Année politique Suisse 2012 : Eléments du système politique / Droits, ordre public et juridique
Strafrecht
Der Ständerat hat in der Wintersession einstimmig einer zehnjährigen Verlängerung des bis 2013 befristeten Bundesgesetzes über die
Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten zur Verfolgung schwerwiegender Verletzungen des humanitären Völkerrechts zugestimmt. Damit bleibt die Schweiz in der Lage, den internationalen Ad-hoc-Gerichten in Ex-Jugoslawien und in Ruanda sowie deren Folgegerichten Rechtshilfe leisten zu können
[37].
Die kleine Kammer überwies eine Motion Keller-Sutter (fdp, SG), welche den Bundesrat beauftragt, ein
Rechtshilfeabkommen mit Nigeria abzuschliessen. Das Rechtshilfeabkommen soll es dem nigerianischen Staat ermöglichen, bei in der Schweiz rechtskräftig verurteilten Personen nigerianischer Nationalität die Vermögenswerte in Nigeria zu beschlagnahmen. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion, weil er aufgrund der Korruption der nigerianischen Polizei die Zeit als noch nicht reif dazu ansieht
[38].
Ein Rechtshilfeabkommen abgeschlossen wurde im Berichtjahr hingegen mit
Kolumbien. Beide Räte stimmten dem Vertrag in der Sommersession zu
[39].
Für eine Stärkung der internationalen Bekämpfung der Geldwäscherei beschloss der Arbeitskreis Massnahmen zur Geldwäschereibekämpfung (GAFI) eine Revision seiner Empfehlungen. So sollen neu die Meldestellen, über welche jedes GAFI-Mitglied verfügen muss und welche sich 1995 zur Egmont-Gruppe zusammengeschlossen haben, auch Finanzinformationen austauschen. Das brachte die Schweizer Meldestelle Money Reporting Office Switzerland (MROS) in die unangenehme Situation, aufgrund des Bankkunden- und Amtsgeheimnisses als einzige nicht an diesem internationalen Finanzinformationsaustausch teilnehmen zu können. Dies führte zu einer Drohung der Egmont-Gruppe, dass die schweizerische Mitgliedschaft suspendiert würde, falls sie nicht bis Juli 2012 den erforderlichen Gesetzgebungsprozess eingeleitet habe. Dieser Forderung war der Bundesrat nachgekommen und er unterbreitete dem Parlament einen entsprechenden Entwurf zu einer Änderung des Bundesgesetzes über die Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung im Finanzsektor (
Geldwäschereigesetz). Der Ständerat stimmte dem Entwurf noch in der Wintersession einstimmig zu
[40].
Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren beschloss die Schaffung von schweizweit 684 neuen Polizeistellen. Mit dieser Personalaufstockung soll der chronischen Unterbesetzung der Kantonspolizei abgeholfen werden
[41].
Für die Verfolgung schwerer Straftaten ist die
Überwachung des Fernmeldeverkehrs unabkömmlich. Um die Überwachungen im Rahmen eines Strafverfahrens zu verbessern, ist eine Revision des zehnjährigen Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf) notwendig. Der Bundesrat hat deshalb im Mai 2010 einen entsprechenden Entwurf in die Vernehmlassung geschickt. Die starke Ablehnung in der Vernehmlassung war Ausgangspunkt für die Einreichung dreier gleichlautender parlamentarischer Initiativen, die in vier Punkten erstens eine präzisere Beschreibung der Aufgaben des Dienstes Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr (ÜPF), zweitens das Weglassen der Aspekte der Strafverfolgung, drittens die Unterstellung der technischen Infrastruktur des Dienstes unter das Bundesgesetz über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes und viertens höhere Entschädigung der Fernmeldedienstanbieter forderten. Der Nationalrat nahm in der Frühjahrssession 2012 die ersten beiden Punkte der Initiativen an. Im Ständerat kamen folglich nur noch diese beiden Fragen zur Sprache. Auch in der kleinen Kammer wurde ihnen Folge gegeben
[42].
