Année politique Suisse 2002 : Politique sociale / Assurances sociales
Krankenversicherung
Die Entwicklungen im Krankenversicherungsbereich, insbesondere die vor allem wegen der Mengenausweitung ständig über der Erhöhung der effektiven Gesundheitskosten liegenden Prämienaufschläge der Krankenkassen gehören heute zu den Hauptsorgen der Bevölkerung. Im Berichtsjahr wurden im Krankenversicherungsbereich
5 Volksinitiativen lanciert resp. angekündigt, deren Chancen auf Gelingen allerdings recht unterschiedlich einzustufen sind. Ein Westschweizer Komitee, dem als einziger bekannter Politiker Nationalrat Vaudroz (cvp, GE) angehört, startete eine Initiative („Krankenkassenprämien in den Griff bekommen“), die mehr Transparenz bei der Festsetzung der Prämien verlangt
[28]. Ebenfalls primär aus der Romandie rekrutiert sich ein weiteres Komitee, das auf Internet eine Volksinitiative „für die Aufhebung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung“ lancierte
[29]. Im Kanton Waadt wurde von der PdA mit Unterstützung der Grünen und einer Gewerkschaft eine Initiative lanciert, die eine kantonale Einheitskasse für die Grundversicherung verlangt
[30]. Die Westschweizer Familienbewegung „Mouvement populaire des familles“ verabschiedete im Sommer ein Initiativprojekt für eine nationale
Einheitskasse mit einkommensabhängigen Prämien in der Grundversicherung. Unterstützung fand sie bei der Grünen Partei der Schweiz, der PdA sowie weiteren Organisationen aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich
[31]. Die Gesundheitsdirektoren der Westschweiz und des Tessin erklärten, mittelfristig eine öffentliche Einheitskasse für die ganze Schweiz anzustreben, konnten sich aber über die Modalitäten noch nicht einigen
[32]. Noch nicht lanciert, aber von den Delegierten mit grossem Mehr angenommen wurde eine Volksinitiative der
SVP („für tiefere Krankenkassenprämien in der Grundversicherung“). Wie der Präsident des Initiativkomitees, der Zürcher Nationalrat Bortoluzzi ausführte, will seine Partei damit gegen den „Zwang zur Überversicherung“ und eine „rücksichtslose Solidaritätsverpflichtung um jeden Preis“ angehen. Neben der ohnehin aufgegleisten Aufhebung des Kontrahierungszwangs zwischen Versicherern und Leistungserbringern schlug die SVP ihren Delegierten eine
Reduktion der obligatorischen Grundversicherung auf einen minimalen Standard vor. Was medizinisch nicht dringend notwendig, sondern nur erwünscht ist, soll freiwillig in Zusatzversicherungen versichert werden. Bund und Kantone sollen sich mit 50% an der Finanzierung der Grundversicherung beteiligen
[33]. Definitiv gescheitert ist die „miniMax-Initiative“, für welche vor allem die EDU Stimmen sammelte. Auch sie hatte die Zweiteilung der Grundversicherung in einen reduzierten obligatorischen Leistungskatalog und freiwillige Zusatzversicherungen postuliert
[34].
Gleich wie Bundesrat und Nationalrat (und mit den gleichen Argumenten) empfahl auch der
Ständerat mit 35 zu 5 Stimmen die Volksinitiative der SP „Gesundheit muss bezahlbar bleiben“ (
Gesundheits-Initiative) zur
Ablehnung, wollte die Frist zur Abstimmung jedoch verlängern, da er die 2. KVG-Revision mit ihrem ausformulierten Sozialziel (siehe unten) als einen valablen Gegenvorschlag zur Initiative erachtete. Noch vor der Behandlung der KVG-Revision wies der Nationalrat mit 84 zu 60 Stimmen dieses Ansinnen zurück, da das Bundesgesetz über die politischen Rechte eine Fristverlängerung nur in ganz seltenen Ausnahmen gestattet und nur, wenn der Inhalt einer laufenden Gesetzesberatung den Schluss nahe liegen lässt, dass im Ergebnis ein echter Gegenvorschlag vorliegen wird. Da es genügt, wenn eine Kammer einer Fristverlängerung nicht zustimmt, wird die Volksinitiative 2003 termingerecht zur Abstimmung gebracht
[35].
