Année politique Suisse 2003 : Eléments du système politique / Institutions et droits populaires
 
Volksrechte
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Nutzung der Volksrechte
Im Berichtsjahr kam es zu drei mit einem fakultativen Referendum verlangten Volksabstimmungen (Finanzierung der Spitalkosten, Militärgesetz, Zivilschutzgesetz). Das Volk bestätigte in allen drei Fällen den Parlamentsentscheid. Eingereicht wurde zudem das Referendum gegen das neue Mietrecht, worüber allerdings erst im Februar 2004 abgestimmt werden wird.
Im Jahr 2003 wurden drei neue Volksinitiativen eingereicht (Tierschutz, Gentechnik, Kinderzulagen). Dem Volk zum Entscheid vorgelegt wurden sieben Volksbegehren. Keinem einzigen wurde zugestimmt; die Nein-Stimmen-Anteile betrugen zwischen 58% und 73%. Damit sank Ende 2003 der Bestand der eingereichten, aber dem Volk noch nicht zum Entscheid vorgelegten Initiativen auf sieben (2002: elf). Neu lanciert wurden acht Volksinitiativen.
Volk und Stände stimmten einer von Regierung und Parlament vorgeschlagenen Verfassungsänderung zu (Ausbau der Volksrechte). Insgesamt kam es somit zu elf Volksabstimmungen (sieben Volksinitiativen, ein Verfassungsreferendum und drei fakultative Referenden). Bei all diesen Entscheiden folgten die Stimmberechtigten dem Antrag von Regierung und Parlament.
Der Entscheid des Bundesrates, am Abstimmungssonntag des 18. Mai den Bürgerinnen und Bürgern nicht weniger als neun eidgenössische Vorlagen (zwei Referenden und sieben Volksinitiativen) zum Entscheid vorzulegen, führte zu einer heftigen Debatte über eine allfällige Überforderung der Stimmenden. Eine wissenschaftliche Antwort auf diese Frage lässt sich nicht geben. Die klar über dem Mittel der letzten Jahre liegende Beteiligung von rund 49% spricht aber eher gegen die These von der Überforderung. Die aussergewöhnliche Häufung hatte sich ergeben, weil einerseits bei Volksinitiativen eindeutige Behandlungsfristen vorgegeben sind, und andererseits der übliche Septembertermin für Volksabstimmungen wegen der nationalen Wahlen vom Oktober ausfiel [32].
Als Novum in der Geschichte des Bundesstaates machten zum ersten Mal Kantone Gebrauch von ihrem Recht, gegen einen Parlamentsbeschluss das Referendum einzureichen. Elf Kantone (notwendig für ein Kantonsreferendum wären acht gewesen) beantragten eine Volksabstimmung über das Steuerentlastungsprogramm, welches ihrer Meinung nach für die Kantone nicht verkraftbare Steuerausfälle bringen würde [33].
Die Linke unternahm einen weiteren Versuch, das bei Volksabstimmungen über Verfassungsfragen und den Beitritt zu internationalen Organisationen erforderliche Ständemehr in Frage zu stellen. Nationalrat Fehr (sp, SH) verlangte mit einer parlamentarischen Initiative, dass bei diesen Entscheiden das Ständemehr nicht mehr erforderlich sein soll, wenn zuvor der Ständerat mit einem qualifizierten Mehr (z.B. zwei Drittel) zugestimmt hat. Die bürgerliche Mehrheit der SPK sah in den wenigen Fällen (8), bei denen Volks- und Ständemehr bisher auseinanderklafften, keinen Anlass zur Beunruhigung, da in diesen Entscheiden das Volksmehr jeweils sehr knapp ausgefallen sei (zwischen 50,2% und 55,4%). Das Ratsplenum folgte mit 97:69 Stimmen ihrem Antrag und gab der Initiative keine Folge [34].
