Année politique Suisse 2013 : Enseignement, culture et médias / Culture, langues, églises
 
Kirchen und religionspolitische Fragen
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Religions- und gesellschaftspolitische Fragen
Nach der knappen Ablehnung der parlamentarischen Initiative Glanzmann-Hunkeler (cvp, LU) im Vorjahr, beschäftigte sich das Parlament im Berichtsjahr erneut mit der Frage betreffend die Präsenz von religiösen Symbolen im öffentlichen Raum. In Form eines Postulats forderte Thomas Aeschi (svp, ZG) vom Bundesrat, den Regelungsbedarf in dieser Angelegenheit darzulegen. Konkret verlangte der Postulant eine Stellungnahme zum Aufhängen von Kreuzen und anderen religiösen Symbolen sowie zum Tragen religiöser Zeichen in öffentlichen Gebäuden. Betreffend Letzteres ist der Bundesrat angehalten, eine differenzierte Betrachtung zwischen dem Tragen kleinerer religiöser Zeichen wie Halsschmuck sowie grösserer religiöser Zeichen wie Kopfbedeckungen oder Ganzkörperbekleidung wie dem Habit anzustellen. Darüber hinaus äusserte sich der Postulant kritisch zur Erhebung der Kirchensteuer für juristische Personen und verlangte eine Überprüfung der Vereinbarkeit kantonaler Regelungen mit dem eidgenössischen Steuerharmonisierungsgesetz. Während der Bundesrat es als notwendig erachtete, Fragen zur Präsenz und Bedeutung von religiösen Symbolen im öffentlichen Raum in einem Bericht zu klären, stellte er sich gegen eine Stellungnahme zur Angemessenheit der Kirchensteuererhebung bei juristischen Personen. Das Einziehen dieser Steuer falle in die Kompetenz der Kantone und sei demzufolge auf dieser Entscheidungsebene zu behandeln. Das Parlament folgte der Empfehlung des Bundesrates und lehnte dieses Anliegen ab. Die anderen beiden Punkte des Vorstosses wurden diskussionslos angenommen und überwiesen [31].
Die vom Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut (SPI) herausgegebene Kirchenstatistik 2013 ortete eine Stagnation der absoluten Anzahl Katholiken bei 3 Mio. Anhängern, was die Autoren in erster Linie auf die Einwanderung zurückführten. Hiervon habe die römisch-katholische Kirche deutlich mehr profitiert als die evangelisch-reformierte. In relativen Zahlen schrumpfte der Anteil Katholiken in den letzten vier Jahrzehnten von 49% auf 38%, derjenige der Reformierten denn auch von 46% auf 28%. Gut ein Fünftel der in der Schweiz lebenden Bevölkerung gehörte im 2011 keiner Konfession mehr an. Gemäss Studie lassen sich noch ein Drittel aller römisch-katholischen sowie beinahe die Hälfte der evangelisch-reformierten Eheleute kirchlich vermählen [32].
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Landeskirchen
Mehr als 500 Seelsorger und Sympathisanten überbrachten Mitte Januar dem Bistum Chur eine Erklärung zur im Vorjahr von Seelsorgern der Bistümer Basel, Chur und St. Gallen lancierten Pfarrei-Initiative, worin sich die Unterzeichnenden für eine liberale Kirchenpraxis aussprechen und zum Ungehorsam gegen die Kirchenführung in Rom aufrufen. Die Abwesenheit des Churer Bischofs Huonder bei der Übergabe der von ihm geforderten Erklärungen sowie die durch den Generalvikar erfolgte Verteilung von USB-Sticks mit wesentlichen Lehrsätzen der katholischen Kirche stiessen bei den Auflehnenden auf Abneigung. Während Huonder in einer Stellungnahme kundtat, die Initiative sei nicht mit der katholischen Lehre vereinbar und wer nach ihren Prinzipien leben wolle, solle dies nicht länger im Auftrag der Kirche tun, legten die Bischöfe der Bistümer Basel und St. Gallen trotz Ablehnung des Anliegens durch die Schweizerische Bischofskonferenz (SBK) eine höhere Bereitschaft zum Dialog an den Tag. Felix Gmür, Bischof des Basler Bistums, traf sich im Frühjahr mit über 230 Seelsorgern und teilweise Unterzeichnern der Initiative und beschloss die Weiterführung der Gespräche unter dem Titel „Pastoraler Entwicklungsplan im Dialog“. Im Juli wurden die drei