Année politique Suisse 2006 : Politique sociale / Population et travail
 
Arbeitsmarkt
Die Zahl der Beschäftigten stieg nach provisorischen Schätzungen des BFS um 2,3% gegenüber dem Vorjahr und erreichte neu 4 291 000 Personen. Erneut war die Zunahme bei den Frauen (+2,6%) höher als bei den Männern (+2,0%). Der Zuwachs war deutlicher bei den Ausländerinnen und Ausländern (+3,5%) als bei den Schweizerinnen und Schweizern (+1,95%). Mit einem Anteil der Erwerbstätigen von 77% an der Gesamtzahl der Bevölkerung verfügt die Schweiz über eine extrem hohe Beschäftigungsrate. In der EU15 liegt sie bei 66,0%, in der OECD bei 66,1%. Einzig Japan (70,0%), die USA (72,0%) und Grossbritannien (72,5%) liegen noch oberhalb der 70%-Barriere. Allerdings ist zu beachten, dass die Schweiz, insbesondere bei den Frauen, über einen sehr hohen Anteil von Teilzeitbeschäftigten verfügt [6].
Die Hälfte aller Unternehmen in der Schweiz hat Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu finden, wie die Untersuchung einer auf Arbeitsvermittlung spezialisierten Firma ergab. Am meisten fehlen ausgebildete Arbeitnehmende in der Produktion (Bedienung von Maschinen in automatisierten Betrieben) sowie in der Baubranche (Schreiner, Schweisser und Maurer) [7].
Bund und Kantone wollen in einem gemeinsamen Projekt, IIZ-MAMAC, Personen mit Mehrfachproblematik rascher wieder in den Arbeitsmarkt zurückführen. Ausgerichtet ist das Projekt auf Personen, bei welchen unklar ist, ob sie krank sind, weil sie keine Arbeit haben, oder ob sie keine Arbeit haben, weil sie krank sind. Weil in solchen Fällen meist auch nicht abschliessend beurteilt werden kann, ob die Arbeitslosenversicherung, die Invalidenversicherung oder die Sozialhilfe zuständig ist, ziehen sich die Abklärungen der zum Teil komplexen Ursachen in die Länge, und es besteht die Gefahr, dass die Betroffenen von einer Institution zur nächsten weitergereicht werden („Drehtüreffekt“). Während dieser Zeit verschärfen sich die Probleme oder sie verfestigen sich. Im Rahmen der interinstitutionellen Zusammenarbeit (IIZ) von Arbeitslosenversicherung (ALV), Invalidenversicherung (IV) und Sozialhilfe werden jetzt Strukturen geschaffen, die es ermöglichen, möglichst rasch die Situation umfassend und für alle drei Institutionen zu analysieren und mit einem verbindlichen Integrationsplan festzulegen, welche Massnahmen für eine Reintegration in den Arbeitsmarkt nötig sind. Im Rahmen einer engen Zusammenarbeit mit den Kantonen sollen Erfahrungen aus dem praktischen Vollzug einfliessen und Unterschiede kantonaler Vollzugsstrukturen in der Konzeption berücksichtigt werden [8].
Oppositionslos nahm der Ständerat eine Motion Heberlein (fdp, ZH) an, die den Bundesrat auffordert, Massnahmen mit Anreizcharakter im Bereich Sozialversicherungen, Arbeitsmarkt und Steuerrecht zugunsten der Partizipation älterer Arbeitnehmender im Arbeitsmarkt vorzuschlagen [9].
