Année politique Suisse 1987 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Strafrecht
Die Ständekammer behandelte als Erstrat die Revision der Bestimmungen über strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Sittlichkeit und gegen die Familie. Sie stimmte der vom Bundesrat vorgeschlagenen Strafbarkeit der Herstellung, Einfuhr und Verbreitung von Darstellungen grausamer Handlungen und sogenannt harter Pornografie zu. Ein Antrag der Kommissionsmehrheit, das Zeigen derartiger Erzeugnisse zumindest im engen Bekanntenkreis nicht zu ahnden, blieb ohne Erfolg. Wesentlich mehr zu reden gab die Ansetzung der Schutzaltersgrenze, das heisst des Alters, von dem an Jugendliche geschlechtliche Handlungen mit anderen Personen ausüben dürfen. Gegen eine Senkung der zur Zeit auf 16 Jahre fixierten Grenze wurde ins Feld geführt, dass die Jugendlichen heute zwar die geschlechtliche Reife früher erlangen, dass aber in der Regel die geistige Reife zum selbständigen Entscheid in Sexualfragen noch nicht vorhanden sei. Für die Befürworter einer Senkung ging es primär darum, den veränderten Verhältnissen in der Gesellschaft Rechnung zu tragen. Der Liberale Aubert (NE) wies in seinem befürwortenden Votum darauf hin, dass sich das Schutzalter 16 auf keine Tradition berufen könne, habe es doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in fast allen Kantonen zwischen 12 und 15 Jahren gelegen. Der Antrag des Bundesrates, die Altersgrenze auf 16 Jahren zu belassen, wurde mit 20:15 Stimmen gutgeheissen. Die Eidg. Jugendkommission hatte in diesem Zusammenhang gefordert, dass der Zweck des Schutzalters nicht eine Kriminalisierung der Jugendlichen sein dürfe, sondern dazu dienen soll, Kinder vor der sexuellen Verführung durch Erwachsene zu schützen. Der Ständerat nahm diese Argumentation auf und beschloss, dass bei Jugendlichen bis zum 20. Altersjahr von der Strafverfolgung abgesehen werden kann.
Fast noch mehr beachtet als die Schutzaltersproblematik wurde der Entscheid des Ständerats zur Frage, ob die Vergewaltigung in der Ehe weiterhin straffrei bleiben soll. Bereits der Vorschlag der Regierung, gegen den Rat der Expertenkommission an dieser Bestimmung festzuhalten, hatte zu heftigen Protesten von Frauenorganisationen geführt. Die meisten Gegner einer Änderung führten Schwierigkeiten bei der Beweisermittlung ins Feld. In einigen dieser Voten klang aber auch an, dass es hier nicht allein um eine ermittlungstechnische Frage geht, sondern grundsätzlich das Verhältnis zwischen Mann und Frau angesprochen ist. Für die weiblichen Abgeordneten war dieser grundsätzliche Charakter der Auseinandersetzung klar: unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit setzten sie sich ausnahmslos für die Strafbarkeit ein. Die Straffreiheit bedeute nichts anderes, erklärte Ständerätin Bührer (sp, SH), als dass das geltende Recht dem Mann mit dem Trauschein zugleich die sexuelle Verfügungsgewalt über seine Ehefrau zubillige. Obwohl einige Männer eingestanden, im Verlauf der Debatte ihre Meinung geändert zu haben, lehnte der Rat den Vorschlag, die Vergewaltigung in der Ehe auf Antrag zu bestrafen, mit 22:9 Stimmen deutlich ab. Immerhin stimmte die Ständekammer der Kompromissformel von Josi Meyer (cvp, LU) zu, die Vergewaltigung in getrennten Ehen als strafbar zu erklären. Die Privilegierung von Männern, welche ihre Ehefrau vergewaltigen, findet in der öffentlichen Meinung im Gegensatz zum Ständerat wenig Verständnis. Eine Umfrage ergab, dass 62% für und nur 20% gegen die Strafbarkeit plädieren. Dabei zeigten sich kaum Einstellungsunterschiede zwischen Frauen und Männern, hingegen liess sich ein Gesinnungswandel feststellen, hat sich doch die Gruppe der Befürworter einer Straflosigkeit innerhalb von zwei Jahren nahezu halbiert [15].
