Année politique Suisse 1988 : Infrastruktur und Lebensraum / Erhaltung der Umwelt
Luftreinhaltung
Die Bekämpfung der Luftverschmutzung war auch 1988 eines der dominierenden Themen in der Umweltpolitik. Im September eröffnete Bundesrat Cotti eine nationale
Aufklärungskampagne "Saubere Luft – gesundes Leben", mit der die Bevölkerung während vier Jahren gezielt über praktisches Verhalten zur Reduktion der Luftverschmutzung informiert werden soll. Die in mehreren parlamentarischen Vorstössen angeregte und vom Bundesrat mit 1,9 Mio Fr. unterstützte Kampagne zielt darauf ab, das Wissen über Zusammenhänge und die Eigenverantwortung der einzelnen Bürgerinnen und Bürger zu fördern
[21].
Die Schadstoffbelastung der Luft ist weiterhin hoch und erreicht teilweise gesundheitsschädigende Werte. Nach den Resultaten des Nationalen Beobachtungsnetzes für Luftfremdstoffe (NABEL), das vor allem der Erfolgskontrolle der Massnahmen gegen die Luftverschmutzung dient und durchschnittliche, nicht extrem belastete Situationen misst, bewirkte der zunehmende Anteil von Katalysatorfahrzeugen bisher noch keinen spürbaren Rückgang der hauptsächlich durch den motorisierten Strassenverkehr verursachten Stickoxidemissionen. Auch beim Schwefeldioxid wurden die Immissionsgrenzwerte in den Städten teilweise erheblich überschritten, während schädliche Umweltbelastungen durch Ozon erneut vor allem in ländlichen Gebieten auftraten. Um künftig eine erhöhte Datensicherheit zu gewährleisten, wird die bisher weitgehend manuell erfolgte Datenerhebung des NABEL automatisiert. Bis 1990 soll das 1978 in Betrieb genommene Messnetz zudem von 8 auf 16 Stationen ausgebaut werden, damit neu auch Standorte in mittleren Höhenlagen erfasst werden können. Da bisher eine zentrale Stelle für Forschung, Lehre, Auswertung und Beratung fehlt, beauftragte ein vom Nationalrat überwiesenes Postulat Steinegger (fdp, UR) die Regierung, die Schaffung einer eidgenössischen Anstalt für Lufthygiene zu prüfen
[22].
Nachdem der Bundesrat im Vorjahr Empfehlungen an die Kantone über das Vorgehen bei Wintersmog erlassen hatte, gingen die Auseinandersetzungen über die zu treffenden Massnahmen bei akuten
Smog-Belastungen weiter. Vor allem die Kantone der Nordwestschweiz, denen die Smog-Empfehlungen zu unverbindlich waren, sahen schärfere Richtlinien vor
[23]. Während die Landesregierung dieses Vorgehen beim Wintersmog begrüsste, legte sie den Kantonen in bezug auf den Sommersmog nahe, keine eigenen Warn- und Interventionskonzepte zu beschliessen, da das Ozonproblem nicht lokal, sondern überregional und koordiniert gelöst werden müsse. Sie sicherte jedoch zu, entsprechende Massnahmen zu prüfen, sobald der Bericht der Eidgenössischen Kommission für Lufthygiene über die mit dem Sommersmog zusammenhängenden Probleme vorliege. Einzelne Kantone, so die beiden Basel und St. Gallen, beschlossen trotzdem Informationskonzepte, um die Bevölkerung bei zu hohen Ozonkonzentrationen alarmieren zu können. Drastische Massnahmen verlangte demgegenüber die Grüne Partei, die den Bundesrat und die kantonalen Behörden aufforderte, wegen der anhaltend zu hohen Ozonbelastung unverzüglich Verkehrsbeschränkungen anzuordnen
[24].
Die Luftreinhalteverordnung (LRV) schreibt vor, dass bis 1994 die Einhaltung der vorgeschriebenen lufthygienischen Grenzwerte sichergestellt und die Schadstoflbelastung entsprechend reduziert sein muss. Allerdings sind die
Kantone mit der Erarbeitung ihrer Massnahmenpläne, die bis zum März 1989 vorliegen sollten,
im Verzug. Die Umweltorganisationen befürchteten daher, dass die LRV, deren Immissionsgrenzwerte weltweit zu den strengsten gehören, zum blossen Papiertiger werde, weil ihrer Ansicht nach der politische Wille fehlt, wirksame Massnahmen durchzusetzen. Wie in der Raumplanung stehen dem Bund auch im Bereich der Luftreinhaltung kaum Rechtsmittel zur Verfügung, um die Kantone zu einer forscheren Gangart anzutreiben. Einzelne Kantone, namentlich Uri und Zürich, intervenierten ihrerseits beim Bundesrat und gaben zu bedenken, dass sie die vorgegebenen lufthygienischen Ziele nicht erreichen könnten, wenn nicht einschneidendere Massnahmen auf Bundesebene verwirklicht würden
[25].
