Année politique Suisse 1981 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
Strafrecht
Der Fortgang der Revision des Strafrechts hat zu ganz ungleichartigen Frontbildungen geführt. Während die Vorschläge der Kommission Schultz zur Reform der sexualrechtlichen Normen eine breite konservative Opposition herausforderten — wir kommen in anderem Zusammenhang darauf zurück
[33] —, verhärtete sich der Widerstand von links gegen die von der gleichen Expertenkommission vorbereitete
Verschärfung der Bestimmungen gegen Gewaltverbrechen. Nachdem der Nationalrat den Empfehlungen der Experten weitgehend zugestimmt hatte, tat dies nun — trotz Einwänden der Sozialdemokraten — auch der Ständerat, allerdings mit einigen Milderungen und Präzisierungen. Im Differenzenbereinigungsverfahren schloss sich die grosse Kammer im wesentlichen der kleinen an
[34]. Schon vor dem Ende der parlamentarischen Beratungen hatte jedoch der Vorstand der SPS ein Referendum angekündigt und sich vor allem dagegen gewandt, dass die Vorbereitung bestimmter Verbrechen und die öffentliche Aufforderung zu gewalttätigen Vergehen strafbar erklärt würden; dies verleite zu polizeilicher Willkür und Gesinnungsschnüffelei
[35]. Es bildete sich auch ein Referendumskomitee aus verschiedenen kleineren Linksgruppen, die 1978 die Busipo-Vorlage bekämpft hatten
[36]. Wirksame Verstärkung erhielten die Opponenten durch einen entsprechenden Entscheid der Delegierten des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, der sich seinerzeit gegenüber der Busipo neutral verhalten hatte; hier wurde befürchtet, dass gewerkschaftliche Kampfmassnahrnen kriminalisiert werden könnten, was von Befürwortern der Vorlage bestritten wurde
[37]. Die neuen Strafrechtsartikel stiessen aber auch in bürgerlichen Kreisen auf Gegner. So riefen die Jungliberalen zu einer bürgerlichen Referendumsaktion auf, der sich die Junge SVP und der St. Galler Landesring anschlossen
[38]. Ausserdem versuchte der Tessiner Grosse Rat das Kantonsreferendum zu aktivieren und erliess einen Appell für den Zusammenschluss der für eine solche Aktion nach der Verfassung erforderlichen acht Stände
[39].
Angesichts neuer Selbstmordfälle in Strafanstalten wurde nach einer Intensivierung der psychologischen Betreuung der Häftlinge gerufen. Dass diese in der Regel besonderen Fachleuten vorbehalten bleibt, gab in Kreisen des Bewachungspersonals Anlass zur Forderung, an den Betreuungsaufgaben beteiligt zu werden
[40]. Um über die Einrichtungen und Wirkungen des Strafvollzugs eine bessere Ubersicht zu gewinnen, verordnete der Bundesrat die Durchführung von statistischen Probeerhebungen. Sodann wurde eine Schweizerische Stiftung für die Hilfe an Straffällige und ihre Familien gegründet, die den Häftlingen und den Entlassenen mit zinslosen Darlehen aus finanzieller Verschuldung heraushelfen und damit ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft erleichtern soll. Um die Resozialisierung schon in der Gefangenschaft zu fördern, schlug der Verein zur Abänderung der Strafpraxis, eine Gefangenengewerkschaft, die Bildung von Wohngemeinschaften im Strafvollzug vor
[41].
Durch Nachgeben des Ständerates bei letzten Differenzen konnte das vom Bundesrat 1976 vorgelegte Gesetz über
internationale Rechtshilfe in Strafsachen endlich verabschiedet werden. Die Schweiz sieht sich nun in der Lage, mit anderen Staaten auch über die Zusammenarbeit bei Fällen von Steuerbetrug vertragliche Vereinbarungen zu treffen. Im Vordergrund stehen zwei Konventionen des Europarates, denen erst wenige Staaten beigetreten sind
[42]. Am Schweizerischen Juristentag wurden die Probleme der internationalen Rechtshilfe aus der unterschiedlichen Sicht des EJPD und des Rechtskonsulenten einer Grossbank beleuchtet. Dabei trat nicht zuletzt die Spannung zwischen der von der Schweiz bezeugten Kooperationsbereitschaft bei der Verbrechensbekämpfung und ihrer Zurückhaltung gegenüber einer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit im Steuerbereich zutage
[43].
[33] Vgl. unten, Teil I, 7d (Familienpolitik) sowie SPJ, 1980, S. 21.
[34] Amtl. Bull. StR, 1981, S. 273 ff, 372 ff. u. 434 f.; Amtl. Bull. NR, 1981, S. 958 ff., 1184 f. u. 1391; BBl, 1981, III, S. 231 ff. Vgl. SPJ, 1980, S. 20 f. Vom StR wurde z.B. statt öffentlicher Aufforderung zur «Gewalttätigkeit» nur öffentliche Aufforderung zu «Vergehen mit Gewalttätigkeit » strafbar erklärt. Die SP-Vertreter stimmten zum Teil gegen die Revision, zum Teil enthielten sie sich der Stimme (TA, 235, 10.10.81).
[35] TW, 214, 14.9.81. Der Parteitag der SPS billigte am 17./18.11. einhellig den Referendumsantrag (Suisse, 292, 19.10.81).
[36] NZZ, 235, 10.10.81. Beteiligt waren u.a. die Jungsozialisten, die SAP, die POCH und die nationale Koordination der AKW-Gegner (vgl. auch Woche, 8, 30.10.81).
[37] Presse vom 13.10.81; vgl. auch Woche, 8, 30.10.81; NZZ, 253, 31.10.81; 24 Heures, 254, 2.11.81; Gewerkschaftliche Rundschau, 73/1981, S. 345 ff. Der SGB arbeitete mit der SPS und den Demokratischen Juristen der Schweiz zusammen, nicht aber mit den übrigen Linksgruppen.
[38] Jungliberale und Junge SVP: Woche, 10, 13.11.81; BaZ, 272, 20.11.81. LdU von SG: SGT, 296, 18.12.81. Vgl. auch Aufruf eines überparteilichen bürgerlichen Komitees (NZZ, 288, 11.12.81).
[40] Selbstmorde: TA, 162, 16.7.81. Betreuung: TLM, 211, 30.7.81. Bewachungspersonal: NZZ, 223, 26.9.81; TA, 231, 6.10.81 (Berufskonferenz der im VPOD organisierten Aufseher und Werkmeister).
[41] Probeerhebungen: AS, 1981, S. 955 ff. Stiftung: NZZ, 168, 23.7.81; TLM, 204, 23.7.81. Wohngemeinschaften: Vat., 33, 10.2.81.
[42] Gesetz: Amtl. Bull. StR, 1981, S. 75 f.; BBl, 1981, I, S. 791 ff; vgl. SPJ, 1976, S. 19; 1980, S. 21. Verträge: BaZ, 166, 20.7.81. Vgl. ferner G. Daetwyler, Der Terrorismus und das internationale Strafrecht (unter Berücksichtigung des neuen Europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus [ETUI von 1977), Zürich 1981.
[43] P. Schmid u.a., «L'entraide judiciaire internationale en matière pénale », in Zeitschrift für schweiz. Recht, N.F., 100/1981, II, S. 247 ff.; W. de Capitani, «Internationale Rechtshilfe. Eine Standortbestimmung», ebenda, S. 305 ff. Vgl. dazu NZZ, 225, 29.9.81.
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