Année politique Suisse 1998 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
Berufsbildung
Die
Totalreform der Berufsbildung wurde im Berichtsjahr weitergeführt. Die Bundesräte Couchepin und Dreifuss kündigten an, einen Revisionsentwurf für das zwanzig Jahre alte
Berufsbildungsgesetz im Januar 1999 in die Vernehmlassung schicken und noch im selben Jahr den eidgenössischen Räten vorlegen zu wollen. Zusammen mit dem Bundesamt für Bildung und Technologie (BBT) strebten sie an, dass der Bund künftig alle Berufe, auch jene im Pflege- und Sozialbereich, selbst regelt und über einen Fonds die Weiterbildung koordiniert. Weitere Kernpunkte der angepeilten Reform sind die Vereinheitlichung der Grundausbildung nach Berufs- und Tätigkeitsfeldern sowie die Erhöhung des schulischen Anteils der Ausbildung
[24].
In Form eines Postulats überwies der Nationalrat eine Motion Müller (fdp, ZH), welche die Einsetzung eines schweizerischen
Berufsbildungsrates als ständiges Koordinationsforum gefordert hatte. Der Berufsbildungsrat soll die Weiterentwicklung einer umfassenden Berufsbildung nach gemeinsamen qualitativen und strukturellen Grundsätzen unterstützen und dabei die Kantone miteinbinden
[25]. Im weiteren überwies die grosse Kammer eine Motion Theiler (fdp, LU), welche die Schaffung eines interaktiven schweizerischen
Berufsinformationszentrums als direkter Zugang zu Informationen über Berufs- und Studienmöglichkeiten via Internet und die Einrichtung einer Lehrstellenbörse zur Mobilitätsförderung der Jugendlichen fordert, sowie ein Postulat Weber (sp, AG) für die Schaffung eines
Lehrstuhls für Berufsbildungs- und Weiterbildungsforschung zur
Systematisierung, Koordination und Konzentration der Berufsbildungs- und Weiterbildungsforschung
[26].
Als zweite Kammer überwies der Ständerat eine Motion Vollmer (sp, BE), die vom Bundesrat ein Einwirken auf jene 18 Kantone verlangt, welche das seit zwanzig Jahren bestehende
Obligatorium für den Sportunterricht an den Berufsschulen immer noch nicht umgesetzt haben. Der Vorstoss erinnerte an ein seit 1972 bestehendes Obligatorium, ohngeachtet dessen sich aufgrund fehlender Infrastruktur noch immer nicht alle Lehrlinge im Rahmen ihres Berufsschulunterrichts im vorgeschriebenen Mass sportlich betätigen konnten
[27].
Die Lage auf dem
Lehrstellenmarkt blieb weiterhin
angespannt: Am Stichtag 15. Februar waren laut BIGA-Lehrstellenbarometer 1998 40 000 der 60 000 angebotenen Lehrstellen besetzt. Gleichzeitig suchten aber noch über 27 000 Jugendliche einen Ausbildungsplatz. Obwohl die vom Bund im Rahmen eines Lehrstellenbeschlusses bereitgestellten 60 Mio Fr. Soforthilfe in den Kantonen viele Bildungsprojekte ausgelöst hatten, blieben vor allem schulschwache Ausländerkinder und das Lehrstellenangebot in High-Tech-Berufen ein Problem. Das BBT startete eine
Motivationskampagne unter dem Titel “Lehrstellen schaffen Nachwuchs für die Wirtschaft” zur Unterstützung der Ziele des Lehrstellenbeschlusses über die Zeit von drei Jahren. Ehemalige Sportgrössen sollen im Rahmen dieser Kampagne die Unternehmen via TV-Spot oder Plakat dazu animieren, Lehrlinge auszubilden
[28].
Im April lancierte der Verein
Lehrstellen-Initiative (Lipa) eine Volksinitiative, mit der das Recht auf Berufsausbildung in der Bundesverfassung verankert und der Bund zur Schaffung eines Berufsbildungsfonds mit mindestens 400 Mio Fr. Jahreseinlage verpflichtet werden soll. Alle Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber müssten bei Annahme der Initiative den Fonds mit einer Berufsbildungsabgabe unterstützen. Dem Lipa gehören die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft Jugendverbände sowie die Jugendorganisationen von Gewerkschaften und Parteien (SP, LdU) an. SP, GP und LdU unterstützten die Initiative; hingegen bezeichnete sie der Schweizerische Gewerbeverband als weitgehend überflüssig und nahm klar Stellung gegen planwirtschaftliche Eingriffe in den Lehrstellenmarkt
[29]. Die Freisinnige Partei Basel-Stadt und Zürich lancierten je eine Lehrstelleninitiative auf kantonaler Ebene, mit welchen diejenigen Unternehmen honoriert werden sollen, die Lehrlinge ausbilden; diese Vorstösse waren als Gegenpol zur eidgenössischen Initiative gedacht, welche alle nicht ausbildenden Betriebe zur Kasse bitten will
[30].
