Année politique Suisse 2000 : Politique sociale / Population et travail
 
Arbeitsmarkt
Infolge des Konjunkturaufschwungs erhöhte sich die Nachfrage nach Arbeitskräften im Berichtsjahr kräftig. Die Beschäftigung stieg um +1,1% gegenüber +0,7% im Vorjahr. Erneut war die Zunahme bei den Frauen mit +1,7% deutlich stärker als bei den Männern (+0,6%). Nach einer Baisse im Vorjahr legten die ausländischen Arbeitnehmer wieder deutlicher zu (+2,0%) als die einheimischen (+0,7%). Während der 1. Sektor 1999 noch substantiell gewachsen war, verzeichnete er jetzt einen Rückgang um -2,4%. Auch der 3. Sektor erreichte mit +0,6% mehr Beschäftigten nur noch eine schwächere Steigerung als im Vorjahr. Überdurchschnittlich gestiegen ist die Beschäftigung hingegen im 2. Sektor (+2,0%). Im Baugewerbe nahmen die Erwerbstätigen um +4,7% zu, gefolgt von der Nahrungsmittelindustrie (+3,8%), der Herstellung von Präzisionsinstrumenten (+3,3%) und dem Bergbau (+3,2%). Rückläufig war die Beschäftigung in den Branchen Energie- und Wasserversorgung (-4,4%), der Herstellung von Lederwaren und Schuhen (-3,4%), dem Gast- und dem Versicherungsgewerbe (je -2,3%) [8].
Die selbstständige Erwerbstätigkeit hat in der zweiten Hälfte der 70er Jahre in den meisten OECD-Ländern zugenommen. Auch in der Schweiz kam es mit einer leichten Verzögerung zu einem Anstieg, wobei sich der Aufwärtstrend in den neunziger Jahren merklich beschleunigte. Wichtigste Erklärungsfaktoren für diese Renaissance der selbständigen Erwerbsarbeit sind die Entwicklung zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft, die Änderung der Produktionsverfahren, die vermehrte Konzentration auf Kernkompetenzen und die damit einhergehende Auslagerung betriebsperipherer Funktionen, steuerliche Faktoren und persönliche Motive sowie die zunehmende Verwischung zwischen selbständiger und unselbständiger Erwerbsarbeit. Vor allem ältere Männer schweizerischer Nationalität mit höherem Ausbildungsniveau wechseln in die Selbständigkeit [9].
Nach Schweden und den USA ist die Schweiz weltweit das dritte Land, in dem über 7% des BIP in der Informatik- und Telekommunikationsbranche erwirtschaftet werden, weshalb der zunehmende Mangel an einheimischen Fachleuten doppelt schwer wiegt. Verschiedene parlamentarische Vorstösse verlangten deshalb Ausbildungs- und Umschulungsinitiativen im Bereich der Informatik, resp. – nach deutschem Muster – die Erteilung von „Green cards“ für Informatikfachleute aus Ländern (insbesondere Indien), in denen die Schweiz aufgrund ihrer ausländerpolitischen Grundsätzen eigentlich keine Arbeitskräfte rekrutiert [10]. Das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie und mit ihm der Bundesrat verwiesen allerdings immer wieder auf unternommene Anstrengungen in diesem Ausbildungsbereich, weshalb spätestens 2004 der einheimische Personalengpass überwunden sein sollte. Eine Öffnung des Arbeitsmarktes wurde hingegen abgelehnt [11]. Eine Empfehlung Langenberger (fdp, VD), im EVD einen Pool „Beschäftigung/Ausbildung“ zu bilden mit der Aufgabe, vor allem die Entwicklungen der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien einer Analyse zu unterziehen und für diese Bereiche eine kohärente Politik zu erarbeiten, wurde auf Antrag des Bundesrates, der auf die Tätigkeiten bereits bestehender Amtsstellen verwies, lediglich als Postulat angenommen [12].
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Arbeitslosigkeit
Im Berichtsjahr waren im Mittel rund 72 000 Personen als arbeitslos gemeldet, fast 27 000 weniger als im Vorjahr. Mit durchschnittlich 2,0% erreichte die Arbeitslosenquote den tiefsten Stand seit 1991. Zusammen mit Luxemburg wies die Schweiz die geringste Arbeitslosigkeit aller OECD-Staaten aus. Der Rückgang erfolgte auf breiter Front und in allen Landesgegenden, die Unterschiede im Niveau blieben aber bestehen. Mit einer Arbeitslosenquote von 3,0% (1999: 4%) per Ende Dezember waren die Romandie und das Tessin immer noch doppelt so stark betroffen wie die Deutschschweiz mit 1,5% (2%). Auch die Nationalität beinflusste weiterhin das Risiko, arbeitslos zu werden. Ende 2000 waren 4,0% (5,4%) aller Ausländerinnen und Ausländer arbeitslos, während es bei den Schweizern nur 1,3% (1,7%) waren. Im Dezember waren knapp 18% aller Arbeitslosen länger als zwölf Monate bei den zuständigen Ämtern registriert. Im Vorjahr hatte der Anteil der Langzeitarbeitslosen noch 22% und 1998 sogar 29% betragen [13]. Die Kurzarbeit nahm ebenfalls markant ab. Im Jahresdurchschnitt waren 91 Betriebe (1999: 249) mit 655 Mitarbeitenden (2869) betroffen. Die ausgefallenen Arbeitsstunden beliefen sich auf 44 542 (187 731) [14].
