Année politique Suisse 1996 : Politique sociale / Assurances sociales
Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV)
Erstmals seit 1979 rutschte die AHV-Rechnung mit einem Minus von 28 Mio Fr. (1995: + 9 Mio Fr.) in
die roten Zahlen ab. Die Rentenzahlungen, die mit 24 449 Mio Fr. gegen 99% der Gesamtausgaben ausmachten, stiegen um 1,3%. Weil 1996 keine Rentenanpassung fällig war, ist diese Zunahme fast ausschliesslich der Alterung der Bevölkerung zuzuschreiben. Das Vermögen der AHV ging auf 23 807 Mio Fr. zurück
[14].
Bei der Beratung der Legislaturplanung 1995-1999 verlangte eine vom Nationalrat überwiesene Kommissionsmotion, dass der Bundesrat beauftragt wird, noch vor Mitte der Legislatur einen Gesetzesentwurf zur
Einführung des in der Verfassungsabstimmung bereits grundsätzlich bewilligten
zusätzlichen Mehrwertsteuerprozentes vorzulegen, um die Finanzierung der demographiebedingten Mehrkosten der AHV rechtzeitig sicherzustellen. Nach längerer Diskussion beschloss der Ständerat, die Motion nur als Postulat beider Räte zu verabschieden. Er folgte damit den Ausführungen von Bundesrat Villiger, der zusagte, die Vorlage noch in der laufenden Legislatur den Räten zuzuleiten, sich aber nicht auf einen genauen Zeitpunkt verpflichten lassen wollte
[15].
Die Behandlung zweier Motionen führte in der Sommersession des Nationalrates zu einer ausgiebigen Diskussion über die Dringlichkeit der zu ergreifenden Massnahmen zur
langfristigen Finanzierung der AHV. Die vom Ständerat bereits angenommene Motion Schiesser (fdp, GL) forderte die Bereitstellung der Botschaft zur 11. AHV-Revision bis zum Sommer 1998. Eine Motion der FDP-Fraktion verlangte, dass diese Revision noch vor Ende der Legislaturperiode (1999) zu verabschieden sei. Die Mehrheit der vorberatenden Kommission wollte den Bundesrat nicht unter zeitlichen Druck setzen, da zwar das Ziel klar sei, nicht aber der Weg. Um Vermittlung bemühte Stimmen forderten daher die vorgängige Bildung eines breiten Konsenses. Mehrere Redner und Rednerinnen hielten demgegenüber dafür, es sei nun Zeit, rasch zu zeigen, wohin der Weg führen soll. Dafür müssten zwei Jahre ausreichen. Berichte und Grundlagen seien zur Genüge vorhanden. Diese Meinung obsiegte in der Abstimmung, bei welcher die beiden Motionen mit 94 zu 83 bezw. 103 zu 71 Stimmen gutgeheissen wurden. Die Motion der FDP-Fraktion wurde vom Ständerat ebenfalls angenommen
[16].
Bei den dringlichen
Massnahmen zur Entlastung des Voranschlags 1997 beantragte der Bundesrat dem Parlament mit Erfolg, auf den im Rahmen der 10. AHV-Revision ab 1997 vorgesehenen jährlichen Sonderbeitrag des Bundes von 170 Mio Fr. für die anfängliche Mehrbelastung durch die Flexibilisierung des Rentenalters bis zum Jahr 2002 zu verzichten. Die Möglichkeit der Versicherten zum Vorbezug soll dadurch nicht geschmälert werden. Ein Rückweisungsantrag der SP wurde im Nationalrat mit 99 zu 63 Stimmen abgelehnt und der Vorschlag des Bundesrates schliesslich mit 95 zu 53 angenommen
[17].
Eine mit der 10. AHV-Revision versehentlich beschlossene Entlastung von Selbständigerwerbenden mit bescheidenem Einkommen wurde wieder korrigiert. Wegen des
Formfehlers drohte den Sozialwerken ab 1998 ein Beitragsausfall von 25 Mio Fr. pro Jahr. Der Bundesrat hatte seinerzeit beantragt, den Beitragssatz für Selbständigerwerbende sowie Arbeitnehmer ohne beitragspflichtigen Arbeitgeber von 7,8 auf 8,4% zu erhöhen; entsprechend sollte auch die sogenannte sinkende Beitragsskala für Personen mit bescheidenem Einkommen erweitert werden. Die Räte hatten die Heraufsetzung des Beitragssatzes abgelehnt, die Einkommensgrenze, ab welcher der Normalsatz geschuldet wird, dennoch erhöht. Der Bundesrat beantragte deshalb den Räten eine entsprechende Änderung der Art. 6 und 8 AHVG, welche diskussionslos angenommen wurde
[18].
Die 1994 vom Schweizerischen Kaufmännischen Verein lancierte Volksinitiative "für eine Flexibilisierung der AHV - gegen die Erhöhung des Rentenalters für Frauen" wurde mit 143 405 gültigen Stimmen eingereicht. Die beiden
Volksinitiativen der Grünen, die Initiative "für ein flexibles Rentenalter ab 62 für Mann und Frau" und die Initiative "für eine gesicherte AHV - Energie statt Arbeit besteuern" kamen, wenn auch etwas knapper, mit 116 636 resp. 113 153 gültigen Unterschriften ebenfalls zustande
[19].
