Année politique Suisse 2006 : Politique sociale / Assurances sociales
 
Krankenversicherung
Ende 2005 hatte der Bundesrat dem Parlament die Volksinitiative „Für eine soziale Einheitskrankenkasse“ zur Ablehnung empfohlen mit dem Argument, ein fundamentaler Kurswechsel dränge sich nicht auf; ein System mit einer Mehrzahl von Anbietern weise klare Vorteile gegenüber einer Monopolstellung einer einzigen Krankenkasse auf. Nach Ansicht des Bundesrates ist auch eine Umstellung des Finanzierungssystems der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nach den Vorstellungen der Initiative nicht zweckdienlich. Die Einführung von Prämien nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Versicherten und damit die Abschaffung der einkommens- und vermögensunabhängigen Kopfprämie käme der Schaffung einer neuen Einkommens- und Vermögenssteuer gleich. Einer in diesem Punkt vergleichbaren Vorlage, der Volksinitiative „Gesundheit muss bezahlbar bleiben (Gesundheitsinitiative)“, habe das Schweizer Stimmvolk im Mai 2003 eine deutliche Absage erteilt [25].
Im Nationalrat bezeichnete Kommissionssprecher Bortoluzzi (svp, ZH) die Initiative als falschen Weg, um die Mängel im Gesundheitswesen zu beheben. Die Position der Versicherten würde mit einer Einheitskasse nicht gestärkt. Vielmehr verunmögliche diese die nötige verstärkte wettbewerbliche Ausrichtung des Gesundheitssystems. Als Sprecherin der Kommissionsminderheit warb Goll (sp, ZH) für die Initiative. Die zehnjährige Erfahrung mit dem KVG habe gezeigt, dass der viel gepriesene Wettbewerb unter den Krankenkassen versagt habe. Die Kassen seien zu den grössten Kostentreibern geworden, da sie bei der Jagd nach guten Risiken Millionenbeträge für Werbekosten aufwenden würden. Die Umsetzung der Initiative sei einfach. Im Sozialversicherungsbereich gebe es analoge Modelle, die gut funktionieren, so etwa die AHV, die ALV oder die Unfallversicherung mit dem Quasimonopol der Suva. Ruey (lp, VD) zeigte sich im Namen der FDP-Fraktion überzeugt, dass die Einheitskasse kein einziges Problem im Gesundheitswesen löse; vielmehr verschlechtere ein solches Monopol das System, schränke die Freiheit der Versicherten ein und erhöhe die Ausgaben. Humbel Näf (cvp, AG) vertrat als Sprecherin der CVP-Fraktion die Auffassung, dass mit dem vorgeschlagenen Prämiensystem die niedrigen Einkommen sowie der Mittelstand stärker belastet würden. Zudem sei eine Einheitskasse kostentreibend und führe in die Staatsmedizin. Gegenteiliger Meinung war Fehr (sp, ZH), die im Namen der SP die Initiative unterstützte. Vor allem die mittleren Einkommen und die Familien würden von der Einheitskasse profitieren. In der ausgedehnten Debatte lehnten die bürgerlichen Fraktionen die Initiative ab. Von dieser Seite wurde auch befürchtet, dass ein Systemwechsel zu einer verstärkten Rationierung führe. Wenn der Staat sparen müsse, werde er direkt Einfluss auf die Leistungen einer Einheitskasse nehmen. Unterstützt wurde die Initiative von den geschlossenen Fraktionen der Grünen und der SP. Der Rat entschied sich schliesslich mit 109 zu 61 Stimmen gegen das Begehren [26].
