Année politique Suisse 2013 : Economie / Agriculture
Agrarpolitik
In der Aprilsession diskutierte der Nationalrat eine im vorigen Jahr von der Wirtschafts- und Abgabenkommission des Ständerats (WAK-SR) lancierte und von der kleinen Kammer bereits überwiesene Motion zur Verankerung der
drei Nachhaltigkeitsdimensionen Ökonomie, Soziales und Ökologie im Landwirtschaftsgesetz. Trotz geschlossener Unterstützung von Seiten der SP, der Grünen und der GLP folgte eine deutliche Mehrheit der Ratsmitglieder der Empfehlung ihrer vorberatenden Kommission und lehnte die Motion ab: Diese hatte darauf aufmerksam gemacht, dass im Rahmen der Diskussionen zur neuen Agrarpolitik bereits zwei ähnliche Anträge im Rahmen des betreffenden Gesetzesartikels gestellt und zurückgewiesen worden waren
[1].
Eine Motion, die den Bundesrat mit der Gewährleistung der ökonomischen, sozialen und rechtlichen
Absicherung von in der Landwirtschaft tätigen Frauen betraut, wurde mit Annahme durch die grosse Kammer im Frühjahr definitiv überwiesen. Der Ständerat hatte den Vorstoss bereits im Vorjahr angenommen
[2].
Der Nationalrat folgte dem einstimmigen Antrag seiner WAK und schrieb die parlamentarische Initiative „
Ernährungssouveränität“ ab. Die Kommission hatte geltend gemacht, dass die zentrale Forderung der Initiative inzwischen im Rahmen der neuen Agrarpolitik in das Landwirtschaftsgesetz aufgenommen worden sei: In Artikel 2 Absatz 4 wurde festgehalten, dass sich die Massnahmen des Bundes „am Grundsatz der Ernährungssouveränität zur Berücksichtigung der Bedürfnisse der Konsumentinnen und Konsumenten nach qualitativ hochwertigen, vielfältigen und nachhaltigen inländischen Produkten“ orientieren sollen
[3].
Der Ständerat behandelte in der Herbstsession eine Motion Zanetti (sp, SO). Laut dieser soll der Bundesrat gewährleisten, dass auch in Zukunft Beiträge für die Förderung und Ausrichtung von
Viehschauen im Rahmen des Landwirtschaftskredites gesprochen werden. Der Motionär erklärte, dass diese Möglichkeit durch eine Änderung in der Verordnung über die Tierzucht ab 2015 entfalle. Viehschauen seien jedoch wichtige Instrumente, um auch landwirtschaftsferne Bevölkerungskreise und Touristen auf bäuerliche Traditionen aufmerksam zu machen. Ausserdem ermöglichten sie den Leistungsvergleich zwischen Züchtern und würden so zu Zuchtfortschritt führen. Für Bauern sei des Weiteren der Aufwand für eine Viehschau hoch: Die vorbereitende Pflege und der Transport der Kühe nähmen sowohl Zeit als auch Geld in Anspruch. Um den Fortbestand dieser Tradition zu sichern, sei sie deshalb finanziell abzugelten. Der Bundesrat erklärte, die Verordnungsänderung sei eine Reaktion auf eine Empfehlung der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) gewesen: Diese habe festgestellt, dass die Zuchtorganisationen bei Viehschauen keine Daten zur Zuchtwertschätzung mehr erheben würden. Um die Tierzucht wieder auf ihre Kernaufgaben zu fokussieren, sollten die Beiträge daher gestrichen und stattdessen in die inzwischen übliche Leistungsprüfung ausserhalb von Viehschauen investiert werden. Der Ständerat liess sich von diesem Argument jedoch nicht überzeugen: Mit 22 zu 14 Stimmen reichte er die Motion an die grosse Kammer weiter
[4].
Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) publizierte im Herbst den
Agrarbericht 2013 mit den neusten Kennzahlen zur schweizerischen Landwirtschaft. Im Bereich des Aussenhandels landwirtschaftlicher Erzeugnisse wurde der letztjährige, historisch tiefe Importüberschuss noch einmal um CHF 300 Mio. unterboten: Er betrug damit noch CHF 3,3 Mrd. Die EU blieb bezüglich Agrarprodukte mit 73% der Importe und 64% der Exporte der wichtigste Handelspartner der Schweiz. Der Selbstversorgungsgrad – sprich das Verhältnis der Inlandproduktion zum inländischen Gesamtverbrauch abzüglich importierter Futtermittel – stieg laut neusten Ergebnissen 2011 auf 56,4% an und lag damit 3,6 Prozentpunkte über dem Wert von 2010. Strukturell betrachtet war auch 2012 ein Rückgang in der Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe zu verzeichnen: 1 042 Höfe wurden in diesem Jahr aufgegeben, was einem Prozentsatz von 1,8 entspricht. Von den verbleibenden Betrieben wurden 4,8% von einer Frau geleitet. Aus einer alle vier Jahre durchgeführten Umfrage unter der bäuerlichen Bevölkerung ging hervor, dass die Werte zur grundsätzlichen Zufriedenheit mit den Lebensumständen stabil geblieben sind: Obwohl diese seit Jahren im Durchschnitt tiefer liegen als jene der übrigen Bevölkerung, wurden weit mehr positive Aspekte des landwirtschaftlichen Berufs erwähnt als negative. Als Haupt-Stressfaktoren wurden die vielen Vorschriften und die häufig ändernden Rahmenbedingungen genannt. Auch der geringe Verdienst und die fehlende Freizeit waren oft hervorgehobene Nachteile des Berufs. Eine Studie von Agroscope Reckenholz-Tänikon ergab derweil, dass sich die Arbeitsbelastung in der Landwirtschaft nicht verringert hat: Zwar nehme die physische Belastung von Bäuerinnen und Bauern dank der Mechanisierung ihres Berufsfeldes stetig ab. Andererseits steige aber auch die Arbeitsmenge durch betriebliches Wachstum, was den ersteren Trend wieder aufhebe
[5].
In der Frühjahrssession schlossen die beiden Kammern ihre Beratungen zur neuen Agrarpolitik ab. Das Gesetz hatte somit insgesamt zweimal den Stände- und dreimal den Nationalrat passiert, bevor alle Differenzen bereinigt waren.
Ein erster Punkt, dessen Diskussion noch beendet werden musste, war die künftige Regelung des Milchmarkts. Obschon der Ständerat in der ersten Lesung im Vorjahr die vom Nationalrat geforderte Aufrechterhaltung der obligatorischen Milchverträge zwischen Produzierenden und Verwertenden abgelehnt hatte, bestand Nationalrat Rösti (svp, BE) in der zweiten, im Berichtsjahr stattfindenden Beratung auf Festhalten an dieser Lösung. Eine grösstenteils bürgerliche Mehrheit, welcher sich auch Exponenten anderer Lager anschlossen, unterstützte ihn mit 95 zu 80 Stimmen in diesem Anliegen. Gleichzeitig akzeptierten die Ratsmitglieder allerdings den von Bundes- und Ständerat als Alternativvorschlag unterbreiteten Artikel, welcher die Ausarbeitung eines Standardvertrags den Branchenorganisationen überlassen und dem Bundesrat nur bei Nicht-Einigung die Kompetenz zu vorübergehenden Vorschriften erteilen will. Sie ergänzten ihn um die Bestimmung, dass ein solcher Vertrag eine minimale Dauer von einem Jahr zu beinhalten habe. Somit standen sich also zwei Artikel im Landwirtschaftsgesetz gegenüber, welche den gleichen Bereich auf unterschiedliche Weise regelten. Rösti empfand dies als unproblematisch: Wenn sich die Branchenorganisationen auf einen Vertrag einigen könnten, sei der Artikel mit dem Vertrags-Obligatorium automatisch erfüllt. Ansonsten greife der zweite Artikel als Sicherheit für die Produzierenden. Der Ständerat vertrat diesbezüglich eine andere Meinung: Man könne nicht die gleiche Kompetenz zwei verschiedenen Akteuren erteilen, da dies im konkreten Fall dazu führen würde, dass sich der Bundesrat und die Branchenorganisation gegenseitig blockierten. Die Bestimmung mit den obligatorischen Verträgen wurde daher einstimmig abgelehnt und die Regelung durch die Branchenorganisation mit 33 zu 9 Stimmen angenommen. In der zweiten Differenzbereinigung schloss sich die grosse Kammer diesem Entscheid an.