Die
FDP präsentierte ihre Rezepte für eine Gesundung des Krankenversicherungssystems. Mit mehr Wettbewerb und mehr Verantwortung des Einzelnen möchte sie tiefere Prämienbelastungen erreichen. Sie setzt dafür auf ein Drei-Säulen-Konzept mit
Eigenverantwortung, Basis- und Zusatzversicherung. Die Mindestfranchise soll einkommensabhängig je nach Einkommen von 230 auf 400 Fr. angehoben, der Selbstbehalt von 10% auf 20% erhöht werden und maximal 1000 Fr. im Jahr betragen. Damit will die FDP verhindern, dass wegen Bagatellerkrankungen ein Arzt aufgesucht wird. In der Grundversicherung soll der Zugang zum Spezialarzt nur noch nach einer Konsultation beim Hausarzt möglich sein. Als wichtiges Element erachtet die FDP auch die Aufhebung des Vertragszwangs zwischen Versicherern und Leistungserbringern. Zudem verlangte sie die Einsetzung eines „nationalen Gesundheitsrates“, eines Führungsorgans von Bund, Kantonen und weiteren Partnern im Gesundheitswesen
[36]. Die
CVP meldete sich ebenfalls zu Wort. Für sie lautet das Zauberwort „
monistische Spitalfinanzierung“, ein Systemwechsel der vom Ständerat im Vorjahr bei der 2. KVG-Revision bereits eingeläutet wurde. Dabei würden die Kantone nur noch die Leitplanken für die Gesundheitsversorgung festlegen und das Zahlen der Spitalleistungen den Krankenkassen überlassen. Dank der Entschlackung der Finanzströme könnte der Vertragszwang zwischen Versicherern und Ärzten auch im Spitalbereich aufgehoben werden. Die freiwerdenden Kantonsmittel sollen zur Verbilligung der Kinderprämien, zur Äufnung eines Hochrisikopools und zur direkten Mitfinanzierung der Krankenkassen verwendet werden
[37].
Die GPK des Ständerates befasste sich in einem Bericht anhand von zwei ausgewählten Bereichen (Spitalplanung und Ärztetarif TarMed) mit der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen und mit den vom Bundesrat ergriffenen Massnahmen zu deren Eindämmung. Sie anerkannte, dass den Bundesbehörden im KVG nur wenige Instrumente zur Verfügung stehen, meinte aber, diese würden zu wenig oder falsch genutzt. Es fehle die politische Führung und eine eigentliche Steuerung des Gesundheitswesens. Bei der Spitalplanung sende der Bundesrat widersprüchliche Signale aus. Seine Rolle als Rekursinstanz für Beschwerden gegen die kantonalen Spitallisten schränke den ohnehin geringen politischen Handlungsspielraum zusätzlich ein, da die Rekurse nach rein juristischen Kriterien beurteilt werden müssten, was dazu geführt habe, dass die Spitallisten eher erweitert worden seien und in den Kantonen eine gewisse Rechtsunsicherheit bezüglich der Planung herrsche. Die GPK unterstützte deshalb den Vorschlag des Bundesrates, im Rahmen der Totalrevision der Bundesrechtspflege die Rechtssprechungsfunktion des Bundesrates im KVG-Bereich an das geplante Bundesverwaltungsgericht zu übertragen. Bei den TarMed-Verhandlungen habe der Bundesrat seine Führungsrolle zu wenig wahrgenommen. Der neue Tarif, der mehr Transparenz und bessere Kostenkontrolle ermöglichen soll, sei verschleppt worden und werde frühestens fünf Jahre nach seiner beabsichtigten Einführung wirksam. In diesem Zusammenhang wies die GPK auf die Problematik der Rollenvielfalt des Bundes als Genehmigungs- und Vermittlungsinstanz hin. Sie empfahl dem Bundesrat, sich künftig auf die Vorgabe von politischen Zielsetzungen zu beschränken und die Vermittlerrolle einer neutralen und professionellen Mediation zu überlassen.
Die GPK konstatierte aber auch eine ganze Reihe von
„falschen Anreizen“ im Gesetz selber. Zum einen sei die Trennung von staatlicher Planung im Bereich der obligatorischen Grundversicherung und von Marktmechanismen in der Zusatzversicherung hinsichtlich des Ziels der Kostendämpfung ineffizient. Zum anderen begünstige das KVG die Tendenz, dass die Kantone den Anteil der ausserkantonalen Behandlungen aus Kostengründen minimieren, möglichst viel innerhalb des Kantons anbieten und deshalb unkoordiniert planen. Auch das Instrument der Kapazitätsplanung sei hinsichtlich der Kosteneindämmung inadäquat. Der Bettenabbau in öffentlichen Spitälern sei durch den Ausbau in Privatkliniken kompensiert worden. Zudem sei eine Umlagerung vom (von den Kantonen mit zu finanzierenden) stationären in den (ausschliesslich von den Kassen zu bezahlenden) ambulanten Bereich erfolgt
[38].
