Année politique Suisse 2008 : Politique sociale / Assurances sociales
Krankenversicherung
Die sozialdemokratische Fraktion brachte in diesem Jahr gleich vier parlamentarische Initiativen zur Thematik der Krankenversicherung in den Nationalrat ein. Die erste davon befasste sich mit der
Schaffung eines nationalen Reservefonds. Dieser soll für alle Kassen und die gesamte Schweiz geschaffen werden und zwar, weil die Reserven eine Rolle bei der Festlegung der Krankenkassenprämien spielen und die Höhe der Prämien beeinflussen. Durch das Wechseln von Krankenkassen, welches vom KVG gefördert wird (Wettbewerbsförderung unter den Kassen) sei es möglich, dass eine Prämienerhöhung nicht im Zusammenhang mit der Kostenentwicklung der Krankenkasse stehe und ein grosser Anteil der Prämien dazu verwendet werde, die Reserven sicherzustellen. Die Kommission des Nationalrates beantragte mit 14 zu 9 Stimmen die Ablehnung der Motion, weil sich das Volk am 11. März 2007 gegen die Schaffung einer Einheitskasse ausgesprochen hatte, was zeige, dass eine Zentralisierung im Bereich der Krankenversicherung unerwünscht sei. Der Nationalrat entschied mit 53 zu 93 Stimmen der parlamentarischen Initiative keine Folge zu leisten
[26].
Eine weitere parlamentarische Initiative der SP-Fraktion forderte, dass die Versicherer
politische Kampagnen nicht aus der sozialen Krankenversicherung finanzieren dürfen. Hauptziel der Initiative war es, dass Prämiengelder aus der Grundversicherung nicht zweckentfremdet werden. Die Kommission des Nationalrates beantragte mit 11 zu 10 Stimmen, der Initiative keine Folge zu leisten. Der Kommission lagen zwei Gutachten vor, welche zum Schluss kamen, dass die Verwendung von Prämiengeldern aus der sozialen Krankenversicherung für die Führung von Abstimmungskampagnen nach der geltenden Rechtsordnung nicht zulässig sei. Der SP-Vorstoss sei damit überflüssig. Es geht nun darum, dass das BAG seine Aufsichtsfunktion korrekt wahrnehmen könne. Das BAG hatte bereits eine Arbeitsgruppe eingesetzt, welche prüfen sollte, wie die direkte Aufsicht über die Krankenversicherer und die punktuelle Aufsicht über Santésuisse in diesem Bereich künftig wahrgenommen werden soll. Die grosse Kammer lehnte die parlamentarische Initiative mit 60 zu 90 Stimmen ab
[27].
Die SP-Fraktion verlangte zudem, dass die obligatorische Krankenpflegeversicherung klar von der
privaten Zusatzversicherung getrennt werde, insbesondere bezüglich Rechtsstellung, Firmenbezeichnung, administrativer Organisation, Betriebsführung, Vermögen sowie Rechnungslegung und Bilanzierung. Die Kommission des Nationalrates beantragte mit 11 zu 7 Stimmen, die Initiative abzulehnen. Die Mehrheit war der Meinung, dass das gleichzeitige Angebot von Grund- und Zusatzversicherungen durch einen Versicherer Synergieeffekte mit sich bringt, was geringere Geschäftsführungskosten und letztendlich geringere Prämien zur Folge habe. Die Minderheit, welche die Initiative befürwortete, führte an, dass das Angebot der obligatorischen Grundversicherung und der Zusatzversicherer von einem einzigen Versicherer zu unerwünschten finanziellen Vermischungen führen könne, z.B. für Werbekosten oder die Unterstützung politischer Aktivitäten. Der Nationalrat lehnte die Initiative mit 56 zu 113 Stimmen ab
[28].
