Année politique Suisse 1987 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation
Strassenbau
1987 konnten 20,5 km Nationalstrassen neu dem Verkehr übergeben werden. Mit der Umfahrung von St. Gallen (N 1) ist die Autobahnverbindung zwischen dem Boden- und dem Genfersee nun durchgehend. Ebenso wurde mit der Fertigstellung des letzten N 3-Teilstücks längs des Walensees eine Lücke geschlossen, welche jahrelang als Nadelöhr zwischen Zürich und Graubünden von sich reden gemacht hatte. Ende Jahr waren insgesamt 1451 km Nationalstrassen oder 78,3% der vorgesehenen Netzlänge von 1853 km in Betrieb; weitere 108,6 km standen in Bau
[32]. Zur Verwirklichung des Autobahnzusammenschlusses mit Frankreich bei Genf genehmigte der Ständerat einen Kredit für den Neubau einer Autobahn-Zollanlage in Bardonnex (GE)
[33].
Über die bereits beschlossenen Strecken hinaus will der Bundesrat — aus Umweltschutzgründen und um die geplante "Bahn 2000" nicht zu konkurrenzieren — das schweizerische Nationalstrassennetz nicht weiter ausbauen. Der Verzicht gilt insbesondere für den Bau einer fünften und sechsten Spur entlang der N 1 und der N 2 sowie einer zweiten Tunnelröhre am Gotthard. Für allfällige zusätzliche Fahrspuren auf einzelnen kurzen Strassenabschnitten muss ein Bedarfsnachweis erbracht werden, dem die Umweltinteressen gegenüberzustellen sind. Dieser Bundesratsentscheid wurde in breiten Kreisen begrüsst. Opposition meldeten dagegen namentlich die Automobilverbände an sowie der Kanton Neuenburg, der gegen den Verzicht auf den Bau der von ihm gewünschten Nationalstrasse Le Locle—Bern strukturpolitische Argumente vorbrachte. Seinen Ausdruck fand dieser Protest in Petitionen, Resolutionen und einem parlamentarischen Vorstoss im Nationalrat, der von allen Neuenburger Abgeordneten unterzeichnet wurde
[34].
Der Bundesrat beschloss, die Volksinitiative "Stopp dem Beton — für eine Begrenzung des Strassenbaus" ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen, und beauftragte das EVED mit der Ausarbeitung einer entsprechenden Botschaft
[35].
Nach dem Entscheid des Parlaments vom Vorjahr über die Belassung der
umstrittenen Teilstücke im Nationalstrassennetz startete der VCS zusammen mit regionalen Komitees vier eidgenössische Volksinitiativen gegen den Bau und Betrieb von Autobahnen zwischen Murten und Yverdon (N 1), im Knonauer Amt (N 4), zwischen Biel und Solothurn (N 5) und im Jura (N 16). Diese sogenannten Kleeblatt-Initiativen wurden gesamtschweizerisch von der SPS, der GPS sowie verschiedenen Umweltschutzorganisationen unterstützt. Sie kamen in weniger als drei Monaten zustande. Da mit der Einreichung der vier Initiativen für die Fortsetzung der Bauarbeiten keine aufschiebende Wirkung erzielt werden kann, drängten die Initianten auf ein rasches Tempo bei der Behandlung der Volksbegehren. Eine von der LdU/EVP-Fraktion eingereichte Motion verlangte ebenfalls ein Moratorium im Autobahnbau bis zur Abstimmung über die
Kleeblatt-Initiativen
[36].
Indessen gingen die Planungsarbeiten für diese Teilstücke zum Teil forciert weiter, was namentlich die Regierungen der
Westschweizer Kantone begrüssten. Der Bundesrat genehmigte das generelle Projekt Avenches—Murten/Löwenberg der N 1 und kam dabei mit der Raumplanung in Konflikt, da das neue Trassee nicht mehr mit den Richtplänen der Kantone Bern, Freiburg und Waadt übereinstimmt. Dies führte allein im Raum Murten zu über 100 Einsprachen. Der Kanton Jura protestierte mit aller Entschiedenheit gegen das Bestreben der Initianten nach einem autobahnfreien Jura und begrüsste die bundesrätliche Genehmigung der Pläne für die Transjurane, die vom Parlament 1984 als Ergänzung ins Nationalstrassennetz aufgenommen worden war
[37]. Die vom Kanton Solothurn nach der Ablehnung seiner Standesinitiative gewünschten Verbesserungen am Ausführungsprojekt des N 5-Abschnittes Biel—Solothurn wurden vom Bund weitgehend akzeptiert. Trotzdem blieb der Widerstand ungebrochen, und auch ein bisher unter Verschluss gehaltener Umweltverträglichkeitsbericht kam zum Schluss, dass die N 5 die Jurafuss-Gemeinden nicht wesentlich vom Verkehr entlasten würde
[38].
Nach dem Entscheid des Parlaments für die
N 4 durch das Knonauer Amt sah der Bundesrat keine hinreichenden Gründe mehr, das bereits fertiggestellte Teilstück zwischen Cham und Knonau nicht dem Verkehr zu übergeben. Allerdings knüpfte er die Inbetriebnahme an verschiedene Auflagen wie Signalisations-, Lärmschutz- und Luftreinhaltemassnahmen. Mit ihrem Entscheid entsprach die Landesregierung einer Bitte des Zuger Regierungsrates, stellte sich aber gegen den Kanton Zürich, der gegen die Eröffnung des Teilstücks grösste Bedenken angemeldet hatte. Der Beschluss führte denn auch zu heftigen Protesten der meisten Zürcher Parteien und Umweltorganisationen. Die Tauglichkeit der angeordneten flankierenden Massnahmen wurde in Zweifel zogen, und der Zürcher Kantonsrat forderte den Bundesrat auf, seinen Entscheid rückgängig zu machen. Das Kantonsparlament verlangte ferner von der Zürcher Regierung die Ausarbeitung einer Standesinitiative für eine Denkpause im Nationalstrassenbau im Kanton Zürich bis 1995
[39].