Im Dezember des Vorjahres hatte Bundesrätin Dreifuss eine Reihe von Massnahmen angekündigt, unter anderem eine Prämienentlastung von Familien mit Kindern, die Schaffung eines Hochkostenpools, die Verpflichtung zum Einholen einer Zweitmeinung vor allzu häufig durchgeführten medizinischen Interventionen sowie eine weitere Preissenkungsrunde bei den Medikamenten. Ende Januar lehnte der Gesamtbundesrat die meisten der Vorschläge ab und teilte mit, er werde Dreifuss im heiklen Dossier Krankenversicherung von nun an „aktiver begleiten“; zudem verlangte er vom EDI eine breite Auslegeordnung des Systems der sozialen Krankenversicherung. Diese Mitteilung wurde in den Medien als „Bevormundung“ oder „Entmachtung“ von Dreifuss interpretiert. Am 22. Mai nahm der
Bundesrat anlässlich einer
Klausurtagung in der Kartause Ittingen (TG) Kenntnis vom verlangten Bericht. Dabei bekräftigte er seinen Willen, die Anstrengungen zur Kostensenkung zu verstärken. Als generelles Ziel, das mit kurz-, mittel- und langfristigen Massnahmen erreicht werden soll, bezeichnete er eine
bessere Steuerung der Leistungsmengen, den effizienteren Einsatz von Leistungen sowie eine gezieltere Kontrolle der Preise. Zur Umsetzung will der Bundesrat auf einen Mix von zwingenden Vorgaben und partnerschaftlichen Instrumenten setzen. Als kurzfristige Massnahme setzte er auf Mitte Jahr drei neue Verordnungen resp. Verordnungsänderungen in Kraft: Verpflichtung zur Konsultation eines Vertrauensarztes vor gewissen medizinischen Behandlungen, befristete bedürfnisabhängige Zulassungsbeschränkung für neue Leistungserbringer und strengere Kontrolle der Arzneimittelpreise (siehe oben, Teil I, 7b, Medizinalpersonen und Medikamente). Mittelfristig beschloss er, neue Vorschläge wie die flächendeckende Einführung einer Patientenkarte und die Schaffung eines Hochkostenpools soweit realisierbar bereits in die laufende 2. Teilrevision des KVG einzubringen. Einzig bei den Prämienrabatten für die Kinder konnte sich Dreifuss nicht durchsetzen. In einer längerfristigen Perspektive beauftragte der Bundesrat das EDI, Modelle für eine Aufhebung des Kontrahierungszwangs, für eine Kompetenzverlagerung zwischen Bund und Kantonen im Planungsbereich und für regulatorische Massnahmen wie Managed-Care-Modelle oder Systeme der Nachfragesteuerung durch modifizierte Kostenbeteiligungen vertieft zu prüfen
[39].
Gegen den Willen des Bundesrates, der Umwandlung in ein Postulat beantragte, nahm der Ständerat knapp (mit 16 zu 14 Stimmen) eine Motion Stähelin (cvp, TG) an, die im Sinn einer Kosteneindämmung eine
Überprüfung des Leistungskatalogs nach KVG verlangt. Neue Leistungen sollen nicht mehr zugelassen werden, wenn sie sich nicht unmittelbar auf Therapie und Behandlung von Krankheiten beziehen, über das medizinisch Notwendige hinausgehen, Konsumcharakter haben, gegen geringfügige Gesundheitsstörungen eingesetzt werden oder wenig kosten und so das Hauhaltsbudget nicht überlasten. Zudem verlangte Stähelin, der Leistungskatalog der ärztlichen Behandlungen sei positiv zu formulieren. Der Bundesrat verwies darauf, dass nach geltendem KVG nur jene Leistungen kassenpflichtig sind, die einerseits von zugelassenen Leistungserbringern erbracht werden und andererseits wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sind. Einen positiv formulierten Leistungskatalog lehnte er ab, weil er an seiner Klausursitzung vom Mai nach einer umfassenden Systemanalyse festgestellt hatte, dass die Kostensteigerungen nicht auf die medizinischen Leistungen an sich, sondern auf deren Mengenausweitung zurückzuführen sind. Eine positive Formulierung wäre auch nicht sachgerecht, da die ärztlichen Leistungen zu vielschichtig sind, um in einem Katalog abschliessend umschrieben zu werden
[40].
