Année politique Suisse 1994 : Eléments du système politique / Droits, ordre public et juridique
Strafrecht
Auf Wunsch der Kantone und der Parteien verlängerte der Bundesrat die Frist für die im Vorjahr begonnene Vernehmlassung über den Expertenentwurf für die
Revision des allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs. Er kündigte an, dass er deshalb die Botschaft wohl erst in der nächsten Legislatur dem Parlament werde vorlegen können. Für die geforderte beschleunigte Behandlung der Bestimmungen, welche die Umwandlung von kurzen Freiheitsstrafen in eine Arbeitsverpflichtung vorsehen, sah er einstweilen keinen Anlass. In der Vernehmlassung wurde die Reform von allen Bundesratsparteien grundsätzlich begrüsst. Die FDP und die SVP forderten aber eine Überarbeitung, da der Vorentwurf zu sehr auf die Wahrung der Interessen der Straftäter angelegt sei. In dieselbe Richtung zielte auch die von Staatsanwälten und einzelnen Strafrechtsexperten geäusserte Kritik. Beanstandet wurde insbesondere auch die Ausdehnung der Obergrenze für die Möglichkeit des bedingten Strafvollzugs von 18 auf 36 Monate. CVP, SP und SVP schlugen als Alternative das in Frankreich und Belgien praktizierte Modell des teilbedingten Strafvollzugs vor, bei dem ein Teil der Strafe auf jeden Fall abgesessen werden muss
[30].
Für einiges Aufsehen sorgten Berichte von Amnesty International (AI) und des UNO-Komitees gegen die Folter über die
Haftbedingungen in der Schweiz. Im ersten Bericht wurde über Misshandlungen von Ausländern während der Polizeihaft namentlich in Genf berichtet. Im zweiten wurde gefordert, den von der Polizei Festgenommenen sofortigen Kontakt mit Angehörigen und Anwälten zu garantieren. Folter im Sinn der internationalen Konventionen kommt nach dem Urteil der UNO-Kommission in der Schweiz nicht vor
[31]. Namentlich der Bericht von AI, der nicht von der Schweizer Sektion, sondern von der Londoner Zentrale aufgrund von nicht überprüften Zuschriften von angeblich Misshandelten verfasst worden war, blieb nicht unwidersprochen. Dass es bei Festnahmen nicht immer gewaltfrei zugeht, wurde zwar auch von der Polizei zugegeben, Misshandlungen würden aber, sofern eine Beschwerde vorliege, untersucht und disziplinarisch geahndet. Der Bundesrat räumte in seiner Stellungnahme zu einem im Vorjahr publizierten Inspektionsbericht des Europäischen Komitees gegen die Folter ein, dass in einem Teil der Polizeigefängnisse die räumlichen Verhältnisse unbefriedigend sind
[32].
Der Nationalrat überwies ein Postulat Morniroli (lega, TI), das die
Übertragung des Strafvollzugs an Private anregt; praktische Erfahrungen mit diesem System haben bisher v.a. die USA und Australien gemacht
[33]. Er stimmte im weiteren auch der vom Ständerat in der Frühjahrssession verabschiedeten Motion Schmid (cvp, AI) für eine Verbesserung der Aussagekraft der
Kriminalstatistik, namentlich im Hinblick auf den Anteil ausländischer Straftäter, zu
[34].
Vor allem aus der Überlegung heraus, dass
sexuell missbrauchte Kinder den Schritt an die Öffentlichkeit oft erst nach langer Zeit wagen, verlangte der Ständerat mit der Überweisung einer Motion Béguin (fdp, NE) die Heraufsetzung der
Verjährungsfrist für gewaltfreie Handlungen gegen die sexuelle Integrität von 5 auf 10 Jahre. Der Bundesrat bekämpfte diesen Vorstoss vergeblich mit dem Argument, dass anlässlich der Revision des Sexualstrafrechts das Parlament explizit eine Verkürzung der Verjährungsfrist bei gewaltfreien Vergehen beschlossen habe. Damit sollten Kinder davor geschützt werden, noch nach mehreren Jahren in eine gerichtliche Untersuchung hineingezogen zu werden
[35].