Im Ständerat verliefen die Fronten gleich wie im Nationalrat. Die Sprecherin der vorberatenden Kommission empfahl die Ablehnung der Initiative, weil sie die falsche Antwort auf ein teilweise berechtigtes Unbehagen sei. Für Schwaller (cvp, FR) ist sie kein taugliches Mittel, um die steigenden Gesundheitskosten in den Griff zu bekommen, und Heberlein (fdp, ZH) zeigte sich überzeugt, dass das Volksbegehren direkt zu einer Verstaatlichung des Gesundheitswesens führe. Unterstützung fand die Initiative einzig bei der SP. Ory (sp, NE) argumentierte, dass mit einer Einheitskasse endlich die sinnlose Pseudokonkurrenz der rund 90 in der Grundversicherung tätigen Krankenkassen beendet werde. Im Weiteren schaffe die Initiative mehr Transparenz und senke die Verwaltungskosten. Die Abschaffung der teilweise nicht mehr tragbaren unsozialen Kopfprämien bringe mehr Gerechtigkeit und eine finanzielle Entlastung insbesondere für Familien und ältere Menschen. Mit 31 zu 7 Stimmen beschloss der Ständerat, Volk und Ständen die Volksinitiative zur Ablehnung zu empfehlen [27].
Der Ständerat befasste sich als erster mit der von der SVP eingereichten Volksinitiative „Für tiefere Krankenkassenprämien in der Grundversicherung“, welche der Bundesrat Ende 2005 dem Parlament zur Ablehnung empfohlen hatte. Die SVP möchte mit ihrer Initiative insbesondere den Katalog der kassenpflichtigen Leistungen straffen. Ausserdem verlangt sie Vertragsfreiheit zwischen Kassen und Ärzten, Beiträge der öffentlichen Hand von höchstens 50% der Kosten an die Krankenkassen und mehr Transparenz. Die Mehrheit der kleinen Kammer schloss sich der Haltung des Bundesrates an. Das Volksbegehren gefährde den sozialen Charakter der Krankenversicherung und sei untauglich zur Problemlösung. Bundesrat Couchepin wies darauf hin, dass die von der Initiative anvisierten Leistungskürzungen unter anderem auch den ganzen Bereich der Prävention betreffen würden. Der Bundesrat wolle keine solchen Abstriche an der Grundversicherung, die zudem kaum kostendämpfend seien.
Eine weniger klare Meinung hatte der Rat in der Frage, ob der Initiative ein direkter Gegenvorschlag gegenübergestellt werden soll. Eine knappe Mehrheit der Kommission hatte dies abgelehnt, weil dadurch laufende Projekte im Gesundheitsbereich durch einen Gegenentwurf auf Verfassungsstufe blockiert würden und der ins Spiel gebrachte Text des Gegenvorschlags äusserst vage sei. Auch Bundesrat Couchepin sprach sich dagegen aus. Anderer Meinung war in diesem Punkt Altherr (fdp, AR). Als Sprecher der Kommissionsminderheit machte er sich für den direkten Gegenvorschlag stark. Dieser bringe eine notwendige Klärung zur Kranken- und Unfallversicherung und eine Festlegung der Eckwerte der Gesundheitspolitik auf Verfassungsstufe. Stähelin (cvp, TG) unterstützte ihn. Die Verfassung enthalte heute keine inhaltlichen Aussagen zur Krankenversicherung. Der Gegenvorschlag gebe ihr klare Konturen, und gleichzeitig würde den laufenden Teilrevisionen ein fester Rahmen gesetzt. Schwaller (cvp, FR) stellte namens der Kommission abschliessend fest, dass die Initiative etwas verspreche, das sie nicht halten könne und keinen Beitrag zur Kostendämpfung leiste. Der Gegenentwurf bleibe in der blossen Deklamation bekannter und bereits angewandter Grundsätze stecken und sei ebenfalls abzulehnen. Die Initiative selber fand keine Unterstützung im Ständerat. Der Antrag der Kommissionsminderheit für einen Gegenvorschlag wurde jedoch mit 24 zu 16 Stimmen angenommen. In der Folge beschloss der Rat eine Fristverlängerung für die Behandlung dieses Geschäftes bis Ende Januar 2008. Gegen den Willen der Linken, die eine zügige Volksabstimmung zur Klärung der Fronten forderte, stimmte auch der Nationalrat mit 105 zu 62 Stimmen der Verlängerung und damit indirekt der Prüfung des Gegenvorschlags zu [28].
