Année politique Suisse 1995 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
Wettbewerb
Die im Vorjahr vom Bundesrat beantragte Totalrevision des Kartellgesetzes konnte im Berichtsjahr verabschiedet werden. Kartellabsprachen über Preise, Produktionsmengen und Gebietsaufteilungen (sogenannt harte Kartelle) sind damit in Zukunft grundsätzlich verboten. Im Nationalrat war Eintreten unbestritten, obwohl die Fraktionssprecher der SVP und der FP (Blocher und Dreher, beide ZH) keinen guten Faden an dem neuen Gesetz liessen. Beide beurteilten das Gesetz als überflüssig, da sich in der Schweiz die meisten Kartelle aufgelöst hätten, und kritisierten zudem, dass staatlich geregelte Märkte von den Vorschriften ausgenommen sind. In der Detailberatung scheiterte ein vom Gewerbevertreter Früh (fdp, AR) eingebrachter Antrag, unter bestimmten Umständen sogenannte harte Kartelle weiterhin zuzulassen, mit 123:50 Stimmen. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Genehmigungspflicht für Unternehmenszusammenschlüsse wurde auf Antrag der Kommissionsmehrheit durch eine Meldepflicht ersetzt; je nach Einschätzung der neuen Marktverhältnisse könnte dann die Wettbewerbskommission aktiv werden. Dabei setzte der Rat die Umsatzgrenze, ab welcher Fusionen meldepflichtig sind, relativ hoch an (2 Mia Fr. resp. 500 Mio Fr. gemeinsamer Ausland- resp. Inlandumsatz; zudem je mindestens 100 Mio Fr. Inlandumsatz der zwei grössten Partner). Für den Medienmarkt wurde wegen der in diesem Bereich besonderen Bedeutung eines funktionierenden Wettbewerbs ein deutlich niedrigerer Wert festgeschrieben.
Im
Ständerat war Eintreten ebenfalls unbestritten. Bei den zulässigen Abweichungen vom Verbot von Absprachen zwischen Unternehmen - das betrifft solche, die zur Erzielung von Rationalisierungseffekten vorgenommen werden - hielt der Rat explizit fest, dass auch Vereinbarungen über die Verwendung von sogenannten Kalkulationshilfen bei der Preisgestaltung zulässig sein sollen. Sonst schloss er sich weitgehend den Entscheiden der grossen Kammer an, welche ihrerseits die Erweiterung der erlaubten Ausnahmen übernahm. In der Schlussabstimmung wurde das neue Gesetz vom Nationalrat mit 14 Gegenstimmen (v.a. aus der SVP und der FP), vom Ständerat einstimmig verabschiedet
[27].
Mit einer Motion kritisierten Parlamentarier aus der
Westschweiz einmal mehr die Tatsache, dass ihre Region
bei Bundesaufträgen nicht entsprechend der Bevölkerungszahl berücksichtigt wird. Eine von 87 Nationalräten unterzeichnete Motion Zwahlen (cvp, BE) verlangte in einem ersten Teil, die Gründe für diese nichtrepräsentative Auftragserteilung untersuchen zu lassen und dabei auch die Verteilung der Aufträge nach Produktionsstandorten für Unterlieferanten zu berücksichtigen. In einem zweiten Teil forderte die Motion Massnahmen für eine bevölkerungsproportionale Verteilung der Bundesaufträge. Der Nationalrat stimmte dem ersten Teil zu, lehnte jedoch den zweiten mit 66:63 Stimmen ab. Der Ständerat war mit dem ersten Teil ebenfalls einverstanden, kam aber zum Schluss, dass ein Postulat das korrekte Instrument sei, um den Bundesrat mit der Ausarbeitung eines Berichts zu beauftragen
[28]. Zwei im Nationalrat anlässlich der gleichen Debatte behandelten Postulate des Freisinnigen Pini (TI), die eine
Bevorzugung schweizerischer Steinproduzenten resp. von schlecht ausgelasteten schweizerischen Betrieben auch bei ungünstigeren Offerten verlangten, wurden relativ deutlich abgelehnt
[29].
Die im Vorjahr vom Ständerat angenommene Motion Bisig (fdp, SZ) für die Erstellung von
unterschiedlichen Preisindizes für die verschiedenen Bauarten (Wohn-, Gewerbe-, Verwaltungs- und Tiefbau), von welcher Kosteneinsparungen für das öffentliche Bauwesen erhofft werden, wurde auch vom Nationalrat überwiesen
[30].