Der Nationalrat befasste sich als Zweitrat mit den im Vorjahr von der Regierung vorgeschlagenen
ergänzenden Massnahmen zur
Bekämpfung des organisierten Verbrechens, welche insbesondere die Beteiligung an einer kriminellen Organisation strafbar machen und die Möglichkeiten zur Einziehung von deliktisch erworbenem Vermögen verbessern wollen. Nachdem Eintreten unbestritten war, gab in der Detailberatung die Umschreibung der kriminellen Organisation am meisten zu reden. Die SP befürchtete von diesen neuen Bestimmungen eine Gesinnungsjustiz und verlangte deshalb eine genaue Definition. Ihr Antrag, dass darunter nur auf Dauer angelegte Organisationen zu verstehen sind, welche bereits konkrete, mit Gewaltanwendung oder Bestechung verbundene Delikte begangen haben, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. In der Minderheit blieb ebenfalls ein Antrag der SP und der GP, bei suspekt erscheinenden Geldtransaktionen nicht bloss ein Melderecht, sondern eine -pflicht für das Bankpersonal einzuführen. Diese Pflicht möchte der Bundesrat - bei ernsthaftem Tatverdacht - in das Finanzaufsichtsgesetz, welches er im Frühjahr in die Vernehmlassung gegeben hat, aufnehmen. Nachdem die Referendumsfrist ungenutzt verstrichen war, setzte der Bundesrat die neuen Bestimmungen
auf den 1. August in Kraft [36].
In Erfüllung eines im Vorjahr vom Nationalrat überwiesenen Postulats der CVP-Fraktion legte der Bundesrat eine Zusatzbotschaft vor, in welcher er die Schaffung einer kriminalpolizeilichen
Zentralstelle zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens beantragte. Eigene Ermittlungen soll diese allerdings nicht anstellen dürfen, da dies - mit Ausnahme der Drogen- und Sprengstoffdelikte - Sache der Kantone ist. Sie soll die Arbeit der für die Strafverfolgung zuständigen kantonalen Behörden koordinieren und zudem - unter Einhaltung von präzisen Datenschutzregeln - auch Informationen beschaffen und verwalten sowie den Kontakt mit ausländischen Stellen pflegen. Zur Erfüllung dieser letzten Aufgabe ist u.a. vorgesehen, schweizerische Polizeibeamte als fixe Verbindungsleute nach Lyon (Interpol) und nach Washington zu entsenden. Beim Datenschutz orientierte sich der Bundesrat am deutschen Modell, das für die Gewährung von Einsichtsrechten ein besonderes Interesse und den Hinweis auf konkrete Sachverhalte, die zu einem unrechtmässigen Eintrag hätten führen können, verlangt
[37].
Der
Ständerat anerkannte die Berechtigung und die Dringlichkeit des Begehrens. Aus rechtstechnischen Gründen folgte er aber - mit Einverständnis von Bundesrat Koller - seiner Kommission, die beantragte, die erforderlichen Bestimmungen nicht ins StGB einzubauen, sondern eine neues, vom Kommissionspräsidenten Zimmerli (svp, BE) konzipiertes
Bundesgesetz über kriminalpolizeiliche Zentralstellen zu schaffen. Dieses könnte später den gesetzlichen Rahmen für weitere Zentralstelle bilden. In der politisch heikelsten Frage, der
Regelung des Datenschutzes, entschied sich der Ständerat für eine restriktivere Lösung, die sich an der britischen Praxis orientiert. Um zu verhindern, dass Kriminelle herausfinden können, ob über sie überhaupt Informationen vorhanden sind, sollen keine Einsichtsgesuche in die Datensammlung der Zentralstellen gestellt werden können. Der Datenschutzbeauftragte soll Interessierten auf Anfrage lediglich mitteilen, dass er selbst Einsicht genommen habe und dass er - falls Daten vorhanden gewesen wären - die korrekte Bearbeitung allfällig falsch bearbeiteter Daten angeordnet hätte
[38].