Auch die Importrestriktionen bei Fleisch und Pferden wurden 2013 erneut thematisiert: Erstere wurden dank einer Allianz von CVP, BDP und SVP sowie einer Mehrheit der FDP im Nationalrat definitiv angenommen, während letztere in der Differenzbereinigung nach längeren Diskussionen wieder aus dem Gesetz entfernt wurden. Als Hauptargumente dagegen angeführt wurden im Nationalrat die bereits hohe finanzielle Unterstützung für eine qualitativ hochstehende Pferdezucht von jährlich CHF 3 Mio. und die negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb, welche sich durch eine derartige Regelung ergeben würden. Grossteile der Ratslinken und -mitte vermochten die Abstimmung für sich zu entscheiden. Der Ständerat folgte ihnen in seiner zweiten Lesung mit 21 zu 15 Stimmen.
Diverse Bestimmungen fanden entgegen anfänglicher Ablehnung doch noch Eingang in das Gesetz: So beharrte die grosse Kammer auf ihrer Forderung, dass der Bundesrat Einzelkulturbeiträge auch für die Gewährleistung einer angemessenen Versorgung mit Nutztierfutter verwenden können soll. Ziel dieser Massnahme ist die Reduktion der Futtermittelimporte, deren Einsatz in den letzten Jahren zunehmend in die Kritik gekommen war: Die dadurch bestehende Abhängigkeit vom Ausland wurde als zu gross beurteilt, ausserdem kritisierte man die damit einhergehende, indirekte Förderung von Monokulturen in Schwellenländern. Bundesrat Schneider-Ammann erläuterte, dass die inländische Futtermittelproduktion bereits mit den Versorgungssicherheitsbeiträgen gefördert werde. Eine bürgerliche Ratsmehrheit von 103 zu 76 Stimmen sowie im Ständerat eine Mehrheit von 23 zu 13 Stimmen beschlossen aber, dieses Anliegen auch bei den Einzelkulturbeiträgen zu verankern. Des Weiteren beschlossen die Räte, dass der Bund in Zukunft nicht nur die Verwertung von Kernobst, Steinobst und Trauben finanziell unterstützen kann, sondern auch jene von Beeren. Es handle sich hierbei um wichtige Produkte der Schweizer Landwirtschaft, deren Herstellung mit einem hohen Aufwand verbunden sei. Auf dem Markt sei ihre Position zudem fragil aufgrund der von den Konsumierenden verlangten Frische und Qualität: Eine Förderung der Verwertung sei daher notwendig. Der Bundesrat hatte diese Gesetzesänderung abgelehnt mit der Begründung, dass Beeren Premiumprodukte im Hochpreissegment seien. Eine Subvention würde falsche Anreize setzen und die Produktion in einen wertschöpfungsschwachen Bereich lenken. Er unterlag im Nationalrat aber deutlich und im Ständerat mit 19 Ja- gegenüber 15 Nein-Stimmen.