1999 hatte die Aufsichtskommission der ALV eine Studie zur Situation der Ausgesteuerten in Auftrag gegeben, die im Berichtsjahr erschien. Aus der repräsentativen Umfrage ging hervor, dass 51% aller 1998 von der Aussteuerung betroffenen Personen bis zum Herbst 1999 wieder eine Anstellung gefunden hatten; rund 33% waren weiterhin arbeitslos, während andere versuchten, sich mit einer selbständigen Tätigkeit über Wasser zu halten. Von all jenen, die eine neue Arbeit gefunden hatten, arbeiteten allerdings 25% lediglich temporär und 40% mussten sich mit einer Teilzeitstelle zufrieden geben; 60% waren gezwungen, den Beruf zu wechseln, und mehr als 50% verdienten weniger als vor der Arbeitslosigkeit. Fast die Hälfte der Ausgesteuerten mussten von Verwandten oder vom Lebenspartner finanziell unterstützt werden, ein Viertel konnte noch von Ersparnissen zehren [15].
Mitte der 90er Jahre ist die Schweiz dazu übergegangen, die passive Verwaltung von Arbeitslosentaggeldern durch einen vermehrten Einsatz aktiver Wiedereingliederungsmassnahmen zu ersetzen. Gleichzeitig wurde die Struktur der Arbeitsämter reformiert. In einer breit angelegten Evaluation wurden nun die Resultate der neuen Politik wissenschaftlich untersucht. Trotz positivem Grundtenor zeigte sich noch ein erhebliches Verbesserungspotenzial. Vor allem ein selektiverer und gezielterer Einsatz der arbeitsmarktlichen Massnahmen und eine weitere Konzentration der Betreuung in weniger und dafür grösseren Arbeitsvermittlungszentren könnten offenbar die Wirksamkeit der staatlichen Arbeitslosenbetreuung noch optimieren. Das Instrument des Zwischenverdienstes, das von rund einem Fünftel der Arbeitslosen in der Beobachtungsperiode beansprucht wurde, erwies sich als das weitaus wirksamste. Da bei diesen Beschäftigungen die Arbeitslosenversicherung (ALV) lediglich die Differenz zwischen dem tatsächlich erzielten und dem (je nach Familiensituation) garantierten Verdienst von 70-80% des früheren Einkommens bezahlen muss, ist dies für die ALV die eindeutig billigste Lösung; zudem erhält sich der Arbeitslose mit diesen Einsätzen „arbeitsmarktfähig“ und hat so die grösseren Chancen, wieder eine reguläre Anstellung zu bekommen. Die Teilnahme an Beschäftigungsprogrammen scheint sich hingegen eher kontraproduktiv ausgewirkt zu haben, während sich bei Absolventen eines Aus- oder Weiterbildungsprogramms ein gemischtes Bild ergab [16].
 
[8] Die Volkswirtschaft, 2001, Nr. 8, S. 87* (provisorische Zahlen). Siehe SPJ 1999, S. 232 f. Zur Wirtschaftslage siehe oben, Teil I, 4a (Konjunkturlage).8
[9] Birchmeier, Urs, „Wachsende Bedeutung der selbständigen Erwerbsarbeit in der Schweiz“, in Die Volkswirtschaft, 2000, Nr. 10, S. 52-56.9
[10] Siehe stellvertretend dazu AB NR, 2000, S. 445 und 1200. Vgl. auch unten, Teil I, 8a (Berufsbildung).10
[11] Presse vom 11.3.00; LT, 15.5.00; NZZ, 22.7.00. Wie eine Studie der Universität Bern ermittelte, hat die Internetwirtschaft in den letzten Jahren rund 10 000 neue Arbeitsplätze geschaffen (TA, 28.2.00).11
[12] AB SR, 2000, S. 265 f.12
[13] Presse vom 10.1.01. Siehe SPJ 1999, S. 233. Für die Entwicklung in den einzelnen Sektoren und Branchen siehe Die Volkswirtschaft, 2001, Nr. 7, S. 91*-95*. Zu den Zahlen der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung SAKE, die aufgrund unterschiedlicher Methoden der Datenerhebung meistens etwas divergierende Werte ausweisen, siehe Presse vom 15.11.00 (Resultate SAKE 2000). Vgl. auch: Buhmann, Brigitte e.a., „Statistiken zur Arbeitslosigkeit. Was messen sie wirklich?“, in Die Volkswirtschaft, 2001, Nr. 1, S. 40-43.13
[14] Die Volkswirtschaft, 2001, Nr. 7, S. 95*.14
[15] Lit. Sheldon. Siehe dazu auch eine als Postulat überwiesene Motion Tillmanns, sp, VD (AB NR, 2000, S. 478).15
[16] Lit. Bauer/Baumann, Lit. Gerfin, Lit. Lalive d’Epiney und Lit. Martinovits; Zusammenfassung in Die Volkswirtschaft, 2000, Nr. 4, S. 6-31. Siehe auch Egger, Marcel / Merckx, Véronique, „Die Evaluation des Einsatzes arbeitsmarktlicher Massnahmen in der Schweiz“, in Die Volkswirtschaft, 2000, Nr. 12, S. 40-44.16