Année politique Suisse 1987 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
 
Medienpolitische Grundfragen
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Medienpolitik
Ende April 1987 wurde die Expertenkommission für eine Mediengesamtkonzeption (MGK) nach längerer Untätigkeit vom EJPD aufgelöst. Die Kommission war 1978 eingesetzt worden und hatte 1982 ihren Hauptbericht abgeliefert, war anschliessend aber nur noch am Rande für die Ausarbeitung der Rundfunkversuchs-Ordnung (RVO) und des neuen Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (RTVG) beigezogen worden. Dass die Entwürfe einer Gesamtkonzeption bis jetzt kaum in die laufende Gesetzgebung Eingang gefunden haben, hängt nach U. Saxer, einem ehemaligen Mitglied der Expertenkommission, wesentlich mit der spezifischen, gewachsenen Ausgestaltung des schweizerischen Mediensystems zusammen. Von diesem werde erwartet, dass es einen substantiellen Beitrag zum Funktionieren der demokratischen Gesellschaft leiste. Dass die Erfüllung dieses öffentlichen Auftrags auch Wirtschaftsunternehmen zugetraut wird, entspreche der engen Verflechtung von Wirtschaft und Politik in der Schweiz und führe dazu, dass medienpolitische Entscheide nicht ohne die Zustimmung der Wirtschaftsverbände gefällt werden könnten. Da die von Verbänden und Organisationen betriebene Medienpolitik stets nur angeblich auf die Optimierung des Mediensystems, in Wahrheit jedoch auf dessen Instrumentalisierung im Sinne gruppenspezifischer Interessen ausgerichtet sei, operiere die behördliche Medienpolitik in diesem diffusen Feld von Zielverbindungen zwischen Unternehmerfreiheit und sozialer Leistungsgarantie, zwischen Wirtschaftlichkeit und öffentlichem Auftrag, vorwiegend reaktiv und nicht gemäss einer Gesamtkonzeption [1].
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Medienkonsum
Ebenfalls reaktiv dürfte auch die "Medienpolitik" der Rezipienten via "Abstimmung am Kiosk" beziehungsweise via der Schalter an deren elektronischen Empfangsgeräten sein. Wie eine UNIVOX-Umfrage zum Medienkonsum ergab, haben die Tageszeitungen in der Schweiz nach wie vor die grösste Reichweite unter den tagesaktuellen Medien, erreichen sie doch jeden Tag 79% der erwachsenen Bevölkerung. Hingegen wird viel mehr Zeit für den Fernseh- und vor allem den Radiokonsum aufgewendet als für die Zeitungslektüre. Eine Zunahme des TV-Konsums findet vor allem da statt, wo ein Kabelanschluss an eine Gemeinschaftsantenne im Quartier oder in der Region den Empfang einer Vielzahl von Stationen erlaubt, was bei gut 50% der Haushalte der Fall ist. Im übrigen ist jedoch die Art und das Ausmass des Medienkonsums stark schicht- und bildungsabhängig. Dies trifft insbesondere auch für die sogenannten "neuen Medien" (Teletext, Videorecorder, Home- und Personal-Computer, Abonnementsfernsehen, Videotex) zu, die noch in geringem Masse und vor allem in gutsituierten städtischen Schichten verbreitet sind [2].
Ein Teilmarkt innerhalb dieses neuen Medienangebots, das Angebot an Pornographie und vor allem an Gewalt in Videofilmen, bereitet indessen zunehmend gesellschaftspolitische Schwierigkeiten. Als beunruhigend wird insbesondere vermerkt, dass Jugendliche eine Vorliebe für solche "Brutalos" entwickeln und diese als eine Art Mutprobe konsumieren. Dem vereinzelten Ruf nach dem Zensor stehen weit zahlreicher aber Stimmen entgegen, die in erzieherischen Massnahmen ein adäquateres Mittel sehen, dieser Entwicklung entgegenzutreten. Trotzdem ist in der laufenden Revision des Strafgesetzbuches vorgesehen, die Veröffentlichung von Gewaltdarstellungen und harter Pornographie unter Strafe zu stellen. Darüber hinaus wird jedoch auch davor gewarnt, die Debatte auf die Videogewalt zu verengen, da mit der beabsichtigten Einführung des Privatfernsehens und mit dem sich dadurch verschärfenden Kampf um Mehrheitspublika der Anteil an Gewalt im Fernsehen beträchtlich zunehmen werde. Diese Perspektive macht deutlich, dass der Hang, Darstellungen von physischer Gewalt zu rezipieren, ein gesellschaftliches Problem darstellt, das mit Zensurmassnahmen nicht behoben werden kann [3].