Nachdem das neue Direktzahlungssystem 2012 vom Parlament in seinen Grundzügen gutgeheissen worden war, nahmen die Kammern 2013 noch einige Anpassungen vor. Eine vermeintlich kleine Änderung, die jedoch als grundsätzliches Bekenntnis zu den Schweizer Bäuerinnen und Bauern angesehen werden kann, ist die Umformulierung der einleitenden Bestimmung in Artikel 2, Absatz 1 b.: Der Bund „fördert“ damit nicht nur gemeinwirtschaftliche Leistungen von bodenbewirtschaftenden bäuerlichen Betrieben mit Direktzahlungen, sondern er „gilt“ sie „ab“. Der Nationalrat hatte in der Differenzbereinigung an diesem Entschluss festgehalten, was den Ständerat dazu veranlasste, ihm mit einem Stimmenverhältnis von 18 zu 16 zu folgen. Erneut thematisiert wurden zudem die Übergangsbeiträge: Die Ausgestaltung dieser finanziellen Unterstützung war bei der Umstellung vom alten auf das neue Direktzahlungssystem im vorigen Jahr ausschlaggebend dafür gewesen, dass der Ständerat die neue Politik des Bundesrates akzeptiert hatte. Nun wurden in beiden Räten jedoch mehrere Anträge diskutiert, welche alternative Arten der Geldverteilung forderten. Trotz unterschiedlicher Instrumente und Stossrichtungen hatten sie alle zum Ziel, den Systemwechsel für die landwirtschaftliche Bevölkerung erträglicher zu machen und sicherzustellen, dass die betroffenen Betriebe nicht mit allzu abrupt sinkenden Subventionsbeiträgen konfrontiert würden. Nach langen Diskussionen obsiegte schliesslich die vom Bundesrat ursprünglich vorgeschlagene Version: Diese machte hinsichtlich der konkreten Ausschüttung kaum Aussagen und garantierte dadurch laut ihren Befürwortern die grösste Flexibilität und Transparenz für die Umsetzung der Reform.
Beim Bundesgesetz über die landwirtschaftliche Pacht bremsten die Parlamentarier den Bundesrat in seinen Reformbestrebungen: Dieser hätte die Verbesserungen von Bewirtschaftungsstrukturen (sog. „Arrondierungen“) erleichtern wollen, indem er daran beteiligte Pachtende von der Informationspflicht ihrer Verpachtenden befreit hätte. Wenn also zwei Pächter das von ihnen verwaltete Land aus Effizienzgründen ausgetauscht hätten, ohne dabei eines der bestehenden Pachtverhältnisse aufzulösen, hätte das stillschweigende Einverständnis der Verpächter gegolten. Die bürgerlichen Parteien, welche sowohl im National- als auch im Ständerat gegen diese Regelung argumentierten, machten geltend, dass dies eine Missachtung des Eigentums darstellen würde: Pachtverträge seien Verpflichtungen zur persönlichen Bewirtschaftung, welche man nicht beliebig austauschen könne. Nachdem sich die Räte je zweimal mit der Thematik auseinandergesetzt hatten, lehnten sie den bundesrätlichen Antrag daher deutlich ab.
Eine letzte Differenz zwischen den Kammern bestand in der Debatte über eine Erhöhung der finanziellen Mittel, welche der Landwirtschaft zwischen 2014 und 2017 zur Verfügung gestellt werden sollen. Der Nationalrat hatte 2012 verlangt, dass der Budgetposten „Investitionskredite“ um CHF 160 Mio. erhöht wird, was einer Vergrösserung des Rahmenkredits um 1,2% entsprechen würde. Nachdem der Ständerat dies mit Stichentscheid des Präsidenten abgelehnt hatte, wiederholte Nationalrat Rösti (svp, BE) 2013 in einem Minderheitsantrag die Forderung: Die neue Agrarpolitik verlange von der bäuerlichen Bevölkerung erhebliche Anpassungen und Mehrleistungen, dafür müssten auch mehr Mittel gesprochen werden. Eine Erhöhung speziell im Investitionsbereich sei sinnvoll, da dadurch Produktivität und Lebensverhältnisse in der Landwirtschaft nachhaltig verbessert würden, was auch für künftige Generationen wichtig sei. Ausserdem würden nicht nur Bäuerinnen und Bauern davon profitieren: Durch neue Bauaufträge würde auch das Baugewerbe wachsen; die Renovation von Flurwegen oder Ähnlichem komme zudem ganzen Regionen sowie dem Tourismus zugute. Bundesrat Schneider-Ammann wies – wie bereits im vorigen Jahr – darauf hin, dass eine Aufstockung der Gelder nicht mit der Schuldenbremse vereinbar wäre: Die Landwirtschaft erhalte mit CHF 13,67 Mrd. wieder gleich viele Gelder wie in den letzten Jahren, und in Anbetracht des geplanten Konsolidierungs- und Aufgabenüberprüfungspakets, welches den Bundeshaushalt ab 2014 jährlich um CHF 700 Mio. entlasten soll, wäre eine Mittelerhöhung widersinnig. Die Abstimmung fiel mit 90 zu 87 Stimmen bei 4 Enthaltungen aus den Reihen der FDP und CVP hauchdünn zugunsten des Minderheitsantrags und gegen die Argumente des Bundesrates aus, obwohl sich die linksgrünen Fraktionen geschlossen zusammen mit den Grünliberalen und knapp zwei Dritteln der FDP dagegen ausgesprochen hatten. Auch in der kleinen Kammer entschied man sich daraufhin mit einem knappen Mehr von 3 Stimmen für die Erhöhung der finanziellen Mittel.
