Année politique Suisse 2008 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
Grundschulen
Die Auseinandersetzung um die Zukunft der öffentlichen Schule wird immer stärker zur Kampfzone der Parteien. Die
CVP stellte im August ihr
Forderungspapier zur Volksschule vor. Sie sprach sich für eine starke obligatorische öffentliche Schule aus und möchte verhindern, dass durch Bildungsgutscheine ein Abfluss der Mittel aus den öffentlichen Bildungseinrichtungen hin zu Privatschulen stattfindet. Sie forderte die Kantone auf, regional abgestimmte Lernziele zu erarbeiten und Standards für die Leistungsmessung zu schaffen. Ferner verlangte sie, dass künftig auch die Eltern stärker in die Pflicht genommen werden und beispielsweise zwingend an Elternanlässen teilnehmen müssen. Ein wiederholtes Fernbleiben soll mit Busse geahndet werden können
[8].
Ebenfalls im August plädierte die
SVP an einem Sonderparteitag für die Umkehr zu
mehr Disziplin und Ordnung in der Schule. Die Delegierten verabschiedeten eine Resolution, mit welcher sie eine eindeutige Trennung von elterlichen und staatlichen Aufgaben sowie eine Rückbesinnung auf die Vermittlung der Kernkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen fordern. Damit wurde die Parteileitung beauftragt, ein umfassendes Bildungspapier zur Primarschule auszuarbeiten. Zudem sprachen sich die Delegierten klar für eine Ablehnung des Konkordats zur Harmonisierung der Volksschule aus (vgl. dazu unten, Schulreformen und -modelle)
[9].
Im Dezember kündigte die SVP weitere
Opposition im Bereich der Volksschulbildung an. Obwohl die Bildungspolitik Sache der Kantone ist, möchte die nationale Parteileitung künftig den Widerstand gegen Bildungsprojekte stärker koordinieren. Damit die kantonalen SVP-Mitglieder selber aktiv werden können, plant die Partei ein breit angelegtes Schulungsprogramm, welches durch Nationalrat Schlüer (ZH) koordiniert werden soll
[10].
Für weitere Aufregung im Bildungsbereich sorgte im Berichtsjahr der Verein Elternlobby mit seiner Idee einer
freien Schulwahl für alle. In den Kantonen Basel-Stadt, Schaffhausen, Solothurn und Thurgau wurden 2008 Initiativen zur freien Schulwahl lanciert; in sechs weiteren Kantonen (AG, AR, LU, SG, VD, ZH) waren gleichlautende Volksbegehren in Vorbereitung. Im Kanton Basel-Landschaft war eine entsprechende Initiative bereits 2006 eingereicht worden
[11]. Die Initianten möchten es den Eltern ermöglichen, frei zwischen den einzelnen staatlichen
Volksschulen und
privaten Bildungseinrichtungen zu wählen. Finanziert würden die Schulen in freier Trägerschaft durch Kostenbeiträge, die sich an den Durchschnittskosten der öffentlichen Schulen orientieren. Von den Steuergeldern könnten nur jene Privatschulen profitieren, welche die vom Kanton formulierten Bildungsanforderungen erfüllten. Die Schulen müssten sich zudem verpflichten, alle Kinder unabhängig ihrer Herkunft und Religion aufzunehmen und von den Eltern keine zusätzlichen Mittel zu fordern
[12].
SP, CVP und Grüne sprachen sich gegen das Anliegen aus. Sie befürchten durch die freie Schulwahl eine
Verstärkung der Ungleichheiten und eine
Verteuerung der Grundschulbildung . Die Delegierten der FDP beschlossen im April die freie Schulwahl in ihr Parteiprogramm aufzunehmen. Abweichend vom Verein Elternlobby möchte die FDP die Wahlfreiheit aber auf staatliche Schulen begrenzen
[13].
Mit einem „Ja, aber“ äusserte sich der
Verband Schweizer Privatschulen zum Anliegen der freien Schulwahl. Vorab religiöse Privatschulen bekunden Mühe mit dem Initiativtext, weil z.B. eine katholische Privatschule gezwungen werden könnte ein muslimisches Kind aufzunehmen. Die Privatschulen befürchten auch einen Verlust an Autonomie, weil der Staat bei der Gestaltung der Lehrpläne oder in ökonomischen Belangen stärker mitreden könnte. Klar abgelehnt wird das Initiativbegehren aus diesen Gründen vom Zürcher Ableger des Verbands
[14].