Der
Nationalrat schloss sich der kleinen Kammer an. Ein nur von der SP unterstützter Rückweisungsantrag, der die Verfassungsmässigkeit der Vorlage bezweifelte, und der zudem die Einschränkungen der Datenschutzvorschriften kritisierte und die Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens verlangte, unterlag mit 96 zu 30 Stimmen. In der Detailberatung lockerte der Rat die Datenschutzbestimmungen insofern, als ein nachträgliches Dateneinsichtsrecht besteht, wenn ein Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist und kein begründetes Interesse an der Geheimhaltung vorliegt. Das Differenzbereinigungsverfahren konnte noch im Berichtsjahr abgeschlossen werden
[39].
Der Nationalrat überwies darüber hinaus eine Motion seiner Kommission für Rechtsfragen, welche die Ausarbeitung von rechtlichen Grundlagen für die Ausweitung des Aktivitätsbereichs dieser Zentralstelle auf eigene Ermittlungen und den Einsatz von
verdeckten Fahndern (sog. V-Männer) verlangt. Der Bundesrat opponierte dagegen mit den Argumenten, dass er aufgrund eines früheren Postulat Danioth (cvp, UR) bereits eine Arbeitsgruppe zum Problem der V-Leute eingesetzt habe und zudem abgeklärt werden müsse, ob es für die Ermittlungstätigkeit der Zentralstelle einer Verfassungsänderung bedürfe. Sein Antrag auf Umwandlung in ein Postulat vermochte sich erst im Ständerat durchzusetzen
[40].
Der Nationalrat beriet in der Frühjahrssession die vom Bundesrat im Herbst des Vorjahres vorgeschlagenen Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. Gegen den Widerstand der Fraktionen LdU/EVP und GP sowie eines Teils der SP beschloss er mit 143 zu 34 Stimmen, darauf einzutreten. Dabei waren die Positionen unversöhnlich und beide Seiten warfen dem Gegner vor, mit seiner Haltung der Fremdenfeindlichkeit in der Bevölkerung Vorschub zu leisten: Für die Befürworter handelte es sich darum, die Umgehung von Ausweisungsbeschlüssen zu erschweren, und die Kantone mit Abwehrmitteln gegen illegal anwesende Kriminelle, welche dem Ruf aller Ausländer schaden, auszurüsten. Die Gegner bezeichneten die Vorschläge als diskriminierende, ausländerfeindliche Massnahmen, mit welchen die bürgerlichen Politiker von den sozialen Problemen ablenken und sich den Beifall der Boulvardzeitung "Blick" holen wollten. Während der eine Fraktionssprecher der SP (Rechsteiner, SG) die generelle kontrollierte Drogenabgabe als Alternative propagierte, gab der zweite (Tschäppät, BE) immerhin gewisse Missstände beim Vollzug des Ausländer- und des Asylrechts zu, beurteilte aber die Zwangsmassnahmen als überrissen. Der Kritik, dass die vorgeschlagenen Massnahmen nicht menschenrechtskonform seien, begegnete der Bundesrat mit dem Verweis auf diverse Expertengutachten. In diesen wird insbesondere festgehalten, dass es EMRK-konform ist, Ausländer ohne Aufenthaltsrecht anders zu behandeln als solche mit geregeltem Status oder eigene Staatsangehörige.