Vor der
Schlussabstimmung äusserten sich im Nationalrat noch einmal alle Fraktionen über das Endprodukt „Agrarpolitik 2014 bis 2017“: Die meisten zeigten sich grundsätzlich zufrieden mit der neuen Ausrichtung und waren bereit, einzelne Punkte, mit denen sie nicht einverstanden waren, in Kauf zu nehmen. Allein SVP-Parteipräsident Toni Brunner (SG) kritisierte die Gesetzesrevision fundamental: Erneut sei die Ökologisierung gegenüber der produzierenden Landwirtschaft stärker gewichtet worden. Die Extensivierung werde weiter ausgebaut und die Nahrungsmittelproduktion damit zunehmend ins Ausland verlagert. Brunner warnte davor, den Selbstversorgungsgrad in der Schweiz weiter sinken zu lassen: Angesichts der internationalen Lebensmittelskandale, welche man in jüngster Zeit erlebt habe (vgl. unten, „Revision Lebensmittelgesetz“), sei die Förderung einer solchen Entwicklung unvorsichtig. Mit Ausnahme eines BDP-Parlamentariers war die SVP die einzige Fraktion, welche grossmehrheitlich gegen die Verabschiedung der Vorlage stimmte: Die neue Agrarpolitik passierte den Nationalrat mit 141 zu 41 Stimmen. Der Ständerat akzeptierte die behandelte Vorlage einstimmig mit zwei Enthaltungen
[6].
In der Zivilgesellschaft wurde die neue Agrarpolitik grundsätzlich positiv aufgenommen. Einzig einige betroffene Interessengruppen äusserten Kritik: So bedauerten etwa die Fédération suisse du franches-montagnes (FM) und die Fédération d’élevage du cheval de sport CH (FECH) den Entscheid, die Freiberger Pferde nicht durch Importkontingente zu schützen. Der Dachverband des Handels (Handel Schweiz) beanstandete die fortwährende Subventionierung der Landwirtschaft, während der Schweizerische Getreideproduzentenverband (SGPV) im Gegenteil befürchtete, dass Grosskultur-Betriebe wie etwa Raps-, Sonnenblumen- oder Getreideproduzenten nicht mehr genügend unterstützt würden und es deshalb vermehrt zu Importen kommen werde. Im Sommer wurde von der Kleinbauern-Vereinigung eine Petition mit 16 000 Unterschriften zur Stärkung kleiner und mittlerer Bauernbetriebe eingereicht: Der Verein fürchtete, dass wegen der Neuberechnung der Standardarbeitskraft (SAK) viele Höfe weniger oder gar keine Direktzahlungen mehr erhalten würden. Die Thematik war im Parlament nicht behandelt worden; der Bundesrat hatte aber in der Botschaft zur Agrarpolitik festgehalten, dass er die Definitionsmerkmale für eine SAK strenger gestalten wolle, um dem technischen Fortschritt der letzten Jahre gerecht zu werden. Da sich während der Vernehmlassung zu den Verordnungen offenbar auch andere Interessengruppen kritisch zu dieser Anpassung geäussert hatten, beschloss der Bund, vorerst darauf zu verzichten: Man wollte stattdessen die Ergebnisse eines Berichts abwarten, der die Zweckmässigkeit und Präzision der Einheit SAK grundsätzlich reflektieren und eventuelle Alternativen aufzeigen soll. Der Genfer Winzer Willy Cretegny beschloss zusammen mit der welschen Bauerngewerkschaft Uniterre, das Referendum gegen die Agrarpolitik zu ergreifen. Die Landwirtschaftskammer des Schweizerischen Bauernverbands (SBV) entschied jedoch, auf ein Referendum zu verzichten. Cretegny schaffte es denn auch nicht, die benötigten Unterschriften innerhalb der Sammelfrist zusammenzutragen
[7].
