Année politique Suisse 1996 : Economie / Politique économique générale
Strukturpolitik
Die
kleinen und mittleren Betriebe (
KMU) erhalten in der Schweiz im Vergleich zum Ausland wenig staatliche Unterstützung. Die bürgerlichen Parteien, welche im Berichtsjahr die Förderung der KMU zu einem wirtschaftspolitischen Hauptanliegen erklärten, setzen grundsätzlich mehr auf eine Verbesserung der allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. In der Sommersession regten die Nationalrats-Fraktionen der CVP und der FDP mit dringlichen Interpellationen jedoch auch spezielle Erleichterungen für KMU im Bereich der Verfahrensvorschriften und Bewilligungen sowie bei der Besteuerung von Risikokapital an
[20].
Ähnliches verlangte auch ein vom Nationalrat gutgeheissenes Postulat Loeb (fdp, BE). Erwähnt wurden im Vorstoss vor allem steuerliche Erleichterungen für neugegründete Unternehmen sowie vereinfachte administrative Verfahren (z.B. bei der AHV-Abrechnung). Eine Steuerbefreiung für neugegründete KMU, wie dies eine Interpellation der CVP-Fraktion anregte, lehnte der Bundesrat jedoch ab. Dabei wies er einerseits auf die Priorität der Sanierung der Bundesfinanzen und andererseits auf die im Rahmen des
neuen Unternehmenssteuerrechts geplanten Erleichterungen hin. Das im Juli in die Vernehmlassung gegebene Reformpaket sieht vor, die erste Million Franken Aktienkapital einer neuen Firma von der Emissionsabgabe zu befreien und einen einheitlichen proportionalen Steuersatz für Gewinne anzuwenden. Letztere Massnahme würde im Vergleich zur bisherigen Regelung, welche auf das Verhältnis des Reingewinns in bezug auf das Eigenkapital abstellt, besonders junge, kapitalschwache Unternehmen begünstigen
[21]. In der Debatte über die Legislaturplanung 1995-99 überwies das Parlament eine in die gleiche Richtung zielende, aber allgemeiner gehaltene Motion der Nationalratskommission
[22].
Mit Bundeshilfe soll auch die
Stellung der KMU bei der Anwendung neuer Technologien gestärkt werden. Der Nationalrat hiess eine Motion Tschopp (fdp, GE) gut, welche verlangt, dass ein bestimmter Teil von Bundesaufträgen im Bereich Forschung und Entwicklung an KMU vergeben werden muss. Der Ständerat wandelte die 1995 vom Nationalrat überwiesene Motion Wick (cvp, BS) für einen besseren Zugang von KMU zu Forschungsresultaten aus formellen Gründen in ein Postulat um
[23].
Der Bundesrat beantragte dem Parlament die Ratifizierung von
zwei völkerrechtlichen Verträgen zum Markenrecht. Es handelte sich dabei um den Markenrechtsvertrag von 1994 und das Madrider Protokoll über die internationale Registrierung von Marken. Letzteres ist eine Weiterentwicklung des Madrider Markenabkommens, welchem die Schweiz seit mehr als hundert Jahren angehört. Diese Abkommen vereinfachen und harmonisieren die Prozeduren für die internationale Anerkennung von geschützten Marken. Die Ratifizierung der beiden Verträge erforderte eine geringfügige Anpassung des 1992 totalrevidierten schweizerischen Markenschutzgesetzes
[24]. Das Parlament stimmte der Ratifizierung diskussionslos zu und verabschiedete auch die Teilrevision des Gesetzes
[25].
Der Ständerat wandelte eine im Vorjahr vom Nationalrat überwiesene Motion Epiney (cvp, VS) für ein
Gütezeichen für Produkte aus Berggebieten in ein Postulat um, da das Hauptanliegen (Markenschutz für Landwirtschaftsprodukte) mit einer entsprechenden Revision des Landwirtschaftsgesetzes bereits erfüllt worden war
[26].