In der
Detailberatung beschloss der Rat mit Stichentscheid der Präsidentin, dass die Vorbereitungs- resp. Ausschaffungshaft nicht von der kantonalen Verwaltung - mit nachträglicher richterlicher Überprüfung -, sondern von Anfang an von einem Richter anzuordnen ist. Die "Vorbereitungshaft" für Asylsuchende, die sich absichtlich nicht an Rayonbeschränkungen halten, die unter mehreren Namen Gesuche einreichen oder die Vorladungen mutwillig missachten, wurde gemäss Antrag des Bundesrates auf höchstens drei Monate festgesetzt. Die maximale Dauer der Ausschaffungshaft für Personen, welche sich einer Ausschaffungsanordnung offensichtlich entziehen wollen, reduzierte der Nationalrat von neun auf drei Monate, mit der Möglichkeit einer richterlichen Verlängerung um weitere drei Monate. Die ebenfalls sehr umstrittene neue Bestimmung, wonch die Behörden mit richterlicher Erlaubnis in Wohnungen oder Räumen von Dritten nach untergetauchten abgewiesenen Asylbewerbern und deren Ausweispapieren suchen dürfen, wurde entschärft: die Suche nach Ausweisen allein legitimiert keine Hausdurchsuchung. Ein von Vertretern der FP vorgebrachter Antrag, dass die Kantone die neuen Massnahmen zwingend anwenden müssen, wurde deutlich abgelehnt. Die Zustimmung zu den Zwangsmassnahmen erlaubte die Streichung der bisher im Ausländergesetz verankerten Möglichkeit der maximal zweijährigen Internierung von Auszuschaffenden
[41].
Der
Ständerat behandelte das Geschäft ebenfalls noch in der Frühjahrssession und schloss sich weitgehend dem Nationalrat an. Bei der Anordnung der Vorbereitungs- resp. Ausschaffungshaft kam er jedoch auf den bundesrätlichen Vorschlag zurück, dass diese von Verwaltungsstellen angeordnet werden kann, aber nach spätestens vier Tagen von einem Haftrichter bestätigt werden muss. Dabei setzte er die Anforderungen allerdings etwas strenger als der Bundesrat, indem der Richter nicht nur aufgrund der Akten die Anordnung der Verwaltung überprüfen, sondern nach einer mündlichen Verhandlung einen eigenständigen Entscheid fällen muss. Die von Kritikern befürchtete Inhaftierung von Kindern unter 15 Jahren schloss er explizit aus. Zudem beschloss er in Abweichung vom Nationalrat, dass die Ausschaffungshaft maximal sechs Monate betragen kann, wobei der Richter diese Frist um weitere drei Monate verlängern kann. Zustimmung fand auch der vom Bundesrat auf Wunsch des Nationalrats und der Kommission des Ständerats zusätzlich eingebrachte Antrag, dass der Bund die Kantone beim Bau und Betrieb von Haftanstalten, welche dem Vollzug dieser Zwangsmassnahmen dienen, finanziell unterstützen kann
[42].
Die grosse Kammer beharrte in der
Differenzbereinigung vorerst auf der Haftanordnung durch den Richter, musste dann aber dem Ständerat nachgeben. In der Frage der Dauer der Ausschaffungshaft fand man einen Kompromiss: diese dauert höchstens drei Monate, kann allerdings von einem Richter um maximal weitere sechs Monate verlängert werden. In der Schlussabstimmung sprachen sich im Nationalrat 111 für und 51 gegen die Massnahmen aus; 13 enthielten sich der Stimme. In der kleinen Kammer lautete das Stimmenverhältnis 37 zu 2
[43].
Vertreter der SP, der GP und des SGB sowie die Dachorganisation der Flüchtlingshilfswerke wollten zuerst auf ein
Referendum verzichten. Sie befürchteten, dass in einer Abstimmungskampagne das Thema "kriminelle Ausländer" dominieren würde, und sich diese Diskussion für die Anliegen der Ausländer in der Schweiz negativ auswirken könnte. Das Referendum wurde dann aber von einer Vielzahl anderer Organisationen ergriffen, unter denen lokale asylpolitische Bewegungen dominierten und von den Parteien nur die PdA vertreten war. In der Folge unterstützten auch einige SP-Kantonalsektionen und schliesslich - nach einem ersten negativen Entscheid im März - auch die SPS die Unterschriftensammlung. Das Referendum kam mit rund 75 000 Unterschriften fristgerecht zustande
[44].