Ebenfalls ohne Erfolg blieb die SP bei ihrer vierten parlamentarischen Initiative, welche durch eine Änderung des KVG garantieren wollte, dass die Prämien einer versicherten Person für die obligatorische Krankenversicherung zusammen mit den Prämien von Familienangehörigen, für die sie unterhaltspflichtig ist, 8% des Haushaltseinkommens nicht übersteigen. Die
Prämienverbilligung sei entsprechend zu bemessen. Für die Kommission blieb zwar unbestritten, dass Krankenkassenprämien für Familien eine grosse finanzielle Belastung bedeuten können und es bezüglich des Anspruchs auf Prämienverbilligung Unterschiede zwischen den Kantonen gibt. Die Kommissionsmehrheit war jedoch der Ansicht, dass die Politik der Prämienverbilligung in den Kantonen nicht isoliert von anderen Leistungen betrachtet werden dürfe und die gesetzliche Festlegung eines Maximalbetrages durch die Krankenkassenprämien einem massiven Eingriff in die sozialpolitischen Gestaltungsmassnahmen der Kantone gleichkomme. Die Kommission des Nationalrates lehnte daher die parlamentarische Initiative mit 15 zu 8 Stimmen ab. Das Plenum des Nationalrates verwarf die Initiative ebenfalls mit 54 zu 109 Stimmen
[29].
Auch eine parlamentarische Initiative Recordon (gp, VD) hatte keinen Erfolg im Nationalrat. Sie verlangte, dass nur noch aus den Versicherten gebildete
Genossenschaften die obligatorische Krankenversicherung führen können. Dies verbunden mit den entsprechenden Mitentscheidungsrechten der Versicherten, beispielsweise beim Budget, beim Prämiensystem oder bei der Entlöhnung der leitenden Organe. Die Kommission des Nationalrates war der Meinung, dass Krankenkassen bei einer Grössenordnung von 500 000 bis 1 Mio Versicherten nicht mehr sinnvoll und effizient in Genossenschaftsform zu organisieren seien und empfahl die Initiative daher zur Ablehnung. Obwohl eine Minderheit der Meinung war, dass die Form der Genossenschaft wegen des besseren Einbezugs der Betroffenen mehr Transparenz bringe, lehnte der Nationalrat die parlamentarische Initiative mit 53 zu 103 Stimmen ab
[30].
Ebenfalls erfolglos blieb eine Motion Maury Pasquier (sp, GE), welche forderte, dass in der Krankenversicherung die nötige
Transparenz bei der Rechnungslegung und eine wirtschaftlich angemessene Entwicklung der Reserven der einzelnen Versicherer gewährleistet sein müssen. Der Bundesrat soll dabei prüfen, ob es zweckmässig wäre, die kantonalen und regionalen Reserven bei der Prämienberechnung zu berücksichtigen und eine Obergrenze für die Reserven einzuführen. Der Bundesrat arbeitete zwar an einem Vorprojekt, das die Rechnungsauslegung mit einem Wechsel vom Vorsichtsprinzip zum Marktwert verändern möchte, er lehnte die Annahme der Motion aber dennoch ab. Dem folgte nach einer kurzen Diskussion auch der Ständerat mit 9 zu 19 Stimmen
[31].
Am 1. Juni lehnte das Volk den Verfassungsartikel „Für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung“
mit einer Mehrheit von 69,5% ab. Den direkten Gegenentwurf zur Volksinitiative der SVP unterstützten die beiden bürgerlichen Parteien SVP und FDP sowie die EDU und die Arbeitgeberverbände. Auch SantéSuisse und die Spitäler der Schweiz (H+) unterstützten den Gesundheitsartikel. Die Befürworter machten vor allem die Senkung der Kosten für das Gesundheitswesen und die Krankenkassenprämien geltend. Den Artikel stellten sie dabei vor allem als Massnahme zur Regelung des Wettbewerbes und Steigerung der Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungen dar. Das Lager der Befürworter hatte allerdings einen schweren Stand, da es im Laufe des Abstimmungskampfes immer kleiner geworden war. 2007 hatte auch die CVP ihre Zustimmung zum Gesundheitsartikel ausgesprochen, sie änderte dann aber ihre Meinung und gab die Nein-Parole heraus. Auch das Nein der FDP war alles andere als konsistent, da 16 Kantonalsektionen eine andere Parole vertraten. Die SVP selbst kümmerte sich wenig um den Abstimmungskampf, da sie mit der Einbürgerungsinitiative beschäftigt war. Ablehnend standen der Initiative alle anderen Parteien wie auch die Arbeitnehmerverbände und die Mehrheit der Berufsverbände im Gesundheitsbereich gegenüber. Sie warnten vor der Zunahme der Macht der Krankenkassen und vor einer Zweiklassenmedizin
[32].
