Année politique Suisse 1991 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
Raumplanung
Obwohl zusammen mit demjenigen Genfs als einer der letzten eingereicht, fand der
Richtplan des Kantons Jura die volle Anerkennung des Bundesrates. Es wird damit gerechnet, das Verfahren mit der Tessiner Vorlage im Herbst nächsten Jahres abschliessen zu können
[1].
Nachdem der Entwurf des Bundesrats für eine Revision des Raumplanungsgesetzes letztes Jahr gescheitert war, sprach sich die zuständige Kommission des Ständerats für das vom Bundesrat vorgelegte Realisierungsprogramm im Bereich der Raumplanung sowie den dazugehörigen Bericht aus und empfahl ihrem Rat, ebenfalls eine Nationalratsmotion zu überweisen, in welcher der Bundesrat aufgefordert wird, dem Parlament einmal pro Legislatur über den Stand des Realisierungsprogramms Bericht zu erstatten. Diesen Anträgen folgten beide Kammern, der Nationalrat im Sommer, der Ständerat im Herbst
[2].
Die grosse Kammer sprach sich auf Antrag der Mehrheit ihrer Kommission knapp für eine vom Ständerat im Frühjahr gegen den Widerstand Bundesrat Kollers überwiesene Motion Zimmerli (svp, BE) aus, welche eine fle
xiblere Ordnung der in der Landwirtschaftszone geltenden Nutzungsvorschriften verlangte. Während der Bundesrat zur Rechtfertigung seiner ablehnenden Haltung besonders auf die von den Kantonen noch weitgehend ungenutzten Ausnahmemöglichkeiten im bestehenden Gesetz verwies, fürchtete die Kommissionsminderheit, welche hauptsächlich von Sozialdemokraten gebildet wurde, aber neben einem Mitglied der Fraktion der Grünen auch je einen Vertreter der FDP sowie der SVP umfasste, dass mit der Motion die bestehende gesetzliche Regelung untergraben würde
[3].
Darüber hinaus reichte die genannte Kommissionsminderheit selbst eine. Motion ein, worin sie den Bundesrat aufforderte, den eidgenössischen Räten rasch eine Revision des Raumplanungsgesetzes auf der Grundlage des Expertenberichtes Jagmetti zu unterbreiten. Nicht nur der Bundesrat, welcher sich in seiner Stellungnahme gegen diesen Antrag wandte, sondern auch die Mehrheit des Rates hielt den Vorschlag jedoch nicht für opportun und lehnte ihn im Dezember ab
[4].
Zwei weitere Motionen hinsichtlich des Raumplanungsgesetzes, welche Wiederkehr (ldu, ZH) im Frühjahr sowie die sozialdemokratische Fraktion im Herbst letzten Jahres eingereicht hatten und welche den Bundesrat zum Erlass gesetzlicher Regelungen hinsichtlich des Planungsausgleichs aufforderten, wurden vom Nationalrat auf Antrag des Bundesrats als Postulate überwiesen. Freilich gelang es Bundesrat Koller bei der ersten Motion nur mit Mühe und unter der Versicherung, selber im Rahmen der nächsten Revision des Raumplanungsgesetzes darauf zurückzukommen, den Rat davon zu überzeugen, die Vorlage nicht in der zwingenden Form zu überweisen
[5].
Für nicht vordringlich hält die verwaltungsinterne Arbeitsgruppe "Weiterentwicklung des Bodenrechts", welche 1988 nach der Abstimmung über die sogenannte "Stadt-Land-Initiative" gebildet worden war, eine neue
Verfassungsgrundlage zur Bodenpolitik. Zwar verneint ihr Bericht, in dessen Zentrum das Anschlussprogramm steht, welches die bodenrechtlichen Sofortmassnahmen ablösen soll, keineswegs die Wünschbarkeit einer Überarbeitung der eigentums- und bodenrechtlichen Verfassungsbestimmungen. Sie hält jedoch das bestehende verfassungrechtliche Instrumentarium grundsätzlich für ausreichend, die anstehenden Probleme zu lösen, weshalb von dem politisch wie finanziell riskanten Schritt einer Revision im Bereich der Eigentumsverfassung vorerst abgeraten wird
[6].
Dem Antrag des Bundesrats, die aus der
Reform der amtlichen Vermessung der Schweiz herrührenden Mehrkosten allein den Kantonen zu belasten, konnten sich weder die Kommissionen beider Räte, noch die Ständekammer, welche die Vorlage im Sommer behandelte, anschliessen. Einstimmig beschloss sie eine Entlastung der Kantone um gut 150 Mio Fr. Dagegen beantragt die zuständige Nationalratskommission dem Plenum eine grössere Beteiligung zumindest der finanzstarken Kantone
[7].
Im Mai konnten in einer Halbzeitbilanz erste befriedigende Ergebnisse des gesamtschweizerischen Pilotprojektes "Reform der amtlichen Vermessung — RAV NW-Subito", welches seit Oktober 1989 in Nidwalden durchgeführt wird, vorgestellt werden. Das Projekt erstrebt über eine Neugestaltung der Rechtsgrundlagen der amtlichen Vermessung die digitale Aufarbeitung und Speicherung aller vermessungstechnisch relevanten Daten
[8].
Schliesslich beschloss die Landesregierung noch eine Totalrevision der Verordnung über die Benützung des eidgenössischen Kartenwerks und der Pläne der Grundbuchvermessung. Damit wurde deren Benutzung für den privaten Eigengebrauch in Anlehnung an das Urheberrechtsgesetz freigegeben
[9].