2000 hatte Nationalrätin Meyer (cvp, FR) eine Motion eingereicht, mit der sie den Bundesrat aufforderte, einerseits bei den Krankenversicherungen eine detailliertere
Rechnungslegung einzuführen, welche Prämienerhöhungen transparenter machen sollte, und andererseits die Reserven der Kassen zu plafonieren. Unter Verweis auf seither erfolgte Anstrengungen beantragte der Bundesrat, den ersten Punkt der Motion abzuschreiben und den zweiten Punkt als Postulat zu überweisen. Der Rat folgte aber der Argumentation Meyers, die Offenlegung der Zahlen sei insbesondere auf kantonaler Ebene nach wie vor mangelhaft und überwies diesen Punkt mit 156 zu 5 Stimmen in der verbindlichen Form. Bei den Reserven schloss er sich dem Antrag des Bundesrates an
[41]. Der Ständerat nahm eine Standesinitiative des Kantons Jura für einen verbesserten
Risikoausgleich unter den Krankenkassen an, lehnte jedoch eine weitere Standesinitiative des Kantons Wallis ab, die dem BSV zusätzliche Mittel zur effizienteren Kontrolle der Krankenversicherer geben wollte
[42].
Das BSV wollte den Krankenkassen Swica und Helsana verbieten, sogenannte
Billigkassen zu gründen, da damit Solidaritätselemente wie der Risikoausgleich und die Prämiengleichheit für alle Versicherten einer Gruppe umgangen werden können. Da es Kassenkonglomeraten, die aus mehreren einst unabhängigen Kassen entstanden sind (beispielsweise Groupe Mutuel und ÖKK), nicht verwehrt werden kann, in diesen Teilkassen unterschiedliche Prämienstrukturen zu haben, fochten Swica und Helsana diesen Entscheid beim Gesamtbundesrat an. Die Helsana gelangte auch ans Eidg. Versicherungsgericht, das ihr Recht gab. Der exklusive Zugang über Internet und Callcenters werde tatsächlich in erster Linie junge Leute anziehen („gute Risiken“), aber so lange die älteren Versicherten nicht explizit ausgeschlossen werden, sei die Gründung nicht gesetzeswidrig. Damit kann das BSV nur nachträglich überprüfen, ob die neuen Kassen allen zugänglich sind oder ob Risikoselektion betrieben wird
[43].
Anlässlich seiner Klausurtagung vom Mai stimmte der Bundesrat grundsätzlich dem Vorschlag des Ständerates zu, wonach im KVG ein
Sozialziel für die individuelle Prämienverbilligung verankert werden soll. Die von der kleinen Kammer beschlossene Prämienbelastungsquote von maximal 8% des Einkommens hielt er indessen für untauglich, da sie nach dem verpönten Giesskannenprinzip dazu führen würde, dass auch Personen mit hohem Einkommen entlastet würden. Einer starren Quote wollte er deshalb ein Modell gegenüber stellen, das gezielt
Mittelstandsfamilien mit Kindern unterstützt, ohne deshalb Personen, die heute vom Prämienverbilligungssystem profitieren, wieder vermehrt zur Kasse bitten zu müssen. Er beauftragte deshalb das EDI, in Zusammenarbeit mit den Kantonen und dem EFD Varianten zu erarbeiten und deren Finanzierungsmöglichkeit zu klären. Der Bundesrat schlug schliesslich ein Modell vor, das in ähnlicher Form bereits im Kanton Graubünden praktiziert wird. Im neuen System der Prämienverbilligung sehen die Kantone je mindestens vier Einkommenskategorien für Familien mit Kindern (inkl. Alleinerziehende) und für die übrigen Versicherten vor. Familien mit Kindern im untersten Einkommenssegment sollen künftig höchstens 2% des bundessteuerlichen Reineinkommens (korrigiert um einen Vermögensfaktor von 10%) für die Prämien der Grundversicherung ausgeben; im obersten Einkommenssegment soll der Eigenanteil 10% nicht übersteigen. Mit dem Modell würde schätzungsweise jede zweite Familie entlastet. Für die restlichen Versicherten (Alleinstehende, Paare ohne Kinder) gilt eine um je 2% höhere Bandbreite (4-12%). Der Gesetzesvorschlag sieht im Hinblick auf eine gesamtschweizerische Vereinheitlichung des Prämienverbilligungsanspruchs eine Bundeskompetenz zur Festlegung der für den Anspruch massgebenden Referenzprämie vor. Damit soll auch ein Anreiz dafür geschaffen werden, dass Prämienverbilligungsbezüger und -bezügerinnen zu günstigeren Krankenversicherern wechseln
[44].
