Année politique Suisse 1989 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
 
Stellung der Frau
In einer wissenschaftlichen Studie zeigte der Berner Verfassungsrechtler H.-U. Wili, dass mit der Verankerung der Rechtsgleichheit von Mann und Frau in der Verfassung die rechtliche Diskriminierung der Frauen noch bei weitem nicht beseitigt worden ist. Nicht nur hapert es noch immer mit der geschlechtsneutralen Umformulierung der Gesetze, eine grosse Anzahl von Bestimmungen im nachgeordneten Recht – z.B. aus den Bereichen Sozialversicherung oder Arbeitsvertrag – sind heute noch schlicht verfassungswidrig. In der Wintersession reichte Nationalrat Longet (sp, GE) ein Postulat ein, mit welchem die Regierung ersuch wird, den Räten mindestens einmal pro Legislaturperiode zu berichten, wieweit der Gleichstellungsartikel auf Bundesebene, in den Kantonen und in der Wirtschaft verwirklicht ist [39].
Wie weit hier das auf den 1. Januar 1989 offiziell eröffnete und dem EDI unterstellte Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann Remedur schaffen wird, kann heute noch nicht beantwortet werden. Das Pflichtenheft des Büros, das von der Juristin Claudia Kaufmann geleitet wird, umfasst die Vorbereitung von Erlassen und Massnahmen des Bundes, welche die Gleichstellung fördern und sichern, eine. beratende, empfehlende und berichtende Tätigkeit sowie breite Öffentlichkeitsarbeit. Bei aller Befriedigung über die Schaffung dieser Stelle wurde von Frauenseite doch hie und da bedauert, dass das Büro keine Durchsetzungskompetenzen hat [40].
Einen wichtigen Raum in der Arbeit des Büros nimmt die Zusammenarbeit mit den kantonalen Frauenförderungsstellen ein. Nach dem Kanton Jura, der als Pionier bereits das zehnjährige Jubiläum seines " Bureau de la condition féminine" feiern konnte, hatten praktisch gleichzeitig wie der Bund die Kantone Genf, St. Gallen und Baselland eigene Gleichstellungsbüros eingeführt. Der Grundsatzentscheid für eine eigene kantonale Stelle wurde in den Kantonen Bern, Tessin und Zürich gefällt. Projekte bestehen in Basel-Stadt, Luzern, Solothurn und Zug, während im Kanton Waadt die Diskussion ebenfalls angelaufen ist [41].
Marie-Josèphe Lachât, Delegierte des jurassischen Frauenbüros, Claudia Kaufmann und die Luzerner CVP-Nationalrätin Judith Stamm, welche anfangs Jahr die Zürcher FDP-Nationalrätin Lily Nabholz an der Spitze der Eidg. Kommission für Frauenfragen abgelöst hatte, vertraten die Schweiz in Wien an der 2. Europäischen Fachministerkonferenz zur Gleichstellung von Frau und Mann. Der Bundesrat hatte es nicht für nötig erachtet, sich durch den zuständigen Departementschef repräsentieren zu lassen. Damit schoss er aber gewissermassen ein publizistisches Eigentor, denn Stamm bedauerte nicht nur im Plenum diesen Entscheid der Regierung, sie verwies auch deutlich darauf, dass unser Land in Sachen Gleichberechtigung einige Jahre hinter den 22 Ländern des Europarats herhinkt, und sie kritisierte offen die lahme Gangart des Parlaments in Frauenfragen [42].
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Politische Vertretung
Die Antwort auf eine einfache Anfrage Hubacher (sp, BS) zur Zusammensetzung der vom Bundesrat oder den Departementschefs eingesetzten Expertenkommissionen bestätigte einmal mehr die krasse Untervertretung der Frauen in diesen wichtigen Gremien: von den 370 ständigen ausserparlamentarischen Kommissionen wurden nur gerade 15 (4%) von Frauen präsidiert, bei den Mitgliedern betrug der Frauenanteil 8%. Diese Auskunft des Bundesrates bewog Hubacher, ein in der Herbstsession überwiesenes Postulat einzureichen, welches den Bundesrat ersucht, ein Szenario vorzulegen, wie in diesen Kommissionen der Frauenanteil bis zum Jubiläumsjahr auf mindestens 25% und bis 1995 auf 50% erhöht werden könne [43].
Bei den Frauen im Parlament brachte die Einsetzung der 16-köpfigen Expertenkommission "Schweiz morgen", in die nur drei Frauen berufen wurden, das Fass zum überlaufen. Ihrem Unmut machten Politikerinnen aus allen Lagern in der nationalrätlichen Fragestunde vom 12. Juni Luft, zu der sie rund 20 Fragen zu Frauenanliegen einreichten. Damit nicht ein Bundesrat allein diesen konzertierten Frauenprotest mit wenigen Sätzen erledigen konnte, verteilten sie die Fragen fein säuberlich auf alle sieben Departemente. Bundespräsident Delamuraz eröffnete daraufhin die übliche Fragestunde mit einer unüblichen Erklärung im Namen des Gesamtbundesrates. Sein Votum bestand hauptsächlich im Versprechen – das ihm von den Parlamentarierinnen allerdings nicht recht geglaubt wurde –, die Frauen inskünftig angemessen zu berücksichtigen [44].