Der Verwaltungsrat des AHV-Ausgleichsfonds beschloss eine Neuausrichtung seiner
Anlagepolitik. Künftig soll ein Teil des Gesamtvermögens von rund 27 Mia Fr. in Schweizer Aktien und Fremdwährungsobligationen angelegt werden dürfen. Ziel dieser Massnahme ist es, die Rendite des Gesamtvermögens, die in den letzten Jahren durchwegs unter der Marke von 4% lag, zu verbessern. Ermöglicht wird die Abkehr von der bisherigen Anlagepolitik durch den Umstand, dass auf den 1. Januar 1997 das revidierte AHV-Gesetz in Kraft tritt, welches erstmals seit 1948 ein begrenztes Engagement in Aktien zulässt
[20].
Nachdem 1995 die Vorschläge zur
3. EL-Revision in der Vernehmlassung auf weitgehende Zustimmung gestossen waren, beauftragte der Bundesrat das EDI, die diesbezügliche
Botschaft auszuarbeiten, welche Ende November zuhanden des Parlaments verabschiedet wurde. Den Bedenken der Kantone bezüglich der Kostenbelastung wurde dabei Rechnung getragen. Demnach belaufen sich die Mehrkosten nur noch auf 60 Mio Fr., wovon der Bund einen Viertel, die Gemeinden und Kantone den Rest tragen. Die Revision beinhaltet
materielle Verbesserungen für Bezüger und Bezügerinnen mit eigenem Haushalt. So soll neu nicht mehr der Netto-, sondern der Bruttomietzins für den Abzug massgebend sein. Um die Situation von Rentenberechtigten mit einer
selbstbewohnten Liegenschaft, aber mit bescheidenem Einkommen zu erleichtern, soll inskünftig erst der 75 000 Fr. übersteigende Liegenschaftswert als Vermögen angerechnet werden. Schliesslich soll die bei den EL geltende Karenzfrist für in der Schweiz wohnhafte
Ausländerinnen und Ausländer von bisher 15 auf 10 Jahre herabgesetzt werden. Auf die in der Vergangenheit mit mehreren parlamentarischen Vorstössen verlangte Benachrichtigung der allenfalls Bezugsberechtigten von Amtes wegen wurde verzichtet, doch soll die Information durch eine Beilage zur Steuererklärung verbessert werden
[21].
Für rund 15 000 Personen erlosch auf Beginn des Berichtsjahres der Anspruch auf Ergänzungsleistungen zu AHV und IV, weil die
Krankenversicherungsprämie nicht mehr über die EL, sondern über das Prämienverbilligungssystem (s. unten) finanziert wurde. Da einige Kantone die Einkommensgrenzen für die Anspruchsberechtigung auf Prämienverbilligung sehr tief ansetzten, führte dies dazu, dass viele EL-Bezüger und -Bezügerinnen eine materielle Schlechterstellung in Kauf nehmen mussten, weil sie dadurch den Anspruch auf EL verloren. Angeregt durch verschiedene parlamentarische Vorstösse führte deshalb der Bundesrat auf dem Verordnungsweg eine Neuregelung der EL-Berechtigungsberechnung ab 1.1.1997 ein, nach welcher der Betrag für die Krankenkassenprämien separat ausgewiesen wird
[22].
[14] Presse vom 8.3.97. Siehe
SPJ 1995,
S. 243.14
[15]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 767 und 788 ff.;
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 400 und 412 ff. Siehe dazu auch Ziel R17 in der Legislaturplanung 1995-1999 in
BBl, 1996, II, S. 317. Eine Motion Fasel (csp, FR) aus dem Jahr 1994, welche verlangte, das Mehrwertsteuerprozent sei auf den 1.1.96 zu mobilisieren, wurde - da dieser Zeitpunkt bereits überschritten war - nur als Postulat überwiesen (
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 226 ff.).15
[16]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1117 ff.;
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 1152 f. Vgl.
SPJ 1995, S. 246.1
[17]
BBl, 1996, IV, S. 1353 ff.;
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1983 ff. und 2052 f.;
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 959 ff., 978 und 1142. Zum flexiblen Rentenalter siehe
CHSS, 1996, Nr. 5, S. 241 ff.17
[18]
BBl, 1996, II, S. 285 ff.;
Amtl. Bull. NR, 1401 ff. und 2487;
Amt. Bull. StR, 1996, S. 1151 und 1192;
BBl, 1996, V, S. 974. Vgl.
CHSS, 1996, Nr. 3, S. 132 f.18
[19]
BBl, 1996, III, S. 309 f. und V, S. 135 ff. Siehe
SPJ 1994, S. 218 f.19
[20]
NZZ, 14.11. und 16.11.96;
Finanz und Wirtschaft, 20.11.96.20
[21]
BBl, 1997, I, S. 1197 ff. Zur Vernehmlassung siehe
CHSS, 1996, Nr. 6, S. 313 f. Vgl. auch
SPJ 1995, S. 247 f.21
[22] Presse vom 18.6.96. Siehe F. Huber, "Auswirkungen des neuen KVG auf die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV", in
CHSS, 1996, Nr. 1, S. 29 ff. und U. Portmann "Ergänzungsleistung zu AHV/IV und Verbilligung der Krankenkassenprämie",
a.a.O., Nr. 4, S. 195 ff. Obgleich der BR bereits vier Tage zuvor die Verordnung abgeändert hatte, wurde ein entsprechendes Postulat Rechsteiner (sp, SG) vom NR angenommen (
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1201).22
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