Ende November fand im Kanton
Basel-Landschaft die erste
Volksabstimmung über die freie Schulwahl statt. Das Ergebnis fiel überraschend deutlich aus, die Initiative wurde mit 79% der Stimmen abgelehnt. Allerdings wird der Staatsbeitrag für private Schulen von 2000 auf 2500 Fr. pro Schüler und Jahr erhöht. Die Stimmbürger hiessen einen entsprechenden Gegenvorschlag gut. Der Verein Elternlobby liess sich von diesem Misserfolg nicht beirren und verfolgte das Anliegen der freien Schulwahl in den übrigen Kantonen weiter
[15].
Die Schweizerische Lebensrettungsgesellschaft verlangt, dass Schwimmen zu einem obligatorischen Schulfach wird. Im Mai reichte sie bei der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) eine entsprechende Petition mit über 44 000 Unterschriften ein. Die EDK nahm vorerst keine Stellung zu dieser Forderung. Die meisten Kantone stehen einem
Schwimmobligatorium aber kritisch gegenüber; wegen der fehlenden Infrastruktur befürchten sie, dass damit hohe Kosten verbunden wären
[16].
Im Berichtsjahr verabschiedeten die Delegierten des Dachverbands Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) einstimmig ein neues
Berufsleitbild. Das Papier soll den Lehrpersonen als Orientierung dienen sowie ihre Aufgaben umschreiben und eingrenzen. Insbesondere wird postuliert, dass Lehrer in der Führung der Schule mitarbeiten und Verantwortung übernehmen sollen
[17].
Der Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) forderte zudem eine landesweite
Gehaltserhöhung für Lehrpersonen von 5,5%. LCH machte geltend, dass die Löhne im Unterrichtswesen zwischen 1993 und 2007 nur um 1,6% gestiegen seien, während im gesamten Dienstleistungssektor ein Lohnwachstum von 5,3% stattgefunden habe. Der Verband begründete sein Anliegen ferner damit, dass eine bessere Entlöhnung unabdingbar sei, um die Konkurrenzfähigkeit des Berufs zu erhalten und vermehrt wieder Männer für eine Ausbildung an einer pädagogischen Hochschule zu motivieren
[18].
Im Rahmen der
Pisa-Vergleichsstudie waren 2006 zum dritten Mal die schulischen Leistungen am Ende der obligatorischen Schulbildung getestet und international verglichen worden. Im Berichtsjahr wurden die Ergebnisse jener Kantone publiziert, die an Pisa 2006 mit einer repräsentativen Stichprobe teilgenommen haben. Dabei zeigte sich ein geringes Leistungsgefälle zwischen den Kantonen. Allerdings schnitten die Schülerinnen und Schüler der Deutschschweiz im Vergleich zu ihren Kolleginnen und Kollegen aus der Romandie durchwegs besser ab. Das Tessin hat gegenüber der Westschweiz aufgeholt. Gleich in allen drei geprüften Bereichen, nämlich Naturwissenschaft, Mathematik und Lesen erreichten die Kinder des Kantons Schaffhausen den höchsten Mittelwert
[19].
Im Dezember wurde die eidgenössische
Volksinitiative „Jugend und Musik“ mit rund 150 000 beglaubigten Unterschriften eingereicht. Die Initianten wollen die Musikbildung in der Verfassung verankern. Konkret fordern sie eine bessere musikalische Ausbildung der Lehrer und analog zum Sport eine bessere Förderung von besonders begabten Jugendlichen
[20].
Eine Motion Glanzmann-Hunkeler (cvp, LU) wollte den Bund verpflichten, sich bei den Kantonen für flächendeckenden
Förderunterricht bei Kindern mit Migrationshintergrund einzusetzen und diesen entsprechend mitzufinanzieren. Der Nationalrat lehnte diesen Vorstoss diskussionslos ab
[21].
Im Berichtsjahr hiessen die Parlamente weiterer neun Kantone (BE, GL, GR, JU, NE, NW, SG, VD, VS) den Beitritt zum
Konkordat für die Harmonisierung der obligatorischen Schule (HarmoS) gut. Allerdings entdeckte die SVP mit dem Widerstand gegen HarmoS ein Betätigungsfeld um ihre Opposition in der Bildungspolitik auszuleben und bekämpfte die Harmonisierung der Volksschule mit Hilfe ihrer Kantonalparteien
[22].