Für die Sanierung bestehender Anlagen sind nach LRV die Kantone verantwortlich. An dieser Regelung wurde kritisiert, sie führe in der Praxis dazu, dass die Behörden zuerst eine Nichteinhaltung der LRV nachweisen müssen, bevor sie Sanierungspläne verlangen können. Deshalb verlangte eine vom Nationalrat als Postulat überwiesene Motion Ledergerber (sp, ZH), dass bei der nächsten Revision der LRV die Betreiber von Anlagen dazu verpflichtet werden, unter Einhaltung einer angemessenen Frist die vorgeschriebenen Emissionsgrenzwerte einzuhalten, während den Kantonen nur noch eine Aufsichts- und Kontrollfunktion verbleiben soll
[26].
Im Luftreinhalte-Konzept waren die anzustrebenden Ziele für die Luftqualität festgelegt und Mittel und Wege aufgezeigt worden, wie die Schadstoffbelastung auf den Stand von 1950 bzw. 1960 vermindert werden kann. Da mit den bisher beschlossenen oder vorgesehenen Massnahmen das Ziel nur für die Schwefeldioxide zu erreichen ist, hatte das Parlament den Bundesrat 1987 mit einer Motion beauftragt, so rasch als möglich ein
zusätzliches Massnahmenpaket zur Reduktion der Luftverschmutzung vorzulegen. In weiteren parlamentarischen Vorstössen waren dazu insgesamt 54 Massnahmen zur Prüfung überwiesen worden, die sicherstellen sollen, dass bis 1995 die vorgegebenen Ziele auch für die Emissionen von Stickoxiden und Kohlenwasserstoffen erreicht werden können
[27]. Im Auftrag des Bundes untersuchte die Ingenieurunternehmung Elektrowatt die Wirksamkeit und Durchführbarkeit dieser Massnahmen. Sie kam zum Schluss, dass sich damit die Luftverschmutzung zwar beträchtlich vermindern lasse, dass die geprüften 54 Massnahmen jedoch nicht genügen, um bei den Kohlenwasserstoff- und den Stickoxidemissionen den Zustand von 1960 zu erreichen. Die Elektrowatt schlug daher vor, auch einschneidendere und politisch brisante Massnahmen wie Umweltabgaben, die Kontingentierung fossiler Brenn- und Treibstoffe, eine massive Förderung des öffentlichen Agglomerations- und Ferngüterverkehrs sowie Lenkungsabgaben auf flüchtigen organischen Verbindungen in Betracht zu ziehen. Aufgrund dieser Studie will der Bundesrat nun über das weitere Vorgehen entscheiden, und er stellte in Aussicht, das zusätzliche Massnahmenpaket zur Luftreinhaltung Anfang 1989 zu präsentieren
[28].
Da heute gut 70% der Stickoxidemissionen in der Schweiz vom
Strassenverkehr stammen, ist zur Verwirklichung des Luftreinhaltekonzepts eine weitere Begrenzung des Schadstoffausstosses von Motorfahrzeugen vordringlich. Nachdem seit 1987 das Katalysator-Obligatorium für neue Personenwagen gilt, will der Bundesrat die Abgasemissionen der übrigen Fahrzeugkategorien ebenfalls drastisch reduzieren. Im Februar wurden die Abgasvorschriften für Motorräder (FAV 3) weiter verschärft. Die neuen Normen gelten für alle nach dem 1. Oktober 1990 hergestellten oder importierten Motorräder. Das Ziel, anfangs der 90er Jahre auch bei dieser Fahrzeugkategorie einen etwa gleichwertigen Abgasentgiftungsgrad zu erreichen wie bei den Personenwagen, kann mit dieser Massnahme allerdings nicht erreicht werden. Der Bundesrat kündigte daher bereits eine nochmalige Verschärfung der FAV 3 an
[29].