Um Straftaten aufzuklären, werden oft Polizeibeamte in das kriminelle Umfeld eingeschleust. Solche als
verdeckte Ermittlungen bezeichnete Massnahmen waren bis zum Inkrafttreten der Strafprozessordnung 2011 im Bundesgesetz über verdeckte Ermittlungen (BVE) geregelt. In seiner ständigen Praxis hielt das Bundesgericht fest, dass nur verdeckte Ermittlungen von gewisser Intensität und Dauer unter diese Regelungen fielen, einfache Lügen oder einfache Scheinkäufe jedoch keine gerichtliche Bewilligung bräuchten. 2008 änderte das Bundesgericht seine Meinung und stellte fortan jede verdeckte Ermittlung unter die Regelung des BVE (6B 777/2007 Erw. 3.6.4). Diese Praxisänderung konnte nicht mehr in die neue Strafprozessordnung aufgenommen werden. Damit ergab sich, dass für die präventive verdeckte Ermittlung und für selbstständige polizeiliche, verdeckte Ermittlung seit dem Inkrafttreten der Strafprozessordnung keine gesetzliche Grundlage mehr im Bundesrecht bestand. Scheinkäufe der Polizei im Drogenkleinhandel waren so fortan nicht mehr möglich. Um diese Lücke zu beheben, reichte Nationalrat Jositsch (sp, ZH) 2008 eine parlamentarische Initiative ein, welche die Wiedereinführung der engen Definition von verdeckten Ermittlungen in der Strafprozessordnung fordert. Nach der Zustimmung beider Rechtskommissionen erarbeitete die Rechtskommission des Nationalrates einen Entwurf zu einem Bundesgesetz über die verdeckte Ermittlung und Fahndung. Dieser Entwurf sieht vor, dass der Begriff der verdeckten Ermittlung nur noch jene Ermittlungshandlungen erfasst, bei denen Angehörige der Polizei nicht als solche erkennbar sind und im Rahmen eines auf längere Dauer angelegten Einsatzes, unter Verwendung einer durch falsche Urkunden abgesicherten Identität in ein kriminelles Milieu einzudringen versuchen, um besonders schwere Straftaten aufzuklären. Massnahmen von minderer Art sollen neu als verdeckte Fahndungen bezeichnet und separat in der Strafprozessordnung geregelt werden. Nicht geregelt werden jedoch weiterhin die präventiven, verdeckten Ermittlungen, da diese unter das Polizeirecht und somit in den Kompetenzbereich der Kantone fallen. Die vom Bundesrat beantragte Änderung, dass nicht nur aktives, sondern auch passives, täuschendes Verhalten unter die neue Regelung fallen sollte, wurde von beiden Kammern angenommen und das Gesetz in der Wintersession von beiden Räten einstimmig verabschiedet
[43].
Mit dem Inkrafttreten der Strafprozessordnung und der Zivilprozessordnung am 1. Januar 2011 ergab sich für einige Kantone u.a. neu die Pflicht, dass das
Protokoll nach einer Einvernahme vor Gericht verlesen oder vom Betreffenden durchgelesen werden muss. Dies führte bei Kantonen, die diese Vorschrift nicht kannten, zu erheblichem Mehraufwand. Um diesen Kantonen entgegen zu kommen, reichte die Rechtskommission des Nationalrates eine parlamentarische Initiative ein. Diese sieht vor, dass im Falle der technischen Aufzeichnungen von Verhandlungen auf das Vorlesen und die Unterschrift verzichtet werden kann. Beide Räte stimmten dem Entwurf der Kommission einstimmig zu
[44].
Der Bundesrat verabschiedete am 7. November eine Verordnung, welche die Schaffung einer vom Bundesamt für Polizei geführten, zentralen
Zeugenschutzstelle vorsieht. Dadurch soll die Aussagenbereitschaft von Zeugen terroristischer Gewaltkriminalität und anderer, vergleichbarer Schwerkriminalität erhöht werden. Die Regierung rechnet mit zehn bis fünfzehn Fällen und Kosten von zwei Millionen Franken pro Jahr, welche hälftig zwischen Bund und Kantonen geteilt werden sollen
[45].
Die Flucht von Jean-Louis B. 2011 warf Fragen auf über die Qualität des
Strafvollzugs in den Kantonen. Ein überwiesenes Postulat Amherd (cvp, VS) beauftragte nun den Bundesrat mit der Ausarbeitung eines Berichtes über den Stand des Straf- und Massnahmenvollzuges in der Schweiz. Auch die Kantone ergriffen Massnahmen, um künftig Missverständnisse im Strafvollzug zu verhindern. Dazu verabschiedete die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) am 29. März ein fünfseitiges Merkblatt, das die drei regionalen Strafvollzugskonkordate präzisiert und damit Ausgangs- und Urlaubsregeln für Strafgefangene vereinheitlichen soll
[46].
Die Rechtskommissionen beider Räte gaben einer parlamentarischen Initiative von Nationalrat Lang (alternative, ZG) Folge, welche eine Abschaffung von Artikel 293 des Strafgesetzbuches fordert. Dadurch soll die
Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen nicht mehr bestraft werden, während die Verletzung eines Geheimnisses und die Veröffentlichung gewichtiger Geheimnisse neu unter Strafe gestellt werden
[47].