In der
Kampagne zur Volksabstimmung tauchten kaum neue Argumente auf. Für die Befürworter handelte es sich um notwendige Massnahmen zur besseren Durchsetzung des Vollzugs der pro Jahr rund 20 000 Ausweisungsbeschlüsse und gegen den Missbrauch des Asylrechts durch Kleinkriminelle. Für die Gegner stellten die Zwangsmassnahmen eine Diskriminierung von Ausländern und ein untaugliches Mittel zur Bekämpfung des Drogenhandels dar; in der Westschweiz wurde in diesem Zusammenhang betont, dass es nicht angehe, wegen der zu liberalen Zürcher Drogenpolitik nationales Ausnahmerecht einzuführen. Die Auseinandersetzung wurde, zumindest am Anfang, von den Gegnern zum Teil sehr emotional und gehässig geführt. So warfen sie der Parlamentsmehrheit und dem Bundesrat vor, mit den Massnahmen den Rassismus zu fördern und, nach dem Vorbild der faschistischen Diktatoren Hitler und Mussolini, die Disziplinierung und Ausschaltung unbequemer Menschen anzustreben. SP-Nationalrat Rechsteiner (SG) sprach im Pressedienst seiner Partei von einem "braunen Blick-Gesetz". Zu der von der SP und den Hilfswerken befürchteten Stimmungsmache gegen Ausländer kam es hingegen nicht; sowohl die SD als auch die FP traten praktisch nicht in Erscheinung
[45]. Alle
Parteien ausser der SP, der GP und der PdA empfahlen die Ja-Parole; nur in Genf, wo auch namhafte Juristen heftige Kritik an den neuen Massnahmen übten, kam es - bei der LP - zu einer abweichenden Parole einer Kantonalsektion. Gegen die Massnahmen sprach sich auch die katholische Bischofskonferenz aus, welche befürchtete, dass damit das Misstrauen gegen Ausländer geschürt würde; die Leitung der evangelischen Kirche verzichtete dagegen auf eine Stellungnahme
[46].
In der Volksabstimmung vom 4. Dezember stimmten knapp
73% für die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. Am deutlichsten fiel das Ja in der Nordostschweiz (inkl. Zürich) aus. In den ländlichen Gebieten der Innerschweiz und in der Westschweiz war die Skepsis grösser; am knappsten war die Zustimmung in Genf (52,3%), wo sich mit Ausnahme der FDP alle Parteien für ein Nein eingesetzt hatten
[47].
Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht
Abstimmung vom 4. Dezember 1994
Beteiligung: 43,8%
Ja: 1 435 040 (72,9%)
Nein: 533 297 (27,1%)
Parolen:
- Ja: FDP, CVP, SVP, LP (1*), FP, LdU, EVP, SD, Lega, EDU; Vorort, SGV, Angestelltenverbände.
- Nein: SP, GP, PdA; SGB, CNG, Caritas, HEKS und andere Hilfswerke.
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Die
Vox-Analyse über das Stimmverhalten ergab, dass die Sympathisanten der drei bürgerlichen Bundesratsparteien sehr deutlich zugestimmt hatten, während sich bei der Anhängerschaft der SP die Ja- und Nein-Stimmen die Waage hielten. Sämtliche soziale Gruppen sprachen sich für die Zwangsmassnahmen aus; bei Frauen, jüngeren Stimmberechtigten und Bewohnern von städtischen Agglomerationen fiel diese Unterstützung aber unterdurchschnittlich aus
[48].
Zusätzliche
Massnahmen gegen ausländische Drogenhändler forderte eine Motion der liberalen Fraktion. Sie verlangte eine Verschärfung des Betäubungsmittelgesetzes in dem Sinne, dass Ausländer ohne Niederlassungsbewilligung, welche zu Zuchthaus- oder Gefängnisstrafen verurteilt worden sind, automatisch nach Verbüssung der Strafe des Landes verwiesen werden, sofern nicht internationale Übereinkommen eine Ausschaffung verbieten. Der Nationalrat überwies den Vorstoss als Postulat
[49].