Drei Wochen nach Abschluss der Ratsberatungen präsentierte das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) das zur neuen Agrarpolitik gehörende
Verordnungspaket, welches 350 Seiten umfasste. Nach Ablauf der Vernehmlassungsfrist waren über 300 Stellungnahmen eingegangen. Generell gelobt wurden die Zusammenfassung verschiedener Verordnungen in einer totalrevidierten Direktzahlungsverordnung sowie die klare Zielausrichtung des neuen Direktzahlungssystems. Die Kritikpunkte unterschieden sich je nach politischer Gesinnung, respektive je nach Prioritätensetzung bei den verschiedenen Zielen der Landwirtschaftspolitik: Die SVP, der SBV und andere bäuerliche Gruppierungen bemängelten etwa die ihrer Ansicht nach zu schwache Gewichtung der Versorgungssicherheit und verlangten mehr Beiträge für Futter- und Brotgetreide. SP, Grüne und Umweltverbände hingegen wünschten mehr Leistungen für Umwelt- und Tierschutzziele. Von Seiten direktbetroffener Verbände und Branchenorganisationen sowie von SBV, SGV und den Kantonen wurde zudem der mit der neuen Regelung einhergehende administrative Aufwand kritisiert. Dem widersprach jedoch die Economiesuisse: Laut ihrer Einschätzung sei der Aufwand vertretbar angesichts der Zielgenauigkeit des neuen Direktzahlungssystems. Nachdem das BLW nochmals einige Änderungen vorgenommen hatte, verabschiedete der Bundesrat im Oktober die Verordnungen: Die neue Agrarpolitik wird damit ab dem 1. Januar 2014 in Kraft treten
[8].
Im Herbst und Winter 2013 wurden
zwei Initiativen aufgegleist, die als Reaktionen auf die revidierte Agrarpolitik sowie die internationalen Lebensmittelskandale (vgl. unten, „Revision Lebensmittelgesetz“) interpretiert werden können: Die Grüne Partei Schweiz stellte ein Anliegen vor, welches die Importstandards für Futter- und Lebensmittel erhöhen will: Eingeführt werden soll laut dieser Initiative nur noch, was mindestens schweizerischen Qualitäts-, Umwelt- und Tierschutzkriterien entspricht. Damit steht die Förderung lokaler und saisonaler Produkte sowie des fairen Handels im Zentrum. Die andere Initiative stammt aus Kreisen von SVP und Bauernverband (SBV): Sie soll die inländische Produktion stärken und so die Versorgungssicherheit der Bevölkerung besser gewährleisten. SVP und SBV konnten sich lange nicht auf einen gemeinsamen Initiativtext einigen und verfolgten deshalb zu Beginn je eigenständige Projekte mit ähnlichen Stossrichtungen. Grund für diese Doppelspurigkeiten war, dass der SBV die Forderungen der SVP als zu radikal empfand: Nationalrat Rudolf Joder (svp, BE) hatte in dem von ihm vorgeschlagenen Text einen konkreten Selbstversorgungsgrad von 60% verankert, zudem wollte er ein Verbot künftiger Agrarfreihandelsabkommen erwirken. Obwohl der SBV grundsätzlich sowohl mit der Erhöhung der Selbstversorgung als auch der Verhinderung von Freihandelsabkommen im Bereich der Landwirtschaft einverstanden war, fand er die Festschreibung dieser Forderungen in der Verfassung übertrieben und verblieb mit seinem Text bei vageren Formulierungen. Von Aussenstehenden wurde die Kontroverse zwischen den beiden Vertretern bäuerlich-konservativer Gruppen auch als Machtkampf gedeutet: Die SVP wolle nach ihrer letztjährigen Niederlage bei der Neubesetzung des SBV-Präsidiums ihren Einfluss in diesem Bereich zur Geltung bringen. Im Dezember fand man nach längeren