Année politique Suisse 1994 : Eléments du système politique / Problèmes politiques fondamentaux et conscience nationale
Kantonale Verfassungsrevisionen
Die eidgenössischen Räte genehmigten die Verfassungsrevisionen von zehn Kantonen, darunter auch diejenige des Kantons
Nidwalden, welche der Landsgemeinde - im Hinblick auf die Erstellung eines Endlagers für Atommüll im Wellenberg - die Kompetenz zur Genehmigung der Konzessionserteilungen für die Benützung des Untergrunds zugesteht
[26].
In
Innerrhoden nahm die Landsgemeinde am 24. April als ersten Schritt der unter dem Begriff "Appio" zusammengefassten Verfassungsänderungen die Einführung der
Gewaltentrennung unter den politischen Behörden an. Damit wird die automatische Mitgliedschaft der Exekutiven von Kanton und Bezirken im Grossen Rat aufgehoben, dieser von 65 auf 46 Mitglieder verkleinert, und der regierende Landammann verliert das Privileg der Leitung des Parlaments. Als nächster Schritt ist die Reform der Verwaltungsstrukturen sowie eine Verkleinerung der Regierung auf sieben Mitglieder vorgesehen, wie sie vom Grossen Rat Ende November beschlossen worden ist
[27].
In
Ausserrhoden konnten hinsichtlich der neuen Kantonsverfassung sowohl die erste Lesung im Kantonsrat wie auch die als "Volksdiskussion" bezeichnete, die gesamte Wohnbevölkerung umfassende öffentliche Vernehmlassung abgeschlossen werden. Der daraus hervorgegangene Entwurf lehnt sich weitgehend an die von der ebenfalls aus breiten Teilen der Bevölkerung zusammengesetzten Verfassungskommission unterbreitete Vorlage an. Hinsichtlich der
umstrittensten Punkte entschied sich der Kantonsrat in folgendem Sinne: Die neue Verfassung soll eine jedoch nicht als "Präambel" bezeichnete Einleitung mit der Nennung Gottes erhalten; das Amt des Regierungsrats ist in Zukunft mit der Zugehörigkeit zu einer Gemeindebehörde unvereinbar; entgegen dem Antrag der Verfassungskommission soll der Titel "Landammann" beibehalten und die Regierung weiterhin jährlich von der Landsgemeinde gewählt werden; der Kantonsrat wird auf 65 Mitglieder vergrössert; die Zahl der nötigen Unterschriften für Initiativen wird auf 300 erhöht; die Landsgemeinde verliert die Kompetenz zur Bestimmung von Budget und Steuerfuss, erhält dafür aber das Recht, den Ständerat zu wählen; die Entscheidung über die Einführung des aktiven kommunalen Stimm- und Wahlrechts für die ausländische Mitbevölkerung bleibt den Gemeinden vorbehalten, ausserdem soll diese Frage an der Landsgemeinde losgelöst von der Verfassung behandelt werden; die von der Verfassungskommission formulierten Sozialziele bleiben erhalten. Als letzte Instanz wird die Landsgemeinde 1995 über die neue Verfassung zu befinden haben
[28].
Nach 17 Jahren Vorarbeit legte der Tessiner Staatsrat Ende Dezember den Entwurf für eine neue Kantonsverfassung vor, die vierte seit Bestehen des Kantons. Die heute gültige Verfassung ist seit 1830 in Kraft und damit die älteste der Schweiz. Die neue Konstitution bestätigt und ergänzt die anerkannten Menschen- und Sozialrechte.
Neuerungen sind im Bereich der Volksrechte, der Wahl der politischen Instanzen sowie des Kirchenwesens vorgesehen, wobei der Regierungsrat für die umstrittensten Themen Varianten vorschlägt. So sieht der Entwurf keine eindeutige Regelung der generellen Einführung des Majorz- oder Proporzwahlrechts, der politischen und finanziellen Stellung der Kirchen, der Frage des Amtszwangs sowie der Einführung des aktiven kommunalen Stimm- und Wahlrechts für die ausländische Mitbevölkerung vor. Geplant ist dagegen eine Neuregelung des Wahlrechts der Ständeräte, deren einer vom Regierungsrat ernannt werden soll, und der Unvereinbarkeit zwischen kantonalen und eidgenössischen politischen Ämtern, weiter die Verdoppelung der nötigen Zahl der Unterschriften für Initiativen und Referenden, die Einführung des Finanzreferendums, die Möglichkeit, neben der Regierung auch das Parlament sowie die Gemeindebehörden abzuberufen und die Einreichung einer Gesetzesinitiative durch ein Viertel (62) der Gemeinden
[29].
Pläne für eine Totalrevision der Kantonsverfassung bestehen auch in den Kantonen Sankt Gallen, Schaffhausen und Zürich. In
Sankt Gallen sprach sich der Grosse Rat für eine Totalrevision der Verfassung bis zum Jahr 2000 aus und damit gegen den Antrag der Regierung, die Konstitution schrittweise zu revidieren. Die dafür zuständige Verfassungskommission soll auf Mitglieder des Grossen Rats beschränkt bleiben, wobei es den einzelnen Arbeitsgruppen unbenommen bleibt, aussenstehende Persönlichkeiten beizuziehen
[30]. In
Schaffhausen befürwortete der Regierungsrat eine Motion der SP für eine Verfassungsrevision bis zum Jahre 2001, dem 500. Jahrestag des Beitritts zur Eidgenossenschaft. In
Zürich legten sowohl die Grünen wie auch die EVP Projekte für eine Revision der 125jährigen Verfassung vor
[31].
[26]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 969 ff. und 2325 f.;
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 86 ff. und 1036;
LZ, 4.3.94. Siehe dazu unten, Teil I, 6a (Energie nucléaire).26
[27]
SGT, 25.4., 17.11. und 18.11.94;
NZZ, 25.11.94.27
[28]
SGT, 17.1., 14.2., 2.3., 30.3., 12.4., 21.6., 24.6., 5.7.-7.7., 15.12. und 20.12.94;
NZZ, 22.6. und 6.7.94. Vgl.
SPJ 1993, S. 18.28
[29]
CdT, 24.12.94;
SGT, 27.12.94. Vgl. auch unten, Teil II, 1a.29
[30]
NZZ und
SGT vom 6.7.94;
NZZ, 27.9.94;
TA 11.10.94. Vgl.
SPJ 1993, S. 18 f.30
[31] SH:
SN, 7.9.94. ZH: Presse vom 2.12. und 7.12.94;
NZZ, 3.12.94.31
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