Nur vier Jahre nach seinem Inkrafttreten stand der Artikel 53 StGB betreffend die
Wiedergutmachung in Kritik. Der Artikel war 2007 eingeführt worden, um einerseits die Strafbehörden zu entlasten und andererseits zur Wiederherstellung des öffentlichen Friedens beizutragen. Abschaffen wollte der Nationalrat den Artikel nicht, weshalb er auch der dies fordernden parlamentarischen Initiative Joder (svp, BE) keine Folge gab. Hingegen sprach sich die grosse Kammer mit 171 zu 1 Stimme für eine Revision des Artikels aus, wie sie von seiner Rechtskommission gefordert wurde. Deren Motion sah vor, dass eine Wiedergutmachung nur bei geringfügigen Delikten gegen öffentliches Gut und bei nachgewiesener Reue des Täters möglich ist. Der Ständerat lehnte jedoch angesichts der Revisionsarbeiten zum Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches die Überweisung der Motion ab
[48].
Der Ständerat stimmte mit seiner Annahme einer Motion seiner Rechtskommission zu, den Bundesrats mit der Ausarbeitung einer gesetzlichen Grundlage, welche die Strafbarkeit der
Datenhehlerei festhält, zu beauftragen. Nach den bestehenden Normen fällt die entgeltliche oder unentgeltliche Verwendung und Weitergabe von unrechtmässig erworbenen Daten durch die Maschen der Gesetze. Durch die Gesetzesrevision soll insbesondere die Hehlerei von Bankdaten bestraft werden. Detaillierter beschrieben ist dies in Teil I, Kapitel 4 (Banken, Börsen und Versicherungen)
[49].
Im vorigen Berichtjahr wandelte der Nationalrat eine Motion Luginbühl (bdp, BE), welche eine Wiedereinführung von
Freiheitsstrafen unter sechs Monaten und eine
Abschaffung von bedingten Geldstrafen fordert, in einen Prüfungsantrag um. Der Ständerat akzeptierte diese Änderung in der Frühjahrssession 2012. Dies erwies sich jedoch als überflüssig, da der Bundesrat bereits selbst aktiv geworden war und im April eine Botschaft zur Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches verabschiedet hatte. Die Revision beabsichtigt mit der Wiedereinführung von kurzen Freiheitsstrafen ab drei Tagen und der Abschaffung bedingter Geldstrafen die Freiheitsstrafe stärker zu gewichten. Da künftig mehr Freiheitsstrafen ausgesprochen würden, solle das Electronic Monitoring, d.h. die elektronische Überwachung des Vollzugs ausserhalb der Strafanstalt, definitiv als Vollzugsform für Freiheitsstrafen zwischen 20 Tagen und 12 Monaten eingeführt werden. Auch will der Bundesrat die strafrechtliche Landesverweisung wieder möglich machen
[50].
Die Räte behandelten im Berichtjahr eine 2004 eingereichte parlamentarische Initiative der christlichdemokratischen Fraktion, welche den Konsum von Betäubungsmitteln des Wirkungstyps von
Cannabis den Ordnungsbussenverfahren unterstellen sowie die Prävention und den Jugendschutz verstärken will. Die Debatte reduzierte sich jedoch auf die Frage nach der Bestrafung des Cannabiskonsums. Einig waren sich die Räte, dass erwachsene Cannabiskonsumenten, die nicht mehr als zehn Gramm Cannabis auf sich tragen, mit einer Ordnungsbusse bestraft werden und dadurch die Polizei und die Justiz entlastet werden sollen. Ein Streitpunkt ergab sich jedoch betreffend der Höhe die Busse. Während der Nationalrat 200 Franken verlangen wollte, beharrte der Ständerat auf 100 Franken. Erst in der dritten Beratung stimmte der Nationalrat dem Antrag der kleinen Kammer zu. So konnte die Gesetzesänderung in der Schlussabstimmung im Ständerat mit 31 zu 11 und im Nationalrat mit 128 zu 57 Stimmen angenommen werden. Im Nationalrat votierte die SVP-Fraktion geschlossen dagegen
[51].
