Année politique Suisse 1990 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Datenschutz
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Datenschutzgesetz
Als Erstrat behandelte der Ständerat in der Frühjahrssession das vom Bundesrat 1988 vorgelegte Datenschutzgesetz. Er schloss sich dabei mehrheitlich den Vorschlägen seiner Kommission an. Insbesondere hielt er an der vom Bundesrat gewählten Konzeption eines Einheitsgesetzes fest, welches sowohl für die Bundesorgane als auch für Private Geltung hat. Auf die Begehren der Zeitungsverleger und der Medienschaffenden, den Bereich der Medien aus dem Geltungsbereich des Datenschutzgesetzes auszuklammern, trat er nicht ein. Hingegen gestand er den periodisch erscheinenden Medien zu, bei der Gewährung von Einsichts- und Berichtigungsrechten einen zeitlichen Aufschub zu verlangen. Damit soll gewährleistet werden, dass das Datenschutzgesetz nicht zur Verhinderung von Recherchen und Publikationen verwendet werden kann. Im privatrechtlichen Bereich blieb der Ständerat auf der relativ wirtschaftsfreundlichen Linie seiner Kommission. So lehnte er zum Beispiel den Antrag, den Arbeitnehmern Einsicht in ihr Personaldossier einzuräumen, mit 22:11 Stimmen ab, und er strich auch die Klagelegitimation von Verbänden [3].
Die Kommission des Ständerates hatte hingegen die Behandlung der zum Datenschutzgesetz gehörenden Revisionen der Bundesgesetze über die Bundesstrafrechtspflege bzw. über die internationale Rechtshilfe zurückgestellt. Sie wollte damit insbesondere den Einbezug der Erkenntnisse und Forderungen der Parlamentarischen Untersuchungskommission (Puk) in bezug auf den Datenschutz im Bereich der Bundesanwaltschaft ermöglichen. In einer Zusatzbotschaft präsentierte der Bundesrat im Herbst seine neuen Anträge. Er schlug darin vor, dass auch für das gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren des Bundes datenschutzrechtliche Grundsätze verankert werden sollen. Die datenschützerischen Vorschriften für die präventive Tätigkeit der Bundesanwaltschaft sollen hingegen erst in einem späteren Staatsschutzgesetz festgelegt werden. Politisch brisanter waren die beantragten Änderungen, im Bereich der Rechtshilfe, d.h. vor allem der Informationstätigkeit des Bundes für die Behörden der Kantone und des Auslandes. So soll das 1986 definitiv vom Bund in Betrieb genommene automatisierte Fahndungssystem RIPOL eine gesetzliche Grundlage erhalten. Diese definiert unter anderem den Verwendungszweck der Daten und die Stellen, denen diese Daten weitergegeben werden dürfen [4].
Der Ständerat behandelte diese Zusatzanträge bereits in der Wintersession. Einen Nichteintretensantrag Onken (sp, TG), der zwar den Regelungsbedarf in diesem Bereich durchaus anerkannte, die vom Bundesrat gemachten Vorschläge aber als zu wenig überdacht kritisierte, lehnte der Rat mit 33:4 Stimmen ab. In der Detailberatung brachte der Ständerat am Bundesratsentwurf einige geringfügige Ergänzungen an [5].
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Volkszählung
Die alle zehn Jahre stattfindende eidgenössische Volkszählung wurde wie geplant mit dem Stichdatum 4. Dezember durchgeführt. Nachdem bereits die Volkszählung von 1980 nicht ohne Proteste und Verweigerungen über die Bühne gegangen war, formierte sich diesmal ein organisierter Widerstand, der namentlich von Aktivisten der grünen und linken Bewegungen getragen wurde. Begünstigt wurde diese Oppositionsbewegung durch ein generell angestiegenes Misstrauen der Bevölkerung gegenüber Datenerhebungen und -banken. Der "Fichenskandal", d.h. die Enthüllungen der Puk über die Datensammlungen der Bundesanwaltschaft, verstärkten dieses Missbehagen zusätzlich. Über die Qualität der Volkszählung 1990 lassen sich noch keine gefestigten Aussagen machen: während sich das Bundesamt für Statistik optimistisch in bezug auf Rücklaufquote und vollständige Beantwortung der Fragen gab, sprachen die Gegner von einem grossen Erfolg ihrer Verweigerungsaufrufe [6] .