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Reform der Volksrechte
Die Volksabstimmung über die Verfassungsänderungen zur Einführung der „allgemeinen Volksinitiative“ und zur Ausweitung des fakultativen Staatsvertragsreferendums fand am 9. Februar statt. Die Kampagne vermochte keine hohen Wellen zu werfen. Von der SP und der GP wurde die Vorlage wie bereits im Parlament bekämpft, da sie die Ausgestaltung der allgemeinen Volksinitiative mit den verlangten 100 000 Unterschriften als zu wenig attraktiv betrachteten. Das bürgerliche Lager war gespalten: Die FDP und die CVP empfahlen zwar Zustimmung, Parlamentarier aus ihren Reihen wirkten aber auch beim Kontra-Komitee mit und einige Kantonalsektionen der FDP gaben die Nein-Parole aus. Die SVP und die Liberalen lehnten die Reform ab, wobei ihr Hauptargument die potentielle Umgehung des Ständemehrs bei der Umsetzung einer Initiative auf Gesetzesebene war [35].
Bundesbeschluss über den Ausbau der Volksrechte
Abstimmung vom 9. Februar 2003

Beteiligung: 29%
Ja: 934 005 (70,4%) / 20 6/2 Stände
Nein: 393 638 (29,6%) / 0 Stände

Parolen:
Ja: FDP (6*), CVP, SD, FP, EDU; SBV.
Nein: SP (1*), SVP (4*), LP, GP, EVP; SGB.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Bei einer sehr niedrigen Stimmbeteiligung von 29% stimmte das Volk der Reform der Volksrechte mit einem Ja-Stimmenanteil von 70% deutlich zu. In allen Kantonen wurde die Reform angenommen: am deutlichsten in Freiburg mit 77%, am schwächsten in Schaffhausen mit 56%. Die Vox-Analyse ergab, dass der Vorlage von den Stimmberechtigten keine grosse Bedeutung zugemessen worden war. Unterschiede im Stimmverhalten gab es kaum; insbesondere hatten die Linke und die SVP ihre eigene Anhängerschaft mit ihrer Nein-Parole nicht zu überzeugen vermocht [36].
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Abstimmungen und Wahlen
Der Bundesrat und die Bundesverwaltung haben in den letzten Jahren bei einigen Werbekampagnen zu Volksabstimmungen intensiver mitgewirkt als dies früher üblich war. So waren etwa bei der UNO-Abstimmung und beim Entscheid über die Armeereform mit erheblichen finanziellen Mitteln Informations- und Werbebroschüren herausgegeben worden. Eine parlamentarische Initiative von Hans Fehr (svp, ZH) verlangte nun, dass sich die Regierung und die Verwaltung auf sachliche Information zu beschränken hätten und es ihnen insbesondere untersagt werde, eigentliche Werbekampagnen zu führen oder solche finanziell zu unterstützen. Die SPK des Nationalrats beantragte, diesem Vorstoss keine Folge zu geben und setzte sich damit im Plenum gegen die SVP-Fraktion durch. Da allerdings auch die SPK gewisse Regeln für die staatliche Öffentlichkeitsarbeit in Abstimmungskämpfen aufstellen möchte, unterbreitete sie dem Rat eine entsprechende Motion. Obwohl die Regierung die Umwandlung in ein Postulat beantragt hatte, überwies der Nationalrat das Anliegen einstimmig in Motionsform [37].
Wesentlich weiter als die parlamentarische Initiative Fehr will eine anfangs Jahr von einem Komitee lancierte VolksinitiativeVolkssouveränität statt Behördenpropaganda“ gehen. Sie will dem Bundesrat und den Spitzenkadern der Bundesverwaltung während Abstimmungskampagnen jegliche in Zusammenhang mit der Abstimmung stehende Medienauftritte verbieten. Zugelassen wäre nur noch eine einmalige kurze Information über den Abstimmungsgegenstand durch den Departementsvorsteher. Nicht erlaubt wäre auch die Finanzierung, Erarbeitung und Bereitstellung von Informations- und Propagandamaterial durch die Bundesverwaltung [38].