Mit seinem Einverständnis wurde der Bundesrat mit einer Motion Forster (fdp, SG) im Ständerat beauftragt, die Einführung einer Säule 3c zur freiwilligen und steuerbegünstigten Generierung eines Guthabens für die Finanzierung der individuellen (Langzeit-)Pflege im Alter zu prüfen und dem Parlament einen entsprechenden Umsetzungsvorschlag zu unterbreiten. Die Modalitäten dieser Säule 3c sollen sich an den Vorgaben der bereits bestehenden Säule 3a ausrichten. Die während einer limitierten Periode geäufneten zweckgebundenen Guthaben sollen sowohl für die Finanzierung der im eigenen Haushalt erbrachten Pflegeleistungen als auch für die Bezahlung von Pflegeheimkosten verwendet werden können. Trotz einem allgemeinen Missbehagen bezüglich Sozialpolitik über Steuererleichterungen, die oft in erster Linie den eher vermögenden Bevölkerungsschichten Vorteile bieten, wurde die Motion mit 21 zu 8 Stimmen überwiesen [29].
Der Bundesrat erachtet die heutige Praxis der Festsetzung und der Genehmigung der Prämien der obligatorischen Krankenversicherung als gut. In Erfüllung eines Postulates des Nationalrates legte er im Herbst in einem Bericht dar, dass er das heutige Verfahren und die Publikationen der Krankenversicherer und der Aufsichtsbehörde für transparent und zweckmässig hält. Die Prämien müssen grundsätzlich drei Kriterien erfüllen: Sie müssen die anfallenden Kosten decken, die Solvenz des Versicherers gewährleisten und entsprechend den gesetzlichen Vorgaben festgesetzt werden. Zudem wird die einheitliche Anwendung der genehmigten Prämien kontrolliert. Die Kontroll- und Genehmigungspraxis durch die Aufsichtsbehörde wurde seit der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes im Jahr 1996 von externen Experten wiederholt geprüft. Empfehlungen aus diesen Überprüfungen flossen in die Weiterentwicklung der Praxis ein, so dass heute ein wirksames und erprobtes Verfahren zur Prämiengenehmigung besteht. Aus diesem Gründen sah der Bundesrat weder in organisatorischer noch gesetzlicher Hinsicht Handlungsbedarf [30].
2005 waren im Nationalrat drei völlig identische Motionen Galladé (sp, ZH), Häberli-Koller (cvp, TG) und Teuscher (gp, BE) bezüglich der Leistungen bei Mutterschaft von Bortoluzzi (svp, ZH) trotz Zustimmung von Bundesrat und Kommission bekämpft und damit der Diskussion vorderhand entzogen worden. Die Motionärinnen kritisierten, dass das 1996 in Kraft getretene neue KVG die Leistungen bei einer unkomplizierten Schwangerschaft und Geburt vom Selbstbehalt befreit, nicht aber bei einer Risikoschwangerschaft, resp. dass die Formulierung im KVG unklar ist, weshalb das Eidg. Versicherungsgericht in mehreren Präzedenzurteilen zu Gunsten des Selbstbehalts entschieden hat. Im Berichtsjahr nun wurde eine ebenfalls gleich lautende Motion Gutzwiller (fdp, ZH) diskussionslos angenommen, worauf sich der Ständerat ebenfalls ohne Gegenstimme anschloss [31].
Nationalrätin Maury Pasquier (sp, GE) nahm ein altes Anliegen wieder auf und verlangte mit einer breit abgestützten parlamentarischen Initiative, die Geburtshäuser ins KVG aufzunehmen, damit die Krankenkassen die Kosten für die Schwangerschafts- und Geburtsbegleitung in diesen Institutionen übernehmen. In der ersten, 2003 gescheiterten Auflage der KVG-Revision war die Aufnahme gutgeheissen worden; sie war dann aber in den Vorschlägen des Bundesrates zum Neuanlauf nicht wieder aufgetaucht. Momentan gibt es in der Schweiz rund 15 Geburtshäuser, in denen pro Jahr gut 1000 Kinder zur Welt kommen. Verglichen mit den 70 000 Geburten jährlich ist die Bedeutung der Geburtshäuser immer noch marginal. Einzig die SVP wehrte sich gegen diese Änderung mit der Behauptung, dies führe zu einer Mengenausweitung, unterlag aber mit 103 zu 55 Stimmen deutlich [32].