Bischöfe aufgrund der mittlerweile durch über 540 Seelsorger und 1000 Sympathisanten unterzeichneten Pfarrei-Initiative nach Rom geladen, wo die Verbindlichkeit der katholischen Lehre wie sie in den Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils festgehalten ist, bekräftigt wurde. Somit stelle sich die Kirche explizit gegen die Ausübung kirchlicher Dienste durch Laien wie auch gegen die Aufhebung des Zölibats, was zwei zentralen Forderungen der Initiative entspreche, liess das Bistum Chur verlauten. Im Bistum Basel indes versicherte man die Fortsetzung des im Frühjahr lancierten Dialogs. In beiden Basel sind darüber hinaus zwei Gleichstellungsinitiativen hängig, welche die Aufhebung des Zölibats und die Zulassung von Frauen zum Priesteramt fordern. In Kritik geriet der Churer Bischof Vitus Huonder im Berichtsjahr des Weiteren durch einen rund zehnminütigen Beitrag in der „Rundschau“ des SRF zum Umgang des Bistums mit der Pfarrei-Initiative. Huonder kritisierte die Sendung daraufhin stark wegen in Umlauf bringen von Falschmeldungen und legte Beschwerde ein. Konkret wehrte er sich gegen die Darstellung, bei der Pfarrei-Initiative handle es sich um einen von ihm alleine geführten Kampf sowie gegen die Aussage, er sei aufgrund seines Führungsstils nach Rom berufen worden. SRF wies die Vorwürfe zurück. Man habe mehrmals vergeblich versucht, Bischof Huonder zu einer Stellungnahme zu bewegen und der Fokus auf Huonder erkläre sich mit der geringen Gesprächsbereitschaft des Bischofs im Gegensatz zu den anderen beiden betroffenen Bischöfen. Im Mai gab die SRG-Ombudsstelle Huonder jedoch in beiden Punkten recht [33].
Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der öffentlich-rechtlichen Anerkennung der Zürcher Katholiken durch den Kanton wurde die Kirchenführung des Bistums Chur vom Zürcher Justizdirektor Martin Graf (ZH, gp) beanstandet. Graf bezeichnete den Churer Bischof wegen dem Festhalten am Zölibat, der Verweigerung der Priesterweihe für Frauen und der Wiederverheiratung von geschiedenen Personen sowie der Nichtanerkennung gleichgeschlechtlicher Paare als rückständig und dessen Positionen als den Grundrechten widersprechend. Im Sommer brachten die Zürcher Katholiken ein altes Begehren wieder auf den Tisch und forderten durch die erneute Einreichung eines Gesuchs bei der Schweizerischen Bischofskonferenz (SBK) die Ablösung von Chur und die Schaffung eines Bistums Zürich. Als Auslöser für die Wiederbelebung des zum letzten Mal in den späten 80er Jahren diskutierten Anliegens wurde unter anderem die aktuelle Kirchenführung durch Bischof Huonder genannt. Letzterer zeigte sich im Dezember grundsätzlich offen für die Gründung eines Zürcher Bistums. Im Frühjahr des kommenden Jahres will er in Gesprächen mit dem Apostolischen Nuntius und den Zuständigen in Rom die Lage abschliessend beurteilen [34].
Im Juni gab der Evangelische Kirchenbund (SEK) einen Vorentwurf zur Neustrukturierung der evangelischen Kirche bis Ende November in die Vernehmlassung. Um den Mitgliederschwund aufzuhalten, soll anstelle der Dachorganisation SEK eine nationale Evangelische Kirche in der Schweiz (EKS) mit dem Ziel „Einheit in der Vielfalt“ gegründet werden. Eine einmal jährlich tagende, von den kantonalen Synoden gewählte, nationale Synode soll neu gemeinsame Positionen und Strategien verabschieden. Ein neunköpfiger Rat als Exekutive sowie ein Ratspräsident, der mit gewissen bischofsähnlichen Aufgaben betraut wäre, soll die dreigliedrige Kirchenleitung komplettieren. Erste, im November bekannt gewordene Positionen einzelner Kantonalkirchen äusserten ihre grundsätzliche Unterstützung zur Schaffung von mehr Einheit. Letzteres solle jedoch eher in Form eines „Staatenbundes“ realisiert werden. Den Verfassungsentwurf lehnten verschiedene Kantonalkirchen aus Angst vor übermässiger Zentralisierung ab. Der Vernehmlassungsbericht wird im Frühjahr 2014 folgen [35].
