Année politique Suisse 2003 : Politique sociale / Groupes sociaux
 
Ausländerpolitik
Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms (NFP) 39 waren von 1995 bis 2002 in 28 Projekten die Einwanderung in die Schweiz, die Ausländerpolitik und die Integrationsprobleme untersucht worden. Die Experten präsentierten nun ihren Schlussbericht. Fazit der Studie war, dass bei der Ausländerpolitik seit den 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts im Lauf der Zeit eine diametrale Wende stattgefunden hat. Anfänglich sei die Anwerbung liberal, die Integrationspolitik hingegen konservativ gewesen; heute sei die Zulassung restriktiv, die Eingliederung einschliesslich Einbürgerung dagegen eine zentrale Grösse. Sie empfahlen der Politik, weiterhin auf eine kontrollierte Zuwanderung mit starker Integrationskomponente zu setzen; zur Entlastung der Asylpolitik sei jedoch auch die Möglichkeit zur allenfalls temporären legalen Einwanderung nötig [1].
Auf den 1. Mai erhielt das Bundesamt für Ausländerfragen (BFA) einen neuen Namen. Es heisst Bundesamt für Zuwanderung, Integration und Auswanderung, die Kurzform lautet in allen vier Landessprachen sowie in Englisch IMES (Immigration, Intégration, Emigration Suisse). Mit der Namensänderung wurde die Umstrukturierung des BFA abgeschlossen. Seit 1998 waren ihm mehrere ausländerrelevante Tätigkeitsgebiete aus verschiedenen Departementen übertragen und dabei neu definiert worden. Das IMES übernimmt die traditionellen fremdenpolizeilichen Aufgaben des BFA (Regelung von Zulassung und Aufenthalt der ausländischen Wohnbevölkerung) sowie arbeitsmarktliche Kompetenzen im Bereich des Personenfreizügigkeitsabkommens (FZA) mit der EU; im Januar wurde zudem eine neue Abteilung geschaffen, welche Integrationsförderung und Einbürgerung umfasst [2].
Zusammen mit der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren setzte Bundesrätin Metzler Mitte Jahr eine Steuergruppe zu Kriminalität und Sicherheit im Migrationsbereich ein. Sie soll dafür sorgen, dass die von der Arbeitsgruppe „Ausländerkriminalität“ im Jahr 2001 vorgeschlagenen Massnahmen umgesetzt werden. Dazu gehören Integrationsförderung, verstärkte Kontrollen, nationale und internationale Kooperation sowie umfassende Information [3].
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Ausländische Bevölkerung
Im Berichtsjahr wanderten erstmals seit 1990 wieder mehr Personen aus EU- und EFTA-Staaten als aus Drittländern in die Schweiz ein. Der Bestand der ausländischen Wohnbevölkerung stieg um 23 721 auf 1 471 033 Mio Personen, resp. auf 20,1% der gesamten Einwohnerzahl (2002: 19,9%), Asylsuchende, Kurzaufenthalter und internationale Funktionäre nicht mitgezählt. Fast ein Viertel der ansässigen Ausländerinnen und Ausländer wurden in der Schweiz geboren. 46 320 ausländische Staatsangehörige verliessen das Land.
Von den zugewanderten Personen stammten 50 103 aus Ländern der EU und der EFTA und 49 946 aus Nicht-EU-Staaten. Diese Gewichtsverschiebung ist einerseits auf das seit dem 1. Juni 2002 gültige Freizügigkeitsabkommen zurückzuführen, andererseits aber auch eine Folge des abgeschwächten Zustroms aus dem ehemaligen Jugoslawien. Am stärksten nahm die Zahl der Staatsangehörigen aus Portugal (+8754) und Deutschland (+8603) zu. Während aus Deutschland überdurchschnittlich viele Personen einwanderten, die in der Schweiz qualifizierte Berufe ausüben (vor allem im Management und im Gesundheitswesen), waren es aus Portugal eher Hilfskräfte, die in der Baubranche und im Gastgewerbe arbeiten. Abgenommen hat die Zahl der Staatsangehörigen aus Italien (-4485), Spanien (-2124) und der Türkei (-1175) [4].