Abgelehnt, wenn auch nur knapp mit 92 zu 83 Stimmen, wurde eine parlamentarische Initiative Teuscher (gp, BE), welche gleiche Prämien für Frauen und Männer in den Zusatzversicherungen verlangte. Sie machte dafür gleichstellungspolitische Gründe geltend, aber auch den Umstand, dass die höheren Kosten der Frauen in erster Linie durch Schwangerschaften und Geburten verursacht seien; zudem würden viele Frauen unentgeltliche pflegerische Leistungen übernehmen, welche die Gesundheitskosten wesentlich entlasten. Die Mehrheit der vorberatenden Kommission verwies hingegen darauf, dass der Gesetzgeber die Zusatzversicherungen bewusst nicht dem KVG, sondern dem VVG unterstellt habe, weshalb in diesem Bereich die volle Vertragsfreiheit zu gelten habe. Das Postulat der Prämiengleichheit könnte für die Frauen auch durchaus negative Folgen haben, da es denkbar sei, dass die privaten Krankenversicherer die Anträge der Frauen auf Zusatzversicherungen vermehrt ablehnen würden [33].
Mit einer von Mitgliedern aller Fraktionen mitunterzeichneten Motion verlangte Gysin (sp, BS), der Bund solle mittels einer Änderung des KVG Selbsthilfeprogramme und -organisationen unterstützen, da deren Nutzen, insbesondere auch zur Kostendämpfung, weltweit anerkannt sei. Dieses Element sei auch in der 2003 gescheiterten 2. KVG-Revision enthalten gewesen. Der Bundesrat beantragte Ablehnung des Vorstosses. Er erinnerte daran, dass er bereits damals dem Vorschlag opponiert habe, weil er im KVG systemfremd sei, da dieses nur Beiträge an Leistungen und nicht, wie etwa das IVG, auch solche an Institutionen und Organisationen vorsehe. Der Vorstoss wurde diskussionslos mit 82 zu 73 Stimmen angenommen [34].
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KVG-Revision
Bei der Spitalfinanzierung hatte die Ständeratskommission im Vorjahr schliesslich auf ihr alternatives Modell, dem sich die Kantone mit allen Mitteln widersetzten, verzichtet und war auf eine von der Verwaltung ausgearbeitete Version des ursprünglichen Vorschlags des Bundesrates mit den folgenden Elementen eingeschwenkt: leistungsbezogene Abgeltung durch Fallpauschalen, in welche auch die Investitionskosten einbezogen sind, Planungspflicht der Kantone im Spitalbereich sowie Beitragspflicht der Kantone (in der Regel 60%, bei unterdurchschnittlicher Prämie mindestens 45%) für alle Leistungen, die der Planung entsprechen, wobei neben den öffentlichen auch die privaten Spitäler zu berücksichtigen sind und Zusatzversicherte ebenfalls den Kantonsbeitrag erhalten; Privatkliniken, die nicht auf der Spitalliste stehen, können mit den Versicherern Verträge abschliessen, erhalten jedoch keine Kantonsbeiträge. Stähelin (cvp, TG), Beirat der Groupe Mutuel-Versicherungen, beantragte, dem ursprünglichen Kommissionsentwurf zu folgen, der die Krankenversicherer weiter entlastet hätte, unterlag jedoch mit 21 zu 14 Stimmen. In der Gesamtabstimmung nahm die kleine Kammer mit 25 zu einer Stimme bei neun Enthaltungen das neue Modell an. Der zuständigen Kommission des Nationalrates gelang es nicht, die Vorlage noch im Berichtsjahr ins Plenum zu bringen.
Gleichzeitig ergänzte der Ständerat in einer von ihm hinzugefügten Vorlage 2 den Risikoausgleich unter den Versicherern durch das Kriterium des „erhöhten Krankheitsrisikos“, d.h. dass beim Risikoausgleich neben Alter und Geschlecht auch eine im Vorjahr erfolgte Hospitalisierung oder ein Aufenthalt im Pflegeheim zu berücksichtigen sind. Escher (cvp, VS) befürchtete, mit einer Ausweitung werde die Anspruchsmentalität der Versicherten gefördert, was zu einer weiteren Kostensteigerung führe; sein Nichteintretensantrag unterlag jedoch mit 24 zu 4 Stimmen. Die Kommissionssprecherin erläuterte, dass mit der Verfeinerung des Risikoausgleichs die praktizierte Risikoselektion der Kassen eingedämmt werden soll. Der geänderte Risikoausgleich wurde mit 23 zu 7 Stimmen angenommen [35].