Die Befürworter des Gesundheitsartikels fanden
in keinem einzigen Kanton eine Mehrheit. Am deutlichsten war die Ablehnung in der Westschweiz, wo es Nein-Anteile von über 80% gab. Am meisten Zustimmung erhielt die Vorlage in Nidwalden, Schwyz und St. Gallen, wobei auch hier die Nein-Stimmen bei 55-58% lagen. Das knappste Resultat meldete der Kanton Nidwalden mit 55,4% Gegenstimmen. Gemäss Vox-Analyse waren politische Merkmale für den Stimmentscheid ausschlaggebender als soziodemographische. Unter diesen politischen Faktoren wirkten sich die Identifizierung mit einer Partei und die Selbsteinstufung auf der Links-Rechts-Achse am stärksten auf das Stimmverhalten aus. Bei der Begründung für den Stimmentscheid fiel auf, dass nur sehr wenige einen Grund für ihren Stimmentscheid nannten
[33].
Verfassungsartikel „Für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung“
Abstimmung vom 1. Juni 2008
Beteiligung: 44,8%
Ja: 661 312 (30,5%)%) / Stände: 0
Nein: 1 505 702 (69,5%) / Stände: 20 6/2
Parolen:
– Ja: FDP (16*), SVP (4*), EDU (1*); eco, SGV, SBV.
– Nein: CVP (1*), SP, LP, EVP, CSP, PdA, GP, SD, FP, Lega, DSP, GLP (1*); SGB, TravS.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Eine parlamentarische Initiative der Nationalrätin Menétrey-Savary (gp, VD) verlangte, dass bei
Arztkonsultationen von fremdsprachigen Patientinnen und Patienten die Kosten für Dolmetscher von der öffentlichen Hand oder von der Grundversicherung zu übernehmen sind. Die Kommission des Nationalrates hatte dies im Herbst 2007 zwar noch befürwortet, änderte aber ihre Meinung wieder, nachdem die Ständeratskommission zu einem anderen Schluss gekommen war. Sie empfahl mit 14 zu 8 Stimmen der Initiative keine Folge zu leisten, da das Anbieten von Dolmetscherdiensten eine sozialpolitische Aufgabe sei und eine Verankerung dieses Anspruchs im KVG zusätzliche Kosten zur Folge hätte. Eine Minderheit wies darauf hin, dass das Verständnis zwischen Ärzten und Patienten eine der fundamentalen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Behandlung sei. Dank diesen Dolmetscherdiensten könne nicht nur die Qualität im Gesundheitswesen verbessert, sondern auch Kosten gespart werden. Der Nationalrat folgte der Meinung der Mehrheit seiner Kommission und lehnte die parlamentarische Initiative mit 56 zu 99 Stimmen ab
[34].
Eine Standesinitiative des Kantons Genf forderte, dass die medizinisch notwendigen
Transportkosten sowie die Rettungskosten auch von der Krankenversicherung übernommen werden müssen, wie dies bereits im Rahmen der Unfallversicherung der Fall ist. Die Kommission des Nationalrates beantragte mit 13 zu 10 Stimmen, die Initiative abzulehnen. Dies, weil sie keinen Bedarf sah für eine Änderung, da im Rahmen der Krankenversicherung Notfalltransporte viel seltener sind als im Rahmen der Unfallversicherung. Der Ständerat hatte die Initiative bereits 2006 mit 23 zu 7 Stimmen abgelehnt. Auch eine Mehrheit des Nationalrates wollte die Krankenkassen nicht zu neuen Leistungen verpflichten und lehnte die Standesinitiative ebenfalls ab
[35].