Im Jahr ihres 150-jährigen Bestehens bemühte sich die Schweizerische Bischofskonferenz um Einheit. In einem Vademecum für die Zusammenarbeit der katholischen Kirche und staatskirchenrechtlichen Körperschaften in der Schweiz erinnerte sie die Körperschaften an ihre Funktion als kirchenstaatliche Administrationen. In diesem Sinne sei eine Bezeichnung von Körperschaften als Landeskirchen oder Kantonalkirchen nicht zulässig, da es nur eine katholische Kirche gebe. Das Bistum Chur liess verlauten, eine klare Abgrenzung zwischen Kirche und Körperschaften sei gerade im Hinblick auf aktuelle Geschehnisse wie die Pfarrei-Initiative und kantonale Bestrebungen zur Abschaffung der Kirchensteuer für juristische Personen zentral. Des Weiteren bemängelten die Schweizer Bischöfe die Befristung der Amtszeit resp. die Wiederwahl von Pfarrern in einigen Körperschaften. Der Bischof setze einen Pfarrer auf unbestimmte Dauer ein und eine Widerhandlung gegen diese Ernennung sei als unzulässiger Verstoss gegen die Religionsfreiheit zu werten. Dies und die Vorschläge der SBK, Schweizer Bischöfe bei der Verteilung der Kirchensteuern wie auch bei der Wahl von Gemeindeleitern stärker miteinzubeziehen, provozierten ablehnende Reaktionen von Seiten der Körperschaften und Initianten der Pfarrei-Initiative [36].
Den Tag der internationalen Menschenrechte vom 10. Dezember wurde auch von Kirchenvertretern zur Verbreitung ihrer Positionen genutzt. Während Bischof Huonder bereits im Vorjahr in einem Hirtenbrief geltend gemacht hatte, geschiedene Wiederverheiratete seien von den Sakramenten auszuschliessen, denunzierte er im aktuellen Jahr als „Wort zum Tag der Menschenrechte“ den Genderismus und gleichgeschlechtliche Paarbeziehungen. Unter anderem kritisierte Huonder die laufenden Bemühungen zur Ermöglichung von Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare; eine solche „zerstöre die Grundlage einer gesunden psychischen Entwicklung“ der adoptierten Kinder. Dass gerade am Tag der Menschenrechte ein Geistlicher solch diskriminierende Äusserungen verlauten liess, verurteilte die Interessengruppe für eine vernünftige Sexualkunde aufs Schärfste. Die SBK, der Evangelische Kirchenbund und die Christkatholische Kirche lancierten ihrerseits zum Tag der Menschenrechte eine Petition, die den Bundesrat zur verstärkten Unterstützung bedrohter Christen und zur Erhöhung der finanziellen Mittel für die Förderung des interreligiösen Friedens aufforderte [37].
Die Kirchensteuer für juristische Personen gelangte auch im Berichtsjahr auf die politische Agenda einzelner Kantone. In den Kantonen Graubünden und Zürich stehen Abstimmungen zu Volksinitiativen bevor, welche die Aufhebung dieser Steuer fordern. Darüber hinaus gab die Staatskanzlei des katholisch geprägten Kantons Nidwalden im Juni des Berichtsjahrs das Zustandekommen eines ähnlich lautenden Volksanliegens bekannt. Ende Jahr zogen die Initianten ihr Anliegen jedoch wieder zurück, mit der Begründung, im Moment könne im Kanton keine Mehrheit für das Begehren gefunden werden [38].
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Andere Religionen
Das Treffen einer von der Rektorenkonferenz der Universität geleiteten Arbeitsgruppe förderte im März zu Tage, dass die Ausbildung von Imamen in der Schweiz in einem ersten Schritt am ehesten als Weiterbildung auf Hochschulstufe erfolgen könnte. Im November wurden Pläne zur Schaffung solcher Weiterbildungsmöglichkeiten am neuen Zentrum für islamische Religion und Gesellschaft der Universität Freiburg bekannt. Ein im 2009 veröffentlichter Schlussbericht des Nationalen Forschungsprogramms „Religionsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft“ wie auch die im Berichtsjahr publizierte bundesrätliche Untersuchung zur Situation der Muslime in der Schweiz kamen zum Schluss, dass sich die Ausbildung von Imamen mit Kenntnissen der gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Verhältnisse der Schweiz integrationsfördernd auswirken könnte [39].
