Année politique Suisse 1993 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
 
Parlament
print
Entschädigungen
Nachdem das Volk im Herbst 1992 einen Ausbau der persönlichen Infrastruktur und eine Verbesserung der Entlöhnung der Parlamentarier abgelehnt hatte, beantragte das Büro des Nationalrats nun mit einer parlamentarischen Initiative eine Erhöhung der 1990 letztmals heraufgesetzten Beiträge an die Fraktionen um real rund 15%. Der Grundbeitrag sollte gemäss diesem Vorschlag von 50 000 auf 70 000 Fr., der Beitrag pro Mitglied von 9000 auf 12 000 Fr. steigen. Gleichzeitig sprach sich das Büro gegen eine parlamentarische Initiative Stucky (fdp, ZG) für eine Erhöhung der persönlichen Bezüge für Parlamentarier aus. Der Nationalrat lehnte einen Antrag Leuba (lp, VD), welcher lediglich den Ausgleich der Teuerung verlangt hatte, ab und verabschiedete den Beschluss mit 71:37 Stimmen. Im Ständerat fand das Anliegen weniger freundliche Aufnahme. Zuerst war ein Stichentscheid des Präsidenten erforderlich, um überhaupt auf das Geschäft eintreten zu können. Dann beschloss der Rat auf Antrag seines Büros, nur die aufgelaufene Teuerung auszugleichen. Da sich der Nationalrat diesem Entscheid fügte, erhalten die Fraktionen in Zukunft einen Grundbeitrag von 58 000 Fr. und einen Beitrag von 10 500 Fr. je Mitglied [37].
Nach dem Nationalrat stimmte auch der Ständerat einer Motion Schmid (gp, TG) zu, die eine Erhöhung der Vorsorgeentschädigung für Parlamentarier verlangt. Damit soll ein Manko bei der beruflichen Vorsorge ausgeglichen werden, das den Mandatsinhabern aus dem teilweisen Verzicht auf ihre ordentliche Erwerbsarbeit entsteht [38].
top
 
print
Infrastrukturen
Der Nationalrat hatte im Vorjahr in erster Lesung die Einrichtung eines elektronischen Abstimmungssystems abgelehnt. Die Kommission legte zuhanden der zweiten Lesung einige Abänderungsanträge vor. So schlug sie ein technisches Verfahren vor, das sicherstellen soll, dass nicht auch für abwesende Banknachbaren und -nachbarinnen gestimmt werden kann. Sie beantragte zudem eine Erweiterung der Anwendung: Das neue System soll in der Regel für alle Abstimmungen verwendet werden. Da das bisherige Aufstehen entfällt, soll das Votum der einzelnen Abgeordneten auf einer Anzeigetafel sichtbar sein. Dabei werden sämtliche Abstimmungsergebnisse gespeichert; Namenslisten mit dem individuellen Verhalten sollen dann veröffentlicht werden, wenn dies 30 Ratsmitglieder verlangen, sowie bei Gesamt- und Schlussabstimmungen und bei Beschlüssen über die Dringlichkeitsklausel [39].
Der Nationalrat lehnte einen von den Fraktionen der AP und der FDP sowie einem Teil der CVP unterstützten Nichteintretensantrag Ruf (sd, BE) ab, der vor allem mit den hohen Kosten und der Missbrauchsgefahr begründet wurde. In der Detailberatung wurde ein Antrag Poncet (1p, GE) knapp abgelehnt, der Interessierten Einsicht in alle gespeicherten Abstimmungsresultate geben wollte. Die von der Kommission vorgeschlagene Lösung wurde in der Gesamtabstimmung mit 78:51 und in der Schlussabstimmung mit 99:67 Stimmen gutgeheissen [40].
Der Nationalrat stimmte auch der Beschaffung eines Funkrufsystems zu, wie es im Vorjahr ein überwiesenes Postulat Reimann (svp, AG) angeregt hatte. Mit dieser Einrichtung soll vermieden werden, dass nicht im Saal anwesende Parlamentarier wichtige Abstimmungen verpassen [41].
Weitere Vorarbeiten für das Projekt einer Erweiterung des Parlamentsgebäudes wurden, obwohl nach wie vor Raumknappheit besteht, vorläufig ad acta gelegt. Die damit befasste Kommission beantragte angesichts der stadtplanerischen und finanziellen Einwände, die von ihr selbst im Vorjahr eingereichte parlamentarische Initiative abzuschreiben [42].
top
 
