Année politique Suisse 1981 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
 
Wettbewerb
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Kartellgesetz
Die brisantesten wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen werden gegenwärtig in der Frage einer Neuordnung der Wettbewerbspolitik ausgetragen. Um dem für die Marktwirtschaft konstituierenden Element der Konkurrenz zwischen Anbietern von Waren, Dienstleistungen und Kapital grössere Geltung zu verschaffen, hat die Landesregierung nun eine Revision des Kartellgesetzes vorgelegt. Der Zusammenschluss zu Kartellen soll gemäss dem Entwurf zwar erlaubt bleiben, der Missbrauch der Kartellmacht könnte aber strenger geahndet werden. Auf die Einführung einer Preisüberwachung, wie sie die Expertenkommission vorgeschlagen hatte, will der Bundesrat allerdings verzichten. Kampfmassnahmen der Kartelle gegenüber Aussenseitern sollen nur noch dann zulässig sein, wenn diese Behinderungen des freien Wettbewerbs das volkswirtschaftliche Gesamtinteresse nicht verletzen. Zur Ermittlung dieses Gesamtinteresses dient eine Aufaddierung positiver und negativer Auswirkungen (Saldomethode), wobei — dies ist gegenüber dem bestehenden Recht eine Verschärfung — die Tatsache der Wettbewerbsbeschränkung an sich bereits als Negativposten in die Rechnung eingeht. Der Widerstand der Wirtschaft gegen ein griffigeres Kartellrecht bewog den Bundesrat, auf die Integration der Uberwachung in die Verwaltung zu verzichten. Wie bisher soll damit eine nebenamtliche Expertenkommission beauftragt werden, welcher nur ein Empfehlungs-, nicht aber ein Verfügungsrecht zusteht. In seinem Gesetzesentwurf berücksichtigte der Bundesrat somit die meisten Vorbehalte, die der Vorort gegenüber der ursprünglichen Fassung angemeldet hatte. Für den Gewerbeverband geht hingegen die Aufwertung des Wettbewerbsgedankens auch in dieser gemilderten Form noch zu weit [16].
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Detailhandel
Der kleingewerbliche Detailhandel sieht seit Jahren seine Existenz durch die Verkaufs- und Preispolitik der Grossverteiler bedroht. In der Vernehmlassung erntete der Vorentwurf für ein revidiertes Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb (UWG), der unter anderem rechtliche Handhaben gegen die im Gewerbe Anstoss erregenden «Lockvogelpreise» (Verkaufspreise, die aus werbepolitischen Gründen sehr tief angesetzt sind) enthält, bei den grösseren politischen Parteien weitgehend Zustimmung. Ausserst kontrovers fiel hingegen die Reaktion der Wirtschaftsverbände aus. Während der Gewerbeverband, die selbständigen Detaillisten und die Konsumentenverbände den Vorschlag begrüssten, erhob der Vorort prinzipielle Einwände. Seine Opposition richtet sich sowohl gegen die erwähnte Intervention in die Preispolitik als auch gegen die ebenfalls angestrebte Regelung der Nachfragemacht, welche seiner Ansicht nach ins Kartellgesetz gehört. Angesichts dieser Uneinigkeit im bürgerlichen Lager erteilte der Bundesrat dem EVD den Auftrag, innerhalb eines Jahres Antrag zu stellen, ob — und wenn ja in welcher Form — das Revisionsprojekt weiter verfolgt werden soll [17].
