Année politique Suisse 2007 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport
Suchtmittel
2004 hatte Nationalrat und Präventivmediziner Gutzwiller (fdp, ZH) eine parlamentarische Initiative eingereicht mit der Forderung einer bundesweit einheitlichen Regelung eines Rauchverbots in geschlossenen Räumen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind. Nach zweijähriger Vorbereitung schlug die SGK-N nun ein spezielles Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen vor, welches auch die Zustimmung des Bundesrates fand. Die Kommissionssprecherin unterstrich den Paradigmenwechsel der Vorlage: Statt der Freiheit des Rauchens werde die Freiheit des Nichtrauchens ins Zentrum gerückt. Die Regelung sei verhältnismässig und aus gesundheits- und präventionspolitischen Gründen erforderlich. Das Eintreten auf die Vorlage wurde von einer Kommissionsminderheit, vertreten durch Bortoluzzi (svp, ZH), bekämpft. Wenn ein zugelassenes Produkt wie der Tabak für Dritte derart gefährlich sei, müsste es eigentlich ganz verboten werden, meinte er. Weiter sei die Vorlage eigentums- und KMU-feindlich. Die Minderheit wurde unterstützt von der SVP-Fraktion und einer Mehrheit der FDP-Fraktion. So wehrte sich Huber (fdp, UR) gegen staatliche Bevormundung und betonte das liberale Prinzip von Freiwilligkeit und Selbstverantwortung auch in dieser Frage. Für die SP lobte Schenker (BS) hingegen den Kommissionsvorschlag als wichtigen Schritt zum Schutz vor dem Passivrauchen, insbesondere auch für das Servicepersonal, das vielfach unfreiwillig dem Tabakrauch in Restaurants ausgesetzt sei. Mit 111 zu 64 Stimmen beschloss der Rat Eintreten auf die Gesetzesvorlage.
In der Detailberatung drehte sich die Diskussion vor allem um die
Ausnahmeregelungen im Bereich der Gastrobetriebe. Hier setzte sich die Kommissionsminderheit mit 95 zu 77 Stimmen durch. Demnach ist das Rauchen in abgetrennten, speziell gekennzeichneten Räumen mit ausreichender Belüftung generell erlaubt, auch wenn dort Angestellte arbeiten. Die Kommission hatte lediglich unbediente „Fumoirs“ zulassen wollen. Weiter können Gastrobetriebe und Nachtlokale auf Bewilligung hin als gekennzeichnete Raucherbetriebe geführt werden. Die Bewilligung wird erteilt, wenn „eine Trennung von Raucher- und Nichtraucherräumen nicht möglich oder unzumutbar ist“. Damit, so Minderheitssprecher Borer (svp, SO), bleibe man eine tolerante Gesellschaft, in der die eine Seite auf die andere Rücksicht nimmt und die gegenseitigen Bedürfnisse akzeptiert werden. Die Fraktionen von SP und Grünen warnten vergeblich, dass mit diesen Ausnahmen das Gesetz und der Arbeitnehmerschutz unterlaufen werden. Unterstützt wurden die Anträge der Minderheit von den Fraktionen der SVP, der FDP und der CVP. Betreffend Arbeitnehmerschutz vertrat Engelberger (fdp, NW) die Meinung, dass niemand in einem Raucherbetrieb arbeiten müsse, wenn er nicht wolle. Ausnahmen für Einzelarbeitsplätze sowie wohnungsähnliche Einrichtungen (z.B. geschlossene Abteilungen psychiatrischer Kliniken, Strafvollzugsanstalten etc.) waren schon im Kommissionsentwurf vorgesehen und wurden nicht bestritten. In der Gesamtabstimmung wurde die Vorlage mit 109 zu 52 Stimmen angenommen
[37].
Nach den Kantonen Tessin und Solothurn machten nun auch Graubünden
und Appenzell-Ausserrhoden Ernst im Kampf gegen den blauen Dunst. In
Graubünden hatte der Grosse Rat im April einstimmig einen Gesetzesentwurf genehmigt, wonach in Schularealen, Schulsportanlagen, Freizeitzentren und Betreuungsstätten für Kinder und Jugendliche ein generelles Rauchverbot eingeführt wird; Restaurants sind ebenfalls grundsätzlich rauchfrei, dürfen aber in separaten Räumen „Fumoirs“ einrichten. Gegen das Gesetz war das Referendum eingereicht worden. Mit einer satten Zweidrittelmehrheit hiessen es die Bündner Stimmbürgerinnen und Stimmbürger aber gut. In
Appenzell- Ausserrhoden fiel der Entscheid weniger deutlich aus. Nur rund 54% der Stimmberechtigten votierten für ein Rauchverbot in allen öffentlich zugänglichen Räumen. Gleich wie im Kanton Solothurn im Vorjahr, setzte sich auch hier die schärfere Variante durch, wenn auch nur ganz knapp: demnach gilt in allen Gaststätten generell ein Rauchverbot, wobei auch hier in abgetrennten Räumen „Fumoirs“ gestattet sind. Das neue Gesundheitsgesetz verbietet Werbung für Alkohol und Tabak auf öffentlichem Grund; an Jugendliche unter 16 Jahren dürfen zudem keine Raucherwaren mehr verkauft werden
[38].