Dies wollten offenbar auch die stimmberechtigen Männer des Kantons Appenzell Ausserrhoden, welche den Frauen nach langem, zähem Ringen endlich das Frauenstimmrecht auch auf kantonaler Ebene einräumten [45].
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Arbeitswelt
Dem Trend der letzten Jahre folgend nahm die Beschäftigung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt erneut deutlicher zu als diejenige der Männer. Frauen, vor allem die vorübergehend aus dem Arbeitsprozess ausgeschiedenen Hausfrauen, wurden von der Wirtschaft weiterhin heftig umworben. Ob als ernstgenommene Partnerinnen oder als Lückenbüsserinnen bleibe dahingestellt. Jedenfalls aber führte auch der ausgetrocknete Arbeitsmarkt kaum dazu, dass die traditionelle Lohndiskriminierung der Frauen gelockert wurde [46]. Die Forderung nach gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit bildete denn auch einen wesentlichen Schwerpunkt der Arbeit des Eidg. Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann. Als kurzfristig zu verwirklichende Massnahmen sah Kaufmann dabei die Entwicklung von Kriterien für die Arbeitsbewertung und die Ausarbeitung von Richtlinien mit empfehlendem Charakter zur Konkretisierung des Lohngleichheitsprinzips [47].
Wie schwierig sich dieser an sich unbestrittene Rechtsgrundsatz in die Realität umsetzen lässt, zeigte die Vernehmlassung zum Bericht der Arbeitsgruppe "Lohngleichheit". Der Bericht als solcher wurde zwar allgemein begrüsst – wenn auch mit gewissen Vorbehalten von bürgerlicher Seite. Während sich aber die SP und die Arbeitnehmerorganisationen vorbehaltlos hinter die im Bericht vorgeschlagenen Massnahmen stellten, sprachen sich die Arbeitgeber und die Wirtschafts- und Gewerbevertreter gegen einen grossen Teil dieser Massnahmen aus. Gemeinsam mit FDP und SVP wandten sie sich insbesondere gegen die Schaffung eines eigentlichen Gleichstellungsgesetzes und schlugen vor, die Lohngleichheit auf dem Vereinbarungsweg zwischen den Sozialpartnern oder durch den Einbau in bestehende Gesetze und Verordnungen zu realisieren. Viele Kantone, die einen Eingriff in ihre Hoheitsrechte befürchteten, äusserten sich ebenfalls negativ zu einem allgemeinen Gleichstellungsgesetz [48].
Da sich die Zuleitung eines Entwurfes für ein Ausführungsgesetz durch den Bundesrat ans Parlament verzögert, beschloss die Zürcher FDP-Nationalrätin Nabholz Ende Jahr, zumindest im Punkt der Umkehrung der Beweislast bei vermuteter Lohndiskriminierung durch die Einreichung einer parlamentarischen Initiative Druck aufzusetzen [49]. Auf Vorschlag von Nationalrätin U. Hafner (sp, SH) hin hatten bereits im Juni sämtliche Bundesparlamentarierinnen in einem gemeinsamen Brief den Vorsteher des EJPD aufgefordert, die Vorschläge der Arbeitsgruppe unverzüglich in Gesetzesvorlagen umzugiessen. Sie seien sich bewusst, schrieben sie, dass sie bei der Diskussion der konkreten Gesetzesentwürfe nicht mehr überall einer Meinung sein würden, sie seien sich aber einig darin, dass die Verwirklichung der in der Bundesverfassung seit acht Jahren geforderten Lohngleichheit ohne weitere Verzögerung in ihrer Gesamtheit weiterverfolgt werden müsse [50].
Schneckentempo bei der Realisierung von gleichen Rechten, aber Eiltempo bei der Durchsetzung von gleichen Pflichten: so und ähnlich tönten von Frauenseite die Reaktionen, als der Bundesrat in der selben Woche, in welcher die Resultate der Vernehmlassung zum Lohngleichheits-Bericht veröffentlicht wurden, eine Revision des Arbeitsgesetzes in die Vernehmlassung schickte, welches das Verbot der Nachtarbeit für Frauen in der Industrie lockern möchte. Dieser Einbruch war von Arbeitnehmerseite und von Frauenorganisationen schon aufs heftigste bekämpft worden, noch bevor die Intentionen des Bundesrates in diesem Bereich offiziell bekannt waren, während die Wirtschaft eine Beibehaltung des Verbots als anachronistisch und unökonomisch bezeichnete [51].