Ende Februar veröffentlichte der Bundesrat die Botschaft über eine Neuordnung der Regionalpolitik. Der Bericht enthält - neben einer Darstellung und Beurteilung der bisherigen regionalpolitischen Massnahmen - den Entwurf für eine Totalrevision des Investitionshilfegesetzes für Berggebiete (IHG) sowie für einen neuen Bundesbeschluss zur Förderung des Strukturwandels im ländlichen Raum (REGIO PLUS). Der Schwerpunkt der Regionalpolitik soll weiterhin beim Ausbau der Infrastrukturen in den Regionen zwecks Steigerung ihrer Attraktivität als Wirtschaftsstandort, aber auch als Wohnort liegen. Mehr als bisher möchte der Bundesrat dabei aber eine regionenübergreifende Koordination und Konzentration fördern. Während bisher staatliche Beiträge vor allem dazu dienten, regionale Disparitäten in der Ausstattung mit Infrastrukturen abzubauen, soll sich in Zukunft der Einsatz der Förderungsinstrumente stärker am erwarteten Beitrag zu einer Attraktivitätssteigerung orientieren.
Mit dem IHG soll weiterhin der Ausbau der regionalen Infrastrukturen (wozu auch primär dem Tourismus dienende Anlagen gehören können) gefördert werden. Voraussetzung für die Auszahlung von Bundesdarlehen bleibt wie bisher das finanziell gleichwertige Mitengagement der Kantone. Neu soll gemäss dem Entwurf des Bundesrates die Vollzugskompetenz aber weitgehend in die Hand der Kantone gelegt werden. Im Rahmen eines vom EVD für die Kantone festgelegten Höchstbetrags können diese selbst über die eingereichten Gesuche entscheiden. Als Instrumente sollen nur noch zinsgünstige oder -freie Darlehen und keine Zinsverbilligungen und Bürgschaften mehr zum Einsatz gelangen. Um die Darlehensnehmer zum sparsamen Mitteleinsatz zu bewegen, ist vorgesehen, für die einzelnen Projekte nicht mehr einen fixen Anteil der Endabrechnung zu übernehmen, sondern einen im voraus festgelegten Pauschalbeitrag auszurichten.
Der Bundesrat hielt an seinem Vorschlag für ein neues
Programm "Regio Plus" fest, obwohl sich die FDP, der Vorort und der Gewerbeverband in der Vernehmlassung aus ordnungspolitischen Gründen grundsätzlich dagegen ausgesprochen hatten. Mit diesem soll der Strukturwandel nicht nur in den Berggebieten, sondern zusätzlich auch im übrigen ländlichen Raum gefördert werden. Der Bundesrat begründet den Handlungsbedarf mit dem akzentuierten Strukturwandel in der Landwirtschaft, welcher für die nicht in den Bergen gelegenen ländlichen Gebiete neue Probleme schaffen könnte. Die in diesem Rahmen gewährte staatliche Unterstützung wird nicht Bauvorhaben oder einzelnen Betrieben zugute kommen, sondern innovativen Netzwerken. In Anlehnung an EU-Programme (namentlich LEADER) werden darunter organisatorische, konzeptionelle oder institutionelle Projekte verstanden, welche die
Zusammenarbeit von lokalen Unternehmen und Institutionen zur Verbesserung der regionalen Wettbewerbsfähigkeit anstreben (z.B. gemeinsame Vermarktung von Produkten oder Bewerbung um Aufträge). Finanziert sollen dabei nicht nur die einzelnen Netzwerke werden, sondern auch der nationale und internationale Informations- und Erfahrungsaustausch. Der Bundesrat schlägt eine kostenneutrale Finanzierung vor: für diese Beiträge sollen 70 Mio Fr. aus dem für den Vollzug des IHG bestehenden Investitionshilfefonds bereitgestellt werden
[27].
Der
Ständerat befasste sich bereits in der Herbstsession mit der Vorlage. Während
Eintreten auf das IHG unbestritten war, lehnte der Freisinnige Bisig (SZ) das Programm "Regio Plus" grundsätzlich ab; er blieb aber mit 28 zu 8 Stimmen deutlich in der Minderheit. In der Detailberatung zum IHG nahm der Rat keine bedeutenden Änderungen vor. Er war auch nicht bereit, einem Antrag Büttiker (fdp, SO) auf Umwandlung des Gesetzes in einen auf zehn Jahre beschränkten Bundesbeschluss zuzustimmen. Der Antragsteller hatte vergeblich damit argumentiert, dass die geplante neue Regelung des Finanzausgleichs neue Voraussetzungen für die Regionalpolitik schaffen werde und zudem Subventionen ohnehin periodisch überprüft werden sollten. In der Gesamtabstimmung passierte das IHG oppositionslos, das Programm "Regio plus" mit drei Gegenstimmen
[28].