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Zulassung
Die Schweizer Demokraten (SD) lancierten zum fünften Mal in ihrer Geschichte eine Volksbegehren zur Senkung der Ausländerzahl. Die Initiative „Begrenzung der Einwanderung aus Nicht-EU-Staaten“ verlangt die Limitierung der Einwanderung, Asylsuchende inbegriffen, auf das Ausmass der Auswanderung im Vorjahr. Ausgenommen wären EU-Angehörige sowie Kurzaufenthalter [5].
Auf den 1. Juni wurden Schweizerinnen und Schweizer in Liechtenstein den EWR-Staatsangehörigen gleichgestellt. Im Gegenzug gewährt die Schweiz den bereits im Land wohnenden Liechtensteinerinnen und Liechtensteinern die Gleichstellung mit den EU/EFTA-Staatsangehörigen. Grundlage für die Neuregelung bildet die EFTA-Konvention von 2001 [6].
Aus formaljuristischen Gründen lehnte es das Bundesgericht ab, Schweizer Bürgerinnen und Bürgern beim Familiennachzug die gleichen Rechte einzuräumen wie EU-Staatsangehörigen. Gemäss Freizügigkeitsabkommen können EU-Bürger ohne weitere Formalitäten ihre Kinder bis zum 21. Altersjahr in die Schweiz holen. Das gilt nicht für die Kinder von Schweizer Bürgerinnen und Bürgern mit einer Drittstaatsangehörigkeit. Diese sind nach wie vor dem alten Gesetz über Aufenthalt und Niederlassung (ANAG) unterstellt und deshalb ab dem 18. Lebensjahr vom Nachzug ausgeschlossen. Die Lausanner Richter befanden, selbst wenn dadurch das Diskriminierungsverbot und das Gebot der Rechtsgleichheit in der Bundesverfassung unterlaufen werden, so sei die Ungleichbehandlung vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen worden, weshalb eine Korrektur durch das Bundesgericht nicht angebracht sei. Diese drohende Ungleichbehandlung war bereits bei den Gesetzesänderungen aufgefallen, die im Zusammenhang mit dem FZA vorgenommen werden mussten, doch hatte der Bundesrat damals auf das geplante neue AuG verwiesen, das eine weit gehende Gleichstellung bringen soll. Auch die SPK des Nationalrats verzichtete darauf, diese Ungleichbehandlung durch eine vorgezogene Änderung dieser Bestimmung prioritär anzugehen [7].
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Gesellschaftliche Integration
An ihrer ersten Plenarsitzung des Jahres beschlossen die Mitglieder der Eidgenössischen Ausländerkommission (EKA), künftig jährlich ein Schwerpunktthema zu definieren. 2003 widmete sich die Kommission vorrangig dem Zugang zum Arbeitsmarkt und damit laut EKA einem Schlüsselbereich für die Integration. Im November fand dazu unter dem Titel „Integration durch Arbeit“ eine Tagung statt, an der mehrere Empfehlungen zu Ausbildung, Berufseinstieg und Qualifikation abgegeben wurden sowie an die Arbeitgeber appelliert wurde, die kulturelle Vielfalt als Chance für die Betriebe wahrzunehmen [8].
Im Rahmen des ersten Integrationsförderungsprogramms des Bundes (2000-2003) hatte die EKA vorrangig Projekte unterstützt, welche die sprachlichen Fähigkeiten der Ausländerinnen und Ausländer verbessern sollen. Für das zweite Vierjahresprogramm (2004-2007) wurden neue Prioritäten definiert. Die meisten der bisherigen Schwerpunkte (Verständigung fördern, Zusammenleben erleichtern, Kompetenzen entwickeln) werden zwar – teilweise in abgeänderter Form – weitergeführt, neu werden aber vermehrt Projekte unterstützt, welche zur „Öffnung von Institutionen“ (Vereine usw.) für die ausländische Bevölkerung beitragen. Zudem will die EKA in Zukunft bei der Vergabe von Finanzbeiträgen noch vermehrt mit den regionalen Integrationsstellen zusammenarbeiten, die teilweise erst in den letzten Jahren entstanden sind [9].
