Année politique Suisse 2001 : Politique sociale / Assurances sociales
Allgemeine Fragen
Mitte November leitete der Bundesrat dem Parlament seine Vorschläge zur
Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) zu. Im Bereich der sozialen Sicherheit entsprach die Botschaft im Wesentlichen den Kernaussagen der Vernehmlassungsvorlage von 1999. Nach dem Grundsatz, wonach der Bund weiterhin die
Aufgaben von nationaler Bedeutung übernimmt, werden ihm in drei Bereichen ausschliessliche Kompetenzen und die entsprechende Finanzierung übertragen, nämlich bei den individuellen AHV- und IV-Leistungen sowie bei der Unterstützung von Institutionen, die auf nationaler Ebene in der Alters- und Behindertenhilfe tätig sind. Im Gegenzug werden einige Aufgaben, die heute der Bund und die Kantone gemeinsam erfüllen, den Kantonen zugeordnet. Dabei handelt es sich im Bereich der IV um die Subventionen für den Bau und den Betrieb von Heimen, Behindertenwerkstätten und Einrichtungen für die medizinische und berufliche Eingliederung sowie um die Sonderschulung. Für die Ergänzungsleistungen gilt die Teilentflechtung. Abweichend vom Vernehmlassungsentwurf verzichtete der Bundesrat auf eine nationale Regelung der Familienzulagen. Die Lösungsvorschläge zur Senkung der Krankenkassenprämien und bezüglich Leistungen der Spitzenmedizin werden später unter Berücksichtigung der Ergebnisse der 2. KVG-Teilrevision vorgelegt
[1].
Nach dem Nationalrat lehnte auch der Ständerat eine Standesinitiative des Kantons Aargau zur Aufhebung der
Unentgeltlichkeit der Verfahren im Sozialversicherungsrecht ab, da ein derartiger Entscheid im Widerspruch zum 2000 verabschiedeten Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) stünde. Zudem wurde bezweifelt, dass eine Entgeltlichkeit die Gerichte wesentlich entlasten würde. Die Frage soll allenfalls im Rahmen der Revision der Bundesrechtspflege überprüft werden; hiezu überwies die kleine Kammer ein Postulat
[2].
Mit einer Motion wollte die SGK des Nationalrates erreichen, dass die
gerichtlichen Verfahren im Krankheits- und Invaliditätsfall gleich ausgestaltet werden. Der Bundesrat zeigte Verständnis für das Anliegen, das eine Vereinheitlichung im Sozialversicherungsrecht und damit Erleichterungen für die Versicherten anstrebe, wollte aber keinen verbindlichen Auftrag entgegennehmen, da damit Teile des Privat- dem Sozialversicherungsrecht unterstellt würden. Zudem müsste eine Neuregelung nicht nur den Kranken- und Unfallversicherungsbereich, sondern auch die berufliche Vorsorge umfassen, die wegen ihrer primär privatrechtlichen Ausgestaltung bewusst von der Koordination durch den ATSG ausgenommen wurde. Um die Fragen vertiefter zu prüfen, wurde der Vorstoss als Postulat überwiesen
[3]. Gänzlich abgelehnt wurde hingegen eine Motion der SVP-Fraktion, die
gleiche Versicherungsleistungen für Krankheit und Unfall verlangte. Der Bundesrat machte geltend, die beiden Versicherungszweige seien von Natur aus verschieden. Bei der Einführung der an die Erwerbstätigkeit gekoppelten obligatorischen Unfallversicherung habe es sich primär darum gehandelt, die Haftung des Arbeitgebers durch das Versicherungsprinzip abzulösen; die unterschiedliche Entstehungsgeschichte rechtfertige eine ungleiche Behandlung der Betroffenen
[4].
Auf den 1. Januar des Berichtsjahres wurden die gesetzlichen Grundlagen für die
Bearbeitung von Personendaten in den Sozialversicherungen an die Erfordernisse des Datenschutzgesetzes angepasst. Die Gesetzestexte wurden, so weit als möglich untereinander und mit dem neuen ATSG abgestimmt. Die Gesetzes- und Verordnungsänderungen bringen materiell gesehen keine nennenswerten Änderungen mit sich. Sie bezwecken vielmehr die Vereinheitlichung von bis heute sehr unterschiedlichen Bestimmungen
[5].
Die Rechnung der drei Sozialwerke
AHV, IV und EO verzeichnete 2001 bei Erträgen von 38 891 Mio Fr. und Aufwendungen von 39 240 Mio Fr. ein
Defizit von 349 Mio Fr.; im Vorjahr war ein Überschuss von 441 Mio Fr. resultiert. Die gesamten Einnahmen der AHV stiegen gegenüber dem Vorjahr um 2,9% auf 29 620 Mio Fr., was erneut zu grossen Teilen der positiven konjunkturellen Entwicklung zugeschrieben wurde. Diesen Einnahmen standen Ausgaben von 29 081 Mio Fr. gegenüber, so dass die
AHV-Rechnung mit einem
Überschuss von 538 Mio Fr. abschloss (Vorjahr 1070 Mio Fr.). Das Kapital der AHV belief sich Ende Jahr auf 23 258 Mio Fr., was 80% einer Jahresausgabe entspricht (Vorjahr 82%). Bei der
IV deckten die Einnahmen von 8450 Mio Fr. lediglich 89,4% der Ausgaben, so dass ein
Fehlbetrag von 1007 Mio Fr. resultierte. Die Erhöhung des Defizits gegenüber dem Vorjahr (820 Mio Fr.) wurde einerseits auf die Zunahme der IV-Rentner (insbesondere kurz vor Erreichen des AHV-Rentenalters) und auf die Anhebung des Rentenalters der Frauen zurückgeführt, wodurch die Versicherung das Risiko für den Jahrgang 1939 ein Jahr länger tragen musste. Das aufkumulierte Defizit der IV stieg auf 3313 Mio Fr. an (Vorjahr 2305 Mio). Die
EO schloss das Berichtsjahr mit einem
Überschuss von 120 Mio Fr. ab; der EO-Ausgleichsfonds entsprach dem gut Fünffachen einer Jahresausgabe
[6].
[1] Valterio, Michel, „Neue Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen; Auswirkungen auf die Sozialversicherungen“, in
CHSS, 2002, S. 42 ff.1
[2]
AB SR, 2001, S. 282 ff. Siehe
SPJ 2000, S. 216.2
[3]
AB NR, 2001, S. 1436.3
[4]
AB NR, 2001, S. 667 f.4
[5]
CHSS, 2001, S. 98 f. Zum Datenschutz im Gesundheitswesen siehe oben, Teil I, 7b (Allgemeine Fragen).5
[6]
CHSS, 2002, S. 104 ff. Die provisorische Gesamtrechnung der Sozialen Sicherheit für das Jahr 2000 zeigte, dass sich die Sozialausgabenquote der Schweiz mit 27,4% in derselben Grössenordnung wie in der EU bewegt; von den Sozialleistungen entfielen 45% auf die Altersvorsorge und weitere 37% auf Leistungen bei Krankheit und Invalidität (Presse vom 18.6.02).6
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