Der Bundesrat erliess eine weitere Ausführungsverordnung und zwei Vollzugsbeschlüsse zum Treibstoffzollgesetz, welche das 1986 verabschiedete Massnahmenpaket abrunden. Im Zentrum der neuen Erlasse stand die Verordnung über die Hauptstrassen, welche im wesentlichen das Verfahren für die Festlegung der Mehrjahresprogramme, die Bemessung der Beitragssätze und die anrechenbaren Kosten regelt. Weiter legte er die Beitragssätze für den Aus- oder Neubau von kantonalen Hauptstrassen fest und sah Bundesmittel aus der Treibstoffzollkasse an die Strassenbaukosten in der Höhe von 50—80% für Alpen- und Jurastrassen bzw. von 20—60% für Talstrassen vor
[40].
Als erste Kammer ermächtigte der Nationalrat die Landesregierung mit 79:46 Stimmen, das europäische übereinkommen über die
Hauptstrassen des internationalen Verkehrs zu ratifizieren. Das Abkommen verpflichtet die Vertragspartner, das neu festgelegte Netz der sogenannten E-Strassen als Richtplan für den Neu- und Ausbau der entsprechenden Strassen auf ihrem Territorium anzuerkennen und den Bau dieser Strassenzüge im Rahmen ihrer nationalen Ausbauprogramme zu fördern. Die E-Strassen auf Schweizer Gebiet sind durchwegs Bestandteil des Nationalstrassennetzes bzw. des Hauptstrassennetzes, das mit Bundeshilfe auszubauen ist. Ein Nichteintretensantrag der Grünen, die grundsätzliche verkehrspolitische Argumente geltend machten und darauf hinwiesen, dass verschiedene der im Abkommen genannten Strecken durch die sogenannten Kleeblatt-Initiativen bekämpft werden, hatte keine Chance. Bedenken, dass das Übereinkommen ein Präjudiz für die Heraufsetzung der Gewichtslimiten für Lastwagen schaffen könnte, wurden von Bundesrat Schlumpf zerstreut
[41].
[32] Nationalstrassenbau: Gesch.ber., 1987, S. 407 ff.; EVED, Bauprogramm l 988 für die Nationalstrassen, Bern 1988; vgl. SPJ, 1986, S. 124. Walensee: Ww, 14.5.87; SoZ, 22.11.87; TA, 24.11.87; Presse vom 27.11.87; NZZ und SGT, 28.11.87. Zu den Unterhalts- und Erneuerungsarbeiten an Nationalstrassen siehe Amtl. Bull. NR, 1987, S. 1472; Gesch.ber., 1987, S. 406; NZZ, 28.7. und 12.10.87; Bund, 12.10.87; TA, 16.10.87; SPJ, 1986, S. 124 f.
[33] BBl, 1987, III, S. 228 ff.; Amtl. Bull. StR, 1987, S. 599 f.; vgl. Gesch.ber., 1987, S. 412.
[34] Presse vom 10.6.87; Gesch.ber., 1987, S. 406. Zur Forderung nach einem zweiten Gotthard-Strassentunnel siehe oben (generelle Verkehrspolitik). Neuenburg: Amtl. Bull. NR, 1987, S. 1517 f.; FAN, 13.6., 24.6., 27.6., 11.9., 17.9. und 28.12.87.
[35] SPJ, 1986, S. 124; Presse vom 22.9.87; vgl. BaZ, 29.1.87; TA, 2.6.87.
[36] BBl, 1988, I, S. 306 ff.; Presse vom 18.2., 13.5., 3.7. und 30.12.87; SZ, 23.2.87 (SPS); NZZ, 5.3.87 (GPS); SHZ, 12.3.87; VCS-Zeitung, 1987, Nr. 1, S. 7; Nr. 2, S. 4 ff. und Nr. 6, S. 4 ff.; vgl. SPJ, 1986, S. 123 f. Motion: Verhandl. B.vers., 1987, III, S. 33. Zur Überprüfung umstrittener Nationalstrassenstrecken siehe SPJ, 1986, S. 122 f.
[37] Planungsarbeiten: Ww, 25.6.87; NZZ, 11.9.87. Avenches–Murten (N 1): Bund, 17.6. und 17.8.87; NZZ, 17.6. und 3.7.87; Lib., 13.8.87. Transjurane (N 16): Dém, 14.4., 16.4., 16.6. und 3.10.87; Bund, 30.5.87; BaZ, 16.9.87; NZZ, 17.9.87; vgl. SPJ, 1984, S. 109.
[38] SZ, 20.5., 24.6. und 13.7.87; Bund, 20.5.87; BaZ, 17.10.87 (UVP-Bericht); vgl. SPJ , 1985, S. 111 (Standesinitiative).
[39] NZZ, 16.-22.12. und 30.12.87; Vat., 16.12.87; siehe auch die Interpellation Jagmetti (fdp, ZH): Verhandl. B.vers., 1987, IV, S. 108 f. Moratorium: NZZ, 2.6.87; vgl. auch TA, 28.3.87.
[40] AS, 1987, S. 725 ff. und 1278 ff.; Presse vom 9.4.87; vgl. SPJ, 1986, S. 118 f.
[41] BBl, 1987, III, S. 181 ff.; Amtl. Bull. NR, 1987, S. 1627 ff.; NZZ, 14.8.87; Presse vom 8.12.87.
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