Der Bundesrat verabschiedete im März des Berichtjahres eine Botschaft zu einem Bundesgesetz über Anpassungen des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG) und des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG). Die Revision hat zum Ziel, die 2001 im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches vorgenommenen Anpassungen bezüglich der
Verjährungsfristen nun auch in diesen beiden Gesetzen nachzuführen, d.h. die Verjährungsfristen für die Strafverfolgung zu verlängern. Zugleich soll ein Artikel im StGH aufgehoben werden, der besagt, dass das Bundesgericht nicht befugt sei, bei Gutheissen einer Beschwerde in der Sache auch selber zu entscheiden. Der Artikel widerspricht dem 2007 in Kraft getretenen Bundesgerichtsgesetz (BGG) und sein Aufheben war bereits vom Bundesgericht gefordert worden
[52].
Das Verbot der
Prostitution von Minderjährigen blieb auch nach der im Vorjahr überwiesenen Motion Amherd (cvp, VS), welche die Unterzeichnung der Lanzarotekonvention und die Strafbarkeit der Inanspruchnahme der Prostitution von Minderjährigen forderte, ein Thema. Dieselben Forderungen wie die Motion Amherd hatten zwei gleichlautende, parlamentarische Initiativen Galladé (sp, ZH) und Barthassat (cvp, GE). Nachdem sie beide vom Nationalrat angenommen wurden, lehnte sie der Ständerat mit dem Argument ab, dass sich das Parlament nicht parallel zu den laufenden Arbeiten des Bundesrates mit dem Thema beschäftigen solle. Mit demselben Argument hielt er auch an seinem Entschluss fest, den beiden Standesinitiativen Wallis und Genf zu diesem Problem keine Folge zu geben
[53].
Der Bundesrat unterbreitete dem Parlament im Berichtsjahr auch einen Entwurf der Genehmigung des Übereinkommens des Europarates zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (
Lanzarotekonvention) sowie zu dessen Umsetzung. Das Schweizer Recht entspricht weitgehend den Anforderungen der Konvention. Die vorgesehenen Änderungen des Strafgesetzbuches sehen u.a. vor, dass die Inanspruchnahme sexueller Dienste von Minderjährigen zwischen 16 und 18 Jahren gegen Entgelt sowie auch die Kontaktanbahnung zu Kindern im Internet zu sexuellen Zwecken, das sogenannte Grooming, bestraft wird. Der Ständerat hatte an den Entwürfen nur formale Änderungen vorgenommen
[54].
Abgeschrieben wurde eine 2006 eingereichte Standesinitiative des Kantons Basel-Land, welche durch eine Revision des Strafgesetzbuches eine höhere Bestrafung von
Konsumation und Distribution von Kinderpornographie forderte. Nachdem der Ständerat zuerst einer weiteren Fristverlängerung bis Sommer 2014 zugestimmt hatte, revidierte er aufgrund der bereits vorgenommenen Massnahmen in der Wintersession seinen Entscheid und schrieb die Initiative ab
[55].
Diesem Schicksal entging die parlamentarische Initiative Abate (fdp, TI), welche
sexuelle Handlungen mit Kindern unter sechzehn Jahren mit bis zu zehn Jahren Zuchthaus bestrafen will. Die Initiative wurde vom Nationalrat bereits zum vierten Mal verlängert. Die Frist läuft nun bis zur Wintersession 2014
[56].
Mit der Annahme der Volksinitiative „Für die
Unverjährbarkeit pornographischer Straftaten an Kindern“ stimmten Volk und Stände der Aufnahme eines neuen Verfassungsartikels 123 b zu. Die unpräzise Formulierung dieses Artikels verlangte jedoch eine Umsetzung der Forderung auf Gesetzesstufe. Der Bundesrat erarbeitete deshalb einen Entwurf zu einem Bundesgesetz zur Umsetzung von Artikel 123b der Bundesverfassung über die Unverjährbarkeit sexueller und pornografischer Straftaten an Kindern vor der Pubertät. Dieser Entwurf sieht durch eine Revision des Strafgesetzbuches, des Militär- und Jugendstrafgesetzes vor, dass von mündigen Tätern begangene sexuelle Handlungen mit Kindern, sexuelle Nötigungen, Vergewaltigungen und Schändungen unverjährbar werden. Diese Regelung betrifft auch alle Handlungen, die am Abstimmungstag noch nicht verjährt waren. Der Nationalrat schuf eine Differenz zum Entwurf des Bundesrates, indem er eine ausdrückliche Auflistung von sexuellen Handlungen mit Anstaltshäftlingen, Gefangenen und Beschuldigten sowie die Ausnützung von Notlagen in den Strafbestandkatalog forderte. Diese Tatbestände sind vom Bundesrat nicht in den Entwurf aufgenommen worden, da sie nach herrschender Doktrin unter sexuelle Handlungen mit Kinder fallen. Der Ständerat stimmte jedoch der von Nationalrat vorgenommen Ergänzung zu. Beide Räte nahmen das Gesetz in der Schlussabstimmung einstimmig an und es kann somit am 1. Januar 2013 in Kraft treten
[57].
