Année politique Suisse 2000 : Politique sociale / Groupes sociaux
Frauen
Mit einer Motion forderte Nationalrätin Maury Pasquier (sp, GE) den Bundesrat auf, die nötigen Schritte zu unternehmen, damit die Schweiz so rasch wie möglich das
Fakultativprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von
Diskriminierung der Frau unterzeichnen und ratifizieren kann. Das Protokoll, das Ende 1999 zur Unterzeichnung aufgelegt worden war, erlaubt zum einen Personen, die wegen ihres Geschlechts diskriminiert werden, Einzel- oder Kollektivbeschwerden beim dafür zuständigen UNO-Ausschuss einzureichen, wenn die innerstaatlichen Rechtsmittel erschöpft sind; zum anderen beinhaltet es ein Untersuchungsverfahren, das es dem Ausschuss ermöglicht, bei schwerwiegenden oder systematischen Verletzungen der Frauenrechte eigene Ermittlungen aufzunehmen. Der Bundesrat beteuerte, dass er voll und ganz hinter den Zielen des Fakultativprotokolls stehe; da die Schweiz gemäss bisheriger Praxis Abkommen aber nur unterzeichnet, wenn sie diese auch ratifizieren kann, müssten vorgängig die Auswirkungen auf die schweizerische Rechtsordnung einlässlich geprüft werden. Aus diesem Grund beantragte er erfolgreich die Umwandlung des Vorstosses in ein Postulat
[45].
Im Rahmen der Legislaturplanung 1999-2003 reichte die vorberatende Kommission des Nationalrates eine Richtlinienmotion ein, die den Bundesrat verpflichtet hätte, den eidgenössischen Räten bis zur Wintersession 2001 einen Bericht über die eingeleiteten Massnahmen und den Stand der
Umsetzung des Aktionsplanes der Schweiz zur Gleichstellung von Frau und Mann (Folgearbeiten zur 4. UNO-Weltfrauenkonferenz von 1995) vorzulegen. Der Bundesrat erklärte, der Aktionsplan habe die Einsetzung einer Begleitgruppe und die regelmässige Berichterstattung an den Bundesrat institutionalisiert. Da die Adressatinnen und Adressaten für die verabschiedete Aktionsplattform (Bundesrat, Departemente, Verwaltung, Kantone und Gemeinden, Bildungsinstitutionen, Medien, Nichtregierungsorganisationen usw.) sehr heterogen seien, möchte er diesen genügend Zeit lassen, um die vorgeschlagenen Massnahmen mit Rücksicht auf ihre eigenen Prioritäten und Ressourcen zu evaluieren. Ein erster Bericht der Begleitgruppe sei deshalb realistischerweise erst für Ende 2002 zu erwarten. Auf Antrag des Bundesrates wurde die Motion lediglich in Postulatsform überwiesen
[46].
Ebenfalls mit einer Motion wollte die Fraktion der Grünen erreichen, dass die gesamte
Verfassung auf gleichstellungspolitische Aspekte durchforstet und entsprechend angepasst wird. Der Bundesrat vertrat die Auffassung, die gleichstellungspolitischen Postulate seien bei der Verfassungsrevision genügend berücksichtigt worden. Auf seinen Antrag wurde der Vorstoss mit 81 zu 47 Stimmen abgelehnt
[47].
1996 hatte Nationalrätin Goll (sp, ZH) eine Motion eingereicht, mit welcher der Bundesrat beauftragt werden sollte, im Bundesbudget das Instrument einer
Frauenverträglichkeitsprüfung einzuführen. Die Motion war zuerst von Fehr (svp, ZH) bekämpft und dann aufgrund der Behandlungsfristen abgeschrieben worden. Ende 1999 reichte sie den Vorstoss im gleichen Wortlaut erneut ein. Der Bundesrat verwies auf die geringen Steuerungsmöglichkeiten eines Bundesbudgets. Angesichts der gleichstellungspolitischen Bedeutung des Themas war er aber bereit, das Anliegen zur Prüfung entgegen zu nehmen, worauf die Motion als Postulat verabschiedet wurde
[48].