Im Berichtsjahr publizierte der Bundesrat einen
Bericht über die Tourismuspolitik des Bundes. Er kam dabei einer Aufforderung des Parlaments nach, welches 1995 zwei entsprechende Postulate verabschiedet hatte. In der Lageanalyse stellte er unter anderem fest, dass der Tourismus nach der Maschinen- und Apparateindustrie sowie der Chemie die
drittwichtigste Exportbranche ist, und seine binnenwirtschaftliche Bedeutung für die Städte gross und für die Berggebiete sogar existentiell ist. Mit der Globalisierung des Angebots seit den 80er Jahren ist aber die Konkurrenz sowohl für die Schweiz als Reiseziel als auch für deren meist kleingewerblich organisierte Betriebe enorm gewachsen, was sich in sinkenden Gästezahlen und stagnierenden Einnahmen ausdrückte. Immerhin lag die Schweiz 1995 in bezug auf Exporterlöse aus dem Tourismus pro Kopf der Bevölkerung weltweit noch an vierter Stelle (hinter Singapur, Österreich und Hong Kong), in bezug auf Wertschöpfung je Mitarbeiter gar an der Spitze. Um die herrschende Stagnation zu überwinden und neue Chancen zu nutzen, rief der Bundesrat die interessierten Privatunternehmen zu grösserer Aktivität auf, namentlich in den Bereichen Innovation des Angebots und partnerschaftliches Auftreten auf dem internationalen Markt. Er selbst sei bestrebt, Anstrengungen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen zu unternehmen. Eine direkte Unterstützung von Betrieben oder einen Ausbau der im internationalen Vergleich bescheidenen Subventionierung der Tourismuswerbung schlug er im Bericht jedoch nicht vor
[29].
Gestützt auf diesen Bericht legte der Bundesrat dem Parlament gegen Jahresende einen auf fünf Jahre befristeten
Bundesbeschluss über die
Förderung von Innovation und Zusammenarbeit im Tourismus vor. Er möchte damit Projekte begünstigen, welche überbetriebliche neue und qualitativ hochstehende Angebote entwickeln. Diese Angebote können sowohl Produkte (z.B. ein Paket mit verschiedenen, dem Gast angebotenen Aktivitäten) als auch Informationen (z.B. gemeinsame Reservationssysteme) umfassen. Die geförderten Projekte sollen beispielhaft sein und andere Anbieter zur Nachahmung anregen. Die Subventionierung darf maximal 50% der Kosten ausmachen, wobei die gesamte Finanzhilfe für fünf Jahre auf maximal 18 Mio Fr. beschränkt ist. In der Vernehmlassung hatten einzig die SP und die FDP grössere Bedenken angemeldet. Erstere, weil ihr das Programm zu vage war, letztere aus ordnungspolitischen Gründen
[30].
Nach zäher Diskussion beschloss das Parlament eine auf fünf Jahre befristete
Reduktion des Mehrwertsteuersatzes für Hotelübernachtungen (inkl. Frühstück) von 6,5% auf 3%. Dieser auf den 1. Oktober in Kraft gesetzte Beschluss, welcher die Konkurrenzfähigkeit der unter dem starken Frankenkurs leidenden Hotellerie verbessern soll, setzte sich gegen einen Alternativvorschlag des Sozialdemokraten Ledergerber (ZH) durch. Dieser hatte verlangt, auf die Steuerreduktion zu verzichten und stattdessen einen Fonds für die Unterstützung des Strukturwandels im Tourismus zu schaffen
[31].