Das erste
Referendum konnte im Frühjahr in Luzern eingereicht werden, weitere kamen in den Kantonen Graubünden, Nidwalden, Sankt Gallen, Thurgau und Zürich zustande. Im Kanton Bern war die Unterschriftensammlung Ende 2008 noch am Laufen. Im Gegensatz zur Deutschschweiz gab es in den französischsprachigen Kantonen kaum Widerstand gegen HarmoS. Einzig im Kanton Jura hatte die SVP das Referendum ergriffen, brachte aber von den 2000 notwendigen Unterschriften nur 1500 zusammen
[23].
Die SVP kritisierte an HarmoS vor allem die
Früheinschulung der Kinder infolge der Kindergartenzeit von zwei Jahren und den
Ausbau der Tagesstrukturen. Sie machte geltend, dass vierjährige Kinder nicht reif für die Schule seien und die Eltern durch die frühe Einschulung entmündigt würden. Mit Schlagwörtern wie „Schulzwang für vierjährige“ und „Einheitsschule“ sowie mit Plakaten die weinende Kinder zeigten, mobilisierte sie gegen die Vereinheitlichung der Volksschule. Ferner verwies sie auf die enormen Kosten, die mit dem in HarmoS vorgesehenen Ausbau der Betreuungsinfrastruktur verbunden seien
[24].
Der Erfolg der SVP löste auch
Reaktionen seitens der übrigen Parteien aus, CVP, FDP und SP warben in den Medien vehement für das HarmoS-Projekt. Die FDP trat im Rahmen eines nationalen Komitees mit über 230 Mitgliedern für das Konkordat ein und die SP startete eine nationale Kampagne zugunsten der Harmonisierung der Volksschule. Auch der Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften setzten sich für ein Ja zu HarmoS ein
[25].
Als erster Kanton führte
Luzern im September eine Volksabstimmung über die Harmonisierung der Volksschule durch. Der Beitritt zum Konkordat wurde an der Urne deutlich mit 61,4% der Stimmen abgelehnt. Am 30. November fand in vier weiteren Kantonen eine Abstimmung über das Harmos-Konkordat statt. In
Zürich wurde ein Beitritt mit 62,4% und in
Sankt Gallen mit 52,8% der Stimmen gutgeheissen. Dagegen wurde HarmoS im
Thurgau mit 51,6% und in
Graubünden mit 56,7% der Stimmen abgelehnt. Trotz den Niederlagen an der Urne, blieben die Befürworter von Harmos zuversichtlich. Die Präsidentin der Erziehungsdirektorenkonferenz, Isabelle Chassot (FR, cvp), zeigte sich überzeugt, dass das Quorum von 10 Ständen, welches für das Inkrafttreten von HarmoS erforderlich ist, 2009 erreicht werde
[26].
Aufgrund des ernüchternden Abstimmungsresultats im Nachbarkanton versuchten Nidwalden, Schwyz und Uri
HarmoS zu entschärfen. Zwar werden die Kinder weiterhin grundsätzlich ab vier Jahren schulpflichtig, die Eltern können ihre Kinder aber in Absprache mit den Schulverantwortlichen um ein Jahr zurückstellen. Die gleiche Änderung hatte der Luzerner Kantonsrat drei Wochen vor der Abstimmung erfolglos eingeführt
[27].
In den Kantonen der Romandie und im Tessin soll in Sprache, Mathematik, Naturwissenschaften, Geschichte, Gestalten und Sport künftig der gleiche Unterrichtsstoff vermittelt werden. Im August wurde der Entwurf für einen
gemeinsamen Lehrplan (plan d’études romandes – PER) in die Vernehmlassung geschickt. Dieser bildet Bestandteil der Convention scolaire romande, mit welcher die französischsprachigen Kantone und das Tessin eine noch über das HarmoS-Konkordat hinausgehende Zusammenarbeit vereinbart haben
[28].
In den Kantonen Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt und Solothurn wurde im Berichtjahr ein Staatsvertrag für einen
Bildungsraum Nordwestschweiz erarbeitet. Durch die Schaffung eines einheitlichen Bildungssystems wollen die vier Kantone Mobilitätshindernisse abbauen und die Leistungsanforderungen auf allen Stufen transparent und verbindlich machen. Unter anderem sollen die Kinder künftig eine vierjährige Basisstufe besuchen, in welcher die bisherigen Kindergartenjahre und die ersten zwei Schuljahre zusammengeführt werden. In den Kantonen Basel-Landschaft, Basel-Stadt und Solothurn wurde dieser Entwurf im Dezember zusammen mit dem HarmoS-Konkordat in die Vernehmlassung geschickt. Im Kanton Aargau erfolgt die Vernehmlassung erst nach der Abstimmung zum Bildungskleeblatt im Frühling 2009, weil damit bereits wesentliche Elemente des Bildungsraum-Programms umgesetzt werden
[29].