Von der Sache und der Zielsetzung her ebenfalls unbestritten war die vorgesehene weitere Verschärfung der Abgasvorschriften für schwere Motorwagen (FAV 2). Dagegen dauerte die Kontroverse über die Frage der Messmethode an. Zur Auswahl standen das europäische
Testverfahren (ECE R 49) und der aufwendigere, aber besser erprobte amerikanische Transient-Test, der einen möglichst realistischen Fahrzyklus zugrunde legt und auch den Ausstoss von Partikeln einbezieht. In der Vernehmlassung hatten die Umweltorganisationen, der VCS und die Vereinigung der kantonalen Strassenverkehrsämter (VSA) die Ubernahme der amerikanischen Testverfahren verlangt, da nur so die Einhaltung der strengen Abgasqualitätsziele geprüft werden könne. Demgegenüber machten sich die Automobilverbände, das Transportgewerbe und der Vorort für die europäischen Normen stark und verlangten, dass der Zeitpunkt der Inkraftsetzung nicht im Schweizer Alleingang, sondern in einem europaweiten Konzept im Rahmen der EG/EFTA-Gespräche fixiert werde
[30].
Im Mai fällte der Bundesrat einen
Grundsatzentscheid zugunsten des europäischen Messverfahrens, ergänzt um Partikelvorschriften. Mit einem Jahr Rückstand auf den ursprünglichen Fahrplan sollen die strengeren Abgaswerte für Dieselfahrzeuge auf den 1. Oktober 1991 in Kraft treten und gleichzeitig erstmals auch die Partikelemissionen begrenzt werden. Von ihrem Entscheid verspricht sich die Regierung zudem eine Signalwirkung auf die Abgasprogramme der EG. Während die Begrenzung der Emissionen nach US-Vorbild allgemein begrüsst wurde, kritisierten vor allem die Umweltorganisationen den Kompromiss in der Frage des Messverfahrens. In seiner Antwort auf ein vom Nationalrat überwiesenes Postulat Wiederkehr (ldu, ZH), das verlangte, bei den Grenzwerten und Prüfverfahren für Abgase und Partikel den fortschrittlichsten Stand der Technik zugrunde zu legen, verteidigte der Bundesrat seinen Entscheid. Die gestellten Anforderungen seien die strengsten in Europa, und das amerikanische Messverfahren würde keine zusätzliche Verminderung der Emissionen bewirken, sondern vielmehr die Einführung wirksamer Abgasvorschriften verzögern
[31].
Beide Räte genehmigten einstimmig die Ratifikation des 1987 in Montreal unterzeichneten ersten
Zusatzprotokolls zur Wiener Konvention über den Schutz der Ozonschicht von 1985. Das Protokoll von Montreal (FKW-Protokoll) verpflichtet die Vertragsstaaten zur Einschränkung der Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FKW oder FCKW), die im wesentlichen für den Ozonabbau in der Stratosphäre verantwortlich sind. Vorgesehen ist, bis 1999 die Produktion und den Verkauf von FCKW schrittweise um 50% zu reduzieren und den Verbrauch von Halonen (bromhaltige FCKW) auf dem Niveau von 1986 einzufrieren. Zudem müssen die vorgesehenen Massnahmen jährlich kontrolliert und ihre Effizienz periodisch überprüft werden. Das Protokoll wurde in beiden Kammern als ungenügend kritisiert, und über alle Parteien hinweg war man sich einig, dass zum Schutz der stratosphärischen Ozonschicht ein energischeres Vorgehen nötig sei. Der Nationalrat überwies deshalb ein Kommissionspostulat, das für die Schweiz Massnahmen verlangt, die weit über die Vorgaben des FKW-Protokolls hinausgehen, so unter anderem eine Senkung des FCKW-Verbrauchs um 95%, Verbote für bestimmte Anwendungen von FCKW und Halon sowie ein Entsorgungskonzept für FCKW in Kühlmitteln. Der Bundesrat sicherte zu, entsprechende Massnahmen an die Hand zu nehmen und sich auch international für eine rasche und möglichst weitgehende Reduktion des FKW-Verbrauchs einzusetzen
[32].