Die Eidgenössische Kommission für Jugendfragen forderte in einem Bericht eine kinder- und jugendfreundliche Integrationspolitik. Den Nachkommen von Eingewanderten sei ein besserer Zugang zur Berufsbildung und zu gesellschaftlicher wie auch politischer Partizipation zu verschaffen. Dementsprechend müsse der Aspekt der Ausländerintegration in verschiedenen Bereichen der Politik vermehrt beachtet werden [10]. Eine Genfer Studie zeigte, dass sich die „Secondos“ und „Secondas“ italienischer und spanischer Herkunft, deren Eltern in die Schweiz eingewandert sind, die aber hier geboren wurden, in den meisten Fällen gesellschaftlich und beruflich erfolgreich integrieren, dass sie aber die staatsbürgerliche Anerkennung vermissen [11].
 
[1] Lit. Wicker/Fibbi/Haug; Presse vom 29.1.03.
[2] Presse vom 8.3.03.
[3] Presse vom 15.7.03. Siehe SPJ 2001, S. 203 f.
[4] Presse vom 24.2.04. Vgl. SPJ 2002, S. 234. Entgegen der Entwicklung der Vorjahre war die Zahl der Einbürgerungen leicht rückläufig. Siehe dazu oben, Teil I, 1b (Bürgerrecht).
[5] BBl, 2003, S. 2059 ff.; NZZ, 12.3.03. Das Bundesgericht erklärte eine Volksinitiative der Stadtzürcher SD als Verstoss gegen das Gleichbehandlungsgebot der Bundesverfassung für ungültig; die Initiative hatte zum Ziel, Zürich als „schweizerisch geprägte Stadt zu erhalten“ und den Schweizerinnen und Schweizern in allen Bereichen des öffentlichen Lebens Vorrang zuzugestehen (BaZ, 11.12.03).
[6] Presse vom 3.6.03. Siehe SPJ 2001, S. 55. Zur Ausdehnung des FZA auf die zehn neuen EU-Mitgliedstaaten siehe oben, Teil I, 2 (Europe: UE).
[7] Presse vom 18.1.03; NZZ, 1.2.03; TA, 3.2.03. Siehe dazu auch die Antwort des BR auf eine Frage im NR: AB NR, 2003, S. 150. In einem konkreten Fall entschied das Aargauer Rekursgericht im Ausländerrecht allerdings gegen das Urteil des BG (NZZ, 30.8.03). Zum neuen AuG siehe unten, Flüchtlingspolitik.
[8] Presse vom 22.1.03; NZZ, 8.11.03. Die EKA zeigte sich beunruhigt über den raueren Ton in der Ausländer- und Asylpolitik, der im Vorfeld der eidg. Wahlen Einzug hielt (Presse vom 22.1.03). Siehe auch eine Interpellation Bühlmann (gp, LU) für eine Öffentlichkeitskampagne zur Versachlichung der Migrationsdebatte: AB NR, 2003, S. 1236 und Beilagen III, S. 498 f. Zu einer Parteienbilanz der Legislatur 1999-2003 in ausländer- und asylpolitischer Hinsicht vgl. NZZ, 29.7.03.
[9] Presse vom 14.5. und 24.5.03; NZZ, 14.8.03 (Bedeutung der Vereine).
[10] Lit. Stärken; NZZ, 25.6.03. Zur schulischen und beruflichen Situation der Kinder von Immigranten siehe auch die Nr. 2 von Terra cognita, der Zeitschrift der EKA.
[11] Lit. Bolzmann et al.; BaZ, 19.7.03; BZ, 26.7.03. Für eine Studie zu den deutlich geringeren Arbeitsmarktchancen junger Ausländer, die nicht in der Schweiz geboren, aber hier zur Schule gegangen sind, siehe NZZ, 1.11.03. In Aarau tagte Ende November das 1. Migrantinnen- und Migrantenparlament der Schweiz, das drei Resolutionen zu Bildung, Einbürgerungen und politischen Rechten verabschiedete (NZZ, 24.11.03).