Die im Vorjahr vom Nationalrat gewährte Verlängerung der Frist für die Ausarbeitung einer Lösung zur Umsetzung einer im Jahr 2000 gutgeheissenen parlamentarischen Initiative Gross (sp, ZH) für die Meldepflicht und Publikation von grossen finanziellen Beiträgen an die Werbekampagnen für Volksabstimmungen brachte kein Ergebnis. Die Mehrheit der SPK beantragte dem Plenum, die Initiative abzuschreiben. Als wichtigsten Grund für ihren Antrag gab sie an, dass Deklarationsmodelle sehr detailliert abgefasst sein müssten, um Missbräuche zu verhindern. Zudem zeigten die Erfahrungen in den USA, dass eine Vielzahl von Umgehungsmöglichkeiten beständen, wie etwa die Ausrichtung von formal nicht zweckgebundenen Beiträgen an Parteien und Interessenorganisationen. Die vor allem von der Linken gebildete Kommissionsminderheit stimmte dieser kritischen Analyse weitgehend zu und schlug deshalb vor, mit einem Anreizmodell für vermehrte Transparenz zu sorgen. Gemäss ihrem Antrag sollen diejenigen, welche ihre Geldquellen deklarieren, vom Bund Beiträge für ihre Werbekampagnen erhalten [39].
Die SVP-Fraktion im Nationalrat reichte zwei parlamentarische Initiativen zur Einführung des Finanzreferendums ein. Darin verlangt sie, dass Verpflichtungs- oder Rahmenkredite ab einem im Initiativtext nicht festgelegten Betrag dem fakultativen Referendum unterstellt sein sollen. Kredite von einem niedriger liegenden Minimalumfang sollen zudem auf Verlangen von je einem Drittel der Mitglieder der beiden Ratskammern dem fakultativen Referendum unterstellt werden. Die SPK des Nationalrats beantragte, dem ersten Vorstoss Folge zu geben und den zweiten abzulehnen [40].
In der kleinen Genfer Gemeinde Anières konnten die Stimmberechtigten im Januar bei einer kommunalen Abstimmung ihr Votum auch auf elektronischem Weg (via Internet) abgeben. Es handelte sich dabei um die weltweit erste Anwendung des sogenannten E-Votings bei einer rechtlich verbindlichen Entscheidung; bisher hatte es diese neue Art der Stimmabgabe nur bei unverbindlichen Testabstimmungen oder parteiinternen Entscheidungen gegeben. Ende Jahr wurde das Experiment in Cologny (GE) wiederholt. Bei einer an sich hohen Beteiligung von knapp 60% benutzten hier rund 30% das Internet zur Stimmabgabe; etwa zwei Drittel hatten auf dem Korrespondenzweg abgestimmt und nur 4% begaben sich persönlich zu den Abstimmungslokalen [41].
 
[32] Presse vom 30.1. und 19.5.03; Bund, 14.5.03. Siehe dazu auch Blaser, Cornelia e.a., Vox – Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 18. Mai 2003, Zürich 2003.
[33] BBl, 2003, S. 7056 f. Zum Inhalt siehe unten, Teil I, 5 (Direkte Steuern).
[34] AB NR, 2003, S. 1998 ff. Vgl. SPJ 1995, S. 40.
[35] Presse vom 6.1. bis 8.2.03. Vgl. v.a. NZZ, 6.1. und 15.1.03.
[36] BBl, 2003, S. 3111 ff.; Presse vom 10.2.03; Engeli, Isabelle e.a., Vox – Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 9. Februar 2003, Genf 2003. Zur niedrigen Stimmbeteiligung (sie war bisher nur zweimal noch schlechter gewesen) hatte auch beigetragen, dass neben dieser Vorlage nur noch eine kaum bestrittene Revision des Krankenversicherungsgesetzes zur Abstimmung kam.
[37] AB NR, 2003, S. 1433 ff. (pa.Iv.) und 1437 (Motion).
[38] BBl, 2003, S. 731 ff.
[39] BBl, 2003, S. 3916 ff. Vgl. SPJ 2002, S. 44.
[40] Pa.Iv. 03.401 und 03.402. Der Freisinnige Müller (ZH) reichte eine vom BR zur Ablehnung empfohlene Motion für ein fakultatives Finanzreferendum ein (Mo 03.3019). Vgl. TA, 5.3.03; BZ, 17.6.03.
[41] Bund, 18.1.03; LT, 20.1. und 1.12.03. Vgl. auch SPJ 2002, S. 44. Siehe dazu auch Oppliger, Rolf „Sicherheit im E-Voting“, in NZZ, 4.2.03, Lit. Linder sowie die Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen der Genfer Testabstimmungen in TG, 27.1.03.