Hinter dem Aufruf zum Boykott der Volkszählung stand unter anderem eine "Aktion gegen Datenerfassung". Sie wandte sich nicht nur gegen die geplante Volkszählung, sondern allgemein gegen die Erhebung von Daten. Diese Erhebungen würden ihrer Meinung nach nicht das Wesentliche erfassen und überdies nichts zur Lösung politischer und sozialer Probleme beitragen. Etwas differenzierter waren die Argumente der "Koordination Volkszählungsboykott 90", welche breit über Zweck und praktische Durchführung der Verweigerung informierte und dazu auch eine "Boik Otto" genannte Zeitung herausgab [7].
Breite Kreise im Komitee "Schluss mit dem Schnüffelstaat" versuchten, den Fichenskandal mit der Volkszählung in einen Konnex zu bringen. Nach langen internen Diskussionen, in denen sich vor allem die grossen Organisationen (SP, LdU und SGB) gegen eine Verweigerung aussprachen, verzichtete das Komitee auf einen Boykottaufruf. Im Gegensatz zu den erwähnten Parteien schloss sich hingegen die PdA dem Boykottaufruf an [8]. Im Nationalrat nahm S. Leutenegger Oberholzer (gp, BL) die Argumente der im Komitee unterlegenen Seite wieder auf. Sie schlug in einer Interpellation vor, auf die Durchführung der Volkszählung zu verzichten, bis alle von der Bundesanwaltschaft registrierten Personen vollständige Einsicht in ihre Dossiers erhalten haben. Für den Bundesrat bestand dazu kein Anlass, da weder ein rechtlicher noch ein sachlicher Zusammenhang zwischen den beiden Bereichen bestehe. Die Befragten seien zudem durch das im Rahmen des neuen Bundesgesetzes über die Volkszählung geschaffene Statistikgeheimnis vor der personenbezogenen Verwendung ihrer Angaben geschützt [9].
 
[3] Amtl. Bull. StR, 1990, S. 125 ff. und 149 ff.; Presse vom 14. und 15.3.90. Zu den Beratungen der Kommission und den wesentlichen Differenzen zum Vorschlag des BR siehe TW, 16.1.91 und SPJ 1989, S. 20. Siehe auch die Aufsätze in NZZ, 28.3.90 (Beilage "Technologie und Gesellschaft").
[4] BBI, 1990, III, S. 1221 ff.; NZZ, 18.10.90; Plädoyer, 8/1990, Nr 6, S. 32 f. Zum RIPOL siehe auch SPJ 1986, S. 17. Bereits am 27. Juni hatte der Bundesrat eine ausführliche Verordnung über Zweck, Bearbeitung und Verwendung von RIPOL in Kraft gesetzt (AS, 1990, S. 1070 ff.).
[5] Amtl. Bull. StR, 1990, S. 870 ff.
[6] Presse vom 1. November bis Mitte Dezember. Beurteilung: BZ, 18.12.90 (BA); TW, 8.12.90 (Gegner). Vgl. auch SPJ 1988, S. 24. Allgemein zur Wirtschafts- und Sozialstatistik der Schweiz siehe P. Bohley / A. Jans (Hg.), Einführung in die Wirtschafts- und Sozialstatistik der Schweiz, Bern 1990.
[7] BZ, 30.10.90; Vr, 30.10.90; TW, 30.10. und 24.11.90. Siehe auch Robotage (Hg.), Materialien gegen Erfassung, Planung und Kontrolle, Zürich 1990. Pikanterweise rief auch eine rechtsextreme Gruppe mit zum Teil identischen Argumenten zu einem Boykott auf (WoZ, 21.9.90).
[8] Komitee: WoZ, 10.8., 31.8.90; LNN, 27.8.90 (zum Komitee selbst siehe unten, Staatsschutz). PdA: WoZ, 12.10.90. Zu den Argumenten der linken Gegner eines Boykotts siehe C.-A. Udry, "Bumerang-Vorschläge der Linken", in WoZ, 21.9.90 sowie das Streitgespräch mit NR Vollmer (sp, BE) in TW, 26.11.90.
[9] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1296 f. Zum Gesetz, das auch Geldstrafen für Verweigerer vorsieht, siehe SPJ 1988, S. 24.