Der Bundesrat verabschiedete am 10. Oktober eine Botschaft zur im Mai 2011 Zustande gekommenen Volksinitiative
„Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen“, welche er zur Ablehnung empfiehlt. Laut dem Bundesrat widerspräche die Initiative mit ihrem zeitlich unbefristeten Berufsverbot dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit und sei zudem unvollständig. Deshalb stellt die Regierung ihr einen indirekten Gegenvorschlag in Form eines Bundesgesetzes über das Tätigkeitsverbot und das Kontakt- und Rayonverbot gegenüber. Das Bundesgesetz war das Ergebnis einer bereits vor der Einreichung der Initiative begonnenen Revision der Berufsverbotsbestimmung im Strafgesetzbuch. Das Gesetz sieht vor, dass das Berufsverbot auch auf ausserberufliche Tätigkeiten ausgedehnt wird. Bei bestimmten Sexualdelikten soll zudem zwingend ein Tätigkeitsverbot verhängt werden. Weiter sieht das Bundesgesetz ein Kontakt- und Rayonverbot vor. Durchgesetzt werden die Verbote mittels eines speziellen Strafregisterauszuges, der vom Arbeitgeber eingeholt werden kann. Der Arbeitgeber ist zwar nicht verpflichtet, den Auszug anzufordern, er trägt jedoch die Verantwortung, falls sich ein Sexualdelikt ereignen sollte. Den Initianten geht der Gegenvorschlag zu wenig weit. Sie fordern ein lebenslängliches Berufsverbot für Sexualdelikte an Kindern und werden deshalb ihre Initiative nicht zurückziehen
[58].
Ein grosses Medienecho gab es für das Gerichtsverfahren im Fall des Au-Pair-Mädchens
Lucie Trezzini, welches am 4. März 2009 Opfer eines Gewaltverbrechens wurde. Das Bezirksgericht Baden verurteilte den Wiederholungstäter Daniel H. am 29. Februar 2012 wegen Mordes zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe. Die Richter stuften den Mörder zwar als „derzeit unbehandelbar“ jedoch nicht als untherapierbar ein, weshalb sie nicht die lebenslängliche sondern die normale Verwahrung wählten, bei welcher Daniel H. regelmässig einem psychologischen Gutachten unterzogen wird. Dieses Urteil entsprach der Forderung der Verwahrungsinitiative von 2004, welche „dauerhaft nicht therapierbare“ Täter lebenslänglich verwahren will. Dennoch liess das Urteil die Diskussion über die Verwahrungsinitiative und deren Umsetzung wieder aufleben und Forderungen nach einer lebenslänglicher Verwahrung von Daniel H. wurde laut. So will der Aargauer Staatsanwalt den Fall weiterziehen und eine lebenslängliche Verwahrung erwirken. Der Fall zeigte jedoch auch das unklare Verhältnis zwischen Haft und Verwahrung: Auch bei einem Urteil zu lebenslänglicher Haft, kann der Straftäter nach fünfzehn Jahren laut Gesetz einen Antrag auf bedingte Entlassung stellen. Wird die Frage nach seiner Rückfälligkeit negativ beantwortet, kann der Täter entlassen werden. Was dann mit der Verwahrung geschehen würde ist unklar. Das seit 2007 in Kraft stehende Strafgesetzbuch schweigt nämlich zu der Frage, wann die Strafzeit für einen Lebenslänglichen endet und seine Verwahrung beginnt. Das Urteil veranlasste auch die Initiantin der Verwahrungsinitiative, Anita Chaaban, eine Revision des Strafgesetzbuches anzustreben, nach der auch ein „auf lange Sicht nicht therapierbarer“ Täter lebenslang verwahrt werden kann
[59].
Nach dem Nationalrat überwies auch der Ständerat mit 20 zu 15 Stimmen eine Motion der EVP/EVP/glp –Fraktion, welche mit einer
Revision des Asylgesetzes den Vollzug im Asylwesen verbessern will. Konkret soll der Bund den Kantonen die Haftgestehungskosten vollumfänglich erstatten. Im Gegenzug muss der Vollzug dringend stattfinden und wird vom Bund überprüft. Des Weitern fordert die Motion, dass Rekursverfahren gegen abgelehnte Asylgesuche nicht länger als ein Jahr dauern dürfen, dass verstärkt Personenkontrollen im Inland und an den Grenzen durchgeführt werden sowie dass der Vollzug der Strafe im Herkunftsland des Delinquenten gefördert werden soll. Die Gegner der Motion waren zum einen der Meinung, dass die bestehenden Vollzugsfragen nicht auf gesetzlicher Ebene behoben werden können. Zum andern sahen sie in der Vorschreibung einer Behandlungsfrist von abgelehnten Gesuchen einen Verstoss gegen die verfassungsmässige vorgeschriebene gerichtliche Unabhängigkeit
[60].