Es gilt heute, zumindest unter Experten, nahezu unbestritten die Meinung, dass die Bekämpfung der Kriminalität besser mit präventiven Massnahmen, denn mit strafrechtlichen Sanktionen geschehen soll. Die Entwürfe zur Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs (inkl. Jugendstrafrecht) sind denn auch von diesem Geist geprägt, legen sie doch ein Schwergewicht darauf, bei leichteren Vergehen auf den Freiheitsentzug als Strafe zu verzichten. Der Bundesrat setzte im Berichtsjahr eine Expertenkommission mit der Aufgabe ein, diese 1986 präsentierten Entwürfe weiter zu bearbeiten. Die Stossrichtung der Revision, welche als Nebeneffekt eine Entlastung der Strafvollzugsanstalten bringen kann, wird auch von seiten der Kantone unterstützt. Eine vom Basler Grossen Rat eingereichte entsprechende Standesinitiative überwies der Ständerat an den Bundesrat [16].
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Vermögensstrafrecht
Da sich namentlich bei der Bekämpfung der internationalen Drogenkriminalität gezeigt hatte, dass die Spuren der Hintermänner sich oft im Gewirr von Geldtransaktionen verlieren, soll die sogenannte Geldwäscherei in Zukunft verboten werden. Eine Expertenkommission unter der Leitung des ehemaligen Tessiner Staatsanwalts Bernasconi hatte einen entsprechenden Vorschlag ausgearbeitet, der im Berichtsjahr in die Vernehmlassung gegeben wurde. Es ist vorgesehen, diese neue Rechtsnorm in die sich zur Zeit im vorparlamentarischen Stadium befindende Revision der Bestimmungen über strafbare Handlungen gegen das Vermögen und gegen Urkundenfälschung einzubauen [17].
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Strafvollzug
Beide Parlamentskammern genehmigten diskussions- und oppositionslos das Europaratsabkommen betreffend die Überstellung von verurteilten Personen in ihren Heimatstaat. Ausländische Gefangene erhalten damit die Option, die Freiheitsstrafe in ihrem eigenen Kulturraum zu verbüssen, was sich auf ihre Resozialisierung positiv auswirken könnte [18].
Grosses Aufsehen erregte die Aktion des Gefangenen Walter Stürm in der Strafanstalt Regensberg (ZH) gegen das ihm wegen Fluchtgefahr auferlegte besondere Haftregime. Er verstand seinen mehr als 16 Wochen dauernden Hungerstreik nicht nur als persönlichen Widerstand, sondern als Protest gegen die Einzel- oder Isolationshaft im allgemeinen. Sympathisanten unterstützten ihn mit Demonstrationen sowie der Besetzung sowohl des Hauses der kantonalen Justizdirektorin Lang (sp) als auch des SP-Parteisekretariats in Zürich. Die Sozialdemokraten gerieten damit in eine unangenehme Situation, indem sie zwar ihrer Regierungsrätin im Fall Stürm den Rücken stärkten, sich im Kantonsrat aber zusammen mit der übrigen Linken für den generellen Verzicht auf langandauernde Einzelhaft einsetzten [19].
 
[15] Amtl. Bull. StR, 1987, S. 356 ff.; NZZ, 15.10.87. Vgl. auch SPJ, 1985, S. 16 f. und 1986, S. 17; Ww, 19.2.87; Plädoyer, 5/1987, Nr. 4, S. 11 ff. (Interview mit M. Killias). Vgl. auch Lit.
[16] NZZ, 10.3.87; SPJ, 1986, S. 18. Standesinitiative: BaZ, 13.6.87; Amtl. Bull. StR, 1987, S. 641 ff.
[17] Presse vom 25.2.87; SPJ, 1986, S. 18. Vgl. auch unten, Teil I, 4b (Banken).
[18] Amtl. Bull. StR, 1987, S. 23 f.; Amtl. Bull. NR, 1987, S. 934 f.; SPJ, 1986, S. 18.
[19] TA, 15.4., 26.5. und 1.9.87; NZZ, 18.5., 27.5., 1.6. und 23.6.87; WoZ, 15.5., 22.5. und 12.6.87.