In Erfüllung dreier nach Annahme der Minarett-Initiative überwiesener Postulate präsentierte der Bundesrat im Mai einen umfassenden Bericht zur Situation der Muslime in der Schweiz. Das 100 Seiten umfassende Dokument bietet sowohl eine Datengrundlage zur Präsenz von Muslimen in der Schweiz wie auch einen Überblick über Berührungspunkte und mögliche Spannungsfelder zwischen Staat und Religion sowie eine Auflistung wirksamer Massnahmen zur Verbesserung der Integrationsbemühungen. Laut Bericht leben zwischen 350 000 und 400 000 Muslime in der Schweiz, wovon ein Drittel über das Schweizer Bürgerrecht verfüge. Der Islam in der Schweiz sei geprägt von einer Vielzahl schwach vernetzter Gruppierungen, deren Mitglieder im Unterschied zu den Muslimen im restlichen Westeuropa grösstenteils aus der Türkei und dem Westbalkan stammen und somit aufgrund ihrer Herkunft eher mit der hiesigen Gesellschafts- und Rechtsordnung vertraut seien als Muslime arabischen oder asiatischen Ursprungs. Von den zwölf bis fünfzehn Prozent der Muslime, die ihren Glauben tatsächlich praktizieren, täten dies vier Fünftel ohne Kollision mit den in der Schweiz geltenden gesellschaftlichen Gepflogenheiten. Aufgrund dieser Befunde sah der Bundesrat keine Gefahr für die Entstehung sogenannter Parallelgesellschaften und verurteilte die teilweise undifferenzierte und oft verletzende negative Haltung gegenüber Muslimen im öffentlichen Diskurs und in den Medien. Die Ergebnisse der Studie würden nicht darauf hindeuten, dass Massnahmen zum Abbau religiöser Differenzen zu einer verbesserten Integration führen würden; vielmehr bedürfe es der Überwindung von Sprachbarrieren. Der Bundesrat erachtete die Postulate somit als erfüllt und beantragte dem Parlament deren Abschreibung [40].
Für Aufruhr sorgte im Sommer ein Bundesgerichtsentscheid, der zwei Schülerinnen mazedonischer Herkunft Recht gab und damit das von der Thurgauer Sekundarschule verhängte Kopftuchverbot im Schulunterricht im konkreten Fall als unzulässig erklärte. Kantonale CVP- und SVP-Sektionen reagierten postwendend mit der Einreichung von parlamentarischen Vorstössen oder erwogen gar die Lancierung von Volksbegehren für generelle Kopftuchverbote auf kantonaler Ebene. Zur Frage, ob ein solches Verbot an Schulen mit der Bundesverfassung vereinbar wäre, äusserte sich das Bundesgericht nicht [41].
Zur Tessiner Burka-Initiative und weiteren Vorstössen betreffend Vermummungsverbote siehe oben, Teil I, 1b (Grundrechte).
 
[31] Po. 13.3672: AB NR, 2013, S. 2206; vgl. SPJ 2012, S. 349. Zu kantonalen Anliegen zur Abschaffung der Kirchensteuer für juristische Personen, siehe unten (Landeskirchen).
[32] NZZ, 23.11.13; Lit. SPI.
[33] LZ, 5.1., 9.1., 14.1., 25.2., 24.5., 30.3., 3.6., 14.6. und 2.7.13; NZZ, 9.1. und 15.5.13; SoS, 14.1., 15.1., 25.2. und 15.5.13; vgl. SPJ 2012, S. 349 f.
[34] LZ, 3.6.13; SoS, 17.9., 21.11 und 14.12.13; NZZ Online, 18.9.13; vgl. SPJ 1990, S. 271.
[35] NZZ, 5.6.13; TA, 7.11.13.
[36] LZ, 26.8. und 3.10.13; NZZ, 26.8. und 27.8.13.
[37] NZZ, 7.12.13; LZ, 9.12.13; SoS, 10.12. und 11.12.13; vgl. SPJ 2012, S. 349.
[38] NZZ, 11.5.13; NWZ, 28.6. und 24.12.13; TA, 17.8.13; SoS, 22.10.13.
[39] NZZ, 16.3. und 21.11.13. Zum Bericht des Bundesrates, siehe unten.
[40] AZ und LT, 10.5.13; Medienmitteilung BR vom 8.5.13; Bericht des Bundesrates; vgl. SPJ 2010, S. 293.
[41] Presse vom 12.7.13; TA, 29.7.13; BaZ, 13.8.13.