Im Vorjahr hatte die Kommission des Ständerates ein Modell ausgearbeitet, das eine einheitliche Finanzierung aller in einem Spital erbrachten Leistungen vorsah, also auch den ambulanten Bereich, der in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen hat, mit einbeziehen wollte. Sie war damit aber am erbitterten Widerstand der Kantone gescheitert, da die ambulant erbrachten Leistungen vollumfänglich zu Lasten der Krankenversicherer abgerechnet werden. Die Kommission nahm den Gedanken mit einer Motion wieder auf, die den Bundesrat beauftragt, dem Parlament bis Ende 2008 eine Vorlage für eine einheitliche Finanzierung von Spital- und ambulanten Leistungen auf der Grundlage der ursprünglichen Vorlage der SGK vorzulegen. Dabei soll auch geprüft werden, ob und mit welchen Kompetenzen und Konsequenzen eine Zahl- oder Clearingstelle eingeführt werden soll. Der Bundesrat verwies auf die geringe Akzeptanz des Vorschlags und erachtete zudem den Zeitrahmen als zu eng gefasst, weshalb er Ablehnung des Vorstosses beantragte. Sommaruga (sp, BE) war mit der Stossrichtung der Motion grundsätzlich einverstanden, fand aber, man könne nicht eine Spitalfinanzierung beschliessen, die frühestens 2007 in Kraft treten könne, und gleichzeitig bereits signalisieren, dass man eigentlich ein ganz anderes Modell anvisiere, weshalb sie den Bundesrat unterstützte. Eine Mehrheit im Rat war aber der Ansicht, dass man bereits jetzt die Weichen für die Zukunft stellen müsse. Die Motion wurde mit 22 zu 15 Stimmen angenommen [36].
Die Kostensteigerungen und die mangelnde Kostentransparenz im Pflegebereich hatten 1998 dazu geführt, dass als Übergangslösung zeitlich befristete Rahmentarife für Pflegeleistungen eingeführt worden waren. Um diese Zwischenlösung durch eine definitive Regelung zu ersetzen, hatte der Bundesrat 2005 eine Neuordnung der Pflegefinanzierung vorgeschlagen. Demnach sollten medizinisch bedingte Leistungen vollumfänglich von der obligatorischen Krankenversicherung übernommen werden; im Gegenzug sollten die Versicherer nur noch einen Beitrag an die Grundpflege zu leisten haben. Die dadurch längerfristig resultierende finanzielle Mehrbelastung der Pflegebedürftigen sollte durch einen erleichterten Zugang zur Hilflosenentschädigung der AHV und zu den EL kompensiert werden [37].
Gleich wie schon bei der Spitalfinanzierung erarbeitete die SGK-S auch hier eine alternative Lösung. Anstatt zwischen Grund- und Behandlungspflege zu unterscheiden, sollen die von der obligatorischen Grundversicherung zu vergütenden Pflegekosten vom Bundesrat bezeichnet und gestützt darauf nach Pflegebedarf abgestufte Frankenbeträge festgelegt werden. Insgesamt soll die Gesamtbelastung der Krankenversicherer von heute 1,4 Mia Fr. dadurch nicht verändert werden. Wie die Restbeträge finanziert werden, sollen die Kantone entscheiden. Zustimmung fand der Vorschlag des Bundesrates, bereits bei einer Hilflosigkeit leichten Grades eine Hilflosenentschädigung auszurichten sowie die Aufhebung des Höchstbetrages für den Bezug von EL im Fall der Pflegebedürftigkeit.
