Année politique Suisse 2005 : Economie / Politique économique générale
 
Wettbewerb
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Binnenmarkt
Das Parlament hiess die Teilrevision des Binnenmarktgesetzes gut. Der Nationalrat befasste sich als erster damit. Nachdem alle Bundesratsparteien ihre Unterstützung für die Vorlage bekannt gegeben hatten, scheiterte ein Nichteintretensantrag Zisyadis (pda, VD), der sie als Symbol der Liberalisierung bekämpfte, deutlich (166:3). Mit 150 zu19 Stimmen abgelehnt wurde auch ein Rückweisungsantrag Nordmann (sp, VD), der anstelle dieses Gesetzes eine Vereinheitlichung der kantonalen Vorschriften über die Gewerbe- und Berufsausübung wünschte. In der Detailberatung setzte sich die von der Kommissionsmehrheit unterstützte Fassung des Bundesrats weitgehend durch. Die in den letzten Jahren in vielen Kantonen erfolgte Liberalisierung im Gastgewerbe (u.a. Abschaffung der kantonalen Wirteprüfung) führte jedoch zu einer Gegenreaktion im Parlament. Der Nationalrat lehnte zwar in erster Lesung die Aufnahme von besonderen Ausbildungserfordernissen für Wirte ins Binnenmarktgesetz noch ebenso ab wie eine in die gleiche Richtung zielende Motion (siehe unten). Im Ständerat war Eintreten unbestritten. In der Detailberatung nahm die kleine Kammer aber eine Schutzbestimmung für das Gastgewerbe auf. Sie hielt im Lebensmittelgesetz fest, dass der Bundesrat für Personen, die regelmässig Speisen und Getränke zum sofortigen Verzehr anbieten (d.h. Beschäftigte in Restaurants und an Imbissständen), minimale Ausbildungsvorschriften bezüglich Hygienekenntnisse erlassen kann. Eine derartige Vorschrift hatten auch die kantonalen Lebensmittelchemiker gefordert. Im Differenzbereinigungsverfahren stimmte auch der Nationalrat diesem Passus zu [19].
Im Anschluss an die Beratung der Revision des Binnenmarktgesetzes lehnte der Nationalrat eine Motion seiner WAK ab, welche Sonderbestimmungen für das Gastgewerbe forderte, um dieses vor den Auswirkungen der eben beschlossenen Liberalisierung zu schützen. Die Motion hätte für die Berufsausübung und den Marktzugang in dieser Branche Minimalvorschriften, die in den letzten Jahren in vielen Kantonen der Deutschschweiz ganz oder teilweise aufgehoben worden waren, auf nationaler Ebene wieder eingeführt. Der mit 89 zu 70 Stimmen verworfene Vorstoss der WAK wurde vor allem von französischsprachigen Parlamentariern unterstützt. Der Bundesrat argumentierte, dass die Gewährleistung der Gesundheit der Kunden über die Vorschriften des Lebensmittelgesetzes und nicht mit der Berufszulassung für Wirte zu erfolgen habe [20].
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Importe
Im Berichtsjahr wurde die Diskussion über die Einführung des sogenannten Cassis-de-Dijon-Prinzips (d.h. die volle Anerkennung der Zulassungsprüfungen anderer Länder, auch wenn deren Vorschriften von den landeseigenen abweichen) weitergeführt. Die Wettbewerbskommission sprach sich im April für den Warenverkehr mit der EU für dieses Prinzip aus. Im Juni überwies der Ständerat eine Motion Hess (fdp, OW), welche die einseitige Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips für Importe aus der EU verlangt, falls mit der EU keine Einigung erzielt werden kann. Unterstützung fand Hess auch bei der Konsumentenschützerin Sommaruga (sp, BE). Diese führte ins Feld, dass unnötige Sondervorschriften der Schweiz (z.B. bezüglich Deklaration [21]) dazu führten, dass die importierten Produkte durch die ausländischen Produzenten speziell verpackt werden müssen. Damit werden Parallelimporte verunmöglicht, und die offiziellen Importeure nützten diese Marktbeherrschung auf dem kaufkräftigen schweizerischen Markt zu massiven Preiszuschlägen aus. Gemäss Sommaruga könnten, wo sich aus Gründen der Gesundheitspolitik oder des Tierschutzes die Respektierung der strengeren schweizerischen Normen aufdränge, Ausnahmen vom Prinzip erlaubt werden. Der Bundesrat war zwar mit der Annahme der Motion einverstanden, wies aber auch darauf hin, dass eine einseitige Einführung dieses Prinzips nicht unproblematisch wäre. So würden etwa einheimische Produzenten benachteiligt, welche sich im Inland weiterhin an die schweizerischen Sondervorschriften halten und im Export aber zusätzlich die EU-Vorschriften respektieren müssten.
