Année politique Suisse 1999 : Politique sociale / Assurances sociales
 
Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV)
Ende April überwies der Bundesrat dem Parlament seine Vorschläge für eine Neugestaltung der freiwilligen AHV für im Ausland lebende Personen. Trotz Widerstand der Auslandschweizer hielt er dabei an dem im Vorjahr vorgestellten Sanierungskurs fest: Versichert werden sollen in Zukunft nur noch Personen, die in Staaten leben, mit denen die Schweiz kein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat. Der Beitrag wird von 9,2 auf 9,8% des Erwerbseinkommens erhöht und die sinkende Beitragsskala für Personen mit Einkommen unter 47 000 Fr. abgeschafft. Auf der anderen Seite sollen auch Ausländer der freiwilligen AHV beitreten können, wenn sie mindestens fünf Jahre in der obligatorischen AHV versichert waren und in einem Land ohne Sozialversicherungsabkommen mit der Schweiz wohnen. Gemäss dem Bundesrat ist diese Revision, welche Bund und Kantone längerfristig um 30 Mio Fr. jährlich entlastet, auch wegen dem Abschluss der bilateralen Verhandlungen mit der EU (siehe oben) nötig, da sich ohne Einschränkung des Versichertenkreises sämtliche EU-Bürger der freiwilligen AHV anschliessen könnten, was deren Defizit massiv erhöhen würde [15].
Seit einem Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts von 1995 werden Einkünfte aus selbstständigem Nebenerwerb unter 7800 Fr. pro Jahr mit AHV-Beiträgen bis 19% belastet. Da dies besonders einkommensschwächere Personen bzw. Familien betrifft, verlangte Nationalrat David (cvp, SG) mit einer Motion, die entsprechende Bestimmung des AHVG sei noch vor der 11. AHV-Revision dahingehend zu ändern, dass diese Bagatelleinkommen nur dem untersten Satz der sinkenden Beitragsskala (5,116%) unterstellt werden. Der Bundesrat anerkannte zwar den Missstand, erinnerte aber an die Tradition des Gesetzgebers, von punktuellen Änderungen des AHVG abzusehen. Auf seinen Antrag wurde die Motion nur als Postulat überwiesen [16].
Eine im Vorjahr bekämpfte Motion Baumann (sp, BE) für eine generelle Anhebung der AHV-Renten für Alleinstehende um 20% wurde nun gegen den Willen des Bundesrates, der auf bereits eingetretene Verbesserungen bei der 10. AHV-Revision verwies, als Postulat angenommen [17].
Die GPK des Nationalrates liess die Anlagetätigkeit des Ausgleichfonds der AHV evaluieren und sprach sich für eine Aufhebung des Verbots von Anlagen in ausländischen Aktien aus. Eine entsprechende Motion der Kommission wurde mit Zustimmung des Bundesrates diskussionslos überwiesen [18].
Zu Bestrebungen, die überschüssigen Goldreserven der Nationalbank für die Finanzierung der AHV zu verwenden, siehe oben, Teil I, 4b (Geld- und Währungspolitik).
top
 
print
11. AHV-Revision
Gestützt auf erste Auswertungen der Vernehmlassung zu seinen Vorschlägen für die 11. AHV-Revision setzte der Bundesrat Ende März die Leitlinien für das weitere Vorgehen fest. Er beauftragte das EDI, neue Modelle zum flexiblen Rentenalter mit einem geringeren Kostenrahmen vorzubereiten. Anstatt 900 Mio Fr. pro Jahr soll das vorgezogenen Rentenalter lediglich 400 Mio Fr. kosten dürfen. Das entspricht den Einsparungen, die sich aus der Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre ergeben. Der Gesamtbundesrat zeigte sich zudem gewillt, an den vor allem im linken Lager umstrittenen Leistungskürzungen (Angleichung der Witwen- an die Witwerrrente, Teuerungsanpassung der Renten nur noch alle drei Jahre) festzuhalten. Bundespräsidentin Dreifuss verhehlte nicht ihre Enttäuschung über die Beschlüsse ihrer Kollegen und gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dass damit noch nicht das letzte Wort gesprochen sei, insbesondere weil mit diesem Vorgehen die Frauen die grossen Verliererinnen der Revision wären und die Frühpensionierung nur für bessergestellte Arbeitnehmer in Frage käme [19].
Ende November legte Dreifuss ihren Kollegen eine Kompromissvariante vor, welche zusätzlich zu den 400 durch die Erhöhung des Frauenrentenalters eingesparten AHV-Millionen statt der ursprünglich berechneten 500 Mio Fr. lediglich noch 200 Mio Fr. zusätzliche Mittel vorsah. Für die Abfederung kleiner Einkommen bei einem vorzeitigen Ruhestand stünden damit insgesamt 600 Mio Fr. zur Verfügung. Zur Finanzierung der gesamten 11. AHV-Revision müsste die Mehrwertsteuer 2003 um 0,5% und 2006 noch einmal um 1% erhöht werden. Der Gesamtbundesrat liess die EDI-Chefin aber erneut abblitzen und hielt an der Vorgabe von 400 Mio Fr. fest. Keine Chancen hatten aber auch Vorschläge aus dem bürgerlichen Lager, welche bereits im Rahmen der 11. AHV-Revision das generelle Rentenalter auf 66 Jahre anheben bzw. den Mischindex bei der Teuerungsanpassung der Renten abschaffen wollten. Nach diesem erneuten Treten an Ort verzögerte sich die für Ende 1999 in Aussicht gestellte Verabschiedung der Botschaft über das Jahresende hinaus [20].
Diskussionslos nahm der Ständerat im Rahmen des Stabilisierungsprogramms eine Motion des Nationalrates an, welche den Bundesrat verpflichtet, die Anpassung der AHV-Renten an die Lohn- und Preisentwicklung im Rahmen der 11. AHV-Revision unter Berücksichtigung der finanziellen Lage neu zu regeln [21].
 
[15] BBl, 1999, S. 4983 ff. Siehe SPJ 1998, S. 259 f.15
[16] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 470.16
[17] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 1270 f.17
[18] BBl, 2000, S. 7 ff.; Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2154 f.; NZZ, 4.2.99. Siehe SPJ 1998, S. 260 f. Die AHV will in den nächsten Jahren den Aktienanteil ihrer Kapitalanlagen von 8% auf 25% erhöhen (Presse vom 15.4.99). Zum sinkenden Ertrag der Anlagen siehe oben.18
[19] Presse vom 7.4.99; SHZ, 2.6.99; CHSS, 1999, S. 145-148 und 286. Siehe SPJ 1998, S. 258 f. Die neuen Vorschläge kamen nicht nur bei der SP und den Gewerkschaften schlecht an, sondern auch bei den Kantonen, welche kritisierten, der Bund setze für Härtefälle, die durch frühzeitige Pensionierung entstehen könnten, allzu leichtfertig auf Ergänzungsleistungen, die zu 75% von den Kantonen bezahlt werden müssen (NZZ, 13.4.99).19
[20] Presse vom 20.11., 24.11. und 25.11.99.20
[21] Amtl. Bull. StR, 1999, S. 62. Siehe SPJ 1998, S. 260.21