Im Plenum wurde in der Herbstsession weiter am Entwurf gefeilt. Eine Kommissionsmehrheit wollte die Freibeträge bei Einkommen und Liegenschaftswert für den Bezug von Ergänzungsleistungen erhöhen; die EL-Bezüger sollten ihr Vermögen nicht derart verzehren müssen, dass sie im Extremfall zu Sozialhilfebezügern werden und auch ihr Haus verkaufen müssen. Mit Rücksicht auf die Globalbilanz des NFA votierte eine Minderheit erfolgreich für ein Verbleiben bei den heutigen Ansätzen und setzte sich mit 24 zu 19 Stimmen durch. Mit einem Minderheitsantrag verlangte Leuenberger (sp, SO), den Beitrag der Versicherten gesetzlich auf höchstens 20% zu begrenzen. Forster (fdp, SG) erklärte namens der Kommissionsmehrheit, dass man nicht von Bundesseite her festlegen wolle, wer wie viel der Restkosten zu bezahlen habe; dies sei Sache der Kantone und Gemeinden. Mit 28 zu 10 Stimmen wurde der Antrag der Minderheit abgelehnt. In der Gesamtabstimmung hiess der Rat das Gesetz mit 28 zu 7 Stimmen bei 2 Enthaltungen gut [38].
Wegen der vielen Verzögerungen bei den Beratungen der KVG-Revision beschloss die SGK-S, das dringliche Bundesgesetz zum Einfrieren der Pflegetarife von 2004, welches Ende 2006 auslief, bis Ende 2008 zu verlängern und reichte eine entsprechende parlamentarische Initiative ein, welche vom Plenum in einem ersten Umgang oppositionslos, allerdings bei acht Enthaltungen, angenommen wurde. In der Kommission des Nationalrates entbrannte dann aber eine Diskussion darüber, ob die Verlängerung wie bis anhin oder mit einer Anpassung der Tarife an die mittlerweile gestiegenen Kosten vorgenommen werden soll. Die von der Mehrheit der Kommission beantragte Anpassung an die Teuerung setzte sich durch. Um im Pflegebereich einen vertragslosen Zustand ab Januar 2007 zu vermeiden, schloss sich der Ständerat an [39].
Als weiteres Teilpaket der Neuauflage der 2. KVG-Revision hatte der Bundesrat 2004 dem Parlament seine Botschaft zu Managed Care, also zu integrierten Versorgungsnetzen mit Budgetverantwortung vorgelegt, da sich gezeigt hat, dass eine medizinische Versorgung, die von der Diagnose bis zur letzten Therapie von einer Hand gesteuert wird, aus qualitativen und wirtschaftlichen Gründen Sinn macht. Die unter den beteiligten Parteien (Versicherer und Leistungserbringer) getroffenen Vereinbarungen sollen soweit möglich nicht gestützt auf gesetzliche Verpflichtungen, sondern auf der Basis von Freiwilligkeit und Wettbewerb zustande kommen. Im Rahmen dieser Revision schlug der Bundesrat ausserdem Massnahmen im Medikamentenbereich vor. Zur Eindämmung der Kosten soll der Leistungserbringer verpflichtet werden, sowohl bei der Verordnung eines bestimmten Arzneimittels wie auch bei der Abgabe eines Medikaments mittels Wirkstoffverschreibung ein preisgünstiges Produkt abzugeben [40].
Obgleich allgemein anerkannt wurde, dass integrierte Netzwerke zu Einsparungen bis 30% führen können, verpasste es der Ständerat, hier ein wirkliches Signal zu setzen. Insbesondere wurde darauf verzichtet, die Versicherer zu verpflichten, derartige Modelle (Hausarztmodelle oder HMO) anzubieten resp. die Leistungserbringer in die Budgetverantwortung einzubinden. Mit einer Reduktion des Selbstbehaltes wollte Sommaruga (sp, BE) einen Anreiz für die Versicherten schaffen, diesen Netzwerken beizutreten, unterlag jedoch mit 20 zu 16 Stimmen. Dagegen wehrten sich die Krankenkassenvertreter im Rat, insbesondere Brändli (svp, GR) und David (cvp, SG), weil dies für die Versicherer zu wenig rentabel sei. Mit 20 zu 14 Stimmen wurde auch ein Antrag Frick (cvp, SZ) abgelehnt, die mit Managed-Care erzielten Einsparungen den alternativ Versicherten gutzuschreiben. Die Kassen wurden zudem noch dadurch gestärkt, dass sie Netzwerke mit einer Mindestvertragsdauer von drei Jahren anbieten können. Damit soll sichergestellt werden, dass bis anhin gesunde Versicherte, welche diese wegen der Prämienreduktion besonders oft wählen, beim Auftreten einer schweren Krankheit im Folgejahr in die reguläre Versicherung mit freier Arztwahl wechseln. Der Medikamentenbereich wurde aus der Vorlage ausgekoppelt. Am Rande der Diskussionen schuf der Rat aber eine gesetzliche Grundlage für den Bundesrat, in zeitlich befristeten Pilotprojekten eine Kostenübernahme von KVG-Leistungen im preisgünstigeren grenznahen Ausland vorzusehen; dabei soll er mit den betreffenden ausländischen Staaten ein Gegenrecht anstreben [41].