In seiner Antwort auf eine Interpellation Bührer (fdp, SH) erklärte der Bundesrat im Mai, dass er sich vom Cassis-de-Dijon-Prinzip grundsätzlich eine Belebung des Wettbewerbs und Preissenkungen verspreche. Da das Schutzniveau in Bezug auf gesundheitliche Gefahren in den EU-Staaten seiner Ansicht nach ausreichend hoch sei, werde er einen Vorschlag für die – unter Umständen einseitige – Einführung dieses Prinzips für Güter aus der EU vorlegen. In einem im Herbst veröffentlichten Bericht bekräftigte der Bundesrat seine Haltung. Da der Abschluss eines diesbezüglichen, auf Gegenseitigkeit beruhenden Abkommens mit der EU nicht realistisch sei, wolle er eine partielle, einseitige Anwendung des Casis-de-Dijon-Prinzips für Importe aus der EU anstreben. Durch eine Revision des Gesetzes über die technischen Handelshemmnisse soll dieses Prinzip insbesondere dort Anwendung finden, wo – wie etwa bei den Lebensmitteln – die Vorschriften auch in der EU nicht vollständig harmonisiert sind. Um die Benachteiligung einheimischer Produzenten zu vermeiden, möchte der Bundesrat allerdings grundsätzlich an seiner bisherigen Strategie einer bestmöglichen Harmonisierung der Produktevorschriften mit der EU und der vertraglichen Zusicherung der gegenseitigen Anerkennung festhalten [22].
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Detailhandel
Nachdem die beiden Gewerkschaftsdachverbände SGB und Travail.Suisse zu Jahresbeginn das Referendum gegen eine Revision des Arbeitsgesetzes im Zusammenhang mit der Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten in den Bahnhof- und Flughafenarealen eingereicht hatten [23], stimmte das Volk im Herbst darüber ab. Inhaltlich ging es darum, in grossen Zentren des öffentlichen Verkehrs (d.h. in etwa 25 Bahnhöfen und den Flughäfen) die Beschäftigung von Verkaufspersonal an Sonntagen und am Abend ohne Sonderbewilligung und ohne Limitierung des Warenangebots auf Reisebedarf zu erlauben. Die Gegner der Vorlage, neben den Gewerkschaften die SP, die GP, die EVP, die PdA und die EDU sowie die Organisationen der protestantischen und der katholischen Kirchen, sahen in dieser Liberalisierung nur einen ersten Schritt zu einer generellen Aufhebung des Sonntagsarbeitsverbots. Sie massen deshalb der Gesetzesrevision, von der direkt lediglich rund 2500 Beschäftigte in den grossen Bahnhöfen und Flughäfen betroffen waren, einen grossen symbolischen Wert zu. Opposition meldete auch der Schweizer Detaillistenverband, in welchem die kleinen Verkaufsgeschäfte zusammengeschlossen sind, an. Er befürchtete Konkurrenznachteile, weil sich seine Mitglieder in der Regel die teuren Mieten in den Bahnhöfen nicht leisten und deshalb von den liberaleren Öffnungszeiten nicht profitieren können [24].
Für die Arbeitsgesetzrevision traten die SVP, die FDP, die CVP und die Liberalen sowie Economiesuisse und der Gewerbeverband ein. Am meisten erstaunte die sehr deutlich (mit 122:9 Stimmen) beschlossene Ja-Parole der traditionell der katholischen Kirche nahe stehenden CVP; lediglich fünf ihrer Kantonalparteien entschieden sich für ein Nein (LU, OW, SZ, TI, VS) und eine gab die Stimme frei (BL). Dass sich die Leitung der SBB ebenfalls für die Gesetzesrevision einsetzte, da sie mit der Vermietung dieser Läden beträchtliche Einnahmen erzielt, verärgerte die Gewerkschaften. Die Befürworter argumentierten, die dank einer bis zur Volksabstimmung geltenden Sonderbewilligung des Bundesrats zugelassenen liberalisierten Öffnungszeiten entsprächen offensichtlich einem Bedürfnis der Konsumenten. Zudem wiesen sie darauf hin, dass die Ablehnung der Vorlage nicht etwa, wie von den Gegnern behauptet, die Beibehaltung des gegenwärtigen Zustandes, sondern eine Rückkehr zu den früheren restriktiven Verhältnissen bedeuten würde. Dies hätte die Schliessung von Läden resp. eine massive Reduktion ihres Sortiments und ihrer Verkaufsfläche und damit auch die Entlassung von Personal zur Folge [25].