Im Grundsatz stimmte der Nationalrat bei der 2. KVG-Revision, auf die er mit 123 zu 2 Stimmen eintrat, diesem Modell zu. Zu einem politischen Hickhack führte aber die Frage, wie viele zusätzliche Bundessubventionen für die Umsetzung nötig sind. Der Ständerat hatte die Kosten seines Modells (maximal 8% für alle Versicherten) auf 300 Mio Fr. veranschlagt. Die Ratslinke vertrat die Auffassung, es brauche mindestens diesen Betrag, damit die Neuregelung der Prämienverbilligung ihr Hauptziel – die Entlastung des Mittelstandes – erreichen könne. Die FDP wollte lediglich 150 Mio Fr. einschiessen. Sie begründete ihre Haltung damit, dass das Modell des Bundesrates mit den Bandbreiten keinen Giesskanneneffekt mehr habe und damit zwangsläufig kostengünstiger sei. Mit Unterstützung der CVP setzte sich der Antrag auf 300 Mio Fr. mit 97 zu 89 Stimmen durch. Zur absolut teuersten Lösung wurde diese Variante der Zusatzfinanzierung aber durch einen mit 134 zu 48 Stimmen angenommenen Antrag Borer (svp, SO), die Bundesleistungen fix an den Anstieg der Gesundheitskosten zu koppeln. Borer argumentierte, die Indexierung zwinge den Bund zur stärkeren Beteiligung an den Kosten, die er durch die von ihm bestimmten Ausweitungen der Krankenkassenleistungen verursache. Durch die kumulative Wirkung des Ausgangsbetrages und der Indexierung war das Fuder für die Bürgerlichen aber definitiv überladen. Mit dem Hinweis, der Rat habe in wechselnden Mehrheiten auf alle Vorschläge zur Kostendämpfung – Anhebung von Franchise und Selbstbehalt, Aufhebung des Vertragszwangs zwischen Kassen und Ärzten (siehe oben, Teil I, 7b, Medizinalpersonen) – verzichtet, erteilten sie der Vorlage, der letzten, welche die scheidende Bundesrätin Dreifuss im Parlament vertrat, eine Abfuhr: In der Gesamtabstimmung wurde die 2. KVG-Revision mit 93 zu 89 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) verworfen. FDP und SVP stimmten fast geschlossen dagegen, SP und Grüne geschlossen dafür, ebenso eine knappe Mehrheit der CVP. Die Linke wertete den Eklat als abgekartetes Spiel der Bürgerlichen. Es sei darum gegangen, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, dass Dreifuss kein valables Gesetz zustande gebracht habe, weshalb jetzt Bundesrat Couchepin, der ab dem nächsten Jahr das EDI übernimmt, die Sache richten müsse. Die Vorlage geht zurück an den Ständerat.
Mit dem negativen Resultat in der Gesamtabstimmung wurden auch alle anderen vom Nationalrat gefällten Beschlüsse – zumindest vorderhand – hinfällig. Dies betrifft insbesondere die Entlastung der Familie bei den
Kinderprämien, die Einführung einer
Versichertenkarte, Massnahmen gegen die sogenannten
Billigkassen, die eine gezielte Risikoselektion betreiben, sowie die
Planungskompetenz des Bundes im Bereich der Spitzenmedizin. Diese Punkte wurden allesamt deutlich angenommen. Abgelehnt wurde hingegen eine freiwillige Hotellerieversicherung in der Grundversicherung, eine interkantonale Spitalplanung sowie eine kantonale Genehmigungspflicht für Hightech-Einrichtungen
[45]. Zur Förderung der Generika sowie zu den neben dem neuen Prämienverbilligungssystem wesentlichsten Elemente der Revision – Spitalfinanzierung und Aufhebung des Kontrahierungszwang im ambulanten Bereich – siehe oben, Teil I, 7b (Spitäler, Medizinalpersonen und Medikamente).
[28]
BBl, 2002, S. 785 ff.; Presse vom 6.2.02. Vaudroz hatte 2000 eine pa.Iv. ähnlichen Inhalts eingereicht. Sie wurde vom NR diskussionslos mit 156 zu 11 Stimmen abgelehnt (
Amtl. Bull. NR, 2002, S. 254).