Der Bundesrat tat sich weiterhin schwer mit dem 1993 vom Volk mit deutlichem Mehr erteilten Auftrag, Spielbanken zuzulassen. Nachdem die 1995 durchgeführte Vernehmlassung zum Vorentwurf für ein
Gesetz über Spielkasinos sehr kontroverse Resultate ergeben hatte, beauftragte der Bundesrat eine inzwischen anstelle der Expertenkommission eingesetzte interdepartementale Arbeitsgruppe mit einer grundlegenden Überarbeitung. Die in den letzten Jahren aufgetretene starke Vermehrung der bewilligten Kursäle und der darin aufgestellten Glücksspielautomaten bewog den Bundesrat im April zu einem Stop bei der Bewilligung neuer Kursäle. Zudem beschloss er eine Ausweitung des im Gesetz vorgesehenen Spielbankenbegriffs. Im
neuen Entwurf, den er im September den Kantonen zur Stellungnahme vorlegte, schlug er vor, nicht wie ursprünglich vorgesehen dreizehn, sondern lediglich noch sieben eigentliche Spielbanken zu konzessionieren. Nur in diesen wären Tischspiele wie Roulette und Glücksspielautomaten mit hohen Einsätzen zulässig. Daneben sind Spielkasinos mit beschränkten Einsätzen und Gewinnmöglichkeiten vorgesehen, welche wie bisher neben Automaten nur das Tischspiel Boule anbieten dürfen. Beide Kategorien von Casinos sollen an den Bund Steuern zuhanden der AHV-Kasse abliefern. Bei den Spielbanken soll der Satz 80% des Bruttospielertrags ausmachen, die Trinkgelder aber von einer Besteuerung ausgenommen sein; bei den Kursälen würden auch die Kantone an den Einnahmen partizipieren
[32]. Die
Tourismuskantone waren auch mit diesem zweiten Vorentwurf überhaupt
nicht zufrieden. Sie kritisierten sowohl die vorgesehenen Bundeskompetenzen bei den Kursälen als auch den als viel zu hoch beurteilten Steuersatz. Bundesrat Koller schloss grundsätzliche Änderungen am Vorentwurf aus, kündigte aber Verhandlungsbereitschaft beim Steuersatz für Kursäle an
[33].
[20]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 992 ff. Internationaler Vergleich:
Lit. Christoffel. Siehe zur KMU-Förderung auch H. Sieber, "Herausforderungen für die kleinen und mittleren Unternehmen in einem globalen Umfeld", in
Mitteilungsblatt für Konjunkturfragen, 1996, Nr. 1, S. 3 ff.20
[21]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 586 f. (Loeb) und 1805 ff. (CVP). Siehe auch die Antwort des BR auf eine SP-Interpellation (
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1801 ff.). Zum neuen Unternehmenssteuerrecht siehe unten, Teil I, 5 (Direkte Steuern) sowie
TA, 2.7.96. Vgl. zu den KMU auch R. Walser (Vorort) in
NZZ, 13.8.96.21
[22]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 764 und 788;
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 399 und 412.22
[23]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1835 f.;
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 197 f. Vgl.
SPJ 1995, S. 110.23
[24]
BBl, 1996, II, S. 1425 ff. Vgl. auch
SPJ 1992, S. 110.24
[25]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1317 ff. und 1926;
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 791 ff. und 854;
BBl, 1996, IV, S. 845 ff.25
[26]
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 793 f. Vgl.
SPJ 1995, S. 109 und 136 sowie unten, Teil I, 4c (Produits alimentaires).26
[27]
BBl, 1996, II, S. 1104 ff.; Presse vom 2.3.96. Vgl.
SPJ 1995, S. 110 f. Zu den regionalen ökonomischen Disparitäten, namentlich zwischen Deutsch- und Westschweiz siehe
NQ, 8.10.96 und
TA, 14.10.96.27
[28]
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 634 ff. Zum neuen Finanzausgleich siehe unten, Teil I, 5 (Finanzausgleich).28
[29]
BBl, 1996, III, S. 852 ff.;
Bund, 25.3.96; Presse vom 30.5.96. Vgl.
SPJ 1995, S. 111.29
[30]
BBl, 1997, I, 1412 ff.; Presse vom 30.5. und 10.12.96;
NZZ, 2.9.96 (Vernehmlassung).30
[31]
AS, 1996, S. 2378 f.; Presse vom 13.3.96. Zur Diskussion siehe unten, Teil I, 5 (Indirekte Steuern).31
[32] Neues Gesetzesprojekt:
TA, 13.8.96; Presse vom 28.9.96 sowie
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1454 ff. und 1545 ff. Vernehmlassung:
SHZ, 8.2.96 sowie
SPJ 1995, S. 111 f. Bewilligungsstop:
NLZ, 25.4.96. Zum Boom der Kursäle mit Geldspielautomaten:
TA, 15.1.96.32
[33]
SHZ, 24.10.96; Presse vom 12.11.96;
NZZ, 16.11.96 (Koller).33
Copyright 2014 by Année politique suisse