Das Initiativkomitee "Taten statt Worte" diskutierte an seinem 3. Symposium engagiert über die Frage der Quotenregelung als Instrument der Unternehmensführung und der Frauenförderung. Dabei wurde auch davor gewarnt, dass sich nicht einlösbare Quoten für die Frauen durchaus kontraproduktiv auswirken könnten [52]. In diese Richtung zielte auch die erste Publikation des Eidg. Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann, welches bei seiner grundsätzlich positiven Antwort zur Quotenfrage darauf hinwies, zu hoch angesetzte Quoten könnten sich als Bumerang erweisen, da hier der Vorwurf nicht ausbleiben dürfte, Frauen wollten gewisse Positionen gar nicht ausfüllen. Die Broschüre plädierte im übrigen für ein ganzheitliches Lebenskonzept mit Berufsarbeit, Familie und Kindern und verstand sich als Anleitung zu einer gezielten Frauenförderung [53].
Auf eine Frauendiskriminierung besonderer Art machte der VPOD mit seiner breit angelegten Kampagne gegen "sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz" aufmerksam. Er verlangte entsprechende Schutzbestimmungen in Gesetzen, Personalreglementen und Gesamtarbeitsverträgen [54]. Für die Stellung der Frauen in der Kirche siehe unten, Teil I, 8b (Kirchen).
 
[39] Studie: Ww, 10.8.89. Postulat: Vorhand!. B.vers., 1989, V, S. 87).
[40] Siehe SPJ 1988, S. 220.
[41] Presse vom 3.1.89; LNN, 4.3.89; Presse vom 8.3.89; SZ, 30.9.89; Suisse und TW, 30.12.89; Emanzipation, 1989, Nr. 6, S. 8 fl. (Gespräch mit C. Kaufmann). F-Frauenfragen, 1989, Nr. 1.
[42] Nachfolge Nabholz: Presse vom 13.1.89; TA, 16.1.89; Bund, 27.2.89; CdT, 8.3.89. Ministerkonferenz: NZZ, 30.6.89; TW, 5.7.89; Bund, 6.7.89; Suisse, 11.7.89.
[43] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1233 und 1740; TA, 12.6.89.
[44] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 788 ff.; Presse vom 13.6.89.
[45] Presse vom 1.5.89. Siehe dazu oben, Teil I, 1 b (Stimm- und Bürgerrecht).
[46] Die Zahl der beschäftigten Frauen nahm von 1985 bis Ende 1989 um 7% zu, diejenige der Männer nur um 1,9% (Die Volkswirtschaft, 63/1990, Nr. 5, S. 8); L'Hebdo, 26.10.89. Zur Pufferfunktion der Frauen in Zeiten der Hochkonjunktur vgl. TW, 29.6.89. Für die Entwicklung der Frauenlöhne in den letzten Jahren siehe J. Clottu, "Lohnentwicklung: Verstärkter Anstieg der Nominallöhne in den Jahren 1989 und 1990", in Die Volkswirtschaft, 63/1990, Nr. 7, S. 35 ff.
[47] Presse vom 3.1.89.
[48] Presse vom 12.9.89; "Zusammenfassung der Ergebnisse des Konsultationsverfahrens zum Bericht 'Lohngleichheit für Mann und Frau—, in Frauenfragen, 12/1989, Nr. 2, S. 42 ff. Zum Bericht selbst siehe SFJ 1988, S. 218 f.
[49] Verhandl. B. vers., 1989, V, S. 31; BaZ, 12.1.90.
[50] NZZ, 14.6.89.
[51] Presse vom 11.3.89 (SGB-Frauenkongress); SGT, 16.3.89; Suisse, 22.4. und 2.6.89; BaZ, 17.6. und 28.8.89; BZ, 30.6.89; Bund, 8.9.89; Presse vom 14.9.89; Ww, 21.9.89; Vr, 18.10.89. Diskussion, Nr. 9, Sept. 1989 (mehrere Artikel aus gewerkschaftlicher Sicht). Auf die Revision des Arbeitsgesetzes wird an anderer Stelle ausführlicher eingegangen (siehe oben, Teil I, 7a, Arbeitszeit).
[52] Baz, 19.10.89; Suisse, 20.10.89; NZZ, 21.10.89; TA, 25.10.89; SHZ, 26.10.89.
[53] Frauenforderung nach Frauenförderung, Bern 1989; Suisse, 11.11.89; TA, 15.11.89. Zur Forderung nach Frauenquoten an den Universitäten siehe unten, Teil I, 8a (Hautes écoles).
[54] WoZ, 28.4.89; Presse vom 1.9.89. Für die zunehmende Gewalt gegenüber Frauen siehe oben, Teil I, 7b (Fürsorge).