Die SP stellte im April einen umfangreichen
Forderungskatalog für eine national koordinierte Berufsbildung vor. Der Berner Nationalrat Rudolf Strahm (sp) plädierte dabei für die zügige Umsetzung eines zweiten Lehrstellenbeschlusses. Es sei ein Anreizsystem für Firmen zu installieren, die sich zur Ausbildung von Lehrlingen zur Verfügung stellen. Konkret forderte Strahm, dass der Bund an öffentlichen Berufsschulen und Berufsbildungszentren 40 einjährige Erstlehrjahreskurse für Informatikberufe finanziere, um die Nachwuchssicherung im zukunftsträchtigen Berufsfeld von Telematik, Kommunikation und Informatik zu garantieren. Bezogen auf die Zukunft der Berufs- und Weiterbildung forderte die Aargauer Nationalrätin Weber im Namen der SP unter anderem das Recht auf einen nachobligatorischen Ausbildungsgang für alle Jugendlichen bis 20, eine Straffung der Berufe von 350 auf 50 und insbesondere eine bessere berufliche Integration ausländischer Jugendlicher sowie Motivationskampagnen, mit denen vermehrt junge Frauen in zukunftsträchtige Berufslehren geführt werden
[31].
Im Herbst vermeldete das BBT, dass 1997 rund 5000 neue Lehrstellen geschaffen worden seien. Die Zahl berücksichtigte jedoch nicht, wie viele Stellen abgebaut worden waren. Trotzdem ging das BBT von einem Lehrstellenanstieg im Vorjahresvergleich aus und schrieb den Erfolg dem ersten Lehrstellenbeschluss zu. Die
Lehrstellenkrise scheine überwunden zu sein, da für 1998 vier Prozent mehr Lehrverträge zu erwarten seien. Nationalrat Strahm liess diese Bilanz nicht gelten und pochte erneut auf einen zweiten Lehrstellenbeschluss mit einem Massnahmenpaket in der Grössenordnung von mindestens 100 Mio Fr.
[32].
An einer
nationalen Berufsbildungskonferenz Ende Jahr wurde klar, dass die duale Berufsbildung auch in den neuen Gesetzesgrundlagen Kernelement helvetischer Nachwuchsbildung bleiben wird. Die nötigen Reformen müssten laut Bundesrat Couchepin daher nicht radikal sein, aber bei der Förderung der Frauen sowie der Schwachen und der Elite in High-Tech-Berufen ansetzen. Wege dazu seien modulare Bildungsgänge und Durchlässigkeit zwischen beruflicher und schulischer Bildung
[33].
[24]
NZZ, 5.10. und 30.12. 98. Zu den zahlreichen, 1997 eingereichten Vorstössen zur Einleitung von umfassenden Reformen im Berufsbildungsbereich vgl.
SPJ 1997, S. 307 ff.24
[25]
Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2186 f.25
[26]
Amtl. Bull. NR, 1998, S. 2185 f.
und 2848 f.26
[27]
Amtl. Bull. StR, 1998, S. 388 ff.;
NZZ, 18.3.98;
SGT, 6.8.98. Vgl.
SPJ 1997, S. 309.27
[28] Presse vom 25.3.98. Das Parlament hatte 1997 einem Bundesbeschluss über die Förderung von Lehrstellen und damit einem bis Ende 1999 geltenden 60-Millionen-Investitionsprogramm zugestimmt (
SPJ 1997, S. 309 f.).28
[29]
BBl, 1998, S. 2336 ff.; Presse vom 29.4.98;
NZZ, 29.5.98.29
[30]
BaZ, 5.11.98;
NZZ, 20.8.98.30
[31] Presse vom 1.4.98;
TA, 2.4.98,
LT, 3.4.98;
NZZ, 14.4.98;
SGT, 17.4.98. Der NR hatte 1997 einer parl. Initiative Strahm Folge gegeben, die dem BR die Kompetenz einräumen will, ein Anreizsystem oder einen Lastenausgleich zugungsten von Lehrbetrieben zu schaffen. Für den Initianten stand ein Bonus-Malus-System zwischen Betrieben ohne Ausbildungsaufwendungen und Betrieben, die sich in der Berufsbildung engagieren, im Vordergrund, da diese Lösung budgetneutral wäre (vgl.
SPJ 1997, S. 310). Siehe auch Stellungnahme des BR zum Vorstoss Strahm betreffend das Lehrstellenangebot in der Bundesverwaltung (
Amtl. Bull. NR, 1998, S. 427). Zur Motion Weber (sp, AG) betreffend Einführung eines durch die Arbeitslosenkasse finanzierten Weiterbildungsurlaubs siehe oben, Teil I, 7a (Arbeitsmarkt).31
[32] Presse vom 24.10.98.32
[33]
NZZ, 24.11.98; Presse vom 25.11.98.33
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