 
[25] Siehe SPJ 2003, S. 234 ff. und 2005, S. 197.
[26] AB NR, 2006, S. 535 ff. und 1148. Gleich wie der SR 2003 lehnte auch der NR mit 94:61 Stimmen eine Standesinitiative des Kantons Tessin ab, die eine Einheitskasse auf Bundesebene, mehr Transparenz in der Rechnungslegung der Versicherer und den Einbezug der Prämien in den Landesindex der Konsumentenpreise verlangte (AB NR, 2006, S. 720 f.). Siehe SPJ 2003, S. 236.
[27] AB SR, 2006, S. 469 ff. und 619. Zu einem aus Prämien gespiesenen Propagandafonds der Krankenversicherer siehe die Antwort des BR zu mehreren Fragen in der Fragestunde der Wintersession (AB NR, 2006, S. 1881 ff.).
[28] AB SR, 2006, S. 717 ff.; AB NR, 2006, S. 1850 ff.
[29] AB SR, 2006, S. 661 ff. Im NR wurde eine gleich lautende Motion der FDP-Fraktion von Goll (sp, ZH) bekämpft und deshalb vorderhand der Diskussion entzogen (AB NR, 2006, S. 1572). Mit 96:60 Stimmen gab der NR einer pa.Iv. Fehr (sp, SH) für die Einführung einer Erbschafts- und Schenkungssteuer, deren Bundesertrag vollumfänglich für die Finanzierung der Langzeitpflege verwendet werden sollte, keine Folge (AB NR, 2006, S. 994 ff.).
[30] Presse vom 23.9.06. Siehe SPJ 2005, S. 197 (FN).
[31] AB NR, 2006, S. 486; AB SR, 2006, S. 673.
[32] AB NR, 2006, S. 480 ff.
[33] AB NR, 2006, S. 658 ff.
[34] AB NR, 2006, S. 741 f.
[35] AB SR, 2006, S. 39 ff., 46 ff. und 70 ff. Siehe SPJ 2005, S. 198 f. Die Neuregelung der Spitalfinanzierung soll den seit 2002 geltenden dringlichen Bundesbeschluss über die Anpassung der kantonalen Beiträge für die innerkantonalen stationären Behandlungen ablösen, der ursprünglich bis Ende 2004 befristet gewesen war. Nach dem Scheitern der ersten Auflage der 2. KVG-Revision war er dann bis Ende 2006 verlängert worden (vgl. SPJ 2004, S. 193). Nun beantragte die SGK-S angesichts der weiteren Verzögerungen mit einer Pa.Iv. eine von beiden Kammern gutgeheissene erneute Verlängerung bis Ende 2007 (AB SR, 2006, S. 939 f. und 1267; AB NR, 2006, S. 1849 f. und 2047; AS, 2006, S. 5785).
[36] AB SR, 2006, S. 67 ff.
[37] Siehe SPJ 2005, S. 199 f.
[38] AB SR, 2006, S. 642 ff.
[39] BBl, 2006, S. 7555 ff. und 7563 ff. (BR); AB SR, 2006, S. 661, 1196 f. und 1267; AB NR, 2006, S. 1852 ff. und 2047; AS, 2006, S. 5767.
[40] SPJ 2004, S. 197.
[41] AB SR, 2006, S. 941 ff.