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Arbeitslosigkeit
Im Berichtsjahr verringerte sich die Arbeitslosenquote markant. Im Jahresdurchschnitt waren 131 532 Personen als arbeitslos registriert. Verglichen mit dem Vorjahr entspricht dies einer Abnahme um 17 005 Personen bzw. 11,4%. Die Arbeitslosenquote für das ganze Jahr 2006 betrug 3,3% (-0,5 Prozentpunkte gegenüber 2005). Tiefer war die mittlere Arbeitslosenquote letztmals im Jahr 2002 mit 2,5% gewesen. Vor allem in der ersten Jahreshälfte verminderte sich die Arbeitslosenzahl deutlich von 154 204 im Januar auf 121 725 Ende Juli. Die anhaltend gute Konjunktur stützte den Arbeitsmarkt aber auch in der zweiten Jahreshälfte. So verharrte die Arbeitslosenquote zwischen Juni und Ende November sechs Monate lang auf demselben Stand. Dem starken Rückgang der Arbeitslosigkeit um rund 32 500 Personen in der ersten Jahreshälfte stand im zweiten Halbjahr eine saisonal bedingte Zunahme um nur rund 7000 gegenüber. Die Westschweiz und das Tessin waren erneut überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen (4,8%), ebenso junge Erwachsene (4,3%) und Personen ausländischer Herkunft (6,1%). Der Anteil der Langzeitarbeitslosen (ein Jahr und mehr) blieb bei rund 20% [10].
Mitte Juni beschloss der Bundesrat die Erhöhung der Höchstzahl der Taggelder zu Gunsten von älteren Arbeitslosen (über 50 Jahre) für den Kanton Genf für eine Dauer von sechs Monaten und für den Neuenburger Jura sowie gewisse Bezirke des Kantons Waadt für eine Dauer von drei Monaten. Die Massnahme kann gewährt werden, wenn im Mittel der letzten sechs Monate die durchschnittliche Arbeitslosigkeit mehr als 5% betrug und die Kantone zu den vom Gesetz postulierten Eigenleistungen bereit sind [11].
Diskussionslos und im Einvernehmen mit dem Bundesrat nahm der Nationalrat eine von Abgeordneten aus allen Bundesratsparteien sowie den Grünen unterzeichnete Motion Schenker (sp, BS) an, die den Bundesrat auffordert, einen Massnahmenplan zur Unterstützung von älteren Arbeitslosen vorzulegen. Dabei seinen neben der Förderung spezifischer arbeitsmarktlicher Massnahmen insbesondere die Verstärkung der Forschung über die spezifische Problematik der Wiedereingliederung älterer Arbeitnehmender zu prüfen [12].
Auf der anderen Seite des Spektrums beschäftigte auch die Jugendarbeitslosigkeit das Parlament. Kommentarlos – und durch die zustimmende Berichterstattung des Bundesrates praktisch erledigt – überwies die grosse Kammer ein Postulat Robbiani (cvp, TI), das die Landesregierung ersucht darzulegen, mit welchen Massnahmen innerhalb der Bundesverwaltung der Jugendarbeitslosigkeit begegnet wird [13].
Trotz der boomenden Wirtschaft und der stark rückläufigen Arbeitslosenzahlen blieb die Angst vor dem Stellenverlust die Hauptsorge der Schweizerinnen und Schweizer. Gemäss einer regelmässig durchgeführten repräsentativen Umfrage („Sorgenbarometer“ der GfS Bern), sank aber der Anteil der Personen, welche die Arbeitslosigkeit als eines der fünf wichtigsten Probleme erachten, von 71% im Jahr 2005 auf 66% [14].
 
[6] Lit. Teilzeitarbeit; Die Volkswirtschaft, 2007, Nr. 9, S. 93 und 74; Presse vom 8.8.06.
[7] TA, 22.2.06.
[8] Lit. Gächter; Presse vom 5.9.06.
[9] AB SR, 2006, S. 664. Im NR wurde eine identische Motion der FDP-Fraktion von Goll (sp, ZH) bekämpft und deshalb noch nicht behandelt (AB NR, 2006, S. 1572). Siehe Lit. Kottmann und Ripahn/Seldon.
[10] Die Volkswirtschaft, 2007, Nr. 9, S. 94-96. Presse vom 10.1.2007. Siehe SPJ 2005, S. 176.
[11] Presse vom 17.6.06. Siehe dazu die Antwort des BR auf zwei Ip. im NR: AB NR, 2006, S. 1581 und 2041.
[12] AB NR, 2006, S. 1573.
[13] AB NR, 2006, S. 1576. Siehe dazu auch die Antwort des BR auf eine dringliche Anfrage der SP-Fraktion bezüglich der Anstrengungen des Bundes als Arbeitgeber bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit (a.a.O., 2006, S. 1611).
[14] Presse vom 19.12.06. Siehe SPJ 2005, S. 176.