Als wohl wichtigste Arbeit auf dem Gebiet der Raumplanung konnte im Berichtsjahr das vom Bundesrat 1985 beim Nationalfonds in Auftrag gegebene Nationale Forschungsprogramm "Boden", welches insgesamt in 67 Projekten gegen 150 Forschende beschäftigt hatte, abgeschlossen und der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Die im Schlussbericht zusammengefassten Massnahmen für eine neue "Kultur" im Umgang mit dem Boden postulieren folgende Grundsätze:
– Stärkere Nutzung des bestehenden Verdichtungspotentials in den äusseren Stadtquartieren, Vorortsgemeinden und mittleren urbanen Zentren, vor einer Neuerschliessung weiteren Baulandes sowie regionale Anpassung der Bauvorschriften an eine derartige innere Erneuerung und Verdichtung.
– Begrenzung des Wachstums "nach aussen" durch eine engere Umschreibung der Bauzone sowie die Verschärfung der Vollzugsinstrumente durch die Einführung einer bundesrechtlichen Enteignungskompetenz zur Durchsetzung zonenkonformer Nutzung und eine mittelfristige Kontingentierung der Siedlungsfläche; Konkretisierung und Abstimmung der Verkehrs- und Siedlungsentwicklung in den kantonalen Richtplänen und Förderung des raumsparenden öffentlichen Verkehrs durch höhere Treibstoffkosten.
– Veröffentlichung von Handänderungen und Preisen sowie Einführung einer Bodenpreisstatistik des Bundes; angemessene Abschöpfung der durch die konzentrierte Besiedlung anfallenden höheren Bodenerträge und deren Verwendung für öffentliche Aufgaben; Verstärkung der Wohnhilfe des Bundes und deren Ausrichtung auf raumsparende Massnahmen, etwa zur Gewinnung zusätzlicher Wohneinheiten in bestehenden Gebäuden.
–
Reduktion oder gänzliches Verbot der vom Boden nicht abbaubaren Schadstoffe, insbesondere Bekämpfung der umweltschädigenden Düngung, und Erweiterung des Leistungsauftrags an die Landwirtschaft durch ökologische Aspekte. Erhaltung naturnaher Lebensräume für Tiere und Pflanzen durch Inventarisierung der bestehenden Gebiete und deren Vergrösserung auf etwa das Doppelte
[10].
Mit den
Auswirkungen der europäischen Integration auf die künftige Raumplanung in der Schweiz befasste sich ein international besetztes Symposium, welches im Rahmen der Jubiläumsfeiern zum 700. Geburtstag der Eidgenossenschaft vom 27.-29. Juli in Schaffhausen durchgeführt wurde. In den Referaten wurde eine faktische Beeinflussung der schweizerischen Raumplanung durch die Integrationsprozesse innerhalb der EG festgestellt. Als konkrete Gefahren dieses Prozesses wurden — neben einem Fortbestehen der Vollzugskrise — der zunehmende Kampf um den Boden und damit eine verstärkte Tendenz zur Deregulierung in der Raumplanung der Städte erkannt. Die zukünftige wirtschaftliche Rolle der Schweiz sahen die Experten vornehmlich als Standort hochwertiger Dienstleistungsanbieter, während für die zentrale Frage des Verkehrs sowohl eine Reduktion der Mobilität als auch eine verstärkte Verlagerung des Transports auf die Schiene ins Auge gefasst wurde
[11].
Schliesslich trat auch der Schweizerische Handels- und Industrieverein (
Vorort) mit Vorschlägen hinsichtlich der Bodenpolitik auf. Sein "
Liberales Bodenkonzept" sieht eine Lösung der angespannten Lage auf dem Bodenmarkt in der weitgehenden Aufhebung staatlicher Einschränkungen und einer Stärkung der Marktkräfte. Daher wird in dem Papier neben den dringlichen bodenpolitischen Massnahinen des Bundes vor allem auch die Beschränkung des Zugangs zu landwirtschaftlichem Boden auf Selbstbewirtschafter, wie sie vom Parlament im Berichtsjahr beschlossen worden ist, heftig kritisiert
[12].
[1] BBl, 1991, II, S. 1612; NZZ, 26.6.91; Gesch.ber. 1991, S. 160.
[2] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 1310 f.; Amtl. Bull. StR, 1991, S. 732 ff.; SPJ 1990, S. 171 f.
[3] Amtl. Bull. StR, 1991, S. 156 ff.; Amtl. Bull. NR, 1991, S. 2338 ff.; NZZ, 7.8. und 10.9.91; Bund und BZ, 7.9.91.
[4] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 2339 ff.; vgl. SPJ 1990, S. 171.
[5] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 755 f. und 2131 f.
[6] Presse vom 18.5.91. Zur Einsetzung der Arbeitsgruppe siehe SPJ 1988, S. 162.
[7] Amtl. Bull. StR, 1991, S. 590 ff. NR-Kom.: NZZ, 11.9.91; LZ, 27.11.91; vgl. SPJ 1990, S. 175.
[8] Vat., 24.4.91; LNN, 25.4.91. Vgl. auch SGT, 26.11.91.
[9] NZZ, 8.11. und 15.11.91.
[10] Presse vom 30.10.91. Vgl. auch Vr, 15.2.91; NZZ, 5.7., 31.10. und 4.11.91 sowie Lit.
[11] NZZ und Vr, 28.5. und 29.5.91; SN, 14.5. und 27.5.-29.5.91; TW, 29.5.91.
[12] Vgl. Presse vom 27.2.91. Zum bäuerlichen Bodenrecht siehe unten.
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