Année politique Suisse 1992 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Öffentliche Ordnung
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Extremismus
Im März konnte der Bundesrat den 1989 vom Parlament in Auftrag gegebenen Extremismusbericht veröffentlichen. In einem ersten Teil gibt der Bericht einen Überblick über extremistische Bestrebungen. In seiner Gesamtbeurteilung hält der Bundesrat fest, dass es in der Schweiz zur Zeit keinen gravierenden politischen Extremismus gibt, der die innere Sicherheit gefährden würde. Hingegen haben im untersuchten Zeitraum die kriminellen Aktionen mit rechtsradikalem und rassistischem Hintergrund eindeutig zugenommen. Ebenfalls häufiger als früher kam es gemäss diesem Bericht zu politisch motivierten gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Ausländergruppen, namentlich aus dem Iran, der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien. Der zweite Teil listet die Manifestationen extremistischer Gewalttätigkeit auf, wie sie die Polizei im Zeitraum 1989-91 registriert hat. Dabei werden nicht nur die Gewalttaten mit erwiesener oder vermuteter rechtsradikaler Täterschaft aufgelistet, sondern auch die bestehenden extremistischen Organisationen übersichtsmässig dargestellt. Der Nationalrat nahm den Bericht als Erstrat zur Kenntnis; ein auch von Abgeordneten der Liberalen getragener Rückweisungsantrag Scherrer (ap, BE), der dem Bericht Einseitigkeit vorwarf und bemängelte, dass er extremistische Aktionen von Umweltschützern (z.B. Strassensperren) nicht erwähne, fand keine Zustimmung [19].
Die Welle der fremdenfeindlichen Aktionen ist im Berichtsjahr deutlich abgeflaut. Nach Angaben des EJPD wurden 42 Ereignisse mit tatsächlichem oder vermutetem fremdenfeindlichem Hintergrund registriert. Bei rund der Hälfte davon handelte es sich um Sachbeschädigungen oder Schmierereien an Flüchtlingsunterkünften, in 15 Fällen kam es zu Brandstiftungen resp. Brandstiftungsversuchen, je zwei Anschläge wurden mit Schusswaffen resp. mit Feuerwerkskörpern durchgeführt [20]. Der ehemalige Anführer der rechtsextremen Patriotischen Front, Marcel Strebel, stand erneut vor Gericht. Das Bezirksgericht Schwyz verurteilte ihn wegen Landfriedensbruchs zu zwanzig Tagen Gefängnis, wobei er diese Strafe nicht absitzen muss, sondern sich einer ambulanten psychiatrischen Behandlung zu unterziehen hat [21].
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Kundgebungen
Die grössten politischen Demonstrationen führten im Berichtsjahr die Landwirte durch: am 9. Januar protestierten an drei Orten insgesamt 31 000 Bauern (15 000 in Bern, 10 000 in Weinfelden/TG und 6000 in Luzern) gegen die GATT-Verhandlungen. Gut besucht waren auch die am 10. Dezember vor allem von Frauen durchgeführten Protestaktionen gegen die sexuelle Gewalt im Krieg in Bosnien. Die kriegerischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien waren denn auch das häufigste Thema bei den insgesamt 40 (1991: 30) von uns verzeichneten Kundgebungen mit 1000 und mehr Beteiligten: zehn Grosskundgebungen fanden zu diesem Anlass statt (inkl. eine Demonstration von Griechen gegen die Anerkennung der neuen Republik Mazedonien und eine von Serben gegen die Berichterstattung in den deutschsprachigen Medien). Am zweithäufigsten waren Grossdemonstrationen gegen die Fremdenfeindlichkeit bzw. gegen eine Verschlechterungen der Arbeitsverhältnisse (je 7). Letztere fanden vorwiegend in der französischsprachigen Schweiz statt, während sich die Kundgebungen gegen Fremdenfeindlichkeit und gegen den Krieg in Bosnien auf die Deutschschweiz konzentrierten. Mehr als die Hälfte der Grossdemonstrationen wurden in den Städten Zürich und Bern durchgeführt (11 resp. 10), wovon in Zürich deren sechs von in der Schweiz ansässigen Ausländern organisiert wurden. Bei diesen Grossanlässen kam es lediglich an der Bauerndemonstration in Bern zu Aùsschreitungen und Auseinandersetzungen mit der Polizei. Viel häufiger waren derartige Vorkommnissen jedoch bei den kleineren Demonstrationen im Zusammenhang mit der Räumung von besetzten Häusern (v.a. in Zürich und Genf) und mit Blockierungen des motorisierten Privatverkehrs (v.a. in Zürich) [22].