Verhandlungen schliesslich zum Kompromiss: Der SBV beschloss, die Initiative der SVP mitzutragen unter der Bedingung, dass die SVP den Prozentsatz zur Selbstversorgung aus dem Text streicht, wozu sich die Partei schliesslich bereit zeigte. Verschiedene Interessengruppen nahmen bereits Stellung zum Initiativvorhaben: Das Konsumentenforum (kf) kritisierte, dass eine solche Verfassungsänderung die Lebensmittel verteuern und Konsumenten bevormunden würde. Auch die Economiesuisse stellte sich gegen die Initiative: Die Vorstellung einer autarken Schweiz sei ein Mythos, von dem man sich zu verabschieden habe. Versorgungssicherheit werde nicht durch Abschottung erreicht, sondern durch effiziente landwirtschaftliche Produktion und gute Handelsbeziehungen
[9].
Die kleine Kammer beschäftigte sich auch 2013 mit den
Konsequenzen eines allfälligen Agrar- und Lebensmittel-Freihandelsabkommens mit der EU. Eine 2012 vom Nationalrat angenommene kantonale Initiative Waadt, welche den sofortigen Abbruch der Verhandlungen verlangt hatte, wurde abgelehnt. Erfolg hatte hingegen eine Motion der nationalrätlichen Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK), die – ebenfalls 2012 von der grossen Kammer angenommen – den Bundesrat zu einem Bericht über die möglichen Folgen einer Öffnung des Marktes für Milchprodukte gegenüber der EU verpflichten will. Die Ständeräte Baumann (cvp, UR) und Graber (cvp, LU) hatten vergeblich dagegen argumentiert, dass eine ähnliche Motion im vorigen Jahr abgelehnt worden sei. Auch seien die Auswirkungen auf den Schweizer Markt bereits absehbar: Es werde zu einer Schwemme von ausländischer Milch kommen, was die inländischen Produzenten stark unter Druck setzen werde. Des Weiteren würden die hohen Produktionskosten in der Schweiz und die Währungsproblematik die Chancen im Exportbereich minimieren. Mit einem Stimmenverhältnis von 16 zu 14 wurde die Ausarbeitung des Berichts definitiv in Auftrag gegeben
[10].
Der Ständerat entschied in der Frühjahrssession, eine abgeschwächte Version der Motion von Siebenthal aus dem Nationalrat anzunehmen: Statt der Forderung nach Wiederherstellung von durch
Verbuschung und Verwaldung verlorener landwirtschaftlicher Nutzfläche, verlangte er Massnahmen zur Erhaltung des zurzeit noch existierenden Kulturlandes. Bundesrat Schneider-Ammann zeigte sich zwar erfreut darüber, dass die Ratsmitglieder den seiner Meinung nach finanziell überzogenen Anspruch des Nationalrats minderten, betonte aber gleichzeitig, dass schon genügend Vorkehrungen gegen die Ausdehnung der Waldfläche getroffen worden seien: Man denke etwa an die parlamentarische Initiative „Flexibilisierung der Waldflächenpolitik“, an die mit der Agrarpolitik neu eingesetzten Kulturlandbeiträge oder an die erhöhten Beiträge für Landwirtschaftsbetriebe mit einem grossen Anteil an Steillagen. Auch in der grossen Kammer brachte er diese Bedenken nochmals vor, wenngleich chancenlos: Eine deutliche Mehrheit, bestehend aus den Fraktionen der Christdemokraten, der Grünen und der SVP sowie Grossteilen der FDP und BDP beschloss, ihrer Kommissionsmehrheit zu folgen: Diese hatte geltend gemacht, dass das Greifen der vom Bundesrat genannten Instrumente sowie das allgemeine Funktionieren des Vollzugs noch nicht ersichtlich seien und man die Motion in der vom Ständerat vorgelegten Fassung deswegen annehmen solle
[11].