Mit einer Motion wollte Nationalrat Brunner (svp, SG) den Bundesrat auffordern, die auf Raucherwaren zwingend angebrachten
Hinweise auf die gesundheitsschädigende Wirkung des Tabakkonsums ersatzlos zu streichen. Die Warnungen entbehrten einer wissenschaftlichen Grundlage und seien einer „depressiven Stimmung“ im Lande förderlich. Der Bundesrat erklärte dazu, die Hinweise seien im Mai 2007 nach einer zweijährigen Übergangsfrist für obligatorisch erklärt worden und enthielten auch Informationen zu den Ausstiegshilfen aus dem Tabakkonsum. Eine Streichung hätte zur Folge, dass die Schweiz in diesem Punkt nicht mehr mit dem europäischen Recht und der WHO-Tabakkonvention kompatibel wäre, welche die Schweiz 2004 unterzeichnet habe. Die Motion wurde diskussionslos abgelehnt
[39].
2006 war die Volksinitiative „Pro Jugendschutz – gegen Drogenkriminalität“
(„Hanfinitiative“) mit knapp 106 000 Unterschriften eingereicht und vom Bundesrat zur Ablehnung empfohlen worden. Im
Nationalrat sprach sich die zuständige Kommission ebenfalls für Ablehnung aus, allerdings mit einer etwas anderen Argumentation. Mit der von der Initiative geforderten Strafbefreiung banalisiere man den Cannabiskonsum und gebe den Jugendlichen ein völlig falsches Zeichen. Unterstützt wurde die Kommission von der SVP, der CVP und einer Mehrheit der FDP. Sie machten geltend, ein Verbot von Cannabis stärke den Eltern und Lehrern den Rücken und unterstütze sie in ihrer Erziehungsarbeit. Zudem wurde auf mögliche Gesundheitsschädigungen durch Cannabis aufgrund des in letzter Zeit gestiegenen THC-Gehalts hingewiesen. Auf Seite der Befürworter der Initiative (SP, Grüne und eine Minderheit der FDP) wurde angeführt, die heutige Verbotspolitik habe eklatant versagt. Erst eine Strafbefreiung des Cannabiskonsums in Verbindung mit klaren Regeln für Anbau und Handel würden einen wirksamen Jugendschutz ermöglichen; die Initiative erlaube es, Repression, Selbstverantwortung und staatliche Steuerung aufeinander abzustimmen. Bundesrat Couchepin erläuterte erneut die Haltung der Regierung. Die Cannabis-Problematik müsse wie der übrige Betäubungsmittelbereich auf Gesetzesstufe und nicht in der Verfassung geregelt werden. Die Initiative sei zudem sehr vage formuliert und könnte je nach konkreter gesetzlicher Ausgestaltung, namentlich durch eine vollständige Legalisierung von Cannabis, zu Problemen mit internationalen Abkommen führen, deren Kündigung nicht in Frage komme. Nach sehr ausführlicher Debatte beschloss der Nationalrat mit 106 zu 70 Stimmen, die Initiative ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen
[40].
Die Drogenpolitik mit den
vier Säulen Prävention, Therapie, Überlebenshilfe und Repression wird dauerhaft im Recht verankert. Der
Ständerat stimmte dieser von der SGK des Nationalrates ausgearbeiteten Revision des Betäubungsmittelgesetzes zu, welche den Bereich Cannabis-Konsum bewusst ausklammert, da wegen dieser Frage 2004 eine umfassende Revision an der Opposition im Nationalrat gescheitert war. Um nicht das Geschäft erneut zu gefährden, zog Fetz (sp, BS) ihren Antrag zurück, das „Kiffen“ ab 18 Jahren für straffrei zu erklären. Als Entgegenkommen an die grosse Kammer übernahm der Ständerat deren einleitende Formulierung, wonach das Hauptziel der Drogenpolitik die Förderung der Abstinenz ist, fügte aber den relativierenden Begriff „namentlich“ ein. Er präzisierte zudem die Nationalratsbeschlüsse dahingehend, dass in der Medizin Drogen als Schmerzmittel verwendet werden dürfen. Ebenso strich er diskussionslos Heroin aus der Liste der verbotenen Substanzen; da die heroingestützte Behandlung in der Vier-Säulen-Therapie ausdrücklich vorgesehen sei, wäre ein grundsätzliches Verbot der Anwendung dieser Substanz widersinnig. Die Vorlage wurde in der Gesamtabstimmung einstimmig verabschiedet
[41].
Die Teilnehmer der diesjährigen
Jugendsession, die sich, in anderer Zusammensetzung, mehrfach für die Entkriminalisierung des Hanfkonsums eingesetzt hatten, sprachen sich nun erstmals dagegen aus. Eine Mehrheit der rund 50 Teilnehmenden gab ihrer Befürchtung Ausdruck, dass eine Legalisierung eine falsche Signalwirkung haben und die Jugendlichen eventuell verleiten könnte, auch härtere Drogen zu konsumieren; zudem seien die Auswirkungen von Cannabis nicht restlos geklärt
[42].
[37]
BBl, 2007, S. 6185 ff. und 6207 ff. (BR);
AB NR, 2007, S. 1665 ff.
[38]
BüZ, 16.7. und 26.11.07 (GR);
NZZ und
SGT, 26.11.07 (AR).
[39]
AB NR, 2007, S. 570. Siehe dazu auch die Antwort des BR auf eine Interpellation Brunner, der nach einer Evaluation der Wirkung der Hinweise bei Zigaretten fragte und die Frage stellte, ob der BR bald auch derart „demotivierende“ Warnungen auf Alkoholika einzuführen gedenke (
a.a.O., S. 580).
[40]
AB NR, 2007, S. 1798 f., 1800 ff. und 1851 ff. Siehe
SPJ 2006, S. 192.
[41]
AB SR, 2007, S. 1146 ff. Siehe
SPJ 2006, S. 192 f. Von zwei Petitionen für eine abstinenzorientierte Drogenpolitik nahm der SR Kenntnis, ohne ihnen Folge zu geben (
a.a.O., S. 1209).
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