Die Erziehungsdirektorenkonferenz Ostschweiz präsentierte 2008 erste Zwischenergebnisse zum
Schulversuch der Verschmelzung des Kindergartens und der frühen Primarstufen in altersdurchmischten Klassen, der so genannten Basisstufe. Die Universität Zürich und die Pädagogische Hochschule Sankt Gallen haben während fünf Jahren 1000 Kinder aus Schulversuchs- und traditionellen Klassen sowie deren Eltern und Lehrkräfte befragt. Die Resultate zeigen, dass Kinder, welche die Basisstufe besuchen gleichgute oder sogar bessere Leistungen erbringen als jene die nach herkömmlichem System unterrichtet werden. Als zentraler Vorteil werten die Experten die Entschärfung des Schuleintritts, welche durch das neue Modell erreicht werden konnte. Die Schulversuche und die Evaluation laufen bis 2010 weiter. Danach ist jeder Kanton frei, das Modell einzuführen
[30].
[8]
LT,
NLZ und
SGT, 5.8.08.
[9]
BaZ,
Bund und
Lib., 25.8.08.
[11]
BaZ, 26.11.08 (BS);
SN, 3.9.08 (SH; hier wurde das Volksbegehren von den Jungfreisinnigen und nicht vom Verein Elternlobby lanciert);
SZ, 23.9.08 (SO);
SGT, 10.10.08 (TG);
www.elternlobby.ch (AG, AR, LU, SG, VD, ZH). Vgl.
SPJ 2007, S. 319 (BL).
[13]
TA, 22.4.08;
NLZ, 5.8.08 (SP);
Lib. und
LT, 1.9.08 (CVP);
Lib. und
NZZ, 25.11.08 (Grüne);
TA, 22.4.08 (FDP).
[15]
BaZ und
TA, 1.12.08;
Bund, 2.12.08.
[16]
NLZ, 26.4.08;
SGT, 22.5.08. Eine Motion Allemann (sp, BE) welche in eine ähnliche Richtung zielte und einen qualitativ guten Schwimmunterricht für alle Schülerinn und Schüler forderte, wurde vom NR 2007 abgelehnt. Vgl.
SPJ 2007, S. 264.
[19]
BaZ,
NLZ und
NZZ, 4.12.08. Vgl.
SPJ 2007, S. 265.
[20]
BBl, 2009, S. 613 f.;
AZ, 18.12.08;
TG, 19.12.08. Vgl.
SPJ 2007, S. 264.
[21]
AB NR, 2008, S. 466.
[22]
Bund, 7.2. und 9.9.08 (BE);
NZZ, 5.5.08 (GL);
BüZ, 13.2.08 (GR);
QJ, 24.4.08 (JU);
SGT, 16.4.08 (SG);
LT, 15.4. (VD) und 8.5.08 (VS). Vgl.
SPJ 2007, S. 265 f. Im Jahr 2007 hiess nicht das Kantonsparlament von GR, sondern jenes von SH den Beitritt zum HarmoS-Konkordat gut.
[23]
SN, 8.7.08 (GR und LU);
NLZ, 29.9.08 (NW);
Bund und
BZ, 3.10.08 (BE);
LT, 2.7.08 (Westschweiz).
[24]
Bund, 7.2.08;
TA, 8.3.08;
BüZ, 9.9.08.
[25]
AZ und
BaZ, 27.5.08 (CVP);
SN, 8.7.08 (SP);
AZ und
BüZ, 29.8.08 (FDP);
AZ und
NZZ, 11.9.08 (LCH, Arbeitgeber und Gewerkschaften).
[26]
NLZ, 29.9.08;
AZ,
SGT und
TA, 1.12.08.
[27]
NZZ, 16.12.08;
NLZ, 17.12.08 (SZ und UR);
Bund, 23.12.08;
SGT, 30.12.08 (NW).
[28]
Lib. und
LT, 27.8.08. Vgl.
SPJ 2007, S. 266.
[29]
AZ, 23.2., 15.5. und 17.12.08;
BaZ, 21.8.08;
SZ, 17.12.08. Vgl.
SPJ 2007, S. 266.
[30]
TA, 20.6.08. Vgl.
SPJ 2005, S. 221.
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