In seinen Antworten auf Einfache Anfragen von Rechsteiner (sp, SG) und de Dardel (sp, GE) hielt der Bundesrat fest, dass die Schweiz im Fall der
Bestechung ausländischer Amtsinhaber durch Bürger dieser Staaten vollumfänglich Rechtshilfe gewähre, da dieses Delikt ja auch in der Schweiz strafbar sei. Die Bankenkommission bezeichnete in ihrem Jahresbericht für 1993 die wissentliche Verwaltung von Schmiergeldern durch Banken als unstatthaft, da mit der in der Bewilligung geforderten Gewähr einer einwandfreien Geschäftsführung nicht vereinbar
[50]. In mehreren ausländischen Korruptionsfällen leisteten kantonale Behörden im Berichtsjahr Rechtshilfe. So unter anderem bei Verfahren gegen die ehemaligen Premierminister Mitsotakis (Griechenland) und Craxi (Italien)
[51].
Ein Wandel ergab sich in der bundesrätlichen Beurteilung der
steuerlichen Behandlung von Schmiergeldern. In seiner Antwort auf eine Interpellation Rechsteiner (sp, SG) hatte der Bundesrat Ende 1993 die Änderung des Steuergesetzes, welches den Abzug von sogenannten Schmiergeldern als Geschäftsunkosten zulässt, noch abgelehnt. Im Anschluss an die Europäische Justizministerkonferenz vom 14./15. Juni in Malta kündigte er dann an, dass diese Regelung, die nicht nur in der Schweiz, sondern z.B. auch in Deutschland und Frankreich gilt, überprüft werden sollte. Bereits zuvor hatte eine von der OECD eingesetzte Arbeitsgruppe entsprechende Empfehlungen abgegeben
[52]. Der Nationalrat überwies zudem ein Postulat Ruffy (sp, VD) für eine wissenschaftliche Studie über die Korruption in der Schweiz (im Rahmen des 1993 beschlossenen NFP "Gewalt im Alltag und organisierte Kriminalität")
[53].
In seiner Antwort auf eine in ein Postulat umgewandelte Motion Rechsteiner (sp, SG) hielt der Bundesrat fest, dass sich der strafrechtliche Begriff Bestechung in der Schweiz, wie auch sonst überall ausser den USA, nur auf die Bestechung einheimischer Beamter bezieht. Da die entsprechenden Gebräuche und Rechtsvorschriften je nach Land sehr unterschiedlich seien, sei die Forderung Rechsteiners nach einer
schweizerischen Strafnorm zur Verhinderung von Bestechungszahlungen an ausländische Behörden als nicht praktikabel abzulehnen
[54].
Die 1991 vom Bundesrat beantragte Strafrechtsrevision in bezug auf strafbare Handlungen gegen das Vermögen und auf Urkundenfälschung konnte
abgeschlossen werden. In der Differenzbereinigung schloss sich der Nationalrat weitgehend den Entscheiden der kleinen Kammer an
[55].
Im Januar gab der Bundesrat den Vorentwurf für eine
Ausweitung der Bestimmungen gegen die Geldwäscherei
auf den ganzen Finanzsektor in die Vernehmlassung. Dem neuen Gesetz sollen nicht nur wie bisher Banken unterstellt sein, sondern alle im Finanzmarkt tätigen Akteure, also auch Versicherungen, PTT, Treuhänder, Anwälte und andere mit Finanzierungs- und Kreditgeschäften befasste Personen und Firmen. Vorgesehen ist eine Identifizierungspflicht für Kunden (bei Bargeschäften ab 25 000 Fr.) und die Abklärung der wirtschaftlichen Hintergründe und des Zwecks der Transaktion bei Anzeichen von verdächtigen Handlungen. Bei Gewissheit oder begründetem Verdacht soll eine Meldepflicht eingeführt werden
[56].