Das Volk stimmte am 27. November der Arbeitsgesetzrevision und damit der generellen Öffnung der Läden in grossen Bahnhöfen und Flughäfen an Sonntagen und am Abend mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,6% zu. Am deutlichsten war die Zustimmung in den städtischen Zentren der Deutschschweiz, die ländlichen Regionen der französischsprachigen Schweiz wiesen die höchsten Nein-Anteile auf. Angenommen wurde die Vorlage allerdings nur in sieben, stark urbanisierten Kantonen (ZH, GE, BS, BL, BE, AG und ZG). Am meisten Ja-Stimmen gab es im Kanton Zürich (62%), am wenigsten im Jura mit 21% [26].
Teilrevision des Arbeitsgesetzes (Sonntagsverkauf)
Abstimmung vom 27. November 2005

Beteiligung: 42,3%
Ja: 1 026 833 (50,6%)
Nein: 1 003 900 (49,4%)

Parolen:
Ja: SVP (1*), FDP, CVP (6*), LP, Lega; Economiesuisse, SGV, SBV, Arbeitgeberverband.
Nein: SP, GP, EVP, SD, EDU; SGB, Travail.Suisse, ev. und kath. Landeskirchen.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Obwohl das Referendum gegen die Arbeitsgesetzrevision von den Gewerkschaften eingereicht und von allen Linksparteien unterstützt worden war, zeigte die Vox-Analyse, dass beim Entscheid über die Ladenöffnungszeiten am Sonntag nicht der Links-Rechts-Konflikt dominierte. Im Vordergrund standen vielmehr Werthaltungen wie die Religiosität, die Einstellung zum Wirtschaftssystem und in geringerem Masse auch zur Modernisierung der Schweiz. Am grössten war der Verhaltensgegensatz zwischen intensiv praktizierenden Christen und Personen, die nur selten oder gar nicht an Gottesdiensten teilnehmen. Da stark religiös geprägte Menschen und auch die Wahrer von Traditionen sich politisch eher rechts einordnen, spielte die politische Grundhaltung eine weniger grosse Rolle, als angesichts der Haltung der politischen Parteien hätte erwartet werden können. Die Parolen der Bundesratsparteien wurden entsprechend unterschiedlich befolgt. Am treuesten waren die Sympathisanten der FDP, welche zu 78% ein Ja in die Urne legten. Bei der SP und der SVP war die Anhängerschaft hälftig gespalten und bei der CVP stimmten zwei von drei Sympathisanten gegen die Parteiparole [27].
Eigentlich hätte der Nationalrat bereits in der Frühjahrssession eine vom Ständerat im Herbst 2004 gutgeheissene Motion seiner WAK behandeln sollen, welche eine nicht nur auf Verkaufsgeschäfte in den Bahnhöfen und Flughäfen beschränkte Liberalisierung der Arbeitszeitvorschriften für das Verkaufspersonal verlangte. Auf Antrag Gutzwiller (fdp, ZH) verschob er den Entscheid bis nach der Volksabstimmung über die Arbeitsgesetzrevision. Nach der nur sehr knappen Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zum neuen Arbeitsgesetz im November lehnte er die von der Linken und – im Gegensatz zur Volksabstimmungsvorlage und zum Entscheid im Ständerat – nun auch von der CVP bekämpfte Motion ab. Auch rund ein Viertel der SVP-Fraktion war gegen diese Liberalisierung [28].
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Konsumentenschutz
Nachdem im Vorjahr der Vorentwurf für ein neues Gesetz über die Information und den Schutz der Konsumenten in der Vernehmlassung auf heftige Kritik gestossen war, arbeitete die Verwaltung an einer zweigeteilten Vorlage weiter. Der eine Teil behandelt die Konsumenteninformation, der andere die Vorschriften über die Produktesicherheit. Den Teil Konsumenteninformation gab der Bundesrat im Sommer in eine neue Vernehmlassung. Teilrevisionen des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb und des Obligationenrechts sollen gewährleisten, dass die Kunden über die Identität des Anbieters und über wesentliche Eigenschaften einer angebotenen Ware oder Dienstleistung sowie über den effektiv zu bezahlenden Preis informiert werden. Die Käufer, die Konsumentenorganisationen sowie in bestimmten Fällen auch der Bund sollen gemäss Vorentwurf über ein Klagerecht gegen nicht korrekt handelnde Firmen verfügen. Für Konsumenten soll zudem ein Rücktrittsrecht von einem Vertrag eingeführt werden, falls der Anbieter seine Informationspflicht nicht erfüllt hat. Die Wirtschaft reagierte skeptisch und warnte vor einer Überregulierung; die Konsumentenorganisationen waren aus entgegengesetzten Gründen ebenfalls nicht zufrieden und verlangten ein umfassendes Rahmengesetz. Die FDP und die SVP teilten die Kritik der Wirtschaft, die SP diejenige der Konsumenten. Angesichts dieses erneut negativen Ausgangs der Vernehmlassung beschloss der Bundesrat im Dezember Übungsabbruch [29].