Um die Umsetzung ihrer 2010 in der Volksabstimmung angenommen
Ausschaffungsinitiative sicherzustellen, lancierte die SVP im Berichtjahr die Folgeinitiative „Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer (Durchsetzungsinitiative)“.
[61] Diese enthält eine detaillierte Liste mit Delikten, für welche ein Ausländer aus der Schweiz ausgewiesen werden muss sowie eine zweite Aufzählung von Straftaten, welche zu einer Ausschaffung führen, wenn der Delinquent innerhalb der letzten zehn Jahren bereits zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Der Initiativtext hält auch fest, dass die Bestimmungen nur dem zwingenden Völkerrecht, d.h. dem Verbot der Folter, des Völkermords, des Angriffskrieges, der Sklaverei sowie dem Verbot der Rückschiebung in einen Staat, in dem Tod oder Folter drohen, nachgeordnet sei. Die Initianten konnten die Initiative nur fünf Monate nach Sammelbeginn bei der Bundeskanzlei einreichen
[62].
Der Bundesrat hat im Mai zwei
Varianten zur Umsetzung der Ausschaffungsinitative in die Vernehmlassung geschickt. Dabei bevorzugt er jene Variante, die eine Konkretisierung des in der neuen Verfassungsbestimmung enthaltenen Deliktkatalogs vorsieht. Ein Landesverweis soll grundsätzlich dann ausgesprochen werden, wenn einer Person aufgrund eines aufgelisteten Delikts eine Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten verhängt wird. Dadurch werden die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen weitgehend eingehalten. Nicht eingehalten werden jedoch Verpflichtungen, die sich aus den Freizügigkeitsabkommen ergeben. Die zweite Variante sähe hingegen eine zwingende Ausweisung auch bei Bagatelldelikten vor
[63].
Die beiden Räte wollen durch eine Änderung des Personenbeförderungsgesetzes die Gewalt an Sportanlässen eindämmen. Sie überwiesen deshalb eine Motion der Sicherheitskommission des Nationalrates, welche den Bundesrats beauftragt, das
Personenbeföderungsgesetz dahingehend zu ändern, dass Personen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit vom Transport ausgeschlossen werden können
[64].
Dieser Auftrag bringt für den Bundesrat aber nichts neues, denn er hatte im Berichtjahr bereits einen Entwurf zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes in die Vernehmlassung gegeben. Der Entwurf sieht vor, dass ein Unternehmen Fans die Beförderung zu einer Sportveranstaltung mit fahrplanmässigen Kursen verweigern kann, wenn ihnen frühzeitig Alternativen angeboten werden. Zudem sollen die Sportklubs für sämtliche, durch ihre Fans verursachten Schäden bei der Benützung von nicht fahrplanmässigen Verkehrsmitteln und Einrichtungen des öffentlichen Verkehrs haften
[65].
Hingegen lehnte der Nationalrat eine Motion seiner Sicherheitspolitischen Kommission ab, welche forderte, dass betroffene Kantone
Schnellgerichte zur Beurteilung von Fällen des Hooliganismus einführen
[66].
Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) verabschiedete am 2. Februar das verschärfte Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen, kurz
Hooligan-Konkordat. Dieses sieht neu u.a. eine Verlängerung des Rayonverbots von einem auf ein bis drei Jahre und verschärfte Meldeauflagen vor. Personenkontrollen sollen von der Polizei und nur bei konkretem Verdacht durchgeführt werden könne. Privaten Sicherheitsfirmen kann das Abtasten nach verbotenen Gegenständen über den Kleidern erlaubt werden. Neu ist zudem, dass die Behörden eine Bewilligungspflicht für Eishockey- und Fussballspiele der Männer der obersten Liga einführen können. Diese Bewilligung kann mit Auflagen an die privaten Veranstalter, etwa betreffend die Anreise der auswärtigen Fans, verbunden werden. Eine Koordinationsgruppe verabschiedete am 16.11.2012 ein Muster einer Rahmenbewilligung, um eine einheitliche Umsetzung der Bewilligungspflicht zu erreichen. Einige Punkte dieser Rahmenbewilligung gaben Anlass zur Diskussion. So etwa, dass bei Hochrisikospielen im und um das Stadion ein Alkoholverbot gelten und durch elektronische Zutrittskontrollen ein Abgleich der ID mit der Hooligan-Datenbank Hoogan gemacht werden sollen. Am Ende des Berichtjahres hatten bereits die Kantone St. Gallen, Aargau, Zug, Neuenburg, Appenzell Innerroden, Uri, Zürich und Luzern das Konkordat ratifiziert und in Appenzell Innerroden und St. Gallen ist es bereits in Kraft getreten
[67].