Gegen den Willen des Bundesrates überwies der Nationalrat – wenn auch nur knapp mit 68 zu 66 Stimmen ein Postulat Maury Pasquier (sp, GE), welches die Landesregierung ersucht, in Zusammenarbeit mit der Verwaltung die Empfehlungen der interdepartementalen Arbeitsgruppe zur geschlechtergerechten Rechts- und Verwaltungssprache von 1991 umzusetzen. Dem Parlament sollen künftig nur noch
Botschaften zugeleitet werden, die in allen Landessprachen
geschlechtsneutral
abgefasst sind. Der Bundesrates hatte sich vergeblich mit dem Argument, die Anwendung dieses Prinzips würde im Französischen und Italienischen zu unüberwindbaren Schwierigkeiten führen, gegen eine Annahme des Vorstosses gewehrt
[49].
Die sogenannte „Quoteninitiative“ wurde in der Volksabstimmung deutlich abgelehnt (siehe oben, Teil I, 1c, Einleitung).
Wie eine Studie darlegte, hat der Anteil der Frauen in den
Gemeindeexekutiven zwischen 1988 und 1998 von 6,9% auf rund 19% zugenommen, weist aber immer noch den tiefsten Wert der weiblichen Politikbeteiligung aus, allerdings nur knapp unter jenem in den kantonalen Exekutiven (1999: 20,4%) und im Ständerat (1999: 19,6%). In den Deutschschweizer Gemeindeexekutiven sind die Frauen mit 20% besser vertreten als in der Romandie (17%) und im Tessin (13,5%). Je grösser die Einwohnerzahl einer Gemeinde und die Sitzzahl in der Exekutive ist, desto höher liegt in der Regel der Frauenanteil in diesen Gremien
[50].
Wie die ausführlichen Ergebnisse der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) des BFS für die Jahre 1991-1998 zeigten, hat sich die
Erwerbstätigkeit der Frauen in diesem Zeitraum
positiv entwickelt hat. Trotz der Konjunkturflaute zählte die Schweiz 1998 rund 100 000 weibliche Arbeitskräfte mehr als zu Beginn des Jahrzehnts. Der Frauenanteil in der Arbeitswelt stieg damit leicht auf 44%. Allerdings nahm nur die
Teilzeitarbeit zu (+16%), während die Zahl der Vollzeitstellen um 3% abnahm. Das BFS erklärte die stärkere Teilnahme der Frauen am Arbeitsmarkt mit der verbesserten Ausbildung und dem verändertes Rollenverständnis zwischen Frau und Mann, andererseits aber auch mit der wirtschaftlich schwierigen Situation vieler Familien. Gemäss BFS nahm die Erwerbsquote nämlich bei jenen Frauen am stärksten zu, deren Partner in Berufsgruppen mit geringem Einkommen tätig sind. Noch 1980 entschieden sich drei Viertel aller
Mütter bei der Geburt des ersten Kindes für ein „reines“ Hausfrauendasein. In den neunziger Jahren trifft dies auch in der Schweiz nur noch auf eine Minderheit zu. 62% der Frauen, die vor der Geburt ihres ersten Kindes erwerbstätig waren, behielten ihre
Erwerbstätigkeit bei. Von den vollzeitarbeitenden Frauen blieb ein Drittel auch nach der Geburt des ersten Kindes zu 100% erwerbstätig, ein Drittel reduzierte den Beschäftigungsgrad und ein weiteres Drittel stieg aus dem Erwerbsleben aus. Von den teilzeitberufstätigen Frauen blieb rund die Hälfte auch nach der Geburt ihres ersten Kindes im Erwerbsleben, die andere Hälfte gab die Berufstätigkeit auf. Die Geburt des zweiten Kindes beeinflusste die Erwerbstätigkeit der Frauen in noch geringeren Ausmass
[51].
Obwohl die Stellung der Frau auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt in den letzten zwei Jahrzehnten derjenigen des Mannes ähnlicher geworden ist, haben deutliche
geschlechtsspezifische Unterschiede Bestand. Männer schliessen häufiger eine höhere Ausbildung ab, interessieren sich stärker für technische Berufe, arbeiten viel seltener Teilzeit und verdienen im Mittel deutlich mehr als ihre Kolleginnen. Nach wie vor treten viel mehr Frauen als Männer in Pflegeberufe ein oder übernehmen kaufmännische Büroarbeiten, während sowohl die typischen Berufe der Metall- und Maschinenindustrie wie die Tätigkeiten im wachstumsträchtigen Informatik-Sektor fast ausschliesslich von Männern gewählt werden. Immer noch arbeitet mehr als die Hälfte der Frauen
Teilzeit gegen weniger als 10% bei den Männern. Dass der auf eine standartisierte Wochenarbeitszeit von 40 Stunden umgerechnete mittlere Brutto-Monatslohn der Frauen 1998 mit 4253 Fr. um gut 20% unter jenem der Männer (5417 Fr.) lag, ist zu einem guten Teil auf die unterschiedliche Berufswahl, Qualifikation und die geschlechterspezifische Verteilung von Teilzeit- contra Vollzeitjobs zurückzuführen. Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, dass Frauen mit nach statistischen Kriterien (berufliche Stellung, Anforderungsniveau usw.) vergleichbarer Arbeit
weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Mit zunehmenden beruflichen Qualifikationen scheinen diese Disparitäten sogar noch zuzunehmen
[52].