Die GPK des Nationalrats publizierte im Herbst einen Bericht über den Konsumentenschutz im grenzüberschreitenden elektronischen Geschäftsverkehr (Internethandel) und empfahl dem Bundesrat, einerseits Konsumentenschutzbestimmungen auf diesen Bereich auszudehnen (z.B. das Widerrufsrecht) und andererseits auch gewisse spezifische Vorschriften (z.B. eine Identifikationspflicht für Anbieter) zu erlassen. Der Bundesrat teilte die Meinung der GPK nicht. Seiner Ansicht nach reichen die bestehenden rechtlichen Bestimmungen für eine korrekte Abwicklung dieser Geschäfte aus, und eine Anpassung an das stärker am Konsumentenschutz orientierte EU-Recht drängt sich für ihn nicht auf. Er entschied deshalb im November des Berichtsjahres, seinen Vorentwurf für ein Bundesgesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr nach einer sehr kontrovers ausgefallenen Vernehmlassung nicht weiter zu verfolgen. Handlungsbedarf sah er einzig bei der Forderung nach einer Identifikationspflicht für inländische Anbieter [30].
 
[19] AB NR, 2005, S. 872 ff., 1620 ff., 1785 und 2000; AB SR, 2005, S. 753 ff., 1048 ff. und 1221; BBl, 2005, S. 7461 ff.; LT und TA, 28.9.05 sowie Bund, 2.12.05 (Ausbildungsvorschriften). Vgl. SPJ 2004, S. 82. Zur Zielsetzung der Reform siehe Boris Zürcher, „Stärkung der Individualrechte als Hauptziel“, in NZZ, 22.3.05. Siehe auch Lit. Chambrier.
[20] AB NR, 2005, S. 894 ff. Zur Situation im Gastgewerbe und zu den v.a. in den Westschweizer Kantonen höheren Anforderungen für die Geschäftsausübung siehe 24h, 6.5.05; TA, 11.6.05; NZZ, 29.11.05.
[21] So wird etwa auf Etiketten die gemäss Duden korrekte deutschsprachige Bezeichnung „Sahne“ nicht akzeptiert und muss durch das in der Schweiz übliche Synonym „Rahm“ ersetzt werden. Vgl. dazu TA, 16.2. und 22.4.05.
[22] AB SR, 2005, S. 482 ff.; AB NR, 2005, Beilagen III, S. 201 ff. Wettbewerbskommission: TA, 6.4. und 6.5.05. Bericht BR: NZZ, 24.9.05.
[23] BBl, 2005, S. 1528 f. Vgl. SPJ 2004, S. 83 f.
[24] Zu einer Motion, welche diese Nachteile mit einer allgemeinen Liberalisierung der Beschäftigungszeiten im Detailhandel ausmerzen wollte, siehe unten.
[25] Zur Kampagne siehe Presse vom 28.9.-26.11.05. Vgl. auch TA, 15.10.05 (CVP). Zu den Aktivitäten der SBB siehe TA, 19.9.05 sowie auch die Antwort des BR auf eine Anfrage der SP-Fraktion (AB NR, 2005, Beilagen IV, S. 165 f.).
[26] BBl, 2006, S. 1061 ff.; Presse vom 28.11.05.
[27] Hirter, Hans / Linder, Wolf, Vox – Analyse der eidgenössischen Volksabstimmung vom 27. Nov. 2005, Bern (IPW und gfs-Bern) 2006.
[28] AB NR, 2005, S. 240 f. und 1785 ff.; So-Blick, 20.11.05; TA, 9.12.05. Vgl. SPJ 2004, S. 84. Siehe dazu auch „Positive Auswirkungen flexiblerer Ladenöffnungszeiten – auch in der Schweiz“, in Die Volkswirtschaft, 2005, Nr. 9, S. 47-50.
[29] NZZ, 2.7.05 (Vernehmlassungseröffnung). Kritik: NZZ, 1.9. und 5.11.05; TA, 12.10.05; LT, 15.10.05. BR: TA, 22.12.05. Siehe auch NZZ, 20.12.05. Vgl. SPJ 2004, S. 84 f.
[30] BBl, 2005, S. 4967 ff. und BBl, 2006, S. 685 ff. (BR).