Das revidierte Hooligan-Konkordat war der Anlass für den Bundesrat, die Verordnung über die
Datenbank Hoogan ebenfalls zu überarbeiten. So werden neu auch Personen in der Datenbank erfasst, die im Vorfeld oder im Nachgang einer Sportveranstaltung eine Straftat begangen haben. Zu den Straftaten gehören nun auch Tätlichkeiten wie Ohrfeigen, Fusstritte und Faustschläge und andere Strafbestände wie Gefährdung durch Sprengstoff und Giftgase
[68].
Das Urteil, welches
Transparency International über die Schweiz fällt, ist positiv. Die Schweiz gehöre zu den weltweit am wenigsten korrupten Ländern. Verbesserungspotential sieht die Organisation jedoch bei der Transparenz bezüglich der Finanzierung von politischen Parteien und von Wahl- und Abstimmungskampagnen sowie der Wahl von Richtern und Staatsanwälten durch politische Behörden. Zudem sollten Whistleblower durch einen besseren Kündigungsschutz und einen nationalen Ombudsmann besser geschützt werden
[69].
Das Bundesamt für Sport erarbeitete Ansätze zur Bekämpfung von
Korruption und Manipulation im Sport. Danach sollen nationale wie auch internationale Sportverbände umfassend dem schweizerischen Korruptionsstrafrecht unterstellt werden. Das EJPD hat bis Frühjahr 2013 Zeit, einen Entwurf einer entsprechenden Gesetzesrevision auszuarbeiten
[70].
Auch die beiden Rechtskommissionen beschäftigten sich im Berichtsjahr mit Korruption. So hiessen beide Kommissionen eine parlamentarische Initiative Sommaruga (sp, GE) gut, welche in Folge des 2010 bekannt gewordenen Fifa-Korruptionsskandals forderte, dass die
Bestechung von Privatpersonen analog der Bestechung von Amtspersonen zum Offizialdelikt und somit im Strafgesetzbuch festgeschrieben wird. Damit käme die Schweiz einer Empfehlung der Staatengruppe des Europarates gegen Korruption (GRECO) nach, welche ebenfalls verlangt, dass solche Bestechungsdelikte nicht mehr als Antragsdelikt geahndet werden
[71].
Mit der Absicht den Schutz vor
Waffenmissbrauch zu stärken, reichte die sicherheitspolitische Kommission des Ständerates 2011 eine Motion ein, welche den Bundesrat auffordert, unverzüglich Massnahmen zu ergreifen und allfällige gesetzliche Grundlagen zu schaffen, damit Waffen durch die Polizei beschlagnahmt werden können und die Koordination zwischen den kantonalen und nationalen Behörden verbessert wird. Beide Räte stimmten dem Anliegen zu und überwiesen die Motion an die Regierung
[72].
Der Schutz vor Waffenmissbrauch beschäftigte auch die sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats. Sie reichte eine Motion ein, welche eine unverzügliche und
automatische Information der Armee über hängige Strafverfahren forderte. Der Bundesrat befürchtete eine Überbelastung der Militärbehörde sowie Probleme bezüglich des Datenschutzes. Der Ständerat änderte nun die Motion dahingehend ab, dass die Armee nur über Strafverfahren informiert wird, bei denen ein Gewaltpotential der beschuldigten Person ersichtlich ist. Zudem sollen bei Anzeichen auf eine Gefährdung zivile und militärische Strafverfolgungs- und Polizeiorgane den Einzug von zivilen und Armeewaffen anordnen können. Der Nationalrat nahm diese Änderungen in der Herbstsession an und überwies die Motion an den Bundesrat
[73].
Der Nationalrat überwies zudem ein Postulat seiner sicherheitspolitischen Kommission, welches den Bundesrat mit der Ausarbeitung eines
Berichtes über die Bekämpfung des Waffenmissbrauches beauftragt
[74].
[37] BRG 12.063:
AB SR, 2012, S. 1156;
BBl, 2012, S. 6663.