Die
Reaktionen fielen
überwiegend negativ aus. Keinen dringenden Handlungsbedarf konnten die ins Visier genommenen Treuhänder ausmachen. Für die Banken ist zwar ein solcher durchaus gegeben, die neuen Regeln würden aber ihrer Ansicht nach die bestehenden Normen konkurrenzieren und zu Ungereimtheiten führen. Die vorgesehene Meldepflicht bei verdächtigen Transaktionen lehnten sie, wie übrigens auch die FDP und die SVP, ab
[57].
Eine
internationale Expertenkommission hatte im Vorjahr die Vorkehrungen der Schweiz gegen die Geldwäscherei ins Examen genommen und war dabei, namentlich für den Bankensektor, zu einem guten Ergebnis gekommen. Wie der Bundesrat schlug auch sie vor, die Bestimmungen auch auf den Parabankensektor auszuweiten
[58].
In der bisher
grössten in der Schweiz aufgedeckten
Geldwäschereiaffäre beschlagnahmten die Behörden bei der Schweizerischen Bankgesellschaft rund 150 Mio US$. Die Ermittlungsbehörden vermuten, dass diese Gelder von kolumbianischen Drogenhändlern stammen. Sie wurden vor Inkrafttreten des Geldwäschereigesetzes (August 1990) angelegt und nachher vom verantwortlichen Bankangestellten nicht gemeldet, obwohl er nach Ansicht der Justizbehörden von ihrer illegalen Herkunft Kenntnis hatte
[59].
Bundesrat Koller setzte Ende Februar eine Expertenkommission für die Ausarbeitung eines
Waffengesetzes ein. Diese konnte noch im Berichtsjahr ihren Entwurf abliefern. Der Nationalrat überwies eine im Vorjahr vom Ständerat gutgeheissene Motion Salvioni (fdp, TI) für die rasche Vorlage eines Gesetzes über den Waffenhandel ebenfalls
[60]. Der Bundesrat verlängerte das Ende 1991 beschlossene absolute Waffenerwerbs- und -tragverbot für
Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien um weitere zwei Jahre bis Ende 1996
[61].
[30] Verlängerung:
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1222 f. Stellungnahmen:
BZ, 24.2.94 und
Blick, 19.3.94 (Staatsanwälte);
NZZ, 19.3. (Experten) und 15.6.94 (Schweiz. Kriminalistische Gesellschaft; siehe dazu auch
Schweiz. Zeitschrift für Strafrecht, 1994, S. 354 ff. und 432 ff.);
TA, 6.5.94 (teilbedingter Vollzug);
Bund, 16.5.94. Replik auf den Vorwurf der "Täterfreundlichkeit":
Lit. Kunz sowie
TA, 28.5.94. Vgl. auch
SPJ 1993, S. 26.30
[31] AI-Bericht:
Bund,
TA und
24 Heures, 19.4.94. UNO-Bericht:
BaZ, 29.4.94.31
[32] Reaktion auf AI-Bericht:
BaZ, 27.4. und 16.5.94;
Bund, 29.4.94;
TA, 10.5.94. BR:
NZZ, 10.6.94.32
[33]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1050 f. Vgl. dazu
SHZ, 23.6.94;
TA, 2.7. und 25.8.94.33
[34]
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 141 f.;
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 2447. Zum Anteil der Ausländer in der Kriminalstatistik siehe auch
Lit. BfS sowie
NZZ, 26.2.94.34
[35]
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 834 ff. Zuvor hatten bereits rund 40 Frauenorganisationen und die SPS die gleiche Forderung erhoben (
SGT, 27.5.94).35
[36]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 55 ff. und 664 f.;
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 374;
BBl, 1994, II, S. 274 ff.;
NZZ, 1.7.94 (Inkraftsetzung). Vgl.
SPJ 1993, S. 27. Kritisch dazu siehe
Lit. Roulet und Vest.36
[37]
BBl, 1994, I, S. 1145 ff.; Presse vom 13.1.94. Vgl.
