die Konfessionslosen mit einem Anteil von 19,0% noch vor den Protestanten an zweiter Stelle. Nur knapp über 1 % Konfessionslose wurden in den Kantonen Uri, Obwalden und Appenzell Innerrhoden registriert
[47].
Mit einer parlamentarischen Initiative verlangte Nationalrat und Pfarrer Ernst Sieber (evp, ZH), dass durch eine Revision von Art. 75 der Bundesverfassung die
Beschränkung der Wählbarkeit in den Nationalrat auf Personen "weltlichen Standes" und die damit verbundene Diskriminierung von Personen "geistlichen Standes" aufgehoben wird. In seiner Begründung erinnerte der Initiant daran, dass diese Ausnahmebestimmung als Folge des Sonderbundkrieges und des Kulturkampfes in die Verfassungen von 1848 und 1874 aufgenommen worden war. Auch die vorberatende Kommission erachtete den Ausschluss der Personen "geistlichen Standes" als ein heute sinnentleertes Relikt aus dem letzten Jahrhundert und sah darin einen Widerspruch zum Grundsatz des allgemeinen Wahlrechts, weshalb sie sich vollumfänglich dem Anliegen des Initianten anschloss. Das Plenum stimmte dem Vorstoss diskussionslos zu
[48].
Mit Ruth Dreifuss wurde erstmals ein Mitglied der jüdischen Kultusgemeinde in die Landesregierung gewählt. Bemerkenswert war, dass dies im zum Teil emotional sehr aufgeladenen Umfeld dieser Bundesratswahl zu keinem Zeitpunkt ein Thema war und in den Pressekommentaren höchstens zu einem Nebensatz Anlass gab
[49].
Als Nachfolger von Botschafter Jenö Stähelin, welcher zum Schweizer Botschafter in Tokio ernannt wurde, bestimmte der Bundesrat den Schweizer Botschafter in Wien und Genfer Calvinisten François Pictet zum neuen Sonderbotschafter beim Vatikan
[50].
Das Bundesgericht sprach sich indirekt für Toleranz gegenüber Religionen aus, die in der Schweiz öffentlichrechtlich nicht anerkannt sind. Es stützte die
Beschwerde eines muslimischen Vaters, der gegen die Schulbehörden des Kantons Zürichs rekurrierte, weil diese seine Tochter zwingen wollten, am (gemischtgeschlechtlichen)
obligatorischen Schwimmunterricht teilzunehmen. Das Bundesgericht befand einstimmig, das öffentliche Interesse am Schwimmunterricht sei nicht so gewichtig, dass deswegen auf religiöse Anschauungen einer Minderheit keine Rücksicht genommen werden könne. Auch das Bundesamt für Ausländerfragen zeigte Verständnis für Bräuche ausserchristlicher Religionen. Es wies die kantonalen und kommunalen Behörden an, Personen, die
aus religiösen Gründen eine Kopfbedeckung tragen, zu gestatten, sich für Identitätsausweise so photographieren zu lassen. Mit dieser Regelung konnte der "Schleier-Streit" beigelegt werden, den Türkinnen in Biel ausgelöst hatten, als sie sich den Weisungen der dortigen Fremdenpolizei widersetzten, sich ohne Kopftuch ablichten zu lassen
[51].
Die Absicht der Schweizer Behörden, Asylsuchende aus dem Spannungsgebiet Kosovo in die Heimat auszuschaffen, führte dazu, dass einzelne Kirchgemeinden im Kanton Bern auf den Gedanken des
Kirchenasyls zurückgriffen und den abgewiesenen Aslybewerbern Unterschlupf in Kirchenräumen gewährten. Dieser Schutz vor weltlichem Zugriff ist rechtlich nirgends verbrieft und wird von den Behörden als illegales Vorgehen angeprangert. Bereits in den Vorjahren hatten sich Kirchgemeinden bzw. die Landeskirchen mit Initiativen an der Grenze der Legalität für den Verbleib von ihrer Ansicht nach in ihrer Heimat gefährdeten Menschen eingesetzt
[52].
Im Kanton
Zürich wurde eine
Volksinitiative auf Trennung von Kirche und Staat eingereicht. Offiziell wurde dabei der Grundsatz der Rechtsgleichheit angesprochen, gegen welchen der Staat, nach Ansicht der Initianten, durch die finanzielle Bevorzugung einzelner Religionsgemeinschaften verstösst. Dem rechtsbürgerlichen Initiativkomitee wurde allerdings unterstellt, dass es ihm in erster Linie darum gehe, die Kirchen über eine Schmälerung ihrer materiellen Basis politisch mundtot zu machen, da die engagierten Stellungnahmen kirchlicher Kreise zu Zeitfragen vielen bürgerlichen Kritikern schon lange ein Dorn im Auge seien. Die Kantonsregierung und die Landeskirchen sprachen sich gegen die Initiative aus
[53]. Gewissermassen als Gegengewicht zur Volksinitiative verlangte eine parlamentarische Initiative aus CVP-Kreisen, dass neben den drei Landeskirchen auch weiteren Religionsgemeinschaften die Möglichkeit einer öffentlichrechtlichen Anerkennung zu gewähren sei
[54].