[38] Mo. 12.3674:
AB SR, 2012, S. 1165.
[39] BRG 110.71:
AB SR, 2012, S. 220 und 641;
AB NR, 2012, S. 2011 ff. und 1240.
[40] BRG 12.065:
AB SR, 2012, S. 1157ff.;
BBl 2012, S. 6941.
[42] Pa.Iv. 10.3831 (Schmid-Federer):
AB NR, 2012, S. 527;
AB SR, 2012, S. 851ff.; Pa. Iv 10.3876 (Eichenberger-Walther):
AB NR, 2012, S. 532;
AB SR, 2012, S. 851 ff.; Pa.Iv. 10.3877 (Rotz):
AB NR, 2012, S. 532,
AB SR, 2012, S. 851 ff.
[43] Pa.Iv. 08.458:
AB NR, 2012, S. 1263 ff. und 2279;
AB SR, 2012, S. 1152 ff. und 1258;
BBl, 2012, S. 5609.
[44] Pa.Iv. 10.444:
AB SR, 2012, S. 531 ff. und 933;
AB NR, 2012, S. 1434 ff. und 1816;
BBl, 2012, S. 8149;
SGT, 11.9.12.
[45]
Baz, 8.11.12; vgl.
SPJ 2011, S. 23.
[46] Po. 11.4072:
AB NR, 2012, S. 535;
NZZ, 30.3.12.
[48] Pa.Iv. 10.522:
AB NR, 2012, S., 249 ff.; Mo. 11.4041:
AB NR, 2012, S. 249 ff.;
AB SR, 2012, S. 919 ff.
[49] Mo. 12.3976:
AB SR, 2012, S. 1073.
[50] Mo. 09.3158:
AB SR, 2012, 73 ff.; BRG. 12.046: vgl.
SPJ 2011, S. 30.
[51] Pa.Iv. 04.439:
AB NR, 2012, S. 267 ff., 1373 ff., 1580 ff., 1815;
AB SR, 2012, S. 408 ff., 777, 931;
BBl, 2012, S. 8153 ff.;
NZZ, 8.7.12.
[52] BRG 12.036:
BBl, 2012, S. 2869 ff.
[53] Mo. 10.3143: vgl.
SPJ 2011, S. 33; Pa.Iv. 10.435 (Galldé):
AB NR, 2012, S. 518 ff.;
AB SR, 2012, S. 926; Pa.Iv. 10.439 (Barthassat):
AB NR, 2012, S. 518 ff.;
AB SR, 2012, S. 926; Kt.Iv. 10.311:
AB NR, 2012, S. 518 ff.;
AB SR, 2012, S. 926; Kt.Iv. 10.320:
AB NR, 2012, S. 518 ff.;
AB SR, 2012, S. 926.
[54] BRG 12.066:
AB SR, 2012, S. 1161 ff.;
BBl, 2012, S. 7571;
NZZ, 5.7. und 12.12.12.
[55] Kt.Iv. 06.301:
AB SR, 2012, S. 453 ff. und 1164.
[56] Pa.Iv. 03.424:
AB NR, 2012, S. 2241.
[57] BRG 11.039:
AB NR, 2012, S. 216 ff. 1072 ff. und 1239;
AB SR, 2012, S. 532 ff. und 640;
BBl, 2011, S. 5977; Presse vom 7.3.12.
[58] BRG 12.076:
BBl, 2012, S. 8819 ff.; Presse vom 11.10.12.
[59]
TA, 1., 2. und 5.3.12;
NZZ, 2.3.12.
[60] Mo. 10.3066:
AB SR, 2012, S. 74 ff.
[61]
BBl, 2012, S. 7371 ff.
[62]
BBl, 2012, S. 7371 ff.; BaZ, 18.4.12.
[63] Medienmitteilunge Bundesrat vom 23.05.12.
[64] Mo. 12.3017:
AB NR, 2012, S. 1610 ff.;
AB SR, 2012, S. 1227.
[65]
BBl, 2012, S. 6007;
Baz, 16.6.12.
[66] Mo. 12.3018:
AB NR, 2012, S. 1610 ff.
[67]
NZZ, 3.2. und 8., 21.11.12.
[72] Mo. 11.4047:
AB SR, 2012, S. 72 f.;
AB NR, 2012, S. 1674 ff.
[73] Mo. 12.3007:
AB NR, 2012, S. 49 ff. und 1675;
AB SR, 2012, S. 365;
SGT, 29.2.12.
[74] Po. 3006:
AB NR, 2012, S. 49.
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