Zusammen mit den europäischen Ländern, den USA und Kanada unterzeichnete die Schweiz am 1. November in Sofia ein
drittes Protokoll zum Genfer Übereinkommen über weiträumige, grenzüberschreitende Luftverschmutzung von 1979. Nachdem 1985 in Helsinki die Verminderung des Schwefelausstosses beschlossen worden war, regelt das Protokoll von Sofia nun die Kontrolle der Stickoxidemissionen, die bis 1994 auf dem Stand von 1987 stabilisiert sein müssen. Zwölf Staaten, denen diese Gangart zu langsam war, verpflichteten sich auf Initiative der Schweiz hin in einer gemeinsamen Erklärung, den Ausstoss von Stickoxid in den kommenden zehn Jahren um mindestens 30% zu senken. Zudem wurde beschlossen, die Arbeiten an einem weiteren Protokoll über die Reduktion der flüchtigen organischen Verbindungen voranzutreiben
[33].
[21] Vat., 11.1. und 21.7.88; BaZ, 24.3. und 16.4.88; Presse vom 7.9.88; SHZ, 8.7.88; vgl. SPJ 1987, S. 169.
[22] NABEL: Amtl. Bull. NR, 1988, S. 1942 f.; NZZ, 18.8.88; Presse vom 17.9.88 (Resultate 1987). Postulat: Amtl. Bull. NR, 1988, S. 898 f.
[23] Amtl. Bull. NR, 1988, S. 946 f. ; Vat., 14.1.88; Bund, 4.2. und 29.3.88; BaZ, 8.2.88; NZZ, 16.12.88; vgl. SPJ 1987, S. 168.
[24] Amtl. Bull. NR, 1988, S. 634 f. und 1941 f.; Bund, 6.2.88; BaZ, 4.6., 22.6., 16.7. und 20.8.88; NZZ, 26.7.88; Presse vom 20.8.88 (GPS); BUS-Bulletin, 1988, Nr. 2, S. 1 f. Zu Studien über den Smog im Rahmen des NFP 14 und 14+ siehe TA, 21.3.88; BZ, 22.3.88; Vat., 9.6.88.
[25] Uri: TA, 19.2.88; NZZ, 6.8.88. Zürich: TA, 22.4. und 13.5.88. Siehe auch Amtl. Bull. NR, 1988, S. 46 ff.; WoZ, 29.1.88; BaZ, 9.6.88. Zur LRV siehe SPJ 1985, S. 127 f.
[26] Amtl. BulL NR, 1988, S. 885 f.
[27] Siehe dazu SPJ 1986, S. 142 f. und 1987, S. 169 f.
[28] BaZ, 5.3.88; Presse vom 12.3. und 25.11.88. Zu weiteren 1988 publizierten Studien siehe Presse vom 27.4.88 und BUS-Bulletin, 1988, Nr. 1, S. 22 ff. (Schadstoffemissionen), Presse vom 18.5.88 (Luftverschmutzung und Gesundheit), NZZ, 17.8.88 und Vat., 28.12.88 (Auswirkung von Tempo 80/120), Presse vom 6.10.88 (Lufthygiene in den europäischen Städten) sowie Lit.
[29] AS, 1988, S. 636 f.; NZZ und Suisse, 25.2.88. Siehe auch SPJ 1986, S. 143 und 1987, S. 170.
[30] Presse vom 15.1. und 14.4.88; BaZ, 26.1. und 12.2.88; Ww, 11.2.88; NZZ, 15.2., 25.2. und 2.5.88; TA, 16.3. und 11.4.88.
[31] Entscheid und Reaktionen: Presse vom 5.5.88; Ww, 12.5.88. Postulat: Amtl. Bull. NR, 1988, S. 906; vgl. Presse vom 26.4.88. Zu weiteren umweltpolitischen Massnahmen und Forderungen im Bereich Verkehr siehe oben, Teil I, 6b (Generelle Verkehrspolitik und Strassenverkehr).
[32] BBl, 1988, II, S. 941 ff.; Amtl. Bull. StR, 1988, S. 618 ff.; Amtl. Bull. NR, 1988, S. 1697 ff. und 1703; LNN, 13.5.88; BaZ, 4.10.88; BZ, 6.10.88; Presse vom 7.12.88. Siehe auch SPJ 1987, S. 171 f. (Wiener Konvention und Unterzeichnung des FKW-Protokolls). Zum geplanten Verbot von FKW in Spraydosen siehe oben, Umweltschutzgesetzgebung.
[33] Gesch.ber. 1988, S. 39 f. und 127; NZZ, 31.10.88; Presse vom 1.11.88 (Zusatzerklärung); 24 Heures, 3.11.88; BUS-Bulletin, 1988, Nr. 4, S. 15 ff. Zum Protokoll von Helsinki siehe SPJ 1987, S. 171. Zur Genfer Konvention siehe SPJ 1979, S. 125 und 1983, S. 128.
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