Année politique Suisse 2005 : Politique sociale / Groupes sociaux
 
Frauen
Termingerecht zum internationalen Tag der Frau publizierte das Bundesamt für Statistik zwei Studien zur Geschlechtergleichstellung in den letzten dreissig Jahren. Der grösste Fortschritt sei bei der Ausbildung junger Frauen festzustellen, die Berufswahl verlaufe aber weiterhin in traditionellen Bahnen. Gemäss einer Untersuchung des Weltwirtschaftsforums, die 30 OECD-Staaten und 28 Entwicklungsländer anhand der Kriterien wirtschaftliche Teilhabe, wirtschaftliche Möglichkeiten, politische Einflussnahme und Beteiligung, Bildungsgrad sowie Gesundheit und Wohlergehen miteinander verglich, sind die Schweizer Frauen jedoch weit von der Gleichberechtigung entfernt, was die wirtschaftlichen Möglichkeiten und die Bildung betrifft. Am besten schnitten die skandinavischen Länder ab; die Schweiz belegte Rang 34 [26].
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Politische Vertretung
Auf Antrag seiner SPK beschloss der Nationalrat mit 84:74 Stimmen, der parlamentarischen Initiative der SP-Fraktion für eine neue Verfassungsbestimmung, welche jedem Geschlecht mindestens drei Sitze im Bundesrat zusichert, keine Folge zu geben. Die SPK begründete ihren Ablehnungsantrag vor allem damit, dass eine solche Vorschrift die Auswahlmöglichkeiten zu stark einschränken würde. Dies sei umso mehr der Fall, als auf die bestehenden und von der Kommissionsmehrheit als wichtiger erachteten Verfassungsvorgaben über die sprachliche und regionale Ausgewogenheit nicht verzichtet werden soll [27].
Gesamtschweizerisch belegten die Frauen Ende 2005 22,8% (36 von 158) der kantonalen Regierungssitze (2004: 23,4%). Gemessen am Gesamttotal ihrer Regierungssitze (31) stellen die Sozialdemokraten mit 13 Exekutivmitgliedern den höchsten Frauenanteil (41,9%), gefolgt von der FDP mit 29,5% (13 von 44 Regierungsmitgliedern), den Liberalen mit 25% (1 von 4 Mandaten), der SVP mit 21,1% (4 von 19 Sitzen) und den Grünen mit 14,3% (1 von 7 Mandaten). Bei den Bundesratsparteien ist der Frauenanteil bei der CVP mit 8,9% (4 von 45 Sitzen) am kleinsten. Von einem reinen Männergremium regiert werden sechs Kantone (AG, AI, GE, SZ, TG, VS). Der durchschnittliche Frauenanteil in den Kantonsparlamenten betrug Ende 2005 25,8% (2004: 25,1%). Gesamtschweizerisch am meisten Parlamentarierinnen delegiert der Aargau (36,4%), am wenigsten Glarus (10,0%) [28].
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Arbeitswelt
Mit Stichentscheid des Präsidenten unterstützte der Nationalrat eine parlamentarische Initiative Haering (sp, ZH), welche mehr Frauen in den Verwaltungsräten von Unternehmungen des Bundes oder Betrieben mit mehrheitlicher Bundesbeteiligung fordert. Die Rechtskommission, welche sich ebenfalls hinter den Vorstoss gestellt hatte, argumentierte, die verlangte Minimalquote von 30% sei nicht nur wegen des Verfassungsauftrags der Geschlechtergleichstellung angebracht, sondern würde sich auch für die anvisierten Gesellschaften positiv auswirken [29].
Das EDA gab ein Fakultativprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) in die Vernehmlassung. Es sieht unter anderem ein individuelles Mitteilungsverfahren vor, das Einzelpersonen oder Personengruppen erlaubt, nach Durchlaufen des nationalen Instanzenzuges an den zuständigen UNO-Ausschuss zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau zu gelangen [30].
Basierend auf dem neuen Berufsbildungsgesetz lancierte der Bund Schweizer Frauenorganisationen, „alliance f“, ein flexibles Modell für die berufliche Weiterbildung, das auch vom BBT unterstützt wird. Es ermöglicht, das Lerntempo den Lebensumständen anzupassen. Das heisst, dass jeder Lehrgang jederzeit unterbrochen und innerhalb von einem oder zwei Jahren wieder aufgenommen werden kann. Die Ausbildungen werden vermehrt in Modulen angeboten und sollen insbesondere Frauen mit Kindern die berufliche Weiterbildung erleichtern. Abgeschlossen werden die neuen Weiterbildungslehrgänge mit einem eidgenössisch anerkannten Diplom. Im Berichtsjahr boten erstmals einige Ausbildungsstätten Lehrgänge nach diesem Modell an [31].
In seiner Antwort auf eine Interpellation Markwalder (fdp, BE) hielt der Bundesrat fest, dass eine Aufnahme der Prostitution ins Berufsverzeichnis die Probleme der Prostituierten nicht reduzieren würde, da dieser Eintrag keine rechtlichen Auswirkungen, insbesondere betreffend Sozialversicherungen, habe. Ausserdem sei fraglich, welchen Mehrwert die geschützte Berufsbezeichnung „Sexworkerin/Sexworker“ für die Betroffenen hätte [32].
 
[26] Presse vom 8.3. und 17.-19.5.05; Lit. Bühler/Heye und Leemann/Keck.
[27] AB NR, 2005, S. 1493 f.; vgl. SPJ 2004, S. 29.
[28] Zu den Details siehe oben, Teil I, 1e (Wahlen in kantonale Regierungen resp. Parlamente) sowie die entsprechenden Tabellen im Anhang.
[29] AB NR, 2005, S. 44 ff.; vgl. SPJ 2004, S. 211 f.; siehe auch die Antworten des BR auf die Interpellationen Leutenegger (sp, BL) zum Stand der Gleichstellung in bundesnahen Unternehmen und Roth-Bernasconi (sp, GE) betreffend Lohnanstieg von Männern und Frauen in der Bundesverwaltung in AB NR, 2005, Beilagen II, S. 216 f. und Beilagen IV, S. 415 f.
[30] BBl, 2006, S. 1589; vgl. auch SPJ 2004, S. 211.
[31] NZZ und TA, 10.6.05. Der NR verlängerte die Frist zur Behandlung einer Motion Fehr, Jacueline (sp, ZH) betreffend einen Massnahmenplan für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (AB NR, 2005, S. 1990). Zur Berufsbildung siehe unten, Teil I, 8a (Berufsbildung).
[32] AB NR, 2005, S. 404 f.