[29]
BBl, 2002, S. 5919 ff.;
NZZ, 14.10.02.
[31]
NZZ, 27.5.02;
WoZ, 30.5. und 21.11.02. Der CNG, dessen Präsident NR Fasel (csp, FR) 1999 mit einer pa.Iv. für eine „Krankenkasse für alle“ gescheitert war, schloss eine Unterstützung nicht aus (
Bund, 18.3.02). Vgl. auch die Äusserungen Fasels in
AB NR, 2002, S. 997. Siehe
SPJ 1999, S. 275. Auch in der FDP verlangen einzelne Abgeordnete, die Einführung einer Einheitskasse nach dem Modell der Suva zumindest zu prüfen (
TA, 10.10.02).
[32]
TA, 14.8.02;
24h, 6.9.02;
LT und
TG, 10.9.02;
TG, 21.10.02. Mit einem überwiesenen Postulat ersuchte Robbiani (cvp, TI) den BR, die Einführung einer Einheitskrankenkasse zu prüfen (
Amtl. Bull. NR, 2002, S. 461).
[33] Presse vom 14.1., 30.4. und 26.8.
[34]
BBl, 2002, S. 5121;
TA, 15.1.02;
NZZ, 8.6.02 Vgl.
SPJ 2000, S. 357 f.
[35]
AB SR, 2001, S. 981 ff. und 1153;
AB NR, 2002, S. 1968 f.;
BBl, 2002, S. 8149 ff.;
TA, 28.11.02.
[36] Presse vom 26.1.02. Im Juni gründete die FDP einen überparteilichen „nationalen Gesundheitsrat“, der die ökonomischen Anreize im Gesundheitssystem überprüfen soll (
NZZ, 20.6.02). Siehe dazu auch eine Interpellation der FDP-Fraktion in
AB NR, 2002, S. 990 ff. Für einkommensabhängige Franchisen sprachen sich auch SP und CVP aus (Presse vom 27.2.02). Der Arbeitgeberverband verlangte ebenfalls einen unabhängigen Delegierten, um die Kostenspirale in den Griff zu bekommen (Presse vom 17.5.02). Eine radikale Idee präsentierte eine im Auftrag einer Krankenkasse erstellte Studie. Sie stellte die Abkehr vom Solidaritätsprinzip und die Einführung von risikogerechten Prämien zur Diskussion (Presse vom 29.1.02).
[38]
BBl, 2003, S. 343 ff.; Presse vom 12.4.02. Für die aus dem Bericht resultierenden Postulate der GPK siehe oben, Teil I, 7b (Spitäler und Medizinalpersonen).
[39] Presse vom 31.1., 17.5., 24.5. und 4.7.02. Siehe
SPJ 2001, S. 194. Zu einem internationalen Vergleich, der dem BR vom EDI vorgelegt wurde, vgl.
TA, 14.5.01. Mit den Ergebnissen der Klausurtagung unzufrieden, reichten die Fraktionen von FDP und SP Interpellationen ein, die in der Sommersession in einer dreistündigen Debatte im NR behandelt wurden, die aber zu keinen konkreten Ergebnissen führten (
AB NR, 2002, S. 990 ff.).
[40]
AB SR, 2001, S. 684 ff.
[41]
AB NR, 2002, S. 1507.
[42]
AB SR, 2001, S. 682 ff. Zur Kontrolle der Krankenkassen siehe auch eine Interpellation Berger (fdp, NE) (
a.a.O., S. 689 f.).
[43]
NLZ, 8.1. und 28.8.02; Presse vom 10.8.02. Auf Mitte Jahr stieg die Helsana aus 23 von insgesamt 40 Hausarztmodellen aus, da sich für sie die damit verbundenen Rabatte nicht lohnten (Presse vom 22.4.02).
[44]
CHSS, 2002, S. 287-289;
NZZ, 18.8.02; Presse vom 22.8.02. Siehe dazu auch eine Interpellation der SP-Fraktion in
AB NR, 2002, S. 990 ff. Der SGB verlangte, der Bund solle jedes Jahr 1 Mia Fr. zur Verbilligung der Prämien für Kinder zur Verfügung stellen (Presse vom 17.5.02).
[45]
AB NR, 2002, S. 2003 ff., 2055 ff., 2072 ff., 2105 ff., 2123 ff. und 2144 ff.; Presse vom 14.12.02.
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