Bereits erfüllt war eine parlamentarische Initiative Maury Pasquier (sp, GE), welche verlangte, dass die
Geburtshäuser in das KVG aufgenommen werden, damit die Krankenkassen die Kosten für die Schwangerschafts- und Geburtsbegleitung auch hier übernehmen. Der Nationalrat hatte die parlamentarische Initiative bereits 2006 angenommen. Im Rahmen der Vorlage zur Spitalfinanzierung waren auf Antrag der Kommission des Nationalrates die Geburtshäuser in das KVG aufgenommen worden. Damit war das Anliegen der Initiative bereits erfüllt und beide Ratskammern lehnten diese aus formellen Gründen ab
[36].
Eine Motion Frick (cvp, SZ) wollte den Bundesrat beauftragen, eine Ergänzung des KVG vorzulegen, wonach die Krankenkassen unter einheitlicher Führung und Leitung für die obligatorische Grundversicherung in derselben Prämienregion jeweils dieselbe Prämie festlegen müssen. Die Motion bezweckte, die Jagd nach sogenannten guten Risiken und den Aufbau von
Billigkassen zu unterbinden. Dem Bundesrat erschien der Vorschlag, eine einheitliche Prämie festzulegen, nicht der richtige Weg, um gegen diese Kassen vorzugehen. Er beantragte daher die Ablehnung der Motion. Die Kommission des Ständerates sprach sich hingegen mit 8 zu 3 Stimmen für deren Annahme aus, um den notwendigen Druck aufrechtzuerhalten, um gegen Billigkassen vorgehen zu können. Der Ständerat nahm die Motion knapp mit 18 zu 17 Stimmen an
[37].
Da Versicherer seit drei Jahren verpflichtet sind, ihre Leistungen zu sistieren, sobald sie in einem Betreibungsverfahren ein Fortsetzungsbegehren gestellt haben, waren im Berichtsjahr faktisch 120 000 bis 150 000 Versicherte ohne Versicherungsschutz. Weil diese Personen trotzdem medizinische Leistungen in Anspruch nahmen, entstanden offene Spitalrechnungen im Umfang von über 80 Mio Fr. Die Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) und der Krankenkassenverband Santésuisse fanden nun eine gemeinsame Lösung für das Problem dieser unbezahlten
Spitalrechnungen. Während die Kantone in Zukunft 85% der Kosten übernehmen, welche Grundversicherte nicht bezahlen können, zahlen die Kassen die restlichen 15% und wollen in jedem Fall die Leistungserbringung gewährleisten
[38].
Nachdem das
Bundesgesetz über die Neuordnung der Pflegefinanzierung bereits je zwei Mal im Ständerat und im Nationalrat behandelt worden war, hatte der
Ständerat im Berichtsjahr immer noch
vier inhaltliche Differenzen zu behandeln. Die Kommission beantragte, aus Kostengründen in allen Punkten an den ursprünglichen Beschlüssen festzuhalten. Ohne Diskussion beschloss der Ständerat daraufhin, eine einjährige Karenzfrist für den Anspruch auf eine Entschädigung beizubehalten. Die periodische Anpassung der Pflegebeiträge der Krankenversicherung an die Pflege, welche der Nationalrat vorgeschlagen hatte, sollte ebenfalls gestrichen werden. Der Ständerat beharrte ebenso darauf, dass der Übergang zur neuen Pflegefinanzierung kostenneutral erfolgen soll. Einzig um die Frage der Finanzierung der ärztlich verordneten Akut- und Übergangspflege entstand eine längere Diskussion. Die Kommissionsmehrheit wollte am Modell 60% Krankenversicherung, 20% öffentliche Hand und 20% zulasten der Patienten festhalten und damit den vom Nationalrat vorgeschlagenen Kostenverteiler ablehnen. Eine Kommissionsminderheit Maissen (cvp, GR) plädierte hingegen dafür, den Kostenverteiler des Nationalrates zu übernehmen (55% Kantone und 45% Krankenversicherer). Die Minderheit argumentierte damit, dass es richtig sei, wenn die Übergangspflege gleich finanziert werde wie die spitalinterne Behandlung. Die Mehrheit der Kommission sprach sich hingegen dafür aus, dass auch die Patienten und Patientinnen ein gewisses Mass an Solidarität gegenüber den jungen Steuerzahlern übernehmen und daher an der Finanzierung beteiligt werden sollten. Mit 23 zu 18 Stimmen nahm der Ständerat den Antrag der Mehrheit an
[39].