In der Sommersession überwies die grosse Kammer diskussionslos ein Postulat von Siebenthal (svp, BE). Der Bundesrat wird beauftragt, eine Umteilung von gewissen
Vorsassen (auch bekannt als „Maiensässe“, eine Weidenart auf mittlerer Höhe, welche von Bergbauern im Vorsommer als Zwischenstation bei der Alpauffahrt benutzt wird, bevor das Vieh dann im Juni auf die Alp zieht) vom Sömmerungs- in das Berggebiet zu überprüfen. Bei der 1999 vorgenommenen Zuweisung von privaten Vorsassen als Berggebiet und gemeinschaftsweidebetriebenen Vorsassen als Sömmerungsgebiet habe man eine spezielle Art der Vorsassen-Bewirtschaftung nicht berücksichtigt: Es würden Vorsassen existieren, die zwar im Besitz von Gemeinschaftsweidebetrieben seien, deren Betreuung aber durch die der Gemeinschaft angehörigen Landwirte auf eigene Rechnung und Gefahr vorgenommen würde. Der Postulant schlug deshalb vor, dass diese Wiesen und Weiden dem Berggebiet zugeordnet und anteilsmässig den bewirtschaftenden Betrieben als landwirtschaftliche Nutzfläche angerechnet werden sollten. So könne die derzeit herrschende Ungleichbehandlung aufgehoben werden
[12].
[1] Mo. 12.3988:
AB NR, 2013, S. 655 ff.; vgl.
SPJ 2012, S. 190; vgl. auch
AB NR, 2012, S. 1510 ff.
[2] Mo. 12.3990:
AB NR, 2013, S. 657; vgl.
SPJ 2012, S. 192.
[3] Pa.Iv. 08.457:
AB NR, 2013, S. 657;
BBl, 2013, S. 2498; Kommissionsbericht WAK-NR vom 25.2.13; vgl.
SPJ 2012, S. 191.
[4] Mo. 13.3657:
AB SR, 2013,
S. 874 f.
[5]
Lit. Bundesamt für Landwirtschaft a.
[6] BRG 12.021:
AB NR, 2013, S. 102 ff., 357 f., 537 f.;
AB SR, 2013, S. 154 ff., 367; vgl.
SPJ 2012, S. 192.
[7]
QJ, 20.3.13;
BZ, 11.4.13;
NZZ, 27.4.13;
Lib, 30.4.13;
BaZ, 25.6.13;
BZ, 13.7.13
.
[8]
Lit. Bundesamt für Landwirtschaft b;
NZZ, 9.4. und 22.6.13;
TA, 3.7.13;
NZZ, 24.10.13.
[9]
TA, 16.8.13;
NZZ, 21.9.13;
Lib, 16.10.13; Presse vom 5.11. und 6.11.13;
SGT, 9.11.13;
Blick, 21.11.13;
LZ, 21.11.13;
NZZ, 10.12. und 16.12.13; vgl.
SPJ 2012, S. 434; vgl. auch Teil III a (SVP) und b (Landwirtschaft).
[10] Kt.Iv. 12.300 und Mo. 12.3665:
AB SR, 2013, S. 357 f.; vgl.
SPJ 2012, S. 195 und S. 198.
[11] Mo. 10.3404:
AB SR, 2013, S. 170;
AB NR, 2013, S. 1678 f.; vgl. auch Pa.Iv. 09.474; BRG 12.021;
SPJ 2012, S. 195 f.
[12] Po. 13.3221:
AB NR, 2013, S. 1186.
Copyright 2014 by Année politique suisse