Das im Vorjahr präsentierte neue
Binnenmarktgesetz wurde noch im Berichtsjahr
angenommen. Obwohl der Grundsatz des Abbaus von Handels- und Mobilitätsschranken zwischen den Kantonen an sich unbestritten war, beantragte im Nationalrat eine aus rechtsbürgerlichen Parlamentariern gebildete Kommissionsminderheit Nichteintreten. Sie hielten das Gesetz für staatspolitisch bedenklich, weil es die Kompetenzen der Kantone tangiere, und zudem für überflüssig, weil die Kantone in der Zwischenzeit die wichtigsten Liberalisierungsschritte vollzogen und in Konkordaten verallgemeinert hätten. Sie wurden von den Fraktionen der SVP und der FP sowie einer FDP-Minderheit unterstützt, unterlagen aber mit 110:28 Stimmen. In der Detailberatung stimmte eine knappe, aus einer Koalition von Linken und Gewerbevertretern gebildete Mehrheit dem Antrag des Liberalen Eymann (BS) zu, dass es bei öffentlichen Aufträgen zulässig sein soll, bei der Erbringung von Leistungen die Einhaltung der ortsüblichen Arbeitsbedingungen zu verlangen. Diese Barriere gegen ein mögliches
Sozialdumping, welche der in der EU diskutierten Entsenderichtlinie entspricht, wurde von der kleinen Kammer mit dem Argument gestrichen, dass dies eine Benachteiligung von Anbietern aus wirtschaftlichen Randgebieten darstellen würde, welche ihre Standortnachteile mit niedrigeren Löhnen kompensieren müssen. Der Nationalrat schloss sich in der Differenzbereinigung gegen den Widerstand der SP und der GP mit 81:49 Stimmen diesem Entscheid an. Auf Antrag von Ständerat Zimmerli (svp, BE) nahm das Parlament zudem die Bestimmung auf, dass die Kantone eine von der Verwaltung unabhängige Instanz schaffen müssen, welche Rekurse gegen die Vergabe von Aufträgen behandelt. In der Schlussabstimmung über das neue Gesetz gab es im Nationalrat zwei und im Ständerat eine Gegenstimme
[31].
Als dritten Schwerpunkt der Liberalisierung des Binnenmarktes neben der Kartellgesetzrevision und dem Binnenmarktgesetz legte der Bundesrat im Februar den Entwurf für ein neues
Bundesgesetz über technische Handelshemmnisse vor. Technische Handelshemmnisse bedeuten eine Beeinträchtigung des freien Wettbewerbs im internationalen Warenverkehr, insbesondere durch unterschiedliche technische Anforderungen an die Produkte, divergierende Messverfahren sowie Nichtanerkennung von ausländischen Produkteprüfungen und -zulassungen. Soweit die angestrebten Vereinheitlichungs- und Deregulierungsmassnahmen in den Kompetenzbereich des Bundesrates fallen, hatte er bereits im Anschluss an die EWR-Abstimmung von Ende 1992 ein erstes Aktionspaket verabschiedet. Das
Parlament genehmigte die Vorlage noch in der Herbstsession. Zum Inhalt des Gesetzes und zur Ratsdebatte siehe oben, Teil I, 2 (Politique économique extérieure)
[32].
Der Nationalrat überwies mit dem Einverständnis des Bundesrats eine Motion David (cvp, SG) für die reibungslose Zulassung von im Ausland (namentlich EU, USA und Japan) erworbenen Motorfahrzeugen (sogenannte
Parallelimporte). Konkret verlangt die Motion eine sofortige Änderung von Art. 12 des Strassenverkehrsgesetzes. Auch die Kartellkommission kritisierte die wettbewerbsbehindernde Auswirkung der vorgeschlagenen neuen Homologisierungsverordnung
[33].
Die im Vorjahr vom Ständerat gutgeheissene vollständige Deregulierung des
Ausverkaufswesens fand auch im Nationalrat ungeteilte Zustimmung und wurde vom Bundesrat auf den 1. November in Kraft gesetzt
[34].
[27]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1057 ff., 2046 f., 2110 und 2298;
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 845 ff., 1013 f. und 1065;
BBl, 1995, IV, S. 516 ff.; Presse vom 7.6., 8.6. und 21.9.95. Vgl.
SPJ 1994, S. 99 f.27
[28]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 601 ff.;
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 1033 f.;
Lib., 15.3.95;
NQ, 23.3.95. Vgl. dazu auch
SPJ 1993, S. 106 sowie
Die Volkswirtschaft, 68/1995, Nr. 7, S. 28 ff. Siehe auch die Interpellation Cavadini (fdp, TI) in
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1046 sowie die Anfrage Bührer (fdp, SH) über Wettbewerbsverzerrungen durch staatlich subventionierte Anbieter in
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2735 f.28
[29]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 603 ff.29
[30]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1942 f. Vgl.
SPJ 1994, S. 101.30
[31]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1143 ff., 2052 ff. und 2299;
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 870 ff., 931 ff. und 1065;
BBl, 1995, IV, S. 548 ff.;
NZZ, 17.5. und 7.6.95;
SGT, 21.9.95. Vgl.
SPJ 1994, S. 102. Zu den kantonalen Konkordaten siehe
NZZ, 20.7.95. Siehe auch L. Wasescha, "Die Reform des öffentlichen Beschaffungswesens in der Schweiz", in
Die Volkswirtschaft, 69/1996, Nr. 2, S. 40 ff.31
[32]
BBl, 1995, II, S. 521 ff.;
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 772 ff., 1014 f. und 1066;
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2057 ff. und 2300;
BBl, 1995, IV, S. 535 ff. Zum 1. Aktionspaket siehe
SPJ 1993, S. 102.32
[33]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2185 f. Kartellkommission:
NZZ, 17.3.95. Siehe dazu auch
TA, 10.1., 21.6., 28.7. und 9.8.95 (Leserbrief);
SHZ, 6.4.95;
BZ, 6.12.95.33
[34]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 616 f. und 1015;
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 350 und 441;
BBl, 1995, II, S. 436 f.;
AS, 1995, S. 4088;
Bund, 16.3.95;
BaZ, 24.8.95. Vgl.
SPJ 1994, S. 102. Zur Deregulierung der kantonal geregelten Ladenschlusszeiten siehe
Die Volkswirtschaft, 68/1995, Nr. 9, S. 52 f. Zur Liberalisierung des Sonntagsverkaufs siehe unten, Teil I, 7a (Arbeitszeit).34
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