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Offizielle Informationstätigkeit und Pressefreiheit
Die Unfälle von Tschernobyl, Schweizerhalle und Creys-Malville hatten in den letzten Jahren das Problem einer effizienten Information der Bevölkerung in Krisenlagen dringlich werden lassen. Die konkreten Massnahmen, die jetzt ergriffen wurden, sind oben in den Kapiteln 6 a (Energie) und 6 d (Umwelt) beschrieben. Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Bund und die betroffenen Kantone Basel und Genf nützliche Vorkehrungen getroffen haben, dass die übrigen Kantone in dieser Hinsicht hingegen wenig unternommen haben. Immerhin hielt aber die seit 1977 bestehende Schweizerische Informationskonferenz öffentlicher Verwaltungen (SIKOV) ein Seminar über das Verhalten in ausserordentlichen Lagen ab und setzte eine Spezialkommission ein, welche ein Koordinationsmodell für Informations-Beauftragte entwerfen soll [4].
Ein anderes Problem stellt die Grenze zwischen dem Informationsauftrag und der Propagandatätigkeit der Behörden bei Abstimmungen dar. Diese Frage war akut geworden, nachdem sich der Bundesrat 1986 mit grossem Aufwand für den Beitritt der Schweiz zur UNO eingesetzt hatte. Die Finanzdelegation des Nationalrates stellte nun fest, dass dieses Engagement eine Ungeschicklichkeit des Bundesrates darstelle und dieser leicht über die Grenze des Tolerierbaren hinausgegangen sei. Auch das Bundesgericht stellte im Zusammenhang mit einer Klage gegen den Regierungsrat des Kantons Uri fest, dass die Behörde nur bei triftigen Gründen über die offizielle Informationstätigkeit hinaus in den Abstimmungskampf eingreifen dürfe. Ein solcher Grund könnte zum Béispiel das Kursieren offensichtlich falscher Tatsachen sein [5].
Konfliktträchtig bleibt auch der Umgang der Medienschaffenden mit als geheim klassierten Informationen sowie deren Pflicht, die Namen ihrer Informanten preiszugeben. Mehrere Anklagen, vor allem seitens des EMD, führten auch 1987 zu Verurteilungen von Journalisten. Im EJPD wurde unterdessen aber vorgeschlagen, den Artikel über die Geheimhaltungspflicht im Strafgesetzbuch ersatzlos zu streichen und in der Verordnung die Klassifizierungsgründe einzuschränken, um den Zugang zu Informationen zu vereinheitlichen. Der Bundesrat bekundete im Zusammenhang mit zwei aus dem Jahr 1982 stammenden Motionen auch seinen Willen, die Revision der presserechtlichen Bestimmungen im StGB mit derjenigen der allgemeinen Bestimmungen des StGB zusammenzulegen [6].
 
[1] JdG, 1.5.1987; NZZ, 2.5.1987 (Auflösung der MGK); zur MGK vgl. auch SPJ, 1982, S. 156 f.; 1983, S. 176; zur Medienpolitik vgl. Lit. Saxer und Kummer.
[2] U. Saxer / H. Bonfadelli, Kommunikation, Univox Jahresbericht 1987, GfS und SPZ, Zürich 1987.
[3] Vat., 2.11.87; Zoom, 38/1986, Nr. 7, ganzes Heft; zur Revision des StGB vgl. oben, Teil I, 1b (Rechtsordnung). Mitte August wurde eine Volksinitiative "gegen die Vermarktung von Gewalt und Sexualität in den Medien" lanciert, der für das Zustandekommen jedoch wenig Chancen eingeräumt werden (BBl, 1987, III, S. 10 ff.; Presse vom 1.9.87).
[4] Vgl. Lit. Pfister; SIKOV: NZZ, 27.3. und 9.9.87.
[5] NZZ, 13.4.87; NZZ, 24 Heures und TA, 5.5.87.
[6] Prozesse gegen Journalisten: JdG, 29.4.87; TA, 19.6., 27.6. und 22.8.87; 24 Heures und NZZ, 17.10.87; vgl. auch BaZ, 25.3. und 2.4.87. Revision StGB: NZZ, 3.7.87; SZ, 12.8.87. Zu den Motionen Binder (cvp, AG) und Jelmini (cvp, TI) vgl. SPJ, 1982, S. 158.