print
Instrumente
Ständerat Cottier (cvp, FR) und Nationalrat Engler (cvp, Al) reichten identische Motionen ein, in denen sie namentlich auch institutionelle Änderungen beim Gesetzgebungsprozess fordern. So soll beim Kantonsreferendum die heute erforderliche Anzahl von acht beteiligten Kantonen gesenkt werden, damit beispielsweise die sechs mehrheitlich französischsprachigen Kantone eine Volksabstimmung verlangen können; zusätzlich möchten die Motionäre auch ein ähnlich ausgestaltetes Initiativrecht einführen. Vorgeschlagen wird in den Motionen auch ein Behördenreferendum, das einer qualifizierten parlamentarischen Minderheit erlauben würde, die Durchführung einer Volksabstimmung zu einem Parlamentsbeschluss zu verlangen. Schliesslich sollen bei den Parlamentsverhandlungen die Anliegen der Sprachminderheiten besser berücksichtigt werden. Deren Vertretern würde das Recht auf ein suspensives Veto eingeräumt, welches ein zusätzliches Differenzbereinigungsverfahren zur Folge hätte [43].
Eine wesentlich weniger weit gehende Aufwertung des Instruments der Standesinitiative beantragte die Staatspolitische Kommission des Ständerats. Dieses seit 1848 den Kantonen zustehende Vorschlagsrecht zuhanden des Parlaments hatte sich in den letzten Jahren zwar wachsender Beliebtheit erfreut, war aber vom Parlament ähnlich stiefmütterlich wie Petitionen behandelt worden. Dies hing auch damit zusammen, dass die Prozedur der parlamentarischen Behandlung nicht sehr präzis definiert war. Die Kommission schlug nun vor, die Standesinitiativen gleich zu behandeln wie parlamentarische Initiativen, mit der Ausnahme, dass die Vorprüfung, also der Entscheid, ob ihnen Folge zu leisten sei, von beiden Kammern durchgeführt werden muss. Im positiven Fall wird eine Kommission des einen Rates mit der Ausarbeitung einer Vorlage beauftragt. Nachdem auch der Bundesrat keine Einwände erhoben hatte, akzeptierten beide Ratskammern diese Neuerung oppositionslos, wobei zu Jahresende noch eine kleine Differenz bestehen blieb: der Nationalrat sprach sich für eine obligatorische, der Ständerat für eine bloss fakultative Anhörung des initiierenden Kantons aus [44].
Die im Nachgang zu den PUK-Berichten an die Hand genommenen Arbeiten für die Verbesserung der Oberaufsicht des Parlaments konnten abgeschlossen werden. Bei den Akteneinsichtsrechten der Delegationen der GPK wurde zwischen Bundesrat und Parlament ein Kompromiss gefunden. Letzteres verzichtete zugunsten einer Generalklausel darauf, diejenigen Fälle, in denen der Bundesrat die Herausgabe von Akten verweigern darf, auf einige, genau definierte Fälle zu limitieren [45].
Der Ständerat nahm als Erstrat vom Leitbild für die Arbeit der neu geschaffenen Delegationen der Geschäftsprüfungskommissionen in zustimmendem Sinne Kenntnis [46].
top
 
print
Herbstsession in Genf
Die Renovationsarbeiten am Nationalratssaal boten den äusseren Anlass, die ordentliche Herbstsession zum erstenmal seit 1848 nicht in der Bundesstadt abzuhalten. Bereits früher hatte der Genfer Ziegler (sp) erfolglos gefordert, mit der Durchführung von Parlamentssitzungen ausserhalb von Bern die Ideen des Föderalismus und des nationalen Zusammenhalts zu stärken. Die Majorisierung der französischsprachigen Schweiz in der EWR-Abstimmung hatte nun die Freisinnigen Fischer (AG), Früh (AR) und Tschopp (GE) veranlasst, eine Verlegung ins Internationale Kongresszentrum in Genf anzuregen. Gegen den Antrag seines Büros, welches sich aus Kostengründen gegen diese Dislozierung des Parlaments und seines Mitarbeiterstabes wandte, stimmte das Plenum dem Vorschlag zu. Im Ständerat brauchte es den Stichentscheid des Präsidenten Piller (sp, FR), um diesen Beschluss zu bestätigen [47]. Die vom 20. September bis zum 8. Oktober in Genf durchgeführte Herbstsession war in ein umfangreiches Rahmenprogramm eingebettet und wurde allgemein als Erfolg gewertet [48].
 
[37] BBl, 1993, III, S. 780 ff.; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1581 ff., 2361 und 2589; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 898 ff. und 1130. Vgl. auch BaZ, 3.5.93 und SPJ 1992, S. 37 f.
[38] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 420. Vgl. SPJ 1992, S. 38.
[39] BBl, 1993, I, S. 79 ff. und 93 ff. Vgl. SPJ 1992, S. 39.
[40] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 491 ff. und 641; Bund, 19.3.93. Zu den Abstimmungen unter Namensaufruf im Berichtsjahr siehe die Tabelle im Anhang (anhang_1993.pdf).
[41] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2176 ff.; TA, 3.12.93. Vgl. SPJ 1992, S. 39.
[42] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 466 f.; Bund, 24.2.93. Vgl. SPJ 1991, S. 42.
[43] Verhandl. B.vers., 1993, IV, S. 81 f. und 141; NZZ, 20.3.93. Vgl. dazu auch unten, Teil I, 1d (Beziehungen zwischen Bund und Kantonen).
[44] BBl, 1993, III, S. 334 ff. und 352; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 725 ff. und 1107; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2252 f.
[45] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 465 f., 1852 und 2044; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 728 f. und 793; BBl, 1993, III, S. 786 f. Vgl. SPJ 1991, S. 42 f.
[46] BBl, 1993, II, S. 297 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 391 ff.
[47] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1338 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 577 ff.; JdG und Suisse, 11.6.93; Presse vom 16.6., 18.6. und 19.6.93. Zu den Kosten siehe auch BaZ, 25.8.93; zu den Initianten JdG, 20.9.93. Ziegler: SPJ 1991, S. 45. Ziegler reichte nach der Genfer Session einen neuen Vorstoss für die Abhaltung einer Session pro Jahr ausserhalb von Bern ein (Verhandl. B.vers., 1993, V, S. 133).
[48] Bund, 13.7.93; JdG, 20.7.93; TA, 6.8.93; Presse (v.a. JdG) vom 17.9.-9.10.93. Zur Renovation des Nationalratssaals siehe Bund und BZ, 23.11.93.