Nachdem sich die Republikaner mit ihrer Volksinitiative «gegen das Ladensterben» der Anliegen der Kleinhändler erfolgreich angenommen hatten, wurden nun auch andere bürgerliche Parteien aktiver. Die FDP erarbeitete ein Konzept, welches das Heil der Detaillisten allerdings nicht in staatlicher Intervention, sondern in Selbsthilfe und Kooperation erblickt [18]. Eine Verbesserung seiner Lage verspricht sich der gewerbliche Detailhandel von einer stärkeren Besteuerung der als Genossenschaften organisierten Grossverteiler. Der Nationalrat lehnte zwar die vom Gewerbevertreter Schärli (cvp, LU) eingebrachte Forderung nach einer Minimalsteuer für Grossgenossenschaften ab. In beiden Räten stimmte aber die bürgerliche Mehrheit einer von der zuständigen Nationalratskommission ausgearbeiteten Motion zu, worin die Revision der Berechnungsgrundlagen für den steuerbaren Reinertrag der Genossenschaften gefordert wird. Insbesondere sollten Zuwendungen der beiden Grossverteiler Migros und Coop an Institutionen im Bereich von Kultur und Freizeitgestaltung vollständig dem steuerbaren Ertrag zugeschlagen werden. Mit einem Postulat wird zudem angeregt, diese Subventionen auch noch durch die Begünstigten versteuern zu lassen. Das von Vertretern der SP und des Landesring vorgebrachte Gegenargument, dass die den Genossenschaften steuerlich gleichgestellten Kapitalgesellschaften derartige Leistungen als Werbeaufwand und ähnliches deklarieren und ebenfalls nicht voll versteuern, vermochte in den Räten ebensowenig zu überzeugen wie die Tatsache, dass die besonders erfolgreiche Migros-Genossenschaft bereits heute, gemessen am Umsatz, höhere Abgaben entrichtet als die Mehrzahl der andern Detailhandelsgesellschaften [19].
Wie wir bereits in unserem letzten Bericht erwähnt haben, wird die Migros nicht nur von aussen kritisiert. Die im Verein «Migros-Frühling» zusammengeschlossenen oppositionellen Genossenschafter gaben ihren Kampf für eine radikale Veränderung der Konzernpolitik nicht auf und lancierten zwei Genossenschaftsinitiativen. Die eine wollte durch die Einführung des Proportionalwahlrechts in den regionalen Gremien die Einflussmöglichkeiten alternativer Gruppen, welche bei den letzten Wahlen rund einen Fünftel der Stimmen auf sich vereinigt hatten, verbessern. Das andere Begehren strebte den stufenweisen Verzicht auf den Verkauf von Fleisch und Eiern aus industrieller Tierhaltung an [20].
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Konsumentenschutz
Mit der Annahme eines neuen Verfassungsartikels 31sexies BV in der Volksabstimmung konnte der Konsumentenschutz nach langem Ringen einen wichtigen Erfolg erzielen. Die neuen Bestimmungen, welche auf einen Gegenvorschlag des Nationalrats zu einem entsprechenden Volksbegehren zurückgehen, verpflichten den Bund mit einer Generalklausel «unter Wahrung der allgemeinen Interessen der schweizerischen Gesamtwirtschaft und der Handels- und Gewerbefreiheit Massnahmen zum Schutze der Konsumenten» zu treffen. Im Vorfeld der Volksabstimmung wurde der Artikel von der SP, dem LdU, der extremen Linken, den Gewerkschaften und — mit Ausnahme einiger Kantonalsektionen — auch von der CVP und der SVP unterstützt. Dagegen wandten sich der Vorort, die Liberalen, die Republikaner sowie etwas überraschend und gegen den Antrag der Parteiführung die FDP [21]. Das Volksverdikt fiel mit 858 008 Ja: 450 998 Nein deutlich aus; einzig die Bergkantone Al, OW, SZ und VS lehnten die Neuerung ab [22].
Der bundesrätliche Entwurf für ein neues Konsum- und Kleinkreditgesetz ist vom Parlament auch im dritten Jahr nach seiner Veröffentlichung noch nicht beraten worden ; die Volkskammer verschob aus terminlichen Gründen das Geschäft sowohl im Sommer als auch im Herbst auf die jeweils folgende Session. Mit den vor allem von Sozialarbeitern geforderten neuen Bestimmungen will man Konsumenten vor dem Eingehen schwer tragbarer finanzieller Verpflichtungen schützen. Die vorberatende Nationalratskommission pflichtete im grossen und ganzen den Vorschlägen der Exekutive bei, sie beantragt aber doch einige Anderungen. So wird die Kettenverschuldung (d.h. Aufnahme eines Kredits, um einer vorher eingegangenen Verpflichtung nachkommen zu können) nicht gänzlich abgelehnt; der gleiche Kreditnehmer soll gleichzeitig höchstens zwei Darlehen beanspruchen können. Andererseits wird gemäss dem Willen der Kommission die Lohnpfändung bei Rückzahlungsschwierigkeiten nicht mehr gestattet sein [23].