Im
Tessin wurde eine neue Runde im
Kruzifix-Streit eingeläutet. Nachdem das Bundesgericht 1990 entschieden hatte, ein derart symbolträchtiger Wandschmuck verstosse in Schulstuben gegen Art. 27 Abs. 3 BV, welcher einen konfessionell neutralen Unterricht in den öffentlichen Schulen garantiert, geriet nun der kantonale Parlamentssaal in Bellinzona ins Visier der Freidenker. In einer 1989 eingereichten Petition kritisierten sie, es sei unziemlich, dass das Parlament seine Funktion im Zeichen religiöser Symbole wahrnehme. Das Tessiner Kantonsparlament lehnte die Petition mit 51 zu 15 Stimmen bei drei Enthaltungen klar ab und sprach sich damit deutlich für die Beibehaltung des religiösen Wandschmuckes aus
[55].
In der Kontroverse um den
Churer Bischof Wolfgang Haas zeigte sich der Papst erstmals offensichtlich auf Ausgleich bedacht. Mit dem Jesuiten Peter Henrici und dem Marianisten Paul Vollmar stellte er Haas zwei Weihbischöfe zur Seite, von denen sich die Kirchenbasis eine offenere Haltung erhoffte. Die Bischofskonferenz der Schweizer Katholiken nahm diese Ernennung sehr positiv auf und verband sie mit der Zuversicht, dass damit in das arg gebeutelte Bistum Chur, zu dem auch die Innerschweiz sowie der Kanton Zürich gehören, wieder etwas Ruhe einkehren werde. Bischof Haas tat sich dann allerdings schwer mit der Definition des Pflichtenhefts der neuen Weihbischöfe. Schliesslich wurde bekanntgegeben, dass Henrici und Vollmar Generalvikare für das ganze Bistum sein und in dieser Funktion die bisher von Haas gegen den Willen der Ortskirche eingesetzten Generalvikare ablösen werden
[56].
Ein im Auftrag der Bündner Regierung erstelltes Gutachten vertrat die Auffassung, bei der Einsetzung von Wolfgang Haas zum Weihbischof mit Nachfolgerecht seien verbriefte Rechte des Kantons Graubünden verletzt worden. Der Gutachter hielt fest, dass Haas aus einem Dreiervorschlag des Domkapitels hätte gewählt werden müssen, und die Information der Bündner Regierung über die vorgesehene Einsetzung Pflicht gewesen wäre. Bischof Haas wird von Graubünden nach wie vor nicht anerkannt
[57].
Beim allseitig bedauerten gesundheitsbedingten Rücktritt von Otto Wüest, seit 1982 Diözenansbischof des Bistums Basel, meldete sich die Kirchenbasis umgehend zu Wort und pochte auf das Konkordat von 1828, welches dem Domkapitel weltweit einzigartige
Rechte bei der Wahl des neuen Bischofs einräumt. Gestützt auf das Konkordat stellt das Domkapitel, in welchem die Bistumskantone mit je zwei Stimmen vertreten sind, eine in der Regel aus sechs Diözesanspriestern bestehende Kandidatenliste zusammen, von welcher die Regierungen der Bistumskantone (Aargau, beide Basel, Bern, Jura, Luzern, Solothurn, Thurgau und Zug) drei streichen können. Gemäss einem zusätzlichen Erlass darf der neue Bischof den Regierungen der Diözesanskantone nämlich nicht unangenehm sein. Aus den Verbleibenden wählt das Domkapitel dann den neuen Bischof. Dem Papst, der die Wahl schliesslich zu bestätigen hat, kommt somit höchstens noch ein Vetorecht zu
[58].
[47] Bundesamt für Statistik, Volkszählung 1990: Ein Profil der Schweiz, Bern 1993; Presse vom 27.8.93. Als Folge der Einwanderung verdreifachte sich die Zahl der Angehörigen des Islams auf insgesamt 2,2% der Wohnbevölkerung.
[48] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 529 ff.
[49] Vgl dazu oben, Teil I, 1c (Regierung).
[50] CdT, 26.1.93; NQ, 26.5.93.
[51] Presse vom 19.6.93 (BG) und 19.11.93 (Biel). Hingegen lehnte das BG die Beschwerde eines Sikhs ab, welcher die Helmtragpflicht als Verletzung seiner Religionsfreiheit angefochten hatte, da es beim Wechsel vom Turban zum Helm zu einem von seiner Religion verbotenen Entblössen des Kopfes in der Öffentlichkeit komme (NZZ, 14.12.93).
[52] BZ, 15.10. und 30.10.93; Ww, 21.10.93. Siehe auch oben, Teil I, 7d (Flüchtlinge) und.SPJ 1991, S. 244 f.
[53] NZZ, 20.1., 21.1., 26.1., 12.3., 23.4., 4.5. und 13.7.93; TA, 26.8. und 18.9.93.
[55] Bund, 17.5.93; CdT, 10.4. und 18.5.93. Siehe auch SPJ 1990, S. 270 und 1991, S. 280.
[56] Presse vom 5.3., 13.3., 29.5., 1.6., 12.6. und 3.7.93; TA, 16.4. und 26.5.93; LZ, 28.12.93.
[57] Presse vom 26.5.93. Anfechtung des Gutachtens durch das Bischöfliche Offizialat Chur: BüZ, 15.6., 16.6,. 19.6. und 9.7.93.
[58] Presse vom 27.10. und 30.10.93; LZ, 27.11., 7.12. und 23.12.93.
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