Der
Nationalrat gab in der
weiteren Differenzbereinigung nur einmal nach und zwar akzeptierte er die einjährige Karenzfrist für den Anspruch auf eine Hilflosenunterstützung. Er verlangte jedoch mit einer Motion vom Bundesrat bis Ende 2009 eine Vorlage, welche die Leistungen der Hilflosenentschädigung mit jenen der Pflegefinanzierung koordiniert. Bei der Frage der Finanzierung der Akut- und Übergangspflege hielt der Nationalrat an seinem Vorschlag (45% Krankenversicherer, 55% Kantone) fest, ebenso wie bei der periodischen Anpassung der Pflegebeiträge. Hier sollen die Beiträge alle zwei Jahre angepasst werden, jedoch nicht wie ursprünglich beschlossen an die Kostenentwicklung der Pflege, sondern neu an die Teuerung gemäss Landesindex der Konsumentenpreise. Eine kostenneutrale Pflegefinanzierung, welche der Ständerat vorgeschlagen hatte, lehnte der Nationalrat erneut ab
[40].
Der Antrag der
Einigungskonferenz, übernahm bei der Akut- und Übergangspflege den Verteilungsschlüssel des Nationalrates (45% Krankenversicherer, 55% Kantone, analog Spitalfinanzierung). Diese Pflegeleistungen müssen jedoch bereits im Spital ärztlich angeordnet werden und der Kostenverteiler gemäss Spitalfinanzierung kommt lediglich während maximal zwei Wochen zur Anwendung. Bei der periodischen Anpassung der Pflegebeiträge setzte sich die Version des Ständerates durch, wonach der Bundesrat nicht verpflichtet ist, die Beiträge der Krankenversicherung periodisch anzupassen. Bei der Frage der kostenneutralen Einführung der Pflegefinanzierung wird eine solche für den Bereich der allgemeinen Pflege verlangt, nicht aber für die Akut- und Übergangspflege. Trotz Opposition von Maury Pasquier (sp, GE), welche die Bestimmungen zur Akut- und Übergangspflege als zu restriktiv empfand, nahm der Ständerat den Vorschlag der Einigungskonferenz mit 22 zu 6 Stimmen an. Der Nationalrat schloss sich daraufhin diskussionslos dem Vorschlag der Einigungskonferenz an
[41]. In der
Schlussabstimmung nahm der Ständerat das Gesetz mit 33 zu 8 Stimmen an. Im Nationalrat erklärten Goll (sp, ZH) und Müller (gp, AG), dass ihre Fraktionen das Gesetz ablehnen würden. Die grosse Kammer nahm das Bundesgesetz über die Neuordnung der Pflegefinanzierung schliesslich mit 126 zu 55 Stimmen an
[42].
Als weiteres Teilpaket der KVG-Revision hatte der Bundesrat dem Parlament im Jahre 2004 seine Botschaft zu
Managed Care, also integrierten Versorgungsnetzen mit Budgetverantwortung, vorgelegt. Insbesondere sollte der heute geltende Vertragszwang zwischen Versicherern und Leistungserbringern aufgehoben werden, um kostengünstiger arbeitende Ärztenetzwerke nachhaltiger zu fördern. Dieser Teilbereich hatte aufgrund von Widerstand in der Ärzteschaft jahrelang in der Kommission des Ständerates verharrt. Erst in diesem Jahr konnten sich die beiden Kammern darauf einigen, den Zulassungsstopp für die Eröffnung neuer Arztpraxen bis 2009 weiterzuführen
[43].