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H.H.
 
[16] BBl, 1981, II, S. 1293 ff.; SPJ, 1979, S. 68 f. ; Schweiz. Handels- und Industrie-Verein (Vorort), Jahresbericht, 1980/81, S. 108 ; SGZ, 40, 1.10.81. Siehe ebenfalls die sehr kartellfreundliche Abhandlung von M. Usteri, Das Verhältnis von Staat und Recht in der schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich 1981 sowie die wirtschaftsliberale Kritik daran in Schweizer Monatshefte, 61/1981, S. 930. Vgl. im weitern E. Homburger / J. Drolshammer, Schweizerisches Kartell- und Monopolrecht, Bern 1981.
[17] SPJ, 1980, S. 59; Amtl. Bull. NR, 1981, S. 1061; Schweiz. Handels- und Industrie-Verein (Vorort), Jahresbericht, 1980/81, S. 109 f.; TA, 77, 2.4.81. Das Bundesgericht entschied, dass aufgrund der bestehenden Rechtslage gegen sogenannte Lockvogelpreise nicht vorgegangen werden kann (NZZ, 109, 13.5.81; 240, 16.10.81). Zur UWG-Revision siehe auch M. Kummer, «Lauterkeitsschutz und Marktwirtschaft», in Schweizer Monatshefte, 61/1981, S. 609 ff. 1981 setzte der Detailhandel real 1,6% weniger um als im Vorjahr (Schweiz. Detaillistenzeitung, 2, 22.2.82).
[18] Initiative: SPJ, 1980, S. 59. FDP: Politische Rundschau, 60/1981, Nr. 2; NZZ, 178, 5.8.81. Der NR überwies ein Postulat, worin ein Bericht über den Strukturwandel im Detailhandel und dessen Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgung sowie eventuell zu ergreifende Massnahmen angeregt werden (Amtl. Bull. NR, 1981, S. 456 ff.) In AG verlangt das Kantonsparlament mit einer Motion die Einführung der Bewilligungspflicht für die Errichtung von Einkaufszentren (AT, 246, 21.10.81).
[19] Amtl. Bull. NR, 1981, S. 456 ff.; Amtl. Bull. StR, 1981, S. 543 ff. Vgl. auch SGT, 61, 14.3.81; W. Biel, Dichtung und Wahrheit — Migros und Steuern, Zürich 1981; SPJ, 1980, S. 59. Ahnliche Interventionen zulasten der Grossgenossenschaften regt auch die SVP mit einem vom NR überwiesenen Postulat an (BaZ, 37, 12.2.81; Amtl. Bull. NR, 1981, S. 870).
[20] NZZ, 63, 17.3.81. Vgl. ebenfalls Bund, 59, 12.3.81 und SPJ, 1980, S. 59 f. sowie unten, Teil I, 4c (Tierische Produktion). Infolge ungenügender Unterschriftenzahl kam keine der beiden Initiativen zustande (NZZ, 6, 9.1.82; 16, 21.1.82).
[21] AS, 1981, S. 1244. Parolen: JdG, 101, 2.5.81; SGT, 117, 21.5.81; NZZ, 132, 11.6.81. Abweichende Kantonalsektionen wiesen auf: CVP (AG, OW, SZ, TG, ZG), SVP (AG, TG, VD, ZH) und FDP (BS, GE, NW, Tl, VS). Vgl. auch SPJ, 1980, S. 60 und Ch. A. Junod, «Liberté économique et protection des consommateurs», in Recht und Prozess als Gefüge, Festschrift für Hans Huber zum 80. Geburtstag, Bem 1981, S. 385 ff.
[22] BBl, 1981, II, S. 1266 8.; Presse vom 15.6.81. Über die Motive der Stimmenden orientiert Vox, Analyse eidgenössischer Abstimmungen, 14.6.81.
[23] TA, 102, 5.5.81; 228, 2.10.81. Vgl. auch NZZ, 15, 20.1.81 und SPJ, 1978, S. 59.