Der Gewerkschaften zeigten sich alarmiert ob der harzigen Umsetzung der Forderung nach
Lohngleichstellung von Frau und Mann. Nach positiven Anzeichen zu Beginn der neunziger Jahre herrsche in der Frage der Frauenlöhne heute wieder „tiefste Eiszeit“. Die Lohndifferenz für gleichwertige Arbeit betrage im öffentlichen Sektor noch immer 11%, im privaten Sektor sogar 23%. Zudem drohten die diversen Verwaltungsreformen und Personalgesetzänderungen bisher Erreichtes zunichte zu machen. In der Kritik der Gewerkschaften stehen auch die Schweizer
Gerichte. Bei der Behandlung von Lohngleichheitsklagen würden zentrale Errungenschaften der Gleichstellung wieder ausgehöhlt. So seien in jüngster Zeit diverse Klagen mit dem Argument abgeschmettert worden, das Gesetz des Marktes rechtfertige eine ungleiche Entlöhnung
[53].
Der Bund Schweizerischer Frauenorganisationen, der sein 100-jähriges Jubiläum feiern konnte, gab sich einen neuen Namen –
„alliance f“ – und beschloss, künftig das Schwergewicht auf die Entschärfung des Spannungsfeldes zwischen Familie und Beruf zu legen
[54].
Der Anteil der Frauen in der
Bundesverwaltung hat innert vier Jahren von 20,1% auf 23,3% zugenommen. Weiterhin stark untervertreten sind die Frauen in den Kaderpositionen, obgleich sie hier von 8,5% auf 11,7% zulegen konnten. In den obersten Lohnklassen sind gar nur 6,5% Frauen. Bei den Neueintretenden und den Auszubildenden beträgt der Frauenanteil 36,8% resp. 33,9%. Gemäss dem neusten Evaluationsbericht über die Gleichstellungsförderung beim Bund verfügen heute zwei Drittel der Organisationseinheiten über ein
Frauenförderungsprogramm [55].
[45]
AB NR, 2000, S. 1598. 45
[46]
AB NR, 2000, S. 803 ff. Vgl.
SPJ 1999, S. 300. Für die Frauenförderung des Bundes auf Universitätsebene siehe unten, Teil I, 8a (Hochschulen). 46
[47]
AB NR, 2000, S. 57 f. 47
[48]
AB NR, 2000, S. 449. Siehe
SPJ 1997, S. 292. 48
[49]
AB NR, 2000, S. 814 f. Siehe
SPJ 1996, S. 278. 49
[50]
Lit. Meuli / Ladner. 50
[51]
NZZ, 15.11.00; Presse vom 12.2.00. Die Untersuchung wird insofern relativiert, als für die Erfassung als Teilzeitbeschäftigungen bereits Tätigkeiten ab mindestens einer Stunde pro Woche erfasst wurden. 51
[52] Presse vom 8.3.00. Details unter www.statistik.admin.ch. Zu Lohndifferenzen, die auf geschlechtsspezifischen Stereotypen beruhen, vgl.
Lit. Fried e. a. Auch die oftmals zur Begründung der Lohndifferenzen beschworene höhere Absenz der Frauen vom Arbeitsplatz hält einer Überprüfung durch das BFS nicht statt. Die familienbedingte Abwesenheit der Frauen fällt für die Unternehmen weit weniger ins Gewicht als die Militärdienstperioden der Männer (
LT, 14.4.00). 52
[53]
NZZ, 18.5.00; Presse vom 14.6.00;
WoZ, 22.6.00;
SGT, 4.8.00. 53
[54]
NZZ, 20.5.00;
AZ, 23.9.00. 54
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