SPJ 1993, S. 27.37
[38]
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 717 ff.38
[39]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1423 ff., 1473 ff. und 1965;
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 947 und 1074;
BBl, 1994, III, S. 1850 ff.; Presse vom 28.9.94. Zum Datenschutz siehe auch oben und
TA, 17.6.94;
NZZ, 21.6.94.39
[40]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1487 ff.;
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 947 f. Postulat Danioth:
SPJ 1992, S. 30.40
[41]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 74 ff., 140 ff. und 336 ff. Vgl.
SPJ 1993, S. 25 f. In Deutschland war 1993 eine maximal 18 Monate dauernde Ausschaffungshaft eingeführt worden, in den Niederlanden, in Dänemark und in Portugal die Vorbereitungshaft (
TA, 8.11.94;
BZ, 11.11.94).41
[42]
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 109 ff.42
[43]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 336 ff., 399 ff. und 664 f.;
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 272 f. und 375;
BBl, 1994, II, S. 279 ff.43
[44]
TA, 17.3., 11.4., 23.4. (Lancierung), 23.4. und 2.5.94 (SPS);
BBl, 1994, III, S. 1099 f. (Zustandekommen).44
[45] Vgl. Presse vom Oktober bis 3.12.94. Faschismusvorwurf:
TW, 19.10.94;
Pressedienst SPS, Nr. 398, 21.10.94, S. 10 ff.;
Blick, 22.10. und 26.10.94 (BR Koller). Zum Argument der zu wenig restriktiven Zürcher Drogenpolitik siehe z.B. J. Pilet in
NQ, 21.11.94. Vgl. zur Kampagne auch
TA, 5.12.94.45
[46] Westschweiz:
TA, 2.11.94. Kirche:
Blick, 3.11.94;
SoZ, 13.11.94.46
[47]
BBl, 1995, I, S. 278 ff.; Presse vom 5.12.94.47
[48] M. Delgrande / W. Linder,
Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 4. Dezember 1994, VOX Nr. 55, Adliswil/Bern 1995.48
[49]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1695 ff. und 1812.49
[50]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1270;
TA, 3.2.94;
NZZ, 13.4.94 (Bankenkommision). Vgl. auch
SPJ 1993, S. 28 und P. Bernasconi in
NZZ, 7.2.94.50
[51] Mitsotakis:
NZZ, 26.8. und 29.8.94. Craxi:
JdG, 29.11.94.51
[52]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 645 f. (Interpellation) bzw. 1270 und 1987 f. (Konferenz). Vgl. auch
TA, 14.5. und 25.5.94 (OECD);
NZZ, 15.6.94 (Malta);
SHZ, 4.8.94.52
[53]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 594 f.53
[54]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 585 f.54
[55]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 329 ff., 869 ff. und 1250;
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 14 ff., 430 f., 582, 775, 880 und 1074;
BBl, 1994, III, S. 256 ff. Vgl.
SPJ 1993, S. 28. Siehe auch N. Schmid, "Das neue Vermögens- und Urkundenstrafrecht", in
Schweizerische Juristenzeitung, 1995, S. 1 ff.55
[56] Presse vom 13.1.94. Mit dem neuen Strafrechtsartikel über die Bekämpfung des organisierten Verbrechens wurde für die Banken ein Melderecht bei verdächtigen Transaktionen eingeführt (s. oben).56
[57]
NZZ, 3.5. und 4.5.94;
TA, 3.5. und 31.5.94;
BaZ, 7.5.94. Vgl. auch M. Pieth in
Bund, 3.8.94. Die Sorgfaltspflicht der Banken war auch Thema des 128. Schweizerischen Juristentags (Vgl. dazu
NZZ, 17.10.94 sowie die
Lit. in Kap. 4b).57
[59]
NZZ, 14.4. und 16.4.94;
TA, 19.4.94.59
[60] Experten:
NZZ, 28.3. und 2.4.94;
Gesch.ber. 1994, Teil 2, S. 112. Motion:
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 572. Vgl.
SPJ 1993, S. 28 f.60
[61]
AS, 1994, S. 2996;
Bund, 6.12.94. Vgl.
SPJ 1991, S. 31.61
Copyright 2014 by Année politique suisse