Nachdem der bernische Grosse Rat im Vorjahr einen Vorstoss für ein Vermummungsverbot bei Demonstrationen knapp verworfen hatte, reichte nun ein aus Politikern der SVP, der FDP, der SD und der EDU gebildetes Komitee eine entsprechende Volksinitiative ein. Das bernische Stadtparlament lehnte ein Postulat der FDP für ein Vermummungsverbot ab. Ebenfalls negativ äusserte sich die Zürcher Kantonsregierung zu einer im Vorjahr eingereichten Volksinitiative der AP [23].
 
[19] BBl, 1992, III, S. 201 ff.; Amtl. Bull. NR, 1992, S. 2682 ff.; Presse vom 24.3.92.
[20] NZZ, 8.1.93; Ww, 11.2.93. Nach Angaben von BR Koller waren aber bei weitem nicht alle Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte fremdenfeindlich motiviert; von den aufgeklärten Vorfällen des Vorjahres waren mehr als ein Drittel von Asylbewerbern selbst begangen worden (Amtl. Bull. NR, 1992, S. 2692). Siehe auch eine repräsentative Umfrage zur Fremdenfeindlichkeit in Suisse, 23.6.92 sowie unten, Teil I, 7d (Ausländerpolitik).
[21] LZ, 20.11., 26.11. und 2.12.92; TA, 21.11.92. Vgl. SPJ 1991, S. 29.
[22] In der folgenden Zusammenstellung sind die Kundgebungen der Gewerkschaften zum 1. Mai, welche in den Grossstädten jeweils einige Tausend Beteiligte aufweisen, und die traditionellen — allerdings nur noch schwach besuchten — Ostermärsche der Pazifisten im schweizerisch/deutschen Grenzgebiet nicht erfasst. Belege für die Demonstrationen mit 1000 und mehr Teilnehmenden (in Klammer Anzahl und Thema): Zürich: TA, 23.3. (1500/gegen Fremdenfeindlichkeit), NZZ und TA, 10.2. (2000/Serben gegen Medien), NZZ, 2.3. (1500/Schliessung Kanzlei-Zentrum), NZZ, 23.3. (1000/Schliessung Kanzlei-Zentrum), TA, 30.3. (2000/Kurden gegen Türkei), NZZ, 11.5. (1000/Griechen gegen Mazedonien), NZZ, 25.5. (2000/Kroaten und Bosnier), NZZ, 12.10. (1000/Kurden gegen Türkei), NZZ, 23.10 (3000/Gewerkschafter), TA, 26.10. (1000/Kurden gegen Türkei), TA, 11.12. (5000/Frauen gegen Krieg in Bosnien). Bern: BZ, 10.1. (15 000/Bauern gegen Gatt), BZ, 24.2. (1000/gegen Fremdenfeindlichkeit), BZ, 23.3. (6000/gegen Fremdenfeindlichkeit), Bund, 30.3. (1500/für liberale Drogenpolitik), TA, 6.7. (6000/ausländische Bauarbeiter; Pensionskassen im EWR), Bund, 21.9. (2000/AKW Mühleberg), BZ, 27.9. (3000/Krieg in Bosnien), Bund 27.11. (1000/Krieg in Bosnien), Bund, 11.12. (5000/Frauen gegen Krieg in Bosnien), Bund und Suisse, 21.12. (6000/Jugend für europäische Integration). Genf: JdG, 3.2. (2000/Kosovo-Albaner), BZ, 20.2. (3000/Staatsangestellte), BZ, 12.3. (5000/Staatsangestellte), JdG, 23.10. (1500/Mittelschüler), JdG, 6.11. (2000/Bauunternehmer), JdG, 9.12. (8000/Gewerkschafter), JdG, 18.12. (1000/Staatsangestellte). Basel: BaZ, 23.10. (5000/Gewerkschafter), BaZ, 11.12. (2000/Frauen gegen Krieg in Bosnien). La Chaux-de-Fonds: 24 Heures, 27.4. (1000/gegen Fremdenfeindlichkeit), Express, 19.12. (1500/ für europäische Integration). Lausanne: Suisse, 18.1. (3000/gegen Fremdenfeindlichkeit), JdG, 9.10. (1000/Staatsangestellte). Luzern: LZ, 10.1. (6000/Bauern gegen Gatt), LNN, 11.12. (1500/Frauen gegen Krieg in Bosnien). Erstfeld/UR: LNN, 30.11. (2000/Eisenbahner). St. Gallen: SGT, 23.3. (1200/gegen Fremdenfeindlichkeit). Schaffhausen: SN, 28.12. (3000/gegen Fremdenfeindlichkeit). Weinfelden/TG: SGT, 10.1. (10 000/Bauern gegen Gatt). Nachtrag zu 1991: Zürich: NZZ, 3.1.92 (3000/Schliessung Kanzlei-Zentrum).
[23] Initiative: Bund, 20.5. und 10.12.92. Stadt Bern: BZ, 22.10.92. ZH: TA, 9.10.92. Vgl. SPJ 1991, S. 29 f.