Die Botschaft des Bundesrates sah aber auch Neuerungen bei der Medikamentenpreisbildung vor. Dieses Jahr ging die Vorlage nun in die Differenzbereinigung. Hierbei behandelte der Ständerat vor allem die Frage der Definition von preisgünstigen Arzneimitteln und die entsprechende Versorgung. Die Kommissionsmehrheit des Ständerates empfand die Formulierung des Nationalrates als verwirrend, wonach bei der Beurteilung der Preisgünstigkeit nicht nur der möglichst geringe Aufwand für die Heilwirkung, sondern auch die Kosten für Forschung und Entwicklung angemessen berücksichtigt werden müssen. Der Ständerat stimmte dem Vorschlag seiner Kommission mit 25 zu 13 Stimmen zu, welche als Ersatz für den besagten Artikel vorschlägt, den Bundesrat zu beauftragen, für eine preisgünstige Arzneimittelversorgung in der obligatorischen Krankenversicherung zu sorgen. Im Nationalrat stiess diese Streichung der angemessenen Berücksichtigung von Forschung und Entwicklung auf taube Ohren. Die Kommissionsmehrheit verlangte an der früher vom Nationalrat beschlossenen Formulierung festzuhalten und siegte mit 111 zu 66 Stimmen. Der Ständerat strich zur Verabschiedung der Vorlage diesen Absatz 3. Die Kommission des Nationalrates hingegen schloss sich dem Streichungsvorschlag des Ständerates nicht an und machte einen neuen Vorschlag für den umstrittenen Absatz. Die Bedeutung dieses Absatzes war im Nationalrat sehr umstritten. Während Vertreter der SVP ihn als das Herzstück der Teilrevision betrachteten, war die SP gegenteiliger Ansicht und sah in ihm den überflüssigsten Teil der Revision. Der Nationalrat folgte der Kommissionsmehrheit und entschied sich mit 108 zu 65 Stimmen für die neue Formulierung.
Die damit notwendig gewordene
Einigungskonferenz schloss sich dem Vorschlag des Ständerates an und beantragte mit 15 zu 10 Stimmen die Streichung des umstrittenen Absatzes. Der Ständerat folgte dem Antrag der Einigungskonferenz diskussionslos. Im Nationalrat beantragte eine Minderheit Bortoluzzi (svp, ZH), den Antrag der Einigungskonferenz abzulehnen. Das Ergebnis sei unbefriedigend, da ein wesentliches Element, nämlich der Aspekt der Wirtschaftlichkeit im Zulassungsverfahren, willkürlich aus der Revision herausgebrochen worden war. Eine Mehrheit der FDP stimmte ebenfalls gegen den Vorschlag der Einigungskonferenz. Die SP Fraktion warb für Zustimmung, konnte aber keine Mehrheit finden. Der Nationalrat lehnte den Antrag der Einigungskonferenz mit 97 zu 83 Stimmen ab. Damit war die
Vorlage zu den Medikamentenpreisen
gescheitert [44].
[26]
AB NR, 2008, S. 297 f.
[27]
AB NR, 2008, S. 298 ff.
[28]
AB NR, 2008, S. 1065 ff.
[29]
AB NR, 2008, S. 1355 ff.
[30]
AB NR, 2008, S. 1176 f.
[31]
AB SR, 2008, S. 1052 ff.
[32]Presse vom 4.5.-31.5.08. Siehe
SPJ 2007, S. 235 f.
[33]
BBl, 2008, S. 6161 ff.; Presse vom 2.6.08; Krömler, Oliver / Milic, Thomas / Rousselot, Bianca,
Vox – Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 30. November 2008, Zürich und Bern 2009.
[34]
AB NR, 2008, S. 793 ff.
[35]
AB NR, 2008, S. 70 ff.
[36]
AB NR, 2008, S. 1641;
AB SR 2008, S. 437. Siehe
SPJ 2006, S. 207
[37]
AB SR, 2008, S. 809 ff.
[39]
AB SR, 2008, S. 15 ff. Siehe
SPJ 2007, S. 240 f.
[40]
AB NR, 2008, S. 608 ff. Motion:
AB NR, 2008, S. 611 f.
[41]
AB SR, 2008, S. 435 f.;
AB NR 2008, S. 870 f.
[42]
AB SR, 2008, S. 531 f.;
AB NR, 2008, S. 1022 f.
[43]Siehe
SPJ 2007, S. 241 f. sowie oben, Teil I, 7b (Gesundheitspolitik).
[44]
AB SR, 2008, S. 10 ff., 590 ff. und 778;
AB NR, 2008, S. 746 ff., 1167 